# taz.de -- Ex-Generalsekretär Polenz zu CDU-Plan: „Leitkultur ist übergrif… | |
> Der frühere Generalsekretär der CDU Ruprecht Polenz fordert Änderungen am | |
> Entwurf des Grundsatzprogramms. Er sorgt sich zudem um konservative | |
> Ränder. | |
Bild: Was ist Heimat und was ist Leitkultur? Die CDU sucht Antworten | |
taz: Herr Polenz, Sie wollen den Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms | |
vor der Verabschiedung ändern und haben zum Thema „Leitkultur“ einen | |
Änderungsantrag für den Bundesparteitag im Mai eingebracht, für den Sie auf | |
der Plattform X werben. Der Begriff ist eng mit Parteichef Friedrich Merz | |
verknüpft, was genau gefällt Ihnen daran nicht? | |
Ruprecht Polenz: Ich möchte vermeiden, dass die [1][CDU einen Begriff in | |
ihr Grundsatzprogramm schreibt], der die Grenzen zwischen gesetzlicher | |
Verbindlichkeit und einer allgemeinen Verhaltenserwartung verwischt. Es | |
heißt ja in dem Entwurf, dass alle, die hier leben wollen, die Leitkultur | |
ohne Wenn und Aber anerkennen müssen – das gilt bei uns aber nur für | |
Gesetze. Alles weitere führt zu der Frage: Wer definiert eigentlich | |
Leitkultur? Und wie wird entschieden, was dazugehört? | |
In dem Entwurf werden unter dem Begriff „Leitkultur“ Dinge aufgelistet, die | |
sowieso im Grundgesetz verankert sind, wie die allgemeine Menschenwürde und | |
die daraus folgenden Grund- und Menschenrechte sowie der Rechtsstaat – aber | |
auch Toleranz, Heimatbewusstsein und die Anerkennung des Existenzrechts | |
Israels. | |
Genau, und das darf man nicht alles vermischen. Jeder, der in Deutschland | |
lebt, muss sich an Recht und Gesetz halten, aber ein Heimatgefühl kann man | |
doch nicht vorschreiben. Das Grundgesetz organisiert uns als | |
pluralistische, offene Gesellschaft. Pluralismus heißt unterschiedliche | |
Weltanschauungen, auch unterschiedliche Wertvorstellungen, | |
unterschiedlicher Lebensstil. Das Grundgesetz organisiert kulturelle | |
Vielfalt und schützt sie auch. Von Heimatgefühl etwa steht im Grundgesetz | |
nichts. Der Begriff Leitkultur ist übergriffig. | |
Können Sie mit dem Begriff Heimatgefühl etwas anfangen? | |
Natürlich, das ist wichtig. Vielleicht trifft es der Begriff Heimatliebe | |
sogar besser. Aber die ist nicht einklagbar. Heimat ist etwas, wo man sich | |
wohlfühlt, wo man sich zu Hause fühlt, bei Einwanderern können das durchaus | |
auch zwei Länder sein. Wichtig ist mir aber auch, dass der Begriff | |
Leitkultur zu Missbrauch einlädt. Es gibt etwa AfD-Plakate mit der | |
Aufschrift „Deutsche Leitkultur: islamfreie Schulen“. | |
Sie brauchen 500 Mitglieder, die Ihren Antrag unterstützen, damit er es auf | |
die Tagesordnung schafft. Wie groß ist die Unterstützung bislang? | |
Das weiß ich nicht. In der Öffentlichkeit wird der Begriff ja überwiegend | |
sehr kritisch gesehen. In der CDU gibt es dieses Gefühl, dass wir etwas für | |
den gesellschaftlichen Zusammenhalt tun müssen. Das teile ich auch, aber es | |
ist der falsche Weg. Der Begriff Leitkultur führt nicht zusammen, er | |
spaltet eher. | |
Selbst liberale Mitglieder des Bundesvorstands haben den entsprechenden | |
Passagen zugestimmt, auf X liest man ziemlich böse Kommentare aus Ihrer | |
eigenen Partei. | |
Das bin ich gewohnt, der ehemalige Geschäftsführer der | |
Mittelstandsvereinigung etwa fordert mich regelmäßig auf, doch zu den | |
Grünen zu gehen. Nicht gerade ein Zeichen innerparteilicher Demokratie. | |
Ist die Leitkultur der einzige Punkt, bei dem Sie mit dem Entwurf des | |
Grundsatzprogramms nicht einverstanden sind? | |
Nein, ich werde wahrscheinlich noch einen zweiten Antrag stellen, bei dem | |
geht es um den Begriff des Konservativen. Die CDU hat drei Wurzeln: eine | |
liberale, eine christlich-soziale und eine konservative, das steht auch so | |
im Entwurf. Aber in der gegenwärtigen Situation, [2][wo weltweit das | |
Konservative an den Rändern gefährdet ist abzugleiten], muss man das | |
konkretisieren. Trump würde sich wahrscheinlich auch als konservativ | |
bezeichnen, aber das ist er natürlich nicht. Deshalb bin ich dafür, stärker | |
zu betonen, dass das C, das Christliche, für alle drei Wurzeln die Richtung | |
vorgibt. Liberale Wurzel heißt also vor allem verantwortete Freiheit und | |
heißt nicht libertär. Die soziale Wurzel heißt Hilfe zur Selbsthilfe, | |
Solidarität mit den Schwachen, aber nicht primär Umverteilung. Und | |
konservativ heißt eben nicht reaktionär, rückwärtsgewandt, nationalistisch, | |
ausgrenzend, wie das manche verstehen, sondern heißt Maß und Mitte, eine | |
angemessene politische Sprache und ein bestimmter Stil der Politik. | |
Es gibt auch andere umstrittene Themen, etwa dass alle Asylverfahren in | |
Drittstaaten durchgeführt werden sollen und die Geflüchteten, auch wenn sie | |
anerkannt sind, da bleiben sollen, nach Deutschland soll nur ein | |
festgelegtes Kontingent kommen dürfen. Das ist die Abschaffung des | |
individuellen Asylrechts in Deutschland. Gehen Sie da mit? | |
Nein, aber ich sehe auch keine Mehrheit für eine entsprechende | |
Verfassungsänderung und auch kein Land, das diese Aufgabe für uns | |
übernehmen möchte. Ich denke, wir sollten das mit Blick auf unser | |
Demografieproblem anders diskutieren. | |
Neuorientierung bei der Asylpolitik, zurück zur Atomkraft – mit diesem | |
Programm verabschiedet sich die Merz-CDU von der Merkel-CDU, oder? | |
Nein, Grundsatzprogramme dienen ja vor allem der Selbstvergewisserung, der | |
Frage: [3][Was ist unsere gemeinsame Basis?] Die hat sich natürlich | |
weiterentwickelt. Ich finde das mit der Atomkraft gar nicht so verkehrt. | |
Das haben wir früher vor allem unter Sicherheitsaspekten diskutiert, aber | |
es spielt ja auch die CO2-Bilanz eine Rolle. | |
Der Bundesvorstand hat den Entwurf ziemlich geräuschlos durchgewunken, | |
erwarten Sie auf dem Parteitag im Mai zu einzelnen Punkten eine Debatte? | |
Ja, und das würde ich mir auch wirklich wünschen. Die Partei braucht zu | |
manchen Fragen eine wirkliche Debatte. | |
30 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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