Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Milliardenproblem der Bundesregierung: Das bisschen Haushalt
> Die Finanzpläne der Ampel sind verfassungswidrig, die Verwirrung ist
> groß. Wie geht es jetzt weiter? Die taz klärt auf.
Bild: Haushalts-Trickser: SPD-Kanzler Scholz und sein Finanzminister Lindner vo…
Was ist eigentlich passiert?
Normalerweise ist das Bundesverfassungsgericht zurückhaltender, was
Eingriffe in die Finanzpolitik angeht. Ein umso größerer Paukenschlag war
deshalb am 15. November [1][das Urteil der Karlsruher Richter*innen] zu
einer Klage der Unionsfraktion gegen den „Klima- und Transformationsfonds“
(KTF). Sie entschieden, dass der Nachtragshaushalt für das Jahr 2021 gegen
die Schuldenbremse verstieß und 60 Milliarden Euro an ungenutzten
Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht in den
Klimafonds hätten verschoben werden dürfen.
Im politischen Berlin ist die Aufregung und Ratlosigkeit seitdem anhaltend
groß. Zunächst schob Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mittels
[2][einer Haushaltssperre] künftigen Ausgaben einen Riegel vor. Am Mittwoch
[3][verschob zudem der Haushaltsausschuss] des Deutschen Bundestages die
finalen Beratungen für das Budget 2024 – auf unbestimmte Zeit. Am
Donnerstag teilte Christian Lindner dann mit, dass die Bundesregierung für
2023 noch einmal [4][die Schuldenbremse aussetzen will]. Damit hat sie die
Situation erst einmal etwas beruhigt, aber grundsätzlich gelöst ist die
Haushaltskrise noch nicht.
Warum ist das Urteil so grundlegend?
Mit dem Urteil fehlt der Bundesregierung viel Geld. Laut Expertenmeinung
sind die Haushalte für dieses und kommendes Jahr verfassungswidrig. Auch
gibt es nun Zweifel, ob der 200 Milliarden Euro schwere Wirtschafts- und
Stabilisierungsfonds (WSF), der ebenfalls kreditfinanziert ist und mit
dessen Mitteln unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse beglichen
werden, im Einklang mit den Regeln des Grundgesetzes konstruiert wurde.
„Sollte der Bundestag den Haushalt 2024 sowie den Wirtschaftsplan des WSF
für das Jahr 2024 auf Grundlage des Regierungsentwurfs ohne wesentliche
Änderungen im Hinblick auf die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts
beschließen, hielte der Bundesrechnungshof dies für verfassungsrechtlich
höchst risikobehaftet“, heißt es zum Beispiel in einer Stellungnahme des
Bundesrechnungshofes für den Haushaltsausschuss des Bundestages.
Auch Bundesländer haben kreditfinanzierte Sondertöpfe eingerichtet, um
Klimaprojekte zu finanzieren. Das Saarland hat zum Beispiel vergangenes
Jahr einen drei Milliarden schweren Transformationsfonds eingerichtet. Die
saarländische Landesregierung will nun Ängste nach dem Urteil zerstreuen
und verweist darauf, dass für den Fonds im Gegensatz zum Klimafonds des
Bundes keine Mittel umgewidmet wurden und er deswegen nicht in Gefahr sei.
Ähnliches gilt für das Land Berlin.
Wenn starr an der Schuldenbremse festgehalten wird, was heißt das für die
Wirtschaft?
Die Auswirkungen des Urteils sind nicht zu unterschätzen. „Wenn die
Bundesregierung die im Klimafonds vorgesehenen Ausgaben nicht tätigt oder
an anderer Stelle spart, dann wären das erhebliche Kürzungen, die der
Konjunktur fürs kommende und vielleicht sogar für die folgenden Jahre einen
schweren Schlag versetzen könnte“, sagt Achim Truger der taz.
Truger ist Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen, also des
Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung. Das Gremium geht [5][in seiner jüngsten – vor dem Urteil
veröffentlichten – Prognose] von einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent
im kommenden Jahr aus. „Kürzungen im Rahmen des Urteils könnten zur Folge
haben, dass Deutschland in eine Rezession gerät“, warnt Truger.
„Es geht jetzt um die Frage, wie die Finanzpolitik in den nächsten drei bis
vier Jahren unter stark veränderten Rahmenbedingungen gestaltet werden
kann“, sagt auch Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft. Er
geht davon aus, dass dem Bund von 2024 bis 2026 70 bis 80 Milliarden Euro
fehlen, wenn sich auch der WSF-Fonds als verfassungswidrig herausstellt.
Und die Klimapolitik?
Welche Projekte vom Urteil betroffen sein werden, lässt sich bisher nur
schwer abschätzen. Schließlich läuft die politische Diskussion über die
Folgen gerade erst an. Doch kann die Gerichtsentscheidung auch Auswirkungen
auf die künftige Klimapolitik haben, da mit dem Fonds Klimaschutzmaßnahmen
finanziert und nachhaltige Investitionen angeschoben werden sollten.
So sind im Fonds zur Sanierung der Bahn-Infrastruktur eigentlich 12,5
Milliarden Euro vorgesehen. Der Umweltbonus für die Anschaffung eines
E-Auto kommt bereits aus dem Fonds. Auch wollte man mit den Mitteln
Subventionen für den Aufbau von Batteriezellenfabriken sowie die
sogenannten Klimaschutzverträge finanzieren, die mittelständischen
Unternehmen einen Anreiz zum CO2-Sparen geben sollten.
Eine weitere wichtige Maßnahme, die jetzt teilweise auf der Kippe steht:
die Förderung von grünem Stahl. Allerdings haben Stahlunternehmen wie
[6][Thyssenkrupp] und die niedersächsische Salzgitter AG bereits positive
Förderbescheide erhalten. Damit können staatliche Gelder für den Bau
klimafreundlicher Produktionsanlagen fließen.
Welche Regionen trifft das Urteil besonders?
Ob einzelne Bundesländer die Folgen des Urteils besonders schwer spüren
werden, lässt sich ebenfalls noch nicht abschließend einschätzen.
Allerdings waren im Klimafonds für kommendes Jahr ursprünglich auch vier
Milliarden Euro zur Förderung der Halbleiterindustrie vorgesehen.
Folglich steht hinter Milliardensubventionen für die Ansiedlung von
[7][Chip-Fabriken des taiwanischen Konzerns TSMC in Dresden] und des
US-Herstellers [8][Intel in Magdeburg] nun ein großes Fragezeichen. Da die
Bundesregierung mit den Mitteln aus dem Fonds auch den Wiederaufbau der
Solarindustrie in den neuen Bundesländern finanzieren wollte, könnte das
Urteil besonders die ostdeutsche Wirtschaft treffen, wie
Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) jüngst warnte.
Wie könnte es weitergehen?
Welche Auswirkungen das Urteil letztlich hat, hängt davon ab, wie mit ihm
umgegangen wird. Und das ist eine politische Frage. Dass sie für 2023 die
Schuldenbremse nochmal aussetzt, gibt der Ampel-Koalition Zeit, zu
diskutieren, wie es weitergehen soll. Die Aussetzung wurde im Vorfeld
bereits erwartet.
Mit ihrer Hilfe will die Bundesregierung 45 Milliarden an frischen Krediten
aufnehmen, die vor allem für den Energie-Krisenfonds WSF gedacht sind. Für
das Haushaltsloch im kommenden Jahr wird es vermutlich jedoch eine
grundlegendere Lösung geben müssen. Insbesondere von Seiten der CDU und FDP
kamen bereits Forderungen nach Kürzungen im sozialen Bereich auf.
Andere fordern stattdessen die Streichung klimaschädlicher Subventionen.
Allein das [9][Dienstwagen-Privileg] schlägt jährlich mit 5,7 Milliarden
Euro zu Buche. „Eigentlich müsste man die Schuldenbremse grundlegend
reformieren“, sagt der Ökonom Achim Truger. Das Urteil habe gezeigt, „dass
die Schuldenbremse gerade in Zeiten der Transformation die Finanzierung
notwendiger öffentlicher Investitionen verhindert“.
Schließlich ist die Ampel-Koalition nur in die jetzige Situation geraten,
weil die Schuldenbremse die Aufnahme von Krediten außerhalb von Notzeiten
äußerst streng reglementiert. So darf der Bund in Normalzeiten neue Kredite
in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen.
Truger schlägt deswegen die Einführung einer Investitionsklausel vor, damit
der Bund wichtige Investitionen auch über Kredite finanzieren kann.
Auch Ökonom Hentze spricht sich für eine Reform der Schuldenbremse aus.
„Dies bietet sich auch an, weil der Schuldenstand in Deutschland nicht
besonders hoch ist“, führt er weiter aus. So liegt die hiesige
Schuldenquote bei rund 66 Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich:
In Frankreich sind es 112 und in Italien sogar 142 Prozent.
Gibt es Alternativen zu einer Reform der Schuldenbremse?
Es gibt ein Problem bei der Schuldenbremse: Sie ist im Grundgesetz
verankert. Deswegen braucht es für ihre Reform eine Zwei-Drittel-Mehrheit
im Bundestag. Um die zu erhalten, wäre die Ampel-Koalition auch auf die
Stimmen der Union angewiesen. Doch die ist bisher dagegen, auch wenn sich
drei ihrer Ministerpräsidenten schon für eine Reform ausgesprochen haben.
Die FDP ist auch dagegen. Eine Reform der Schuldenbremse ist derzeit also
eher unwahrscheinlich. Truger schlägt deswegen als Alternative zur Reform
eine Kombination verschiedener Maßnahmen vor. Diese könnte unter anderem
die Einführung eines Energiesolis, also eines Aufschlags auf die
Einkommenssteuer für Gutverdienende, beinhalten. Und die Abschaffung der
Steuerrabatte auf Diesel.
„Dadurch könnte eine große Summe zusammenkommen“, so Truger. Zudem hätte
dieser Strauß an Maßnahmen einen weiteren Vorteil: Da es vor allem Steuern
des Bundes wären, die angefasst würden, wäre die Ampel nicht auf die
Zustimmung der Union im Bundesrat angewiesen. Nur die FDP müsste noch
überredet werden.
25 Nov 2023
## LINKS
[1] /Grundsatzurteil-zu-Haushalt/!5969801
[2] /Teilweise-Haushaltssperre/!5971299
[3] /Teilweise-Haushaltssperre/!5971299
[4] /Regierung-setzt-Schuldenbremse-aus/!5971537
[5] /Jahresgutachten-der-Wirtschaftsweisen/!5968588
[6] /Landtagswahl-in-Nordrhein-Westfalen/!5850411
[7] /Subventionen-fuer-Chip-Fabriken/!5953521
[8] /Geplante-Intel-Fabrik-in-Magdeburg/!5939815
[9] /Steuerplaene-aus-der-SPD/!5933969
## AUTOREN
Simon Poelchau
## TAGS
Das Milliardenloch
Ampel-Koalition
Haushalt
Bundesverfassungsgericht
GNS
Klimaneutralität
Das Milliardenloch
Ampel-Koalition
Haushalt
Friedrich Merz
Das Milliardenloch
Schwerpunkt Klimawandel
Friedrich Merz
Ampel-Koalition
Haushalt
Ampel-Koalition
Ampel-Koalition
Das Milliardenloch
Haushaltskrise
Ampel-Koalition
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umbau der fossilen Industrie: Grüner soll die Aussicht sein
Die Klimaschutzverträge kommen – in Deutschland können sich Firmen um
Subventionen bewerben. Die Bedingung? Sie müssen ihren CO2-Ausstoß
reduzieren.
Streit um Bundesetat: Was im Haushalt zu kurz kommt
Endlich liegt eine Einigung zu den Staatsfinanzen auf dem Tisch. Die
Opposition kritisiert Kürzungen, Grüne sprechen von „schmerzhaften
Einsparungen“.
Haushaltskrise der Bundesregierung: Wie teuer ist das Sparen?
Die Antwort hängt auch vom „Fiskalmultiplikator“ ab. Der gibt an, wie stark
die Wirtschaftsleistung schrumpft, wenn der Staat weniger ausgibt.
Haushaltskrise nach Karlsruher Urteil: Bibbern statt Vorfreude im Advent
Die nächsten Wochen werden stressreich für die Ampelkoalition. Ein
Kompromiss über den Haushalt verlangt von SPD, FDP und Grünen klare
Zugeständnisse.
Streit um den Bundeshaushalt: „Klempner der Macht“?
So hat Unionschef Merz den Bundeskanzler bezeichnet. Was bedeutet das
eigentlich? Wir haben bei Klempner Scholz und Klempner Merz angerufen.
Rolle der Union in der Haushaltskrise: Eine Stimmung wie auf Klassenfahrt
Die Union wettert gegen die Bundesregierung. Um das Dogma der
Schuldenbremse hochzuhalten, ignoriert sie eigene Widersprüche.
Urteil von Oberverwaltungsgericht: Das Wissing-Schutz-Gesetz
Ein Oberverwaltungsgericht erinnert die Ampel an ihr Klimaschutzgesetz. Die
will das aber sowieso aufweichen, um das Verkehrsministerium zu schützen.
Fehlende 60 Milliarden im Bundeshaushalt: Union streitet über Schuldenbremse
CDU-Politiker um Berlins Bürgermeister Kai Wegner wollen die Schuldenbremse
reformieren. Die Parteichefs Merz und Söder lehnen das ab.
Kanzlerrede zur Haushaltskrise: Just say sorry, Olaf
Der Kanzler hat eine selbstgefällige Rede zur Haushaltsmisere gehalten.
Empathie oder gar ein Hauch von Selbstkritik? Fehlanzeige.
Debatte nach Urteil zu Schuldenbremse: Das Ende eines Doppelwumms
Wirtschaftsminister Habeck und die Länder wollen alle Projekte aus dem
Klimafonds umsetzen. Zunächst beschloss die Ampel einen Nachtragshaushalt.
Haushaltskrise der Ampel: „Das geht so nicht“
Das Geld für die Preisbremsen stehe nicht mehr zur Verfügung, sagt der
Finanzminister. Der Co-Vorsitzende der SPD, Lars Klingbeil, hält dagegen.
Urteil zur Schuldenbremse: Keine Katastrophe
Ja, es ist lästig und nervig. Jede Partei der Ampel muss ihrer Klientel
gewisse Opfer zumuten. Dennoch: die Einsparungen sind zu stemmen.
Haushalts-Krise der Ampel: Der Trispalt
Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts hat die Regierung ein
Milliardenproblem. Es verstärkt Fliehkräfte, die es in der Koalition seit
Beginn gibt.
Budgetstreit in der Regierung: Haushaltsmeister gesucht
Die Ampelkoalition kann ihren Finanzplan für 2024 nicht wie geplant
beschließen. Die Regierung muss Eingeständnisse machen, doch ist sie dazu
bereit?
Fehlende 60 Milliarden Euro: Streit um Haushaltsloch dauert an
Während sich Wirtschaftsminister Habeck für eine Reform der Schuldenbremse
ausspricht, halten FDP und Union dagegen. Die Wissenschaft ist uneins.
Andreas Jung (CDU) über Klimapolitik: „Die Ampel hat eine Chance vertan“
Andreas Jung, stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender, findet die
Klimapolitik der Ampel zu wenig sozial. Und sagt, was die CDU anders machen
würde.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.