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# taz.de -- Finanzlücke und Schuldenbremse: Das Loch in den Ländern
> Das Karlsruher Urteil wirkt sich auch auf die Haushalte der Länder aus.
> Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen und Ostdeutschland.
Bild: Warten auf Klarheit: NRW-Ministerpräsident Wüst (M.) im Landtag mit Fin…
Aus Düsseldorf Andreas Wyputta
Ein „Bundeskanzler, der nicht weiß, wie es weitergeht“, eine „zerstritte…
Bundesregierung“: Mit Angriffen von CDU-Landesfinanzminister Marcus
Optendrenk in Richtung [1][Ampelkoalition] im Bund ist Nordrhein-Westfalens
Landtag am Mittwoch in die zweite Lesung des Landeshaushalts für das Jahr
2024 gestartet. „60 Milliarden Euro“ seien im Bundeshaushalt „einfach
verschwunden“, klagte Optendrenk mit Blick auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts von Mitte November. Für verfassungswidrig hatten
die Karlsruher Richter erklärt, dass die Bundesregierung 2021 trotz
[2][Schuldenbremse] bewilligte, aber dann doch nicht benötigte Notkredite
zur Bewältigung von Corona ein Jahr später in den Klima- und
Transformationsfonds (KFT) umschichtete.
Zwar erklärt NRW-Finanzminister Optendrenk schon seit zwei Wochen,
„unmittelbar“ habe das Urteil keine Auswirkungen auf laufende wie kommende
Haushalte der schwarz-grünen Landesregierung von CDU-Ministerpräsident
Hendrik Wüst: Der Düsseldorfer Landtag habe nur ein einziges
„Sondervermögen“ – also Notkredite – in Höhe von 5 Milliarden Euro
beschlossen. Und die würden nicht nur wie vorgesehen zur der Bekämpfung der
Folgen der Ukraine-Krise eingesetzt, sondern auch nur bis Ende dieses
Jahres benutzt, betont Optendrenk.
„Mittelbare Folgen“ für Nordrhein-Westfalen habe das Milliardenloch im
Bundeshaushalt aber doch, musste der CDU-Mann am Mittwoch einräumen. Auch
zwei Wochen nach dem Karlsruher Urteil sei bei vielen Kofinanzierungen des
Bundes schlicht unklar: „Wo kürzt er, wo steigt er aus“. Das fragt nicht
nur Optendrenk. Denn die Folgen für das bevölkerungsreichste Bundesland mit
seinen 18 Millionen Menschen und seiner energieintensiven Schwer- und
Chemieindustrie dürften gewaltig sein. Zwar ist das mit Abstand
finanzstärkste KFT-Projekt laut Aussage von NRWs grüner Wirtschafts- und
Klimaschutzministerin Mona Neubaur abgesichert: 1,3 Milliarden Euro soll
allein Thyssenkrupp bekommen, um seine Stahlproduktion durch Einsatz von
„grünem“, ohne Nutzung fossiler Brennstoffe hergestelltem Wasserstoff
klimaneutral umzustellen.
Auch die 4,9 Millionen Euro schwere Bundes-Kofinanzierung der Entwicklung
von Wasserstoff-Elektrolyseuren in Solingen gilt als safe – NRW selbst gibt
hier 2,1 Millionen dazu. Weitere Projekte zum Aufbau eines für die
Klimaneutralität unverzichtbaren Wasserstoffnetzes, zur Schaffung von neuen
Produktionskapazitäten von grünem Wasserstoff aber wackeln. Selbst die
Finanzierung kommunaler Wärmeplanungen, die Hauseigentümer:innen bis
spätestens Mitte 2028 Sicherheit geben sollen, ob sie mit der Schaffung
eines lokalen Fernwärmenetzes rechnen können oder selbst eine Wärmepumpe
einbauen müssen, steht auf der Kippe – und damit die Klimaschutzpolitik der
Grünen Neubaur.
„Die Haushalte und damit die Transformation unserer Wirtschaft stehen unter
enormem Druck“, warnt die grüne Vize-Ministerpräsidentin deshalb. Denn aus
Landesmitteln allein dürfte die nicht zu finanzieren sein: Zwar hat der
NRW-Haushaltsentwurf für 2024 inflationsbedingt ein Rekordvolumen von 102
Milliarden Euro. In Investitionen etwa für Klimaschutz, die Reparatur von
maroden Brücken, Schienenstrecken und Straßen, die Schaffung von mehr
Wohnungen fließen davon aber nur 11 Milliarden.
„Nicht nachhaltig“ nennt den vorgelegten Haushaltsentwurf deshalb auch NRWs
SPD-Oppositionsführer Jochen Ott – und verweist auf fehlende Kita-Plätze
wie auf marode Schulen. Nötig sei ein Ende der Schuldenbremse, fordert Ott.
Zwar wollen NRW-Ministerpräsident Wüst und sein Finanzminister Optendrenk
davon noch nichts wissen – doch auch beim grünen Koalitionspartner wird
nicht nur in Berlin über ein Aus der Schuldenbremse nachgedacht. Die
brauche „ein Update“, betont nicht nur der grüne Finanzpolitiker Simon
Rock. Auch Neubaur weiß, dass mehr Klimaschutz als Kern grüner Politik ohne
Kredite schlicht nicht finanzierbar ist: „Es sind ehrlicherweise die
Grundlagen der deutschen und europäischen Haushalts- und Finanzpolitik der
letzten Jahrzehnte, die wir womöglich neu verhandeln werden müssen.“
## Kein Aufschrei Ost
Aus Dresden Michael Bartsch
Ein Aufschrei Ost ist nach dem [3][Haushaltsurteil des
Bundesverfassungsgerichts] nicht zu vernehmen. Die sonst bei der
Bundesförderung so sensiblen östlichen Bundesländer beschränken sich auf
Warnungen und Erinnerungen an gegebene Zusagen. Wohl auch deshalb, weil
noch niemand die zu erwartenden Grausamkeiten beziffern kann. Die
Bundestagsbeschlüsse zum Haushalt 2024 einschließlich der Sondervermögen
blieben abzuwarten, antwortet Sprecher Jörg Herold aus Sachsens
Finanzministerium. Und die Bündnisgrünen, die beim Klimaschutz alarmiert
sein könnten und in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in den
Landesregierungen sitzen, wollen der Bundespartei in der Ampel nicht in den
Rücken fallen.
Die heißeste Kartoffel bleiben die Subventionen, die Chip-Giganten nach
Sachsen-Anhalt und Sachsen locken sollen. Die 10 Milliarden Euro für
[4][Intel in Magdeburg] und 5 Milliarden für [5][TSMC aus Taiwan in
Dresden] machen allein ein Viertel des Haushaltsloches von 60 Milliarden
aus. Die Wirtschaftsminister beider Länder und die CDU-Ministerpräsidenten
Reiner Haseloff und Michael Kretschmer haben den Bund an gegebene
Förderzusagen erinnert. Das Sächsische Finanzministerium schließt aber die
Betroffenheit sächsischer Projekte nicht aus, „für die noch kein
rechtsverbindlicher Förderbescheid vorliegt“.
Neben den Halbleiter-Großansiedlungen zählen etwa auch von Bund und Land
gemeinsam finanzierte Forschungsvorhaben bei der Wasserstofftechnologie
dazu. In gleicher Weise stehen in Thüringen nach Auskunft des
Wirtschaftsministeriums zwei Mikroelektronik-Projekte auf der Kippe. „Ich
kann jetzt keine Entwarnung geben“, sagt Wirtschaftsminister Wolfgang
Tiefensee (SPD), gibt sich aber vorsichtig optimistisch. Für noch nicht
bewilligte Projekte brauche es „in Windeseile Lösungen“.
Am Montag hatten sich die Energie- und Wirtschaftsminister der Länder in
Berlin mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) getroffen.
Tiefensee forderte danach eine Verlängerung der Energiepreisbremsen bis
Ende März und sieht sich damit „im Geleitzug aller Bundesländer, die diese
Maßnahmen brauchen“. Das Treffen habe auch die Einigkeit aller
Länderminister gezeigt, „dass alle Investitionen für die Energiewende,
Wärmewende und Dekarbonisierung unverzichtbar sind, um die selbstgesteckten
Ziele zu erreichen“, resümiert das grün geführte Thüringer Umwelt- und
Energieministerium.
Minister Bernhard Stengele fordert gar einen „neuen Marshallplan“ für den
Umbau von Wirtschaft und Energieproduktion, bei Klimaschutz, Verkehr und
Wohnen. „Wir können nicht zusehen, wie Amerika und China uns immer weiter
davonlaufen!“ Wegen schwächerer Finanzausstattung und geringerer Rücklagen
bei Kommunen und Bürgern im Osten sei die Ansiedlung neuer Industrien
„eminent wichtig“.
Auch deshalb steht Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer
ausnahmsweise einmal eher an der Seite seiner Amtskollegen West und nicht
hinter Parteichef Friedrich Merz, wenn er sich „gesprächsbereit“ über eine
Reform der [6][Schuldenbremse] zeigt. Der Thüringer Tiefensee findet mit
einer solchen Forderung offene Ohren bei seiner SPD. Bei den ostdeutschen
Bündnisgrünen fällt die Zurückhaltung gegenüber Berlin auf.
Verunsicherung ist spürbar. Der Tourismusverband Sächsische Schweiz und
Gastronomen fordern, beim ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent in
der Gastronomie zu bleiben. Und für das mit vier Millionen Euro vom Bund
geförderte Lausitz-Festival sieht Abteilungsleiterin Brigitte Faber-Schmidt
im Brandenburger Wissenschafts- und Kulturministerium einen Mittelfluss
über 2024 hinaus keineswegs als gesichert an.
29 Nov 2023
## LINKS
[1] /Regierungserklaerung-von-Olaf-Scholz/!5976827
[2] /Oekonom-Jens-Suedekum-zur-Haushaltskrise/!5970282
[3] /Grundsatzurteil-zu-Haushalt/!5969801
[4] /Geplante-Intel-Fabrik-in-Magdeburg/!5939815
[5] /Geplante-Fabrik-in-Dresden/!5953423
[6] /Oekonom-Jens-Suedekum-zur-Haushaltskrise/!5970282
## AUTOREN
Andreas Wyputta
Michael Bartsch
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