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# taz.de -- Haushalts-Krise der Ampel: Der Trispalt
> Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts hat die Regierung ein
> Milliardenproblem. Es verstärkt Fliehkräfte, die es in der Koalition seit
> Beginn gibt.
Bild: Cash Money Baby: Wo will die Bundesregierung die fehlenden Milliarden auf…
Berlin/Karlsruhe taz | Um Worte ist Christian Lindner nie verlegen. Am
Donnerstagnachmittag war es anders. Der FDP-Bundesfinanzminister hatte zum
Pressestatement geladen. [1][In dürren Sätzen erklärte Lindner], er werde
reinen Tisch machen und in der nächsten Woche einen Nachtragshaushalt für
2023 vorlegen. Nicht mal eine Minute dauerte der Auftritt.
Lindners Pressestab musste anschließend erklären, was der Minister
eigentlich gemeint, aber nicht ausgesprochen hatte: Die Ampelregierung
werde für 2023 die Notlage erklären, um die Schuldenbremse noch einmal
auszusetzen. Jene im Grundgesetz verfügte Obergrenze für neue
Staatskredite, die die FDP bislang so standhaft verteidigt hat. Lindner sah
aus, als hätte man ihm sein Lieblingsspielzeug entrissen. Denn die
Einhaltung der Schuldenbremse und das Mantra, keine Steuern zu erhöhen,
waren die Prämissen für die Liberalen, überhaupt in die Koalition mit SPD
und Grünen einzutreten.
Am Ende blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Seitdem [2][das
Bundesverfassungsgericht am 15. November] die Umwidmung von 60 Milliarden
Euro an Coronakrediten in den Klimafonds für nichtig erklärte, hat die
Ampelkoalition nicht nur ein massives Geldproblem. Auch die Grundlage, auf
der die drei Partner bisher operierten, wackelt. Ob die Koalition
auseinanderfliegt, ist keine rein hypothetische Frage mehr. Scheitert der
Haushalt, scheitert die Ampel.
Fliehkräfte gibt es in der Ampel von Beginn an. Während Grüne und SPD den
Staat als aktiven Player begreifen, der investiert und umverteilt, sieht
die FDP den Staat eher in der Schiedsrichterrolle, der über die Regeln
wacht und sich zurückhält. Die im Grundgesetz hinterlegte Schuldenbremse,
die die Regierung dazu diszipliniert, nicht mehr auszugeben, als sie
eingenommen hat, ist ganz im Sinne der Liberalen. Ihr unterschiedliches
Staatsverständnis klammerten die drei ungleichen Partner im
Koalitionsvertrag mit einem Kniff zusammen.
## Zunächst einmal geballte Konfusion
Sie legten in einem Sondertopf ein Polster aus 60 Milliarden Euro an,
Kredite, die sich noch die Große Koalition genehmigt hatte, um die Folgen
der Coronapandemie zu abzufangen. Die Ampel machte also Schulden in der
Hoffnung, dass die nicht als Schulden zählten. So bekam Lindner einen
ausgeglichenen Haushalt, Robert Habeck (Grüne) eine gut gefüllte Kasse für
Klimaschutz und Transformation, und die SPD konnte für Herzensprojekte wie
das Bürgergeld oder die Grundrente aus dem Vollen schöpfen, sprich aus dem
Kernhaushalt.
Doch nun sind nicht nur 60 Milliarden futsch. Das Urteil könnte sich auch
auf weitere Sondertöpfe auswirken, wie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds.
Aus dem hat die Ampel in diesem Jahr schon über 30 Milliarden Euro für die
Energiepreisbremsen ausgezahlt. Wenn auch das illegal wäre, und die Union
hat bereits angekündigt zu klagen, wäre nicht nur der nächste, sondern
bereits der laufende Haushalt verfassungswidrig.
Statt eines Plans B zeigte die Ampel nach dem Karlsruher Urteil zunächst
einmal geballte Konfusion. Lindner bezeichnete das Urteil als Chance,
Robert Habeck (Grüne) schimpfte auf die Union, und SPD-Kanzler Olaf Scholz,
ja, wo war er eigentlich? Ach ja, im Gespräch mit Italiens
Ministerpräsidentin.
Anschließend fragten italienische Journalist:innen, ob Deutschland noch
ein verlässlicher Partner sei. Die Verunsicherung, ob die Regierung die
Lage noch im Griff hat, reicht bis ans Mittelmeer. Kommende Woche will
Scholz im Bundestag erklären, wie es weitergeht.
Die Ampel rettet sich zunächst in eine weitere Notlage, die es ihr erlaubt,
die Schuldenbremse für 2023 auszusetzen. Dass sie dazu acht Tage brauchte,
zeigt, wie schwer es ihr gefallen sein muss, zusammenzufinden. Für das
kommende Jahr deutet sich ebenfalls an, dass die Regierung bestimmte
Versprechen, etwa die Strompreisermäßigungen für energiehungrige
Unternehmen, nur halten kann, wenn sie auch 2024 zum Krisenjahr erklärt. Ob
die Liberalen mitziehen, ist unklar.
## Zusätzlicher Druck aus der FDP
Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Markus Herbrand, schlägt
die Tür immerhin nicht zu: „Egal welchen Weg die Ampel beschreitet, darf es
hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit keinen Zweifel geben“, so Herbrand
zur taz. Doch schon sein Einknicken am Donnerstag war vermutlich der
schmerzlichste Moment in Lindners Leben als Finanzminister. Noch im Juli
hatte er erklärt, dass eine solche Notlage nicht bestehe. Nun also doch und
ausgerechnet in einer Zeit, in der es in der FDP ohnehin rumort. 26 Landes-
und Kommunalpolitiker stellen nach den Wahlschlappen in Hessen und Bayern
den Verbleib in der Koalition infrage. Lindner setzt das in seiner Rolle
als FDP-Vorsitzender zusätzlich unter Druck.
Auch aus den Reihen der Grünen kommt Kritik an der Ampel. „Ich bin sehr
enttäuscht über die Koalition, auf der Habenseite steht zu wenig“, sagte
eine Delegierte auf dem [3][Bundesparteitag], der am Donnerstag begann. Die
Grünen ließen sich von SPD und FDP „am Nasenring durch die politische
Manege ziehen“, kritisierte ein anderer. Ein dritter sprach von „ständiger
Schönrednerei von schlechten Kompromissen.“
Über 1.000 Parteimitglieder hatten im Vorfeld des Parteitags [4][einen
offenen Brief an die Grünen-Spitze] unterschrieben und die vielen
Zugeständnisse in der Koalition scharf kritisiert. Doch der Drang,
zusammenzubleiben, überwiegt. Er sei FDP-Finanzminister Lindner „sehr
dankbar“ für diese Entscheidung, sagt Grünen-Chef Omid Nouripour bei seiner
Auftaktrede – und da bekommt Lindner bei den Grünen tatsächlich Applaus.
Die Grünen hatten ihre Tagesordnung kurzfristig umgebaut, um am ersten Tag
mehr Zeit für die Debatte zur schwierigen Haushaltslage zu haben. Die
Parteiführung, Habeck und andere Spitzen-Grüne machten dreierlei klar: dass
die Grünen nicht gedenken, in der Ampel nun frustriert die Segel zu
streichen, sondern zu ihrer Regierungsverantwortung stehen. Dass die
Schuldenbremse dringend reformiert gehört. Und dass ein sozialer Kahlschlag
mit ihnen nicht zu machen sei.
## Globaler Wettbewerb mit China und USA
Sie alle hätten sich das vor zwei Jahren ganz anders vorgestellt mit dem
Regieren, sagt die grüne Umweltministerin Steffi Lemke. Aber die Realität
sei eben heute eine andere. „Und deshalb können auch unsere Antworten in
Regierungsverantwortung auch nicht mehr die gleichen sein wie vor zwei
Jahren.“ Durch die Blume fordert Lemke also auch Zugeständnissen. Aber
welche kommen infrage? Tempo rausnehmen auf dem Weg zu Klimaneutralität?
Geht nicht, bekräftigte Habeck auf dem Parteitag. „Deutschland steht unter
Druck, alle spüren ihn“. Klimaneutralität sei zu einem globalen Wettbewerb
geworden, den die USA und China mit viel Geld führten. Deutschland müsse
sich behaupten. Dabei sei Sinn der Transformation „nicht ein abseitiges
Nischenthema“, sondern die Erhaltung des Wohlstands. Parteichefin Ricarda
Lang betonte: „Einen sozialen Kahlschlag werden wir nicht mitmachen.“
Auch die SPD will weder Abstriche bei der Modernisierung des Landes machen
noch im Sozialen kürzen. Posten, die große Begehrlichkeiten wecken, sind
das Bürgergeld (fast 40 Milliarden) und der staatliche Rentenzuschuss (über
100 Milliarden). Kürzungen erteilt Arbeits- und Soziaminister Hubertus Heil
eine Absage. Noch, muss man sagen, denn bis hin zu den kämpferischen Jusos
fordert keine Genoss:in ein Ende der Ampel. Ein SPD-Kanzler nach 16
Jahren Merkel ist ein Wert an sich.
Aus Mangel an Sparvorschlägen versuchen SPD und Grüne die Debatte nun auf
ein anderes Feld zu lenken: auf die Schuldenbremse selbst, die die
Karlsruher Richter gerade juristisch gestärkt haben. Politisch ist sie
umstrittener denn je. In ihrer jetzigen Form sei die Bremse
„volkswirtschaftlicher Unsinn“, so der finanzpolitische Sprecher der SPD,
Michael Schrodi. „Es ist völlig falsch, dass der Staat Investitionen allein
aus dem Kernhaushalt tätigt.“ Die Milliarden seien weder durch
Steuererhöhungen noch durch Einsparungen aufzubringen. Das ist Konsens in
der Partei, Unterstützung kommt dafür selbst aus CDU-regierten Ländern.
## Alle werden sich bewegen müssen
„Jeder, der ein Haus baut, jeder Unternehmer, der beispielsweise in neue
Maschinen investiert, weiß: Natürlich sind Kredite für langlebige
Investitionen sinnvoll“, wirft sich Berlins Regierender Kai Wegener am
Donnerstag für eine Reform ins Zeug. Und damit auch Unionschef Friedrich
Merz in den Arm. Auch die ostdeutschen CDU-Kollegen Michael Kretschmer und
Reiner Haseloff sprechen sich nun für eine Reform aus.
Die Grünen, die 2009 ohnehin dagegen gestimmt hatten, als Union und SPD die
Schuldenbremse im Grundgesetz verankerten, sehen sich heute bestätigt.
Abschaffen wollen die Grünen die Bremse zwar nicht, aber lockern. Doch mit
der FDP ist das derzeit nicht zu machen. Ohnehin bräuchte die Ampel eine
Zweidrittelmehrheit und die Zustimmung der Union.
Bleibt also nur, das Geld an anderer Stelle zusammenzukratzen, etwa durch
den Abbau von Subventionen. Auch hier sieht der FDP-Finanzexperte Herbrand
Einsparpotzenzial, plädierte aber auch dafür, dass die Koaltionspartner
„eigene substanzielle Einsparvorschläge aus ihren jeweiligen Ressorts“
unterbreiten sollten. „Wir werden alles daransetzen, die Ampelkoalition zum
Erfolg zu führen.“
Am Ende werden sich wohl alle drei bewegen müssen. Die neue
SPD-Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig mahnte am Freitag, sich jetzt
zusammenzuraufen. „Denn die Verunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern und
in den Unternehmen ist groß.“ Allzu viel Zeit für die Suche nach einer
Lösung sollte sich die Ampel nicht lassen. Denn wozu es führt, wenn eine
Regierung sich streitet und die Verunsicherung wächst, hat die Wahl in den
Niederlanden gezeigt.
25 Nov 2023
## LINKS
[1] /Regierung-setzt-Schuldenbremse-aus/!5971537
[2] /Grundsatzurteil-zu-Haushalt/!5969801
[3] /Parteitag-der-Gruenen/!5974792
[4] /Offener-Brief-an-Parteispitze/!5973388
## AUTOREN
Sabine am Orde
Jasmin Kalarickal
Anna Lehmann
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würde.
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