# taz.de -- Maßnahmen gegen Lehrkräftemangel: Her mit den Lehrkräften! Aber … | |
> Zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels gehen die Länder teils | |
> unterschiedliche Wege. Doch welche Ideen gibt es, außer immer mehr | |
> Quereinsteiger:innen? | |
Bild: Aufgabe für Bildungspolitiker:innen: Schulunterricht in Zeiten des Lehrk… | |
BERLIN taz | Selbst die Fakten sind umstritten. Am Montag stellte der | |
Verband Bildung und Erziehung (VBE) eine repräsentative Umfrage zum | |
Lehrkräftemangel vor: Im Schnitt blieben an jeder deutschen Schule zu | |
Schuljahresbeginn 1,6 Stellen unbesetzt. Macht hochgerechnet mehr als | |
50.000 offene Stellen. Die Ministerien zählen hingegen rund 12.000 nicht | |
besetzte Stellen, Bayerns Bildungsminister Michael Piazolo (Freie Wähler) | |
nannte die VBE-Zahlen „Fake“. Lehrerverbände wiederum werfen der | |
Kultusministerkonferenz (KMK) Schönfärberei vor. | |
Unstrittig aber ist der Handlungsbedarf. Pensionswellen (jede dritte | |
Lehrkraft ist über 50), steigende Schülerzahlen (um eine Million bis 2035) | |
und das sinkende Interesse am Lehramtsstudium (zuletzt 14 Prozent weniger | |
Einschreibungen) verschärfen die Lage. | |
Je nach Studie fehlen bis 2030 zwischen 31.000 und 155.000 Lehrer:innen. | |
Die Berliner KMK-Vorsitzende Astrid-Sabine Busse (SPD) geht davon aus, dass | |
der Personalmangel noch zehn Jahre andauert. Bildungsforscher:innen | |
tippen auf 20 Jahre. | |
Von einer gemeinsamen Strategie sind die Länder weit entfernt. [1][Bayern | |
will tausende Lehrkräfte abwerben]. Brandenburg verbeamtet auch beim | |
Bachelor. Baden-Württemberg denkt über größere Klassen nach. Doch welche | |
Alternativen gibt es noch – und was bringen sie? | |
## Mehr Studierende | |
Aktuell bilden die Hochschulen bundesweit 18 Prozent [2][weniger Lehrkräfte | |
aus als benötigt.] Zwar ist die Zahl der Studienplätze zuletzt stark | |
gewachsen: Schleswig-Holstein zum Beispiel hat seine Kapazitäten | |
verdoppelt, Sachsen fast verdreifacht. | |
Aber die Zahl der Lehramtsabsolvent:innen geht dennoch stetig zurück. | |
Vor allem einzelne Schularten und Fächer verlieren an Attraktivität. An | |
Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein etwa fehlen bis 2032 | |
voraussichtlich 765 Mathelehrer:innen. Es müssen also wieder mehr junge | |
Menschen Lehrer:innen werden wollen. Aber wie? | |
Baden-Württemberg führt zum Reinschnuppern ein Freiwilliges Pädagogisches | |
Jahr ein, Bayern verzichtet ab dem Wintersemester 2023/34 komplett auf | |
Zulassungsbeschränkungen. Schleswig-Holstein, Thüringen und Sachsen-Anhalt | |
testen duale Studiengänge, die Studierende früher in die Schulen bringen – | |
und die hohen Abbrecherquoten senken sollen. | |
Sinnvoll wäre wohl zudem die Öffnung der teils sehr rigiden | |
Fächerkombinationen, die sich oft nicht mit den Studienwünschen in Einklang | |
bringen lassen. Doch all diese Maßnahmen allein werden kaum reichen. Die | |
Ministerien müssen auch die Attraktivität des Lehrer:innenberufs | |
erhöhen. | |
## Mehr Geld | |
Zumindest bei der finanziellen Anerkennung tut sich was. Thüringen, Sachsen | |
und Berlin haben die Verbeamtung wieder eingeführt. Nordrhein-Westfalen, | |
Niedersachsen, Bayern, Hessen und Sachsen-Anhalt erhöhen schrittweise die | |
Bezüge an Grundschulen und teils auch bei anderen Schulformen auf die | |
Besoldungsgruppe A13 – eine langjährige Forderung der Bildungsgewerkschaft | |
GEW. | |
Bundesweit sehen nur Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und das Saarland | |
keine Veranlassung dafür, den Pay Gap zum Gymnasium anzugleichen. Auch sie | |
werden handeln, wenn zu viele Grundschullehrer:innen abwandern. | |
Finanzielle Anreize setzen die Ministerien auch vermehrt, um Personal in | |
unterversorgte Regionen zu locken. Brandenburg und Sachsen-Anhalt etwa | |
zahlen Studierenden 600 Euro im Monat, wenn sie nach dem Studium an einer | |
„Landschule“ beginnen, Sachsen legt bei Referendar:innen sogar 1.000 | |
Euro im Monat drauf. Einige Länder bieten ihren Lehrkräften Zulagen, wenn | |
sie in eine Bedarfsregion wechseln oder ein Mangelfach unterrichten. | |
Lehrerverbände halten diese Anreize jedoch für problematisch, wenn die | |
Kolleg:innen, die bereits an der Schule sind, keine Prämien erhalten. Wer | |
Lehrkräfte möglichst lange im Schuldienst halten möchte, sollte sich auch | |
hier erkenntlich zeigen. | |
## Mehr Entlastung | |
Laut dem Deutschen Schulbarometer erleben 92 Prozent der Lehrkräfte ihr | |
Kollegium stark oder sehr stark belastet. Die GEW warnt, Lehrkräften die | |
dringend benötigte Entlastung nicht mit dem Verweis auf den Personalmangel | |
zu verweigern. | |
Tatsächlich versprechen die Bildungsminister:innen, ihren Pädagog:innen | |
Verwaltungsaufgaben abzunehmen. Im Moment schaffen viele Länder Stellen für | |
Verwaltungs- oder Assistenzkräfte und rekrutieren dafür Pensionäre, | |
Studierende oder ausländische Lehrkräfte. | |
Bislang sind solche Programme aber oft nur ein Tropfen auf dem heißen | |
Stein. Brandenburg etwa schafft zum neuen Schuljahr 200 solcher Stellen, | |
bei fast 900 Schulen. | |
Zu anderen Entlastungen, zum Beispiel bei Arbeitszeit und Stundentafel, | |
sind die Ministerien derzeit weniger bereit. Eine Ausnahme ist | |
Mecklenburg-Vorpommern. Im Februar kündigte Bildungsministerin Simone | |
Oldenburg (Linkspartei) an, Stundenreduzierungen bereits ab einem früheren | |
Alter zu gewähren. | |
## Mehr Arbeit | |
Knapp die Hälfte der 700.000 Lehrer:innen in Deutschland arbeitet in | |
Teilzeit. [3][Die Ständige Wissenschaftlichen Kommission (SWK) sieht hier | |
das größte Potential,] um den Schulunterricht auch bei anhaltendem | |
Fachkräftemangel sicherzustellen. | |
Bisher haben nur Sachsen und Nordrhein-Westfalen angekündigt, ab Sommer | |
strenger prüfen zu wollen, in welchen Fällen Teilzeit gewährt wird. | |
Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) will noch | |
Tarifverhandlungen führen. Andere Länder tasten sogar das Sabbatjahr an, um | |
mehr Unterrichtsstunden zu generieren. | |
Wie unbeliebt die verordnete Mehrarbeit ist, kann man in Sachsen-Anhalt | |
beobachten. Dort sollen Lehrer:innen ab April eine Stunde mehr | |
unterrichten. Die Mehrstunde wird zwar auf einem Arbeitszeitkonto | |
gutgeschrieben, dennoch ist die Empörung an den Schulen groß. | |
„Wenn man solche Maßnahmen einfach durchdrückt, ist der Preis eine | |
drastische Senkung der Motivation“, warnt der Bildungsforscher Mark | |
Rackles. Die meisten Länder setzen wohl deshalb weiter auf freiwillige | |
Mehrarbeit. | |
## Mehr Selbstlernzeiten | |
Dieser Vorschlag – ebenfalls von der SWK – ist heikel. Von den | |
pandemiebedingten Schulschließungen wissen wir, dass Selbstlernen | |
eigentlich nur bei älteren Gymnasiast:innen funktioniert. | |
Der Personalmangel hingegen betrifft vor allem Grund-, Haupt- und | |
Förderschulen. Bildungspolitisch gerecht wäre es, die an Selbstlerntagen | |
freiwerdenden Lehrkräfte an die Schulen zu schicken, wo Unterricht ohne | |
Lehrkraft kaum möglich ist. Ob das praktikabel wäre, ist aber fraglich. | |
Die Grundidee findet aber Anklang. Sachsen erprobt bereits den | |
Hybridunterricht in der Oberstufe und sieht Potential für | |
„schulübergreifende Leistungskurse im ländlichen Raum“. Sachsen-Anhalt | |
testet an Projektschulen die Vier-Tage-Woche. Der Unterricht am Tag fünf | |
ist Pflicht, aber „variabel“ gestaltbar. | |
Ob das Modell landesweit kommt, entscheidet Magdeburg im Sommer. Die Idee, | |
Schulen mit außerschulischen Angeboten zu entlasten, ist verbreitet. Ein | |
Problem dabei ist, dass es bei solchen Angeboten ein starkes | |
Stadt-Land-Gefälle gibt. | |
## Mehr Integration | |
Wer als Ausländer:in in Deutschland arbeiten möchte, muss hohe | |
bürokratische Hürden nehmen. Das gilt auch für den Schuldienst. Laut einer | |
GEW-Studie werden im Schnitt nur 20 Prozent der Anträge voll anerkannt. | |
Rund 900 Lehrkräfte im Jahr gingen den Schulen so verloren. | |
Bildungsforscher:innen empfehlen schon länger, Sprachanforderungen | |
zurückzustellen und auch Lehrkräfte mit nur einem Schulfach anzunehmen. Das | |
machen bislang aber nur einige Bundesländer. Lehrkräfte mit | |
Migrationsgeschichte sind an deutschen Schulen stark unterrepräsentiert. | |
Viele Ministerien wollen nun auch ausländische Lehrkräfte schnell an die | |
Schulen bringen. | |
11 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Bayern-will-Lehrkraefte-abwerben/!5909637 | |
[2] /Studie-zu-Lehrerinnenmangel/!5900697 | |
[3] /Teilzeitquote-an-Schulen/!5908091 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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