# taz.de -- Merz zu Besuch bei Macron und Tusk: Drei Männer in zerbrechlicher … | |
> Polen und Frankreich setzen auf Merz und neuen Schwung in Europa. Die | |
> Erwartungen sind hoch, die Beziehungen porös. Der neue Kanzler versucht, | |
> sie zu kitten. | |
Bild: Kanzler Merz geht auf Tuchfühlung: Erst in Paris mit Macron und später … | |
Paris/Warschau So hat Friedrich Merz sich den ersten Tag seiner | |
Kanzlerschaft wahrscheinlich vorgestellt. Am Mittwochmittag fährt seine | |
Dienstlimousine durch das große Tor des Élysée-Palastes über den feinen | |
Kies im Innenhof auf den Eingang zu, der französische Präsident Emmanuel | |
Macron eilt die lange Treppe herunter, um den neuen Bundeskanzler zu | |
begrüßen. Merz, der im Hemd aus dem Auto gestiegen ist, hat das Sakko | |
gerade an, schon umarmt ihn Macron und klopft ihm so fest auf die Schulter, | |
dass es weit in den Innenhof hinein zu hören ist. Gemeinsam gehen die | |
beiden die Treppe hoch, oben winken sie noch einmal. Die Fernsehkameras | |
laufen, die Fotografen knipsen. Da sind sie, die schönen Bilder von dem | |
Deutschen und dem Franzosen, einander herzlich zugewandt. Eine neu | |
entfachte deutsch-französische Freundschaft. | |
Dabei ist es nur gut 24 Stunden her, als es noch so aussieht, als müsste | |
Merz die Reise absagen, die ihn erst nach Paris und am Nachmittag weiter | |
nach Warschau bringen soll. Es ist kurz nach 10 Uhr am Dienstagvormittag, | |
[1][als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verkündet], was es in der | |
Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nicht gab: Merz ist im ersten | |
Wahlgang durchgefallen, zur Kanzlermehrheit fehlen sechs Stimmen. Ein | |
Desaster. Auch wenn der 69-Jährige am Nachmittag im zweiten Wahlgang dann | |
doch noch gewählt wird – Merz, der so vieles besser machen will als die | |
notorisch zerstrittene Ampel, fährt nicht als strahlender Sieger nach Paris | |
und Warschau, sondern angeschlagen. Als einer, bei dem auch nicht klar ist, | |
ob seine Koalition hinter ihm steht. Dabei hatte man in Europa auf einen | |
starken Kanzler gehofft. | |
Auch in Paris hat man das natürlich registriert. Anmerken lässt sich Macron | |
davon nichts. Das Verhältnis zu Deutschland war unter Merz’ Vorgänger Olaf | |
Scholz stark abgekühlt, zwischen dem Kanzler und dem französischen | |
Präsidenten stimmte die Chemie einfach nicht. | |
Auch die Beziehungen zu Polen haben unter Scholz gelitten. Zu wenig | |
Aufmerksamkeit, zu wenig Eindeutigkeit in der Frage der Waffenlieferungen | |
an die Ukraine. Merz hat angekündigt, das zu ändern. Er wolle die Rolle | |
Deutschlands in Europa neu definieren und die „europapolitische | |
Sprachlosigkeit“ beenden, Deutschland solle zu einer „führenden | |
Mittelmacht“ werden, so hatte Merz es [2][bei seiner außenpolitischen | |
Grundsatzrede im Januar bei der Körber-Stiftung] formuliert. Am wichtigsten | |
sei ihm dabei die „Reparatur“ der Beziehungen Deutschlands zu Frankreich | |
und Polen. Das klingt ein bisschen nach den Zeiten, als Helmut Kohl noch | |
Bundeskanzler war. Die Erwartungen an Merz sind also hoch. Zu hoch? | |
Die Regierungsmaschine ist am Mittwoch noch nicht lange in der Luft, da | |
kommt Merz nach hinten zu den Journalist*innen, die ihn auf seiner ersten | |
Kanzlerreise begleiten. Er will ein paar Sätze zum Auftakt sagen, die | |
dürfen zitiert werden, sogar die Kameras dürfen zu Beginn filmen. Das ist | |
ungewöhnlich, bislang gab es in der Kanzlermaschine nur | |
Hintergrundgespräche, die nicht verwendet werden dürfen. | |
Merz wirkt locker, die Niederlage vom Vortag merkt man ihm nicht an. Die | |
Reise nach Paris und Warschau, sagt er, solle ein Zeichen setzen, „nach | |
innen und außen“. Er wolle „einen Neustart“ in diesen Beziehungen. „Mir | |
liegen diese beiden Länder sehr am Herzen.“ Das Weimarer Dreieck – das | |
außenpolitische Gesprächsformat mit Polen und Frankreich – sei etwas, „das | |
wir stark nutzen sollten“. Die Gespräche seien gut vorbereitet, auch durch | |
persönliche Treffen mit Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten | |
Donald Tusk. Doch reicht das? | |
## Macron hofft auf eine europäische Antwort auf Trump | |
In Frankreich hat Merz das Image eines „überzeugten Europäers“. Macron | |
möchte in ihm gerne einen Seelenverwandten sehen, der ähnliche Konsequenzen | |
aus der von US-Präsident Donald Trump über den Haufen geworfenen | |
Bündniskonstellation für Europa zieht. Er hofft, dass mit Merz „mehr als | |
eine bloße Kooperation“ sichtbar wird, sondern eine Art | |
„deutsch-französischer Reflex in allen Bereichen“. | |
Frankreichs Präsident plädiert seit Langem für eine eigenständige | |
europäische Verteidigung und Sicherheitspolitik und will mehr Verständnis | |
dafür, vor allem von Merz. Und der Kanzler teilt Macron dann prompt mit, | |
dass eine deutsche Teilnahme an der nuklearen Abschreckung kein Tabu sei. | |
Auch wenn er in einem [3][atomaren Schutzschirm der französischen (oder | |
britischen) Atomwaffen] keinen Ersatz für die bisherigen | |
Sicherheitsgarantien der USA und der Nato sehen könne. | |
Die Diskussion über eine autonome europäische Sicherheitsstrategie läuft | |
also. In Paris wurde als erster Schritt die Schaffung eines gemeinsamen | |
„Verteidigungs- und Sicherheitsrats“ angekündigt, der „gemeinsame operat… | |
Antworten“ auf die aktuellen Herausforderungen erarbeiten soll. Konkreter | |
wird es nicht. | |
Aber Merz macht im Élysée auch klar, dass er in wichtigen Fragen weiter | |
explizit auf Washington setzt: „Präsident Trump hat unsere volle | |
Unterstützung, wenn es darum geht, ein Ende des Krieges herbeizuführen“, | |
sagt Merz. Er meint damit den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. | |
„Wir wollen, dass die Amerikaner an Bord bleiben“, sagt Merz. | |
Klar ist aber auch, dass bei etlichen Themen kumpelhaftes Schulterklopfen | |
mit Macron nicht ausreichen wird. Zum Beispiel bei der Frage der | |
Haushaltsdisziplin – einem zentralen Streitpunkt zwischen Frankreich und | |
Deutschland seit Jahren. Die Schuldenbremse soll in Berlin aufgeweicht | |
werden. Das bedeutet Stress in Brüssel. Berlin hatte Paris in der | |
Vergangenheit mehrfach dazu ermahnt. Auch in den Bereichen Energie und | |
Handelspolitik dürfte es Ärger geben. | |
## Keine Umarmungen in Warschau | |
Ganz so herzlich wie in Paris wird Merz am Nachmittag in Warschau nicht | |
empfangen. Nach dem militärischen Empfang gibt es statt Umarmungen ein eher | |
nüchternes Händeschütteln. Tusk und Merz kennen sich, da ihre | |
christdemokratischen Parteien CDU und Bürgerplattform PO seit Jahren im | |
Europäischen Parlament eng zusammenarbeiten. „Ich freue mich auf den | |
Neustart der deutsch-polnischen Beziehungen“, verkündet Tusk. | |
Doch seit Russlands Einmarsch in die Ukraine steht auch diese Beziehung vor | |
neuen Herausforderungen. Polen kämpft schon seit 2021 einen hybriden Krieg | |
an seiner Ostgrenze, die zugleich EU- und Nato-Ostgrenze ist. Fast täglich | |
treiben dort der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und seine | |
Schergen Migrant*innen aus Asien und Afrika über die rund 400 Kilometer | |
lange grüne Grenze nach Polen, mit dem Ziel, die EU zu destabilisieren. | |
Schon die Ampelkoalition verschärfte die Situation zusätzlich, indem sie | |
auf Druck von CDU/CSU und AfD Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums | |
einführte und Asylbewerber*innen mit laufendem Verfahren in einem | |
anderen Land zurückweisen ließ. Polen musste gemäß Schengen-Recht tausende | |
Asylbewerber*innen zurücknehmen, was in der Bevölkerung großen Unmut | |
auslöste und von der rechtspopulistischen Opposition sofort ausgenutzt | |
wurde. Um die Zahl der von Deutschland zurückgewiesenen Asylbewerber mit | |
laufendem Verfahren in Polen zu minimieren, setzte Tusk mit Genehmigung | |
Brüssels das Asylrecht an der polnischen Ostgrenze teilweise aus. | |
Am ersten Tag seiner Kanzlerschaft, so hatte es Merz im Wahlkampf wieder | |
und wieder formuliert, werde er dauerhafte Grenzkontrollen anordnen und ein | |
„faktisches Einreiseverbot“ für alle ohne gültige Einreisepapiere, das | |
gelte auch für Menschen mit Schutzanspruch. Bundesinnenminister Alexander | |
Dobrindt hat in Berlin gerade entsprechende Maßnahmen angekündigt. | |
In scharfen Worten [4][weist Tusk den deutschen Kanzler] darauf hin, dass | |
das hohe Gut der Reisefreiheit in Europa durch die deutschen | |
Grenzkontrollen massiv eingeschränkt werde: „Unsere Sorge gilt dem Erhalt | |
von Schengen.“ Kontrollen sollten vor allem an den Außengrenzen | |
durchgeführt werden. Auch betont er, wie stark sich Polen bei diesem | |
Schutz, insbesondere an der Grenze zu Belarus, engagiert hätte, mit „fast | |
10.000 Soldaten, Grenzwächtern, Polizisten“. „Schengen ist unser | |
gemeinsamer Erfolg“, so Tusk, „und freie Grenzen im Interesse von | |
Deutschland und Polen.“ Es sei also sinnvoller, wenn Deutschland seine | |
Grenzpolizisten nicht an den eigenen Grenzen, sondern einige hundert | |
Kilometer weiter östlich an der polnisch-belarussischen Grenze und damit an | |
der EU- und Nato-Ostgrenze stationieren würde. | |
Anders als in Paris hat Merz einen Kopfhörer im Ohr, er hört Tusk in der | |
Übersetzung der Dolmetscherin. Dessen Bedenken überraschen ihn nicht. Vor | |
ein paar Tagen haben die beiden noch telefoniert und sich auch zu dieser | |
Frage ausgetauscht. Merz weiß um die innenpolitische Lage in Polen, er will | |
es dem liberal-konservativen Tusk nicht schwerer machen als nötig. | |
[5][Zu Dobrindts Ankündigungen in Berlin] sagt Merz nichts, dafür: „Wir | |
werden Grenzkontrollen vornehmen in einer Art und Weise, die für unsere | |
Nachbarn verträglich ist.“ Er habe noch auf dem Weg nach Warschau mit | |
Dobrindt telefoniert und ihn gebeten, den Kontakt mit den europäischen | |
Nachbarn jederzeit zu suchen. Stärker rhetorisch herunterdimmen kann Merz | |
seine Forderungen nicht, will er nicht in den Ruf kommen, gleich das | |
nächste Wahlversprechen preiszugeben. Die Union bietet an diesem | |
Mittwochnachmittag die inneren Widersprüche ihrer Migrationspolitik auf | |
offener Bühne dar. | |
Ob [6][Grenzkontrollen] nicht besser wären als eine | |
AfD-Regierungsbeteiligung, will am Ende ein polnischer Journalist von Tusk | |
wissen. Dieser steht selbst unter Druck, da in wenigen Tagen | |
Präsidentschaftswahlen in Polen anstehen und die rechtspopulistische | |
PS-Partei ihn vor sich hertreibt. „Die AfD ist Ihr Problem, Herr | |
Bundeskanzler“, antwortet Tusk da. „Ich habe meine AfD hier, wir tun, was | |
man kann.“ | |
9 May 2025 | |
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