# taz.de -- Anwerbung von Lehrkräften: Frau Mujčić soll es richten | |
> Schulen auf dem Land trifft der Personalmangel besonders hart. Das | |
> Gymnasium in Zerbst in Sachsen-Anhalt ist nun fündig geworden – per | |
> Headhunter. | |
Bild: Die Lehrerin Maida Mujčić im Francisceum in Zerbst | |
Von einem Ort namens Zerbst hat Maida Mujčić noch nie gehört. Auch während | |
der Zeit, in der sie in Deutschland gelebt hat. Dennoch hat sie sich sofort | |
für die Stelle dort entschieden. Lehrkraft für Deutsch an einem Gymnasium, | |
mit Aussicht auf Entfristung. Passt genau, denkt sie. | |
Mujčić hat in Siegen Deutsch, Psychologie und Pädagogik studiert, in ihrer | |
Heimat Bosnien-Herzegowina das Referendariat gemacht. Die letzten sieben | |
Jahre hat sie im Norden des Landes unterrichtet und insgeheim von einer | |
Rückkehr nach Deutschland geträumt. Nur wegen ihres Sohnes Davud hat sie | |
diesen Wunsch zurückgestellt – bis sie auf Facebook auf die Anzeige von | |
„Yugokraft“ gestoßen ist, und somit auf den verlängerten Arm deutscher | |
Behörden auf dem Balkan. Genauer: des Bildungsministeriums in Magdeburg. | |
In Sachsen-Anhalt ist der Personalmangel an Schulen besonders dramatisch. | |
Knapp 850 Stellen sind derzeit unbesetzt, die Unterrichtsversorgung ist so | |
niedrig wie nie zuvor. Und das dürfte auch in naher Zukunft so bleiben: Im | |
schlimmsten Fall gehen in den nächsten fünf Jahren rund 4.000 der 14.000 | |
Lehrkräfte im Land in Pension, fast ein Drittel. So viele erreichen nach | |
Angaben des Bildungsministeriums das Alter, in dem sie sich in den | |
Ruhestand versetzen lassen können. | |
In keinem Bundesland [1][arbeiten anteilig mehr ältere Lehrkräfte]. Weil | |
von den Hochschulen nicht genügend Personal nachkommt, greift die | |
schwarz-rot-gelbe Landesregierung zu ungewöhnlichen Mitteln: [2][Sie sucht | |
im Ausland nach Lehrkräften – per Headhunter]. | |
## Ein Glücksfall, sagt die Schulleiterin | |
Bei Maida Mujčić hat die Vermittlung reibungslos geklappt. Nach einem | |
Videocall, bei dem auch ihre Sprachkenntnisse geprüft wurden, durfte sie | |
sich auf einer Plattform des Landesschulamtes anmelden. Dort stieß sie auf | |
die Stelle in Zerbst. Sie bewarb sich, eine Agentur leitete sie durch die | |
Bürokratie: Bewerbungsunterlagen, Visumsantrag, Zeugnisprüfung bei der | |
Kultusministerkonferenz. | |
Ein paar Monate später war es so weit. Mujčić unterschrieb ihren Vertrag. | |
„Ich wurde super betreut, alleine hätte ich das nicht geschafft“, sagt sie. | |
Nur der Visumsantrag zog sich in die Länge. Statt wie geplant im Januar | |
2022 konnte sie erst im April einreisen. | |
Seit elf Monaten lebt Mujčić nun mit ihrer Familie in der Kleinstadt Zerbst | |
im Landkreis Anhalt-Bitterfeld und unterrichtet dort am Francisceum Deutsch | |
und Psychologie, in diesem Schuljahr 28 Stunden die Woche. Für | |
Schulleiterin Kerstin Görner ist das ein Glücksfall, wie sie sagt. Auch | |
wenn sie zunächst skeptisch war. „Ich dachte: Eine Lehrerin aus dem | |
Ausland, die Deutsch unterrichten soll – kann das funktionieren?“ | |
Dann aber habe sie schnell gemerkt, wie gut Mujčić ihr Fach beherrscht, | |
nicht nur sprachlich. Und erfahrene Kolleg:innen, die sofort loslegen | |
können, sind nach Görners Erfahrung selten geworden. Vier | |
Seiteneinsteiger:innen hat sie mittlerweile an der Schule. Und die | |
bräuchten eine intensive Betreuung. | |
## Problem: Unterrichtsversorgung | |
Aktuell wird in Sachsen-Anhalt jede zweite freie Stelle mit einem oder | |
einer Seiteneinsteiger:in besetzt. Für Schulleiterin Görner ein klares | |
Zeichen für den Bildungsnotstand. „Auf dem Land ist die Personalsuche schon | |
seit Jahren schwierig“, berichtet sie am Telefon. | |
Da helfe ihr auch die jahrhundertelange Schultradition oder moderne | |
Lernkonzepte wie fächerübergreifender Unterricht nicht weiter. „Eine tolle | |
Schule, aber am falschen Ort“, höre sie oft von Referendar:innen, die an | |
die Schule kommen und nach ihrer Ausbildung doch lieber woanders arbeiten | |
möchten. | |
Als Maida Mujčić anheuerte, war die Lage besonders angespannt. Sieben | |
Kolleg:innen waren kurz zuvor in Pension gegangen. Viel besser ist es | |
seither nicht geworden: Aktuell besteht das Kollegium aus 43 Lehrkräften | |
für über 600 Schüler:innen in Ganztagsbetreuung, sechs Stellen sind | |
unbesetzt. Und deshalb fällt am Francisceum in diesem Schuljahr Unterricht | |
aus: Die Klassen 5 bis 7 erhalten in Englisch, Ethik, Erdkunde, Sport, | |
Religion und Musik eine Stunde weniger als vorgesehen. | |
Die Unterrichtsversorgung ist mittlerweile [3][auf rund 86 Prozent | |
gerutscht], hat Görner ausgerechnet. Niedriger als der Landesschnitt. Am | |
Deutschunterricht musste Görner bisher aber nicht streichen – eben auch, | |
weil ihr das Land aus dem Nichts eine neue Deutschlehrerin präsentiert hat. | |
„Frau Mujčić ist ein Geschenk des Himmels. Ich hatte gar nicht mit | |
Verstärkung gerechnet.“ | |
Maida Mujčić ist eine von rund 90 ausländischen Lehrkräften, die Headhunter | |
bislang nach Sachsen-Anhalt gelockt haben. Auch in Österreich, Spanien oder | |
der Schweiz sind die zwei beauftragten Agenturen fündig geworden. | |
Voraussetzung für Bewerber:innen ist das Sprachniveau B2. In | |
Deutschland müssen sie zu Beginn einen vierwöchigen Crashkurs rund um die | |
Themen Unterricht, Didaktik, Lehrplan belegen und innerhalb des ersten | |
Jahres das Sprachniveau C1 nachweisen. Auch eine Verbeamtung ist möglich, | |
wenn das Referendariat anerkannt wird oder die Lehrkraft es in Deutschland | |
nachholt. | |
## Und der Braindrain für weniger reiche Länder? | |
Vor allem Länder mit großer deutschsprachiger Community seien für ihre | |
Suche relevant, sagt Franziska Thiele von der Berliner Personalberatung | |
Hays, die auch Maida Mujčić rekrutiert hat – also Polen, Tschechien, | |
Ungarn, Rumänien. Von Krakau aus kümmere sich ein Hays-Mitarbeiter speziell | |
um Kandidat:innen aus diesen Ländern. Das Kernteam in Berlin besteht | |
aus vier Personen. | |
Aktuell stünden sie mit rund 2.000 Interessierten in Kontakt, der Großteil | |
aus Osteuropa. Aber auch aus Indien, Iran, Kolumbien meldeten sich | |
Lehrkräfte bei ihnen, und vereinzelt auch Personen, die bereits in | |
Deutschland sind und Hilfe bei der Anerkennung ihrer Abschlüsse suchen. | |
„Ich sehe nicht, dass sich der Pool an geeigneten und motivierten Menschen, | |
die in Deutschland unterrichten wollen, schnell erschöpft“, sagt Thiele. | |
Dass ihre Agentur [4][den Braindrain] von weniger reichen Ländern | |
befördere, weist Thiele zurück: „Wir werben niemanden aktiv ab, Die | |
Kandidaten melden sich proaktiv auf unsere ausgeschriebenen Job-Angebote“. | |
Über ihre Geschäftsstellen im Ausland oder Partner wie „Yugokraft“ | |
platzierten sie in den geeigneten Communitys Anzeigen. Sie selbst sehe sich | |
deshalb auch nicht als Headhunterin. Personen, die aus beruflichen Gründen | |
nach Deutschland kommen wollten, wendeten sich an Hays – und die Agentur | |
helfe ihnen, ihre beruflichen Träume zu verwirklichen. Thiele sieht es als | |
eine Win-Situation für alle Beteiligten. | |
## 10.000 Euro bei Erfolg | |
Das gilt auch für die Agentur: Für jede erfolgreiche Vermittlung zahlt | |
Sachsen-Anhalt rund 10.000 Euro. Eine Investition, die sich aus Sicht von | |
Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) mehr als lohnt. Anfangs seien sie für | |
die Idee mit den Headhuntern belächelt worden, [5][sagte Feußner kürzlich | |
im Interview mit der taz]. | |
Bei 1.000 bis 1.200 Einstellungen im Jahr seien 90 Rekrutierungen eine | |
ordentliche Größe. Deshalb nähme das Land jetzt noch mehr Geld in die Hand | |
und lasse künftig auch weltweit nach geeignetem Personal suchen. Eine | |
Million Euro jährlich steht dafür ab sofort bereit. Die Opposition | |
kritisiert, das Geld könne sinnvoller investiert werden – zum Beispiel in | |
Maßnahmen, um fertig ausgebildete Lehrer:innen im Land zu halten. | |
Auch in übrigen Bundesländern sieht man offenbar sinnvollere Wege, das Geld | |
auszugeben. So haben sich Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein nach | |
Informationen der taz bereits bei der Agentur Hays über Erfolgsquoten und | |
Provisionen informiert – den Einsatz von Headhuntern aber zumindest für den | |
Moment ausgeschlossen. Aus Dresden und Kiel heißt es auf Anfrage, dass | |
diese Maßnahme aktuell nicht in Betracht gezogen werde. „Für die Kosten ist | |
der Output zu niedrig“, begründet eine Sprecherin aus Schleswig-Holstein | |
die Entscheidung. | |
Auch andere Länder haben das „Modell Sachsen-Anhalt“ geprüft und erstmal | |
verworfen. Was nicht bedeutet, dass die Ministerien nicht irgendwann darauf | |
zurückkommen. „Wir prüfen natürlich sehr genau, welche Erfahrungen | |
Sachsen-Anhalt jetzt macht“, heißt es aus Erfurt. | |
Und der Hamburger Senat geht davon aus, künftig bei der Besetzung von | |
Schulleiter:innen auf Headhunter zurückgreifen zu müssen. „Wir | |
beobachten, dass die Zahl der qualifizierten Bewerbungen für | |
Führungspositionen merklich abnimmt“, sagt Senatssprecher Peter Albrecht | |
zur taz. | |
## Referendariat und Berufserfahrung nicht anerkannt | |
Geeignetes Personal will die Stadt in anderen Bundesländern, aber auch an | |
deutschen Schulen im Ausland finden. Für „normale“ Lehrkräfte seien aber | |
keine Headhunter vorgesehen. | |
In den meisten Ministerien liegt die Priorität ohnehin bei den | |
ausländischen Lehrkräften, die bereits in Deutschland sind. Zuletzt | |
erklärten mehrere Bildungsminister:innen, dass sie [6][die bürokratischen | |
Hürden für ausländische Abschlüsse senken] und so den Einstieg in den | |
Schuldienst erleichtern wollen. | |
Die hohen Anforderungen bei der Zulassung hat auch Deutschlehrerin Maida | |
Mujčić zu spüren bekommen. Ihr Referendariat sowie ihre Berufserfahrung | |
haben die deutschen Behörden nicht anerkannt. Eine Verbeamtung kommt für | |
sie erst dann in Frage, wenn sie das Referendariat auch noch in Deutschland | |
ablegt. Darin aber kann Mujčić wenig Sinn erkennen: „Ich habe viele Jahre | |
als Lehrerin gearbeitet, ich weiß, wie Unterricht funktioniert.“ | |
Beklagen will sie sich aber nicht. Sie fühle sich sehr willkommen in | |
Zerbst. Auch ihrem Mann und ihrem zehnjährigen Sohn Davud gefalle es in | |
Deutschland. „Wir wollen auf jeden Fall hier bleiben“. Das wünscht sich | |
auch Schulleiterin Görner. Vergangene Woche hat sie Mujčićs Vertrag | |
entfristet. | |
11 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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