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# taz.de -- Deutsch-polnische Grenze: Einfach mal dicht gemacht
> Zurückweisungen sollen nun auch Asylsuchende treffen, sagt Innenminister
> Dobrindt. An der polnischen Grenze sind diese Pushbacks längst Realität.
Bild: Bundespolizei steht an der deutsch-polnischen Grenze in der Nähe von Fra…
Frankfurt (Oder) taz | Eine blaue Stahlbrücke, unten glitzert die Oder im
Sonnenschein. Richtung Deutschland stockt der Verkehr, in
Schrittgeschwindigkeit schieben die Autos sich voran. Am Ende der Brücke
müssen sie vorbei an zwei Bundespolizisten. Ab und an winken die
Polizist*innen ein Auto heraus, in ein großes weißes Zelt, in dem
weitere Beamt*innen warten. So weit, so bekannt: Kontrollen gibt es
hier, am Grenzübergang nach Polen in Frankfurt (Oder), schon seit Herbst
2023. [1][Seit dem vergangenen Jahr gilt das auch für alle anderen
deutschen Grenzen].
Neu ist dagegen: Erstmals werden auch Fußgänger*innen systematisch
kontrolliert. Und Passant*innen berichten: So viele Polizist*innen
waren sonst nicht im Einsatz. Als ein etwa 15-jähriger Junge die Brücke
hinunterkommt, befragen die Polizist*innen ihn, es scheint ein Problem
zu geben. Nach etwa 20 Minuten schieben sie den Jungen in ein
Einsatzfahrzeug.
Es ist Mittwochmittag, Alexander Dobrindt hat das Bundesinnenministerium
noch nicht offiziell übernommen. Doch schon jetzt deutet sich am
Grenzübergang Frankfurt (Oder) an, was er nach Amtsantritt wenige Stunden
später ankündigen wird: Deutschland schottet sich gegenüber Geflüchteten
weitgehend ab. Bundespolizist*innen sollen künftig auch Asylsuchende
zurückweisen, Ausnahmen soll es nur für Kinder, Schwangere und Kranke
geben. Es ist der offene Bruch mit EU-Recht, genauer: dem Dublin-System,
das vorschreibt, dass jeder ins Land gelassen werden muss, der um Asyl
bittet, damit der Antrag zumindest geprüft wird. Dafür werden
Bundespolizist*innen an den Grenzen zusammengezogen, ihre Zahl soll
von bisher 11.000 auf 14.000 steigen.
## Die letzten Tage auf der Straße verbracht
Was es bedeutet, schutzsuchende Menschen einfach abzuweisen, lässt sich
einige hundert Meter von der blauen Brücke entfernt auf polnischer Seite
besichtigen. Hier in einem Café gegenüber einer Tankstelle sitzen zwei
Männer und eine Frau. Sie sind eingemummelt in dicke Plusterjacken, die
letzten Tage haben sie auf der Straße verbracht. Die polnischen Behörden
kümmern sich nicht um sie, planen vermutlich die Abschiebung. Hierher
gekommen seien sie über Belarus. Belarus schickt Geflüchtete gezielt über
die EU-Grenze zu Polen; Geflüchtete werden als Druckmittel genutzt, um
politische Interessen durchzusetzen.
Ursprünglich stammen die beiden Männer und die Frau, die jetzt in dem Café
sitzen, aus einem ostafrikanischen Staat. Mehr soll nicht in der Zeitung
stehen, damit sie nicht identifiziert werden können. Anfang Mai – deutlich
vor Dobrindts Amtsantritt – hätten sie versucht, nach Deutschland
einzureisen, berichten sie: „Wir haben gesagt, dass wir Asyl in Deutschland
beantragen wollen.“ Trotzdem seien sie zurückgewiesen worden.
Tatsächlich deutet viel darauf hin, dass Dobrindt mit seiner Ankündigung
nur zur offiziellen Linie erhoben hat, was inoffiziell schon längst Routine
war. Zwar betonte die bisherige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
immer wieder, zurückgewiesen werde unter ihrer Verantwortung nur, wer nicht
um Asyl bitte. Doch offizielle Daten der Bundesregierung zeigen, dass im
letzten Jahr plötzlich immer mehr Afghan*innen und Syrer*innen an den
Grenzen zurückgewiesen wurden. Schwer vorstellbar, dass auf einmal so viele
Menschen aus Krisenregionen an die Grenzen kommen, ohne ein Asylgesuch zu
äußern.
„Die Leute wollen ja nicht zum Eisessen nach Deutschland“, sagt Sophie
Scheytt von Amnesty International. Man müsse davon ausgehen, dass auch
bisher schon „in großem Umfang“ Asylsuchende zurückgewiesen worden seien.
Auch Tareq Alaows von Pro Asyl sieht eher eine graduelle Verschärfung der
Praxis an den Grenzen. Das sei aber kein Grund zur Entwarnung: „Das ist
eine massive Intensivierung rechtswidriger Pushbacks an den Grenzen.“ Bei
der von Dobrindt angekündigten flächendeckenden Umsetzung drohe „eine
De-facto-Aussetzung des Zugangs zum Asylrecht“.
Viele der Zahlen zu den Zurückweisungen hat die
Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger mit kleinen Anfragen ans Licht
gebracht. Zusammen mit Scheytt, Alaows und weiteren Aktivist*innen
kümmert sie sich im Café nun um die drei Zurückgewiesenen. Sie versuchen,
ein Hotel für die drei zu finden und einen Arzt für die Frau, sie hat sich
in der Zeit im Freien am Fuß verletzt, der nun furchtbar geschwollen ist.
„Sie wurde ohne echte medizinische Behandlung einfach zurückgewiesen, und
das, obwohl sie klar um Schutz gebeten haben“, sagt Bünger. „Das ist ein
klarer Bruch mit EU- und Menschenrechten und steht im Widerspruch zum
Grundgedanken der EU.“
Unter den Helfer*innen ist auch Maria Ksiazak. Sie arbeitet als
Psychotherapeutin bei verschiedenen Organisationen, die sich für
Geflüchtete in Polen einsetzen. Erst wenn man die Lage in Polen mitdenke,
erschließe sich die ganze Dramatik der deutschen Zurückweisungen, sagt sie.
Seit Ende März ist das Asylrecht in Polen für die Geflüchteten ausgesetzt,
die aus Belarus kommen. Für sie gibt es also keine Möglichkeit mehr, dort
Schutz zu bekommen. Geflüchtete, die es über die Grenze von Belarus
schaffen, versuchen deshalb, so schnell wie möglich weiterzureisen. In
Polen drohen ihnen rassistische Angriffe und vor allem die Abschiebung in
ihr Herkunftsland.
Weil die Abschiebungen oft an mangelnder Kooperation seitens der
Herkunftsländer scheitern, enden viele der Geflüchteten bis zu zwei Jahre
[2][in Abschiebehaft]. „Die Lebensbedingungen dort sind schlimmer als im
Gefängnis“, sagt Ksiazak. Viele der Geflüchteten seien psychisch krank und
suizidal. Und all das droht eben auch denen, die aus Deutschland
zurückgeschoben werden. „Inhuman“ sei die Praxis der deutschen
Bundespolizei an der Grenze.
Und Ksiazak warnt: Die Entwicklung in Deutschland gleiche dem, was sich in
Polen an der Grenze zu Belarus vollzogen habe. „Erst gab es heimlich
illegale Pushbacks, später wurden die Pushbacks dann einfach legalisiert.“
Wer aber so die Menschenrechte zunächst für einzelne Gruppen aussetze,
gefährde langfristig Rechtsstaat, Demokratie und die EU.
Schon jetzt ist absehbar, dass die diplomatischen Kosten der
Zurückweisungen immens sein werden. Österreich, eins der Haupttransitländer
für Geflüchtete auf dem Weg nach Deutschland, kündigte schon
Donnerstagnachmittag an, Zurückweisungen nicht zu akzeptieren. Und das die
polnische Regierung unter Premier Donald Tusk ebenfalls alles andere als
begeistert ist, erfuhr Bundeskanzler Friedrich Merz bei einem Besuch in
Warschau am Donnerstagabend gleich persönlich. „Polen wird nur in sein
Gebiet lassen, wen es akzeptiert“, sagte Tusk bei einer gemeinsamen
Pressekonferenz.
Und Tusk warnte: Es drohe eine Situation, in der jedes Nachbarland eigene
Zurückweisungen durchführe. Es wäre eine Kaskade der Abschottung, vor der
auch Forscher*innen und Aktivist*innen warnen. Am Ende kämen
überhaupt keine Geflüchteten mehr in die EU.
Kurzfristig ist das größere Problem aber wohl, [3][dass die deutschen
Zurückweisungen die Nachbarländer schlicht gewaltig vor den Kopf stoßen].
Und das kann sich Kanzler Merz eigentlich überhaupt nicht leisten, will er
doch erklärtermaßen die EU revitalisieren und insbesondere die gemeinsame
Verteidigungspolitik gegenüber Russland stärken. Offenbar scheint ihm
derzeit aber das innenpolitische Signal wichtiger als die Stimmung bei den
Verbündeten. Eine Rolle dürfte dabei auch spielen, dass Merz die
demütigende Niederlage in der ersten Runde der Kanzlerwahl am Dienstag
übertünchen will. „Männliches Muskelgehabe von Merz und Dobrindt“, nennt
Bünger das.
Auch im Kleinen dürften die Grenzkontrollen für viel Ärger sorgen. Sören
Bollmann arbeitet im Frankfurter Rathaus und organisiert dort die
Zusammenarbeit mit Słubice, der polnischen Stadt auf der anderen Seite der
blauen Stahlbrücke. Schon die bislang bestehenden Kontrollen seien
„schädlich und abschreckend“ sagt er und spricht von einem „Imageschaden…
für die Stadt, etwa durch die kilometerlangen Staus vor den
Grenzkontrollen. Er fürchtet, dass weniger Tourist*innen kommen könnten.
Wie unangenehm die Grenzkontrollen auch dann sein können, wenn man einen
deutschen Pass hat, zeigt sich in Frankfurt eindrücklich. Am Café macht
sich ein Teil der Helfer*innen auf, um für die drei Zurückgewiesenen ein
Hotel zu organisieren. Der Rest steigt in einen Van, als Nächstes wollen
Sie sich die Grenzkontrollen am Hauptbahnhof anschauen. Ein Platz ist noch
frei, und so darf auch der taz-Reporter mitfahren.
„Bestimmt werden wir rausgezogen“, witzelt die junge Frau auf dem
Beifahrersitz, als es auf die blaue Stahlbrücke geht. Und ganz wie
prognostiziert, hebt die Bundespolizistin auf der deutschen Seite auch
umgehend die Kelle. Großes Gelächter im Wageninneren. Der Kofferraum wird
durchsucht, die Personalausweise eingesammelt und abfotografiert, ein
Polizist tippt irgendetwas in einen Laptop. „Was ist das denn für ’ne
Kombi“ sagt einer der Beamten beim Blick auf die Ausweise leise, aber doch
hörbar für die Insassen, die verschiedenste Alter und
Migrationshintergründe haben.
Letzteres sei das der Grund, warum der Wagen rausgewunken wurde, mutmaßen
die Aktivist*innen. Und es ist ein Verdacht, der sich immer wieder
aufdrängt, wenn man die Grenzpolizist*innen bei der Arbeit beobachtet.
Werden bei den Kontrollen explizit Menschen herausgezogen, die nicht weiß
sind? Das wäre sogenanntes Racial Profiling, eine Form von Diskriminierung
durch die Sicherheitsbehörden, die eindeutig verboten ist.
## War das racial profiling?
Im März hatte der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, der dpa
gesagt, bei ihm gingen seit Ausweitung der Grenzkontrollen im September
2024 immer mehr Beschwerden wegen mutmaßlichem Racial Profiling ein. Aber
beweisen lassen sich solche Vorwürfe sehr schwer. Auf die Frage, warum
ausgerechnet dieser Wagen rausgewunken wurde, verweisen die
Polizist*innen auf die getönten Scheiben des Wagens. Dann gibt es die
Ausweise zurück, der Wagen darf weiterfahren.
Mit etwas Verspätung am Bahnhof angekommen, dauert es auch hier nicht lang,
bis die Bundespolizei auftaucht. Rund zehn Beamt*innen marschieren durch
die Halle direkt ans Gleis 6, wo ein Zug aus Polen einfährt, Ziel: Berlin
Hauptbahnhof. Als die Waggons halten, steigen einige Beamte ein, der Rest
postiert sich an der Treppe zur Unterführung auf dem Bahnsteig. Nach etwa
zehn Minuten steigen die Beamten wieder aus, in ihrer Mitte einen schmalen
Mann in blauem T-Shirt. Fragen der taz, was passiert, weisen die Beamten
ab.
Den Mann eskortieren die Beamten in ihrer Mitte zur Wache der
Bundespolizei, gleich neben dem Bahnhofseingang. Auch dort ist am Schalter
nicht herauszubekommen, was genau mit dem Mann passieren wird. Keine zwei
Stunden später tritt Innenminister Dobrindt in Berlin vor die Presse. Er
kündigt offiziell an, die Zurückweisungen an der Grenze auch auf
Asylsuchende auszuweiten.
8 May 2025
## LINKS
[1] /Grenzkontrollen-in-Deutschland/!6058599
[2] /Abschiebehaft-in-Glueckstadt/!6085508
[3] /Zurueckweisungen-an-den-Grenzen/!6083322
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
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