| # taz.de -- Regierungserklärung von Olaf Scholz: Kein Wort des Bedauerns | |
| > Scholz nutzt die Bühne des Bundestags, um sein Handeln zu rechtfertigen. | |
| > Klare Ansagen, wie es weitergeht, macht er nicht – deutet aber zwei | |
| > Auswege an. | |
| Bild: Scholz während Merz' Rede im Bundestag am Dienstagvormittag | |
| Berlin taz | Wer in Zeiten finanzpolitischer Ratlosigkeit im Bundestag auf | |
| wegweisende Worte hoffte, wurde am Dienstag enttäuscht. In einer | |
| Regierungserklärung ließ der Bundeskanzler offen, ob seine Koalition noch | |
| in diesem Jahr mit der Verabschiedung eines rechtzeitigen Haushaltsplans | |
| für das Jahr 2024 rechnet. | |
| Oppositionsführer Friedrich Merz nahm die technischen Ausführungen von Olaf | |
| Scholz (SPD) zum Anlass für einen Frontalangriff gegen den Kanzler: „Wenn | |
| Sie weiter so uneinsichtig sind, dann werden wir alles dafür tun, dass der | |
| Spuk mit Ihrer Bundesregierung so schnell wie möglich beendet wird“, sagte | |
| der CDU-Chef. Doch in der Frage der Lücke, die im Finanzplan der | |
| Bundesregierung wegen der verfassungswidrigen Weiterverwendung von | |
| Coronahilfsgeldern klafft, konnte auch die Union keine Antwort | |
| präsentieren. | |
| Olaf Scholz nutzt seine 25-minütige Ansprache vor allem zur Rechtfertigung | |
| seines Handelns. Die Überlegungen für einen Haushaltsplan sind wohl | |
| innerhalb der Regierung auch fast zwei Wochen nach dem Urteil aus Karlsruhe | |
| noch nicht so weit gegoren, dass sie vor dem Verfassungsorgan mit der | |
| Budgethoheit – dem Bundestag – umrissen werden könnten. Stattdessen | |
| zitierte der Kanzler die Großkrisen der vergangenen Jahre und lobte das | |
| schnelle Handeln der Regierung – das Wort „Fehler“ nahm Scholz nicht in d… | |
| Mund. | |
| Das musste später Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge stellvertretend | |
| für die gesamte Ampel nachholen. [1][Die Koalition habe die Umbuchungen von | |
| Coronahilfen] „falsch eingeschätzt“. „Das bedauern wir, das räumen wir | |
| jetzt auf“, sagte sie. | |
| Das Wort, das der Bundeskanzler dagegen auffallend häufig gebrauchte, war | |
| „richtig“. Richtig sei es gewesen, in der Energiekrise den Unternehmen und | |
| Bürger:innen Sicherheit zu geben, richtig seien die [2][Hilfen für die | |
| Flutopfer im Ahrtal], richtig sei es gewesen, eine Million Ukrainerinnen | |
| und Ukrainer aufzunehmen, und richtig bleibe es, die Ukraine zu | |
| unterstützen, das sei von „existenzieller Bedeutung“. Es ist einer der | |
| wenigen Sätze, für den der Kanzler auch vereinzelt Applaus aus der | |
| Regierungsbank erntet, ansonsten ist seine Ansprache geprägt von lauten | |
| Zwischenrufen aus der AfD-Fraktion. | |
| Auch über Zwischenrufe aus der Union muss sich der Kanzler hinwegsetzen, | |
| doch Scholz liest seine Rede ab und bleibt stoisch bei seinem Manuskript. | |
| Nur so viel: Hätte man gewusst, wie das Gericht entscheidet, „hätten wir im | |
| Winter 2021 andere Wege beschritten“, räumte der Kanzler ein. | |
| Damals hatte Scholz den Kniff ersonnen, nicht genutzte | |
| Coronanothilfekredite in den Klimafonds umzubuchen. Ein Trick, der es | |
| FDP-Finanzminister Christian Lindner ermöglichte, die Schuldenbremse im | |
| Kernhaushalt einzuhalten, und dem Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck | |
| eine gut gefüllte Kasse für den klimaneutralen Umbau des Landes | |
| verschaffte. Doch dieses Verfahren, das wesentlich zur Kompromissfähigkeit | |
| der Regierung beitrug, ist durch das Verfassungsgericht beendet worden. | |
| ## „Mindestens zwei Schuhnummern zu groß“ | |
| Was der Bundeskanzler wohl eigentlich sagen will: Wir haben alles richtig | |
| gemacht und hätten nicht ahnen können, dass das Verfassungsgericht einen | |
| Strich durch die Rechnung macht. Es ist dieser Stil, der Merz auf die | |
| Spitze bringt. „Sie sind ein Klempner der Macht. Ihnen fehlt jede | |
| Vorstellung davon, wie dieses Land sich in den nächsten Jahren | |
| weiterentwickeln soll“, warf der Unionsfraktionschef vom Rednerpult dem | |
| Kanzler zu. Scholz habe „rein technische Antworten auf eine hochpolitische | |
| Entscheidung“ vorgetragen. | |
| Merz zog weiter gegen Scholz vom Leder: „Spätestens nach dieser | |
| Regierungserklärung muss man feststellen, Sie können es nicht. Die Schuhe, | |
| in denen Sie stehen als Bundeskanzler, sind Ihnen mindestens zwei | |
| Schuhnummern zu groß.“ Unter Johlen der Unions- und AfD-Fraktion griff der | |
| CDU-Chef auch Habeck an, nachdem dieser ihm auf dem Parteitag der Grünen am | |
| Wochenende vorgeworfen hatte, in den 90ern stecken geblieben zu sein. „Wir | |
| hatten in den 90ern Wirtschaftsminister auf der Regierungsbank sitzen, die | |
| wirklich etwas von Wirtschaftspolitik verstanden haben“, so Merz in | |
| Richtung von Habeck. | |
| Doch es bleibt beim reinen Schlagabtausch. In der jetzigen Situation | |
| scheint der Union nicht daran gelegen, der Regierung aus der Krise zu | |
| helfen. Auch wenn die haushaltspolitischen Fragen, die durch das Urteil in | |
| Karlsruhe aufgeworfen wurden, die unionsgeführten Bundesländer ähnlich | |
| betreffen. | |
| Fast schon beiläufig wurde Olaf Scholz während seiner Ansprache an einer | |
| Stelle konkreter: Der Kanzler kündigte an, dass die Gas- und | |
| Strompreisbremse zum Jahresende auslaufe. „Denn inzwischen sind überall in | |
| Deutschland wieder Strom- und Gastarife verfügbar, die zwar deutlich höher | |
| liegen als vor der Krise – meist aber unterhalb der Obergrenzen, die wir | |
| mit den Preisbremsen gezogen hatten.“ Ein Entschluss, der von | |
| Verbraucherschützern prompt kritisiert wurde. Energiepreisbremsen seien von | |
| der Bundesregierung fest bis Ende März 2024 zugesagt und vom Bundestag | |
| beschlossen worden, erklärte der Bundesverband der Verbraucherzentralen. | |
| ## „In Ihrem Alltag ändert sich nichts“ | |
| Der Kanzler versuchte der Verunsicherung vor Ort entgegenzutreten, indem er | |
| an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet versicherte: „In Ihrem Alltag | |
| ändert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts – völlig unabhängig | |
| davon, ob Sie Kindergeld oder Bafög bekommen, eine Rente oder Wohngeld.“ | |
| Kanzler Scholz bereitete die Öffentlichkeit aber schon einmal darauf vor, | |
| dass der [3][Haushalt 2024] möglicherweise erst im nächsten Jahr | |
| verabschiedet werden könne. Doch auch selbst innerhalb der SPD schien es | |
| zum Vorgehen für den kommenden Haushaltsplan unterschiedliche Ansichten zu | |
| geben. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sprach sich dafür aus, | |
| den Finanzplan für 2024 noch in diesem Jahr zu verabschieden. | |
| Auch im Interesse der Sozialverbände sei dies geboten, die ansonsten | |
| Mitarbeiter*innen entlassen müssten. Auch in Fragen der Schuldenbremse | |
| schlug Mützenich wiederholt andere Töne an als der Kanzler. Im Gegensatz zu | |
| Scholz forderte der Fraktionsvorsitzende im Bundestag eine Reform der | |
| Schuldenbremse. „Eine wahllos herausgegriffene Größe“ in der Schuldenquote | |
| dürfe nicht zu Monstranz werden, so Mützenich. | |
| Scholz sagte, die Bundesregierung arbeite nun intensiv daran, alle | |
| Beschlüsse so schnell wie möglich zu treffen. „Denn die Bürgerinnen und | |
| Bürger und die Unternehmen brauchen in unruhigen Zeiten Klarheit.“ | |
| Klarheit, die der Bundeskanzler ihnen an diesem Dienstagmorgen nicht geben | |
| konnte. | |
| 28 Nov 2023 | |
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