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# taz.de -- Deutsches Schulbarometer: Armut wird an Schulen sichtbarer
> Eine Umfrage unter Lehrkräften zeigt, wie stark sich Armut an den Schulen
> bemerkbar macht. Auffällig ist auch das Verhalten der Schüler:innen.
Bild: Nicht jedes Kind hat ein Pausenbrot in der Schule dabei
Berlin taz | Die Kinderarmut in Deutschland wird an Schulen immer
sichtbarer. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des Deutschen
Schulbarometers, das die Robert Bosch Stiftung am Dienstag vorgestellt hat.
So beobachten Lehrkräfte im Vergleich zum vergangenen Schuljahr, dass
Schulkinder häufiger ohne Frühstück an die Schule kommen oder ihnen
Schulmaterialien fehlen.
Auch besuchen Schüler:innen seltener Vereine oder nehmen an
Klassenfahrten ins Schullandheim teil. Besonders häufig kommt dies an
Schulen vor, die im sozialen Brennpunkt liegen. An diesen Schulen sorgt
sich jede zweite Lehrkraft um die finanzielle Situation der Familien. „Arme
Kinder werden zu oft zu armen Erwachsenen“, sagte Dagmar Wolf, Leiterin des
Bereichs Bildung der Bosch Stiftung bei der Vorstellung der Ergebnisse.
Dieser Kreislauf müsse durchbrochen werden.
Seit 2019 befragt die Robert Bosch Stiftung regelmäßig Lehrkräfte und
Schulleitungen zur Lage an den Schulen. [1][Für die aktuelle Umfrage]
wurden im Juni mehr als 1.000 Lehrkräfte an allgemein- und berufsbildenden
Schulen befragt. Neben den Beobachtungen zur Kinderarmut sind bei dieser
Befragung vor allem die Verhaltensauffälligkeiten der Schüler:innen
sowie die größten Herausforderungen für Lehrkräfte bemerkenswert.
So beobachten 81 Prozent der Befragten Konzentrationsprobleme in ihren
Klassen, beinahe jede dritte Lehrkraft nimmt Ängste bei den
Schüler:innen wahr, mehr als die Hälfte auch körperliche Unruhe. Im
Verhalten der Schüler:innen sehen Lehrkräfte aktuell die größte
Herausforderung für ihre Arbeit – noch vor der eigenen Arbeitsbelastung,
dem Lehrkräftemangel oder der Bürokratie.
## Fehlende Teilhabe
Laut Wolf sind die Auffälligkeiten bei den Schüler:innen auch auf die
Armut zurückzuführen. Fehlendes Geld im Elternhaus verhindere die Teilhabe
junger Menschen am sozialen und kulturellen Leben. Das habe auch
Auswirkungen auf die psychosoziale Gesundheit der Schüler:innen. Ähnlich
sieht es Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstitutes in
München. „Wir sehen, wie stark verbreitet Armut ist“, sagte Walper. „Und
wir sehen, wie weit Armut in die Schule hineinragt“.
Dass die psychische Belastung bei Kinder und Jugendlichen steigt, sei schon
vor der Pandemie zu sehen gewesen. Die [2][soziale Isolation während der
Pandemie] habe diese Entwicklung aber verschärft. Heute kämen Krieg,
Inflation und Klimakrise hinzu. Es müsse aufhorchen lassen, dass
Deutschland bei der Zufriedenheit junger Menschen mittlerweile zu Europas
Schlusslichtern zähle.
Tatsächlich hat die Unicef vergangene Woche einen entsprechenden Bericht
veröffentlicht – und [3][vor steigender Kinderarmut in Deutschland]
gewarnt. Mehr als 1,3 Millionen wüchsen mit dem Risiko auf, dauerhaft in
Armut zu leben. Sabine Walper fordert die Politik auf, mehr in Bildung zu
investieren und die Schulsozialarbeit zu stärken. Vor allem an Schulen in
schwieriger sozialer Lage.
## Teilzeitkräfte bereit, aufzustocken
Ein anderes Ergebnis des Barometers dürfte die Ministerien hingegen freuen.
Trotz der wahrgenommenen hohen Arbeitsbelastung sind zwei Drittel der
Teilzeitlehrkräfte bereit, ihre Stelle aufzustocken. Allerdings knüpfen sie
daran bestimmte Bedingungen. So verlangen sie etwa, dass auch Arbeitszeit
außerhalb des reinen Unterrichtens berücksichtigt wird und ihnen
bürokratische Aufgaben abgenommen werden.
Der Bildungsexperte und früherer Staatssekretär für Bildung im Berliner
Senat Mark Rackles erkennt in diesen Bedingungen ein klares Signal an die
Kultusministerkonferenz (KMK), dass sie mit Zwang auf „dem Holzweg“ sind.
Rackles spielt damit auf ein wissenschaftliches Gutachten des Ständigen
Wissenschaftlichen Kommission an, dass der KMK empfahl, wegen der
Personalkrise [4][die Teilzeitquote von Lehrkräften zu senken].
Manche Bundesländer haben daraufhin strengere Regeln für Teilzeit
eingeführt oder [5][die Unterrichtsverpflichtung erhöht]. „Die Ergebnisse
des Schulbarometers zeigen, dass es mit Zwang nicht klappen kann“, folgert
Rackles. Sondern nur, wenn die Politik das Arbeitszeitmodell für Lehrkräfte
ändere und die Arbeitsbelastung reduziere.
Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Nicole
Gohlke, wirft der Bundesregierung vor, die Augen vor den Zuständen an
Schulen zu verschließen. Mit Blick auf das Schulbarometer sagte sie: „Statt
anzupacken und die Probleme in den Griff zu kriegen, ist die
Bundesregierung in ihren kulturkämpferischen Attitüden um die Erhaltung des
Status quo der sozialen Spaltung in der Gesellschaft und im Bildungssystem
bemüht“, sagt Gohlke.
Um die drängenden Probleme an Schulen anzugehen und die Chancengleichheit
zu erhöhen, fordert die Linkspartei ein [6][100-Milliarden-Sondervermögen]
für Bildung.
20 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/das-deutsche-schulbarometer
[2] /Corona-und-psychische-Gesundheit/!5911066
[3] https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/bericht-kinder-in-deut…
[4] /Teilzeitquote-an-Schulen/!5908091
[5] /Lehrkraeftemangel-in-Sachsen-Anhalt/!5911996
[6] /Zukuenftig-eine-Schule-fuer-alle/!5958082
## AUTOREN
Ralf Pauli
## TAGS
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