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# taz.de -- Rolle der Union in der Haushaltskrise: Eine Stimmung wie auf Klasse…
> Die Union wettert gegen die Bundesregierung. Um das Dogma der
> Schuldenbremse hochzuhalten, ignoriert sie eigene Widersprüche.
Bild: Friedrich Merz lässt sich im Bundestag am 28.11.2023 von seiner Fraktion…
Berlin taz | Es hätte so leicht sein können für Friedrich Merz. In einer
halbstündigen Ansprache hatte es der Bundeskanzler nicht geschafft zu
erklären, über welchen finanziellen Spielraum seine Regierung im kommenden
Jahr verfügt. Olaf Scholz redete im Bundestag und war gleichzeitig ratlos.
In diesem Augenblick hätte es der Oppositionsführer allen beweisen können:
Dass er eben doch über genug politische Intuition verfügt, um zu erkennen,
wann ein CDU-Chef Verantwortungsbereitschaft demonstrieren muss. Doch
Friedrich Merz zeigte auf die Regierungsbank und rief: [1][„Das ist die
Regierung der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, das ist peinlich, was
wir hier sehen und hören.“] Die Unionsfraktion jubelte, und mit ihr die
AfD.
Mehr als zwei Wochen ist es her, dass das Verfassungsgericht der
Bundesregierung den Raum ihres politischen Kompromisses genommen hat. Die
CDU hatte das Urteil in Karlsruhe erstritten, weil sie es als rechtswidrig
erachtete, dass Scholz nicht verwendete Corona-Kredite in den Klimafonds
verschoben hatte. Das Loch, das sich für die Bundesregierung durch den
Erfolg der Union vor Gericht aufgetan hat, ist nicht nur ein finanzielles.
Die Ampel hat es seitdem nicht geschafft, zu zeigen, was nun der Rahmen
ihrer Arbeit sein soll.
In der Unions-Fraktion herrsche derzeit ein „Klassenfahrtsgefühl“, sagt ein
Mitglied des CDU-Parteivorstands der taz. Die aufgeheizte Stimmung bei den
Konservativen speist sich daraus, dass es bereits die zweite Klatsche aus
Karlsruhe für die Bundesregierung innerhalb eines halben Jahres ist. Im
Juli erst hatten die Richter*innen eine Abstimmung zum
Gebäudeenergiegesetz wegen nicht eingehaltener Beratungsfristen gestoppt.
Politiker in der Union wundern sich über diese handwerklichen Fehler.
Gleichzeitig fürchten sie deshalb, als klagewütige Pedanten an der
Seitenlinie dargestellt zu werden. Den aktuellen Finanzstreit nehmen
Vertreter*innen aus CDU und CSU dabei durchaus persönlich. Die
Proklamation eines ausgeglichenen Haushalts ist für das Selbstverständnis
der Union wichtiger als Debatten über Einwanderung, den Wehrdienst oder das
Gendern. Umso interessanter ist es, dass die CDU nach der Bestätigung ihrer
Klage der Ratlosigkeit der Regierung gegenüber selbst einigermaßen ratlos
dasteht.
## Wo es hingeht mit der Klassenfahrt, ist unklar
Konkrete Vorschläge zur Bewältigung der Haushaltskrise sind derzeit aus der
Partei kaum zu hören [2][– trotz der buchhalterischen Konsequenzen, die
auch CDU-Ministerpräsidenten in ihren Ländern nach dem Urteil aus Karlsruhe
prüfen müssen]. Die Fragezeichen in den eigenen Reihen versuchte Merz am
Dienstag im Bundestag mit Häme und persönlichen Angriffen gegen
Vertreter*innen der Bundesregierung wegzubügeln. Damit sorgte er nur
für ein merkliches Zusammenrücken auf der Regierungsbank und erntete auch
Ablehnung von der FDP, die er in der Schuldenfrage auf die eigene Seite
ziehen müsste.
Dass nicht ganz klar ist, wohin die Klassenfahrt der Unionsfraktion gehen
soll, machte ihr Reiseleiter nur allzu deutlich. Merz bekannte sich im
Bundestag zu den Neunzigerjahren als Zeit der politischen Größe und warf
Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen vor, nichts von seinem
Fach zu verstehen. Der Rundumschlag des CDU-Vorsitzenden kannte keine
Parteigrenzen: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und SPD-Kanzler
Scholz ging er genauso hart an wie Kai Wegner, den Regierenden
CDU-Bürgermeister von Berlin, der es gewagt hatte, die Schuldenbremse in
Frage zu stellen. „Die Entscheidungen werden hier im Bundestag getroffen
und nicht im Rathaus in Berlin“, rief Merz.
Wegner entgegnete darauf im Stern, er bleibe bei seiner „klaren Haltung“,
denn „die Reform der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen ist dringend
erforderlich“. Damit widersetzte er sich dem Machtwort des CDU-Chefs, der
dafür sogar vom Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU flankiert wurde. Im
Deutschlandfunk sagte Markus Söder am Mittwoch, es werde im Bundestag keine
Zweidrittelmehrheit zur Reform der Schuldenbremse geben.
Die kleine Fehde zwischen den Parteivorsitzenden und Wegner ist zumindest
eine inhaltliche Kontroverse, die sich die Union in der aktuellen
Haushaltsfrage erlaubt. Merz sagte am Donnerstag bei RTL, er wolle in den
kommenden Tagen mit Wegner sprechen. Der Haushalt in der Hauptstadt sei in
einer besonders schwierigen Situation. „Wir sind die Letzten, die nicht
bereit sind zu helfen, aus diesen Schwierigkeiten herauszukommen“, so der
CDU-Chef. Doch für alle, die damit auf Spielraum hofften, stellte er klar:
Dies müsse mit Schuldenbegrenzung gehen.
## Es ist leichter, einfach draufzuhauen
Wer sich in der Union umhört, bekommt zur Antwort, dass die Bundesregierung
nun am Zug ist, die Haushaltskrise zu lösen. Dass sich kaum jemand mit
größer gedachten Vorschlägen aus der Deckung wagt, hat neben der
schwierigen Abwägung der Prioritäten im Haushaltsplan auch damit zu tun,
dass es leichter ist, einfach draufzuhauen.
Merz hat es geschafft, CDU und CSU nach dem herben Verlust der
Bundestagswahlen auch mit seinen angriffslustigen Reden
zusammenzuschweißen. Trotz [3][des ein oder anderen verbalen Griffs ins
Klo] liegt die Union bei Umfragen mit Werten zwischen etwa 27 und 30
Prozent seit mehr als einem Jahr stabil auf dem ersten Platz und damit
deutlich vor den Regierungsparteien. Doch innerhalb der Partei heißt es
immer wieder, dass man eigentlich auch mehr von der Krise der Regierung
profitieren müsste.
Denn im Prinzip muss die Koalition von Scholz, Habeck und Finanzminister
Christian Lindner unter den nun gänzlich veränderten Vorzeichen noch einmal
neue Koalitionsverhandlungen führen. Dabei stehen alle drei Politiker mit
einem halben Fuß auf ihren jeweiligen roten Linien: Bürgergeld,
klimagerechte Industriepolitik, Schuldenbremse. Es ist unklar, ob die Ampel
diesen Streit übersteht.
Und hier kommt eigentlich die zentrale Frage ins Spiel: Wie würde sie sich
die Union unter den aktuellen Maßgaben in Regierungsverantwortung
verhalten? Der Blick in die Länder in Unionsverantwortung gibt nur bedingt
Aufschluss. Eine Äußerung Reiner Haseloffs, des CDU-Ministerpräsidenten von
Sachsen-Anhalt, wurde zuletzt als Reformwunsch der Schuldenbremse
umgedeutet.
## Vielleicht bleibt nur der Sparkurs
Doch Haseloff sagte der taz: „Die Schuldenbremse, so wie sie ist, muss
bleiben.“ Und schiebt hinterher: „Es muss aber auch verfassungskonforme
Möglichkeiten geben, Zukunftsinvestitionen in Wirtschaft, Wissenschaft und
Technik zu tätigen. Die Möglichkeiten sind beispielsweise auch innerhalb
der Schuldenbremse gegeben, etwa durch das Erklären einer Notlage.“
Dabei stößt selbst das Erklären einer Haushaltsnotlage, um mehr Kredite
aufnehmen zu können, bei seinen Parteikolleg*innen auf Bundesebene auf
Kritik. „Ich würde es mit äußerster Skepsis betrachten, wenn man für 2024
noch eine Notlage feststellen wollte“, sagte etwa der
Fraktionsgeschäftsführer der Union Thorsten Frei. Er ist der Auffassung,
dass „sehr viel dafür sprechen würde“, gegen einen 2024er-Haushalt zu
klagen, wenn dafür eine Notlage festgestellt würde.
Eine weitere Schlappe in Karlsruhe wäre für die Ampel nur schwer zu
rechtfertigen. Doch wenn eine Reform der Schuldenbremse wegen der fehlenden
Zweidrittelmehrheit nicht erreichbar ist, die Notlage nur durch
argumentative Überdehnung der Folgen des Ukraine-Kriegs zu begründen wäre,
bliebe nur der Sparkurs.
Zu dem fordern Unions-Politiker*innen die Bundesregierung auf. „Mehr
Schulden zu machen, nur um parteipolitische Ampel-Spielwiesen zu
finanzieren, ist nicht die Lösung“, erklärte Jens Spahn, stellvertretender
Unionsfraktionsvorsitzender, gegenüber der taz. Vielmehr müsse die
Regierung jetzt erklären, wo und wie sie nun sparen wolle. Ähnlich sieht es
Thorsten Frei. „Die Bundesregierung arbeitet ihren Koalitionsvertrag eins
zu eins ab, obwohl dieser Vertrag noch aus Tagen vor der vom Bundeskanzler
verkündeten Zeitenwende stammt“, sagte er. Wie seine Fraktionskollegen
fordert er eine Prioritätensetzung in der Regierung.
## Der Rechenweg wirft Fragen auf
Die Ausgaben für Bürgergeld und Kindergrundsicherung werden in der Union
als ein möglicher Sparposten gesehen. Dabei hatten CDU und CSU die Novelle
des Bürgergelds selbst mitgetragen, die laufende Erhöhungen in den Bezügen
mehr an die Inflationsrate bindet. Bei der Kindergrundsicherung hat es die
Union auf die zusätzlichen Verwaltungsstellen abgesehen, die für die
vorgesehene Beratung geschaffen werden müssten. Etwa 5.500 neue
Mitarbeiter*innen müssten neu angestellt werden, erklärte die
Arbeitsagentur gegenüber der taz.
Dies gelte „ganz gleich, wer die Kindergrundsicherung administriert“, denn:
„Es braucht immer entsprechende Anlaufstellen, zusätzliches, qualifiziertes
Personal, eine angepasste IT-Architektur und zusätzliche Strukturen.“ Die
Stellschrauben in der Sozialgesetzgebung sind gering, sie werden kaum
ausreichen, um das Haushaltsloch für das kommende Jahr zu stopfen. Lindner
taxiert die noch benötigte Summe mit 17 Milliarden Euro, die SPD rechnet
mit mehr.
Mathias Middelberg, der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende für
Finanzen, brachte am Freitag im Bundestag den Sparvorschlag ein, eine
Million Menschen aus Bürgergeldbezügen in Arbeit zu bringen. So könne die
Staatskasse mit 30 Milliarden Euro entlastet werden. Doch eine Lösung für
die akute Haushaltskrise ist das nicht, zumal der Rechenweg Fragen
aufwirft. Middelberg nimmt als Grundlage, dass knapp 10 Prozent des etwa
446 Milliarden Euro schweren Bundeshaushalts für das Bürgergeld ausgegeben
werden.
Doch von den knapp 44 Milliarden Euro, die nach Angaben des
Finanzministeriums für den Posten tatsächlich im Haushalt vorgesehen sind,
[4][fließen nur etwa 75 Prozent als Bürgergeld und Miet- und
Heizkostenzuschuss an die Empfänger*innen]. Knapp 10 Milliarden Euro
sind für Verwaltungskosten und Arbeitseingliederung vorgesehen. Geld, das
sich nicht einfach streichen ließe.
## Haseloff vertraut dem Bundeskanzler
Wesentlich mehr könnte man bei den geplanten Investitionen einsparen, und
da gibt es selbst bei der Union fundamental unterschiedliche Ideen. Etwa
bei den Subventionen für den geplanten Standort des Chip-Herstellers Intel
in Magdeburg. „Zehn Milliarden Euro Steuergeld für ein Projekt eines
einzigen Unternehmens, das im letzten Jahr über elf Milliarden Euro Gewinn
verzeichnet hat, überschreitet die Schwelle der Vernunft“, sagte der
Vorsitzende der Jungen Union (JU), Johannes Winkel, im Gespräch mit der
taz. „Darüber hinaus ist Intel kein deutsches Unternehmen. Ich bin sehr
gespannt, ob im Krisenfall in Taiwan wirklich Deutschland oder doch die USA
vorrangig von den Chips aus Magdeburg profitieren würden.“
Ein Vorstoß, der Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten nicht freuen dürfte.
„Der Bundeskanzler und Bundesminister Habeck haben gesagt, die Projekte in
Magdeburg und Dresden kommen. Wir vertrauen den Worten des Bundeskanzlers“,
sagte Reiner Haseloff der taz. Mit dem Vorhaben in Dresden bezog sich der
Ministerpräsident auf die geplante Ansiedlung des taiwanesischen
Chip-Herstellers TSMC, die öffentliche Hand bezuschusst den Standort mit
fünf Milliarden Euro.
Auch Sachsens CDU-Ministerpräsident zählt dabei auf Olaf Scholz: „Ich gehe
fest davon aus, dass die Ansiedlung wie geplant gelingt und das Wort des
Bundeskanzlers gilt“, [5][sagte Michael Kretschmer dem Tagesspiegel]. „Was
wir jetzt brauchen, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme und das Setzen
politischer Prioritäten“, fordert Jens Spahn von der Bundesregierung
gegenüber der taz. Und JU-Chef Winkel sagt: „So lange die Ampel ihre
Arbeitsmarkt-, Energie- und Migrationspolitik nicht ändert, gibt es keine
Grundlage für ein Gespräch über eine Reform der Schuldenbremse.“
Ein Hintertürchen für die Reform? Auch bei Spahn klingt es so. Er sagt,
erst wenn die Ampel „zu einem Umdenken“ bereit sei, könne Klarheit darüber
entstehen, was wirklich nötig sei, um die Herausforderungen meistern.
„Diese Klarheit ist die Grundlage jeder weiteren Diskussion. Darüber
herrscht Einigkeit in der Union.“
Bei den Sparvorschlägen herrscht in der Union dagegen Uneinigkeit. Solide
Staatsfinanzen lassen für das Selbstbild ja auch einen gewissen
Interpretationsspielraum zu, bei dem man sich nicht immer sofort auf alles
festlegen muss.
1 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=jYwRdmJqBWc
[2] /Finanzluecke-und-Schuldenbremse/!5972646
[3] /Die-CDU-unter-Friedrich-Merz/!5907378
[4] https://www.bundeshaushalt.de/static/daten/2024/soll/epl11.pdf#page=12
[5] https://www.tagesspiegel.de/politik/sachsens-ministerprasident-kretschmer-i…
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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