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# taz.de -- Politologin zu Grundsatzprogramm der CDU: „Migration als Sicherhe…
> Im Entwurf zum Grundsatzprogramm greift die CDU den Leitkultur-Begriff
> erneut auf. Politikologin Christina Zuber sagt, die Partei tue sich damit
> kein Gefallen.
Bild: Nicht nur die Trümmerfrauen haben Deutschland aufgebaut, auch die Gastar…
Frau Zuber, die CDU hat einen [1][Entwurf für ihr Grundsatzprogramm
veröffentlicht.] Können Sie eine Lücke im konservativen Parteienspektrum in
Deutschland feststellen?
In der Forschung haben wir gesehen, dass sich besonders in den Jahren der
immer wiederkehrenden großen Koalitionen die Programmatik von CDU und SPD
einander angenähert hat. Man kann schon sagen, dass sowohl nach rechts als
auch nach links eine Lücke entstanden ist. Die CDU besinnt sich wieder auf
Dinge, die sie auch früher stärker vertreten hat. Man findet in dem Entwurf
jetzt mehr Referenzen auf Kultur, auf Tradition, wobei es auch einen
gewissen Mischmasch gibt.
Wie meinen Sie das?
Was ich wirklich spannend fand beim Lesen des Programmentwurfs, war, wie
viel Konservatismus nun wirklich drin steckt. In einem Absatz mit dem Titel
„was wir wollen“ steht eigentlich alles gleichzeitig: Die CDU will eine
liberale Partei sein, eine konservative, eine christdemokratische und auch
eine sozialdemokratische. Das einzige, was eigentlich ausgeschlossen ist,
ist, dass sie keine explizit grüne Partei sein will.
In dem Entwurf definiert die CDU den Konservatismus als eine
Herangehensweise, „die Gegenwart und Zukunft im Wissen um Tradition und die
Erfahrungen unserer Zivilisation zusammendenkt“. Teilen Sie diese
Definition?
Dass Tradition und nicht irgendwelche allgemeinen Prinzipien die Basis für
Politik sind, deckt sich mit der theoretischen Einordnung von
Konservatismus als Ideologie. Aber bei der Mitgliederbefragung zum
Grundsatzprogramm haben die Mitglieder der CDU auf die Frage, was sie unter
dem „C“ verstehen, geantwortet: Freiheit. Das fand ich total interessant.
Warum?
Freiheit wird in dem Programm sehr stark betont, schon der Titel lautet ja
„In Freiheit leben“. Aber gleichzeitig stehen im Programm diese kulturellen
Einengungen, und der Bezug auf die christliche Tradition ist eigentlich
nicht liberal. Kultur, wie wir sie in Deutschland zufälligerweise
historisch entwickelt haben, hat für die CDU einen moralisch autoritativen
Status. Das verträgt sich überhaupt nicht mit dem klassischen Liberalismus,
der ja diese Autoritäten alle loswerden möchte und den einzelnen oder die
einzelne in ihrer freien Entfaltung betrachtet.
Liberalismus und Subsidiarität, betreibt die CDU einfach name dropping?
Subsidiarität finde ich sehr kompatibel mit diesem konservativen
Kerngedanken, dass man Politik pragmatisch gestaltet, so wie sie gewachsen
ist. Was man in der Gesellschaft vorfindet wird als schützenswert
betrachtet und nicht von oben umgestaltet. Menschen leben in Familien,
Menschen haben religiöse Überzeugungen. Okay, dann bauen wir jetzt
vorsichtig ein bisschen Staat dazu. Konservatismus, gerade im britischen
Sinne, ist ja auch eher Staats-skeptisch.
Die CDU versucht mit dem Programm ihre Position als Partei von Law and
Order auszubauen. Sehen Sie hier Widersprüche zu den Ausführungen zum
Liberalismus?
Der Fokus auch auf innere Sicherheit ist ein Markenkern aller
Mitte-Rechts-Parteien, auch von Rechts-außen. Dinge, die man auch anders
diskutieren könnte, werden zum Teil bewusst als Sicherheitsrisiko
darstellt. Migration ist bei Kräften links der Mitte oft ein ökonomisches
Thema oder eine Frage von humanitärer Hilfe oder internationaler
Solidarität.
Für Mitte-rechts-Parteien wird Migration immer sehr schnell auch zum
Sicherheitsthema. In der Parteienforschung gibt es das Konzept der
Themenführerschaft, und diese Issue Ownership wird Parteien rechts der
Mitte eben bei Sicherheitsfragen zugeschrieben. Insofern ist dieser Fokus
erwartbar. Eine größere Öffnung zu liberalen Positionen sehe ich dagegen in
der Familienpolitik.
Wirklich?
Ja, oder zumindest eine Erkenntnis, dass sich die Gesellschaft gewandelt
hat. Bei der Abstimmung zur „Ehe für alle“ 2017 war der Fraktionszwang
aufgehoben, und es haben doch einige, auch prominente CDU-Politiker,
dagegen gestimmt. Von daher ist es schon eine Öffnung, wenn die CDU in
ihrem Grundsatzentwurf jetzt schreibt, die Ehe sei eine
„Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen“, so steht es drin, und nicht
etwa eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Das christliche Menschenbild
oder die katholische Kirche könnte da Anderes nahelegen.
Wo sehen sie denn aktuell die größten Herausforderungen für die Union?
Die größte Herausforderung ist die, die alle Mitte-rechts-Parteien in
Europa haben: Wie sie mit den Rechtsaußen-Parteien umgehen.
Sehen Sie im Grundsatzprogramm der Union da genug Abgrenzung zur AfD?
Ja, sehe ich schon. Eine klar andere Position nach rechts außen sehe ich
etwa in der Haltung gegenüber Europa. Die christdemokratischen Parteien
sind ja selber die Mitbegründer der europäischen Integration, und das
findet sich hier im Programm auch wieder, wenn die CDU sagt, sie sei die
„deutsche Europapartei“.
Aber was ist mit dem Thema Migration? Hier versucht sich die CDU doch ganz
deutlich, sich wieder weiter rechts zu verorten.
Ich finde eigentlich, das ist eher eine Rückbesinnung auf Dinge, die die
CDU eben vor Angela Merkel auch so vertreten hat. Wenn man sich nochmal
anschaut, wie die CDU in den Debatten agiert hat, die 1993 zum so genannten
Asylkompromiss geführt haben, dann finde ich es bisschen seltsam zu sagen,
die CDU ginge auf die AfD zu. Im Bereich der Migration vertritt sie wieder
Dinge, die sie früher selbst geprägt hat, etwa mit dem Begriff der
Leitkultur, der aus der Mottenkiste wiedergekehrt ist.
Wie erklären Sie sich das mit der Leitkultur?
Ich kenne Friedrich Merz nicht persönlich, aber ich habe mich tatsächlich
gefragt, ob das einfach ein bisschen sein Ding war. Man hätte aus meiner
Sicht strategisch etwas sehr viel Klügeres machen können: Man hätte sagen
können, man macht eine Besinnung auf gewisse Grundwerte, die wir alle
teilen, die aber inklusiv sind. Das sind dann eben keine Werte, die man nur
haben kann, wenn die Großeltern aus Deutschland kommen, sondern Dinge wie
sozialer Aufstieg durch Bildung, das Bekenntnis zum Rechtsstaat, politische
Gleichheit.
Das steht doch tatsächlich so ähnlich auch im Programmentwurf.
Ja, aber wer gleichzeitig den Begriff der Leitkultur nutzt, verwendet einen
Kampfbegriff. Aus der Migrationsforschung weiß ich, dass man inhaltlich
einige dieser Dinge anders sagen könnte. Es gibt eine Passage im Programm,
die sehr schön die allgemeinen Werte darlegt, die den Kern liberaler
Demokratie ausmachen. Hier hätte man hinzufügen können, okay, weil wir aber
eine konservative Partei sind, sind uns paar Traditionen auch wichtig, ohne
dies mit dem Begriff der Leitkultur zu verbinden.
Was würde das bringen?
Eine Besinnung auf gemeinsame Werte ist bei aller Vielfalt, die wir haben,
nichts Kontroverses. Deutschland ist auch ein Einwanderungsland, wir haben
das, was wir sind, auch Generationen von Gastarbeitern zu verdanken. Im
Programm wird über Menschen geredet, die das Land nach dem Zweiten
Weltkrieg aufgebaut haben, wer aber nicht erwähnt wird, sind die, die in
den Sechzigern dafür hergekommen sind. Angela Merkel hat es klar gesehen:
Viele Einwandererfamilien teilen durchaus konservative Vorstellungen, wenn
sie beispielsweise Familie und Traditionen wertschätzen.
In der Migrationspolitik strebt die CDU mit dem Programmentwurf eine
Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU an. Demnach
sollen Geflüchtete gar nicht mehr in der EU Zuflucht finden können, sondern
auch dieser Schutzanspruch soll in andere EU-Staaten ausgelagert werden.
Wie bewerten Sie das?
Ich sehe das als ein Luftschloss für eben jene Leute, die sich wünschen,
dass wir hier einfach den Laden dicht machen können und uns dann selektiv
Leute reinholen. Ich finde das einfach schon von der Verwaltungsdimension
her fragwürdig. Wo sind denn die demokratischen Rechtsstaaten, die ein
funktionierendes Asylsystem in Kooperation mit Deutschland gewährleisten
können? Ich kann das nicht ganz ernst nehmen.
In der CDU sitzen ja auch einige Juristinnen und Juristen. Die werden sich
doch schon was dabei gedacht haben.
Es ist ja auch ein Grundsatzprogramm und kein Gesetzesentwurf. Wir können
daraus jetzt nicht ableiten, wie die CDU das machen würde. Aber ich glaube,
dahinter steckt ein reales Problem, nämlich die Frage, wie wir damit
umgehen, dass wir politisch Verfolgten Asylrecht geben können, aber nicht
Menschen, die aus anderer Motivation nach Deutschland kommen.
Würden Sie dann sagen, das ist eigentlich ein ganz guter Aufschlag für eine
Auseinandersetzung, den die CDU da macht?
Ich würde nicht sagen, gut im Sinne von irgendwie zu Ende formuliert. Aber
gut in dem Sinne, dass es eine Einladung sein könnte, jetzt auch mal zu
sagen, wie es gehen könnte. Man muss klare, legale Wege schaffen, wie man
jenseits des Asylrechts legal nach Deutschland einwandern kann.
Die CDU steht hier vor einem Dilemma, das typisch für Mitte-rechts Parteien
ist. In wirtschaftlicher Hinsicht vertritt sie Arbeitgeber, die ein starkes
Interesse an Zuwanderung in den Arbeitsmarkt haben. In kultureller Hinsicht
definiert sie Einwanderung aber als Problem. Wenn wir aber nur den Weg der
Flucht haben, dann landet man bei einem System, in dem die Leute über das
Asylsystem in den Arbeitsmarkt einwandern. Das ist ein schizophrenes
Konstrukt, aber die CDU hat als am längsten in der Bundesrepublik
regierende Partei viel dazu beigetragen, dass es so ist.
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Entwurf-zum-CDU-Grundsatzprogramm/!5976057
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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