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# taz.de -- Bildungsministerin über Personalmangel: „Die Last auf alle verte…
> In Sachsen-Anhalt sollen Lehrkräfte ab März eine Stunde mehr
> unterrichten. Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) verteidigt das – als
> „Vorverlagerung“ von Arbeit.
Bild: Im Februar demonstrierten Lehrkräfte in Magdeburg gegen die Pläne der L…
taz: Frau Feußner, in diesem Schuljahr ist die Unterrichtsversorgung in
Sachsen-Anhalt auf einen historischen Tiefstand gerutscht, besonders viele
Lehrkräfte stehen kurz vor der Pension und bei der Digitalisierung landen
Ihre Schulen im Ländervergleich auf dem vorletzten Platz. Wo möchten Sie am
Ende Ihrer Amtszeit stehen?
Eva Feußner: Die Situation in Sachsen-Anhalt ist tatsächlich nicht ganz
unkritisch. Bei der Digitalisierung sind die Mittel vom Digitalpakt
weitestgehend bewilligt, aber bei der Umsetzung hakt es. Teilweise finden
die Träger vor Ort auch keine entsprechenden Firmen. Immerhin haben wir
jetzt so gut wie alle Schulen ans Glasfasernetz angeschlossen, da sind wir
bundesweit an der Spitze.
Und bei den Personalsorgen?
Die Altersstruktur unserer Lehrkräfte wird uns natürlich noch ein paar
Jahre herausfordern. Um die Lücke zu schließen, die die Pensionierungen
nach sich ziehen, haben wir in den vergangenen Jahren viele junge
Lehrkräfte eingestellt und die Plätze für das Lehramtsstudium an den beiden
Universitäten des Landes von 600 auf 1200 stark erhöht. Die niedrige
Unterrichtsversorgung von 93,5 Prozent ist natürlich alles andere als
zufriedenstellend. Mein Ziel ist es weiterhin, eine Unterrichtsversorgung
von mindestens 100 Prozent zu erreichen. Dafür haben wir entsprechende
Maßnahmen ergriffen.
Eine dieser Maßnahmen [1][verdonnert alle Lehrkräfte] ab Mitte März zu
einer Stunde mehr Unterricht pro Woche – viele Lehrer:innen empfinden
das als Zumutung, nicht nur in Sachsen-Anhalt. Was entgegnen Sie?
Das volle Verständnis habe ich auch nicht erwartet, das sage ich Ihnen ganz
offen und ehrlich. Es handelt sich aber nicht um eine Erhöhung der
Arbeitszeit, sondern um eine Vorverlagerung. Die Lehrkräfte können sich die
Mehrstunden ausbezahlen lassen oder später in Freizeit ausgleichen. Wir
haben auch die Unterrichtsverpflichtung mit der in anderen Bundesländern
verglichen. Bei uns liegt sie, etwa im Vergleich zu den westdeutschen
Ländern, relativ niedrig. Daher muss ich um Verständnis bitten. Wir haben
auch eine Verpflichtung gegenüber den Schülerinnen und Schülern, ihnen die
bestmögliche schulische Ausbildung zu ermöglichen.
Vom Personalmangel sind vor allem Grund- oder Hauptschulen auf dem Land
betroffen. Sie haben angekündigt, Gymnasiallehrkräfte für die Extrastunde
an andere Schulen abordnen zu wollen. Wie soll das konkret funktionieren?
Auch in der Schulform des Gymnasiums können bereits nicht mehr alle Bedarfe
ausbildungskonform besetzt werden. Insofern müssen wir vor Ort mit den
Schulleitern und den Lehrkräften besprechen, wer überhaupt an eine andere
Schule abgeordnet werden kann. Wir haben aber auch die Möglichkeit, für
Abordnungen Zulagen zu zahlen. Wenn sich zum Beispiel ein Gymnasiallehrer
freiwillig verpflichtet, für eine längere Zeit in eine Schule zu gehen, die
überdimensional hohen Mangel hat, kann er mehrere Zulagen erhalten. Ich bin
optimistisch, dass wir von der Vorgriffstunde profitieren werden.
Wirkungsvolle Ergebnisse werden wir aber wahrscheinlich erst zum neuen
Schuljahr erzielen können.
Es gibt Stimmen, die sagen: Es ist wahrscheinlicher, dass Sie
Krankschreibungen erhalten werden denn zusätzlichen Unterricht.
Ich finde es hochproblematisch, wenn Angestellte oder Beamte im
öffentlichen Dienst eine Krankschreibung mit Ansage machen. Natürlich kann
es sein, dass die eine oder andere Lehrkraft wirklich sehr belastet ist. Da
vertraue ich auf das Fingerspitzengefühl unserer Schulleitungen.
Aber wie soll das klappen: Überlasteten Lehrkräften noch eine Stunde mehr
aufbrummen und Sie gleichzeitig vor Burnout schützen? Die Ständige
Wissenschaftliche Kommission (SWK) hat kürzlich angemahnt, dass die Länder
die Gesundheitsvorsorge für Lehrkräfte ernster nehmen müssen.
Das tun wir auch. Vor kurzem haben wir für alle Schulen einen
Gesundheitspräventionstag eingeführt, an dem Lehrkräfte während der
Schulzeit teilnehmen. An diesem Tag sollen die Beschäftigten zum Themenfeld
Arbeits- und Gesundheitsschutz sensibilisiert, beraten und informiert
werden. Ich sehe auch, dass die Schulen in den letzten Jahren immer mehr
Aufgaben übernehmen mussten. Vielleicht müssen wir uns als Gesellschaft
auch die Frage stellen, was Schule alles leisten muss und kann und was
nicht.
Viele Lehrkräfte springen tagtäglich für kranke Kolleg:innen ein oder
übernehmen freiwillig ein anderes Fach. Haben Sie keine Sorge, dass Sie
engagierte Lehrkräfte mit Ihrer Zwangsmaßnahme vergraulen – und nun
häufiger Dienst nach Vorschrift erhalten?
Es ist eben genau das große Ziel, die Last auf alle Schultern zu verteilen,
um diejenigen, die bereits jetzt sehr viel mehr leisten, nicht
überzustrapazieren.
Der Jenaer Sozialwissenschaftler Roland Merten [2][hat kürzlich behauptet],
es gäbe gar keinen Lehrer:innenmangel. Man müsse nur den Lehrkräften die
Abminderungsstunden für Klassenleitung oder Einarbeitung für Referendare
streichen, dann wäre der Unterricht schon gesichert. Überzeugt Sie diese
These?
Jein. Rein theoretisch stimmt das: Würde ich alle Abminderungsstunden
streichen, hätte ich rein rechnerisch eine Unterrichtsversorgung von 100
Prozent. Jetzt sind wir aber wieder bei der Lastenverteilung. Ich kann
nicht nur diejenigen belasten, die ohnehin schon wichtige Aufgaben neben
dem Unterricht übernehmen. Dieser Vorschlag bringt uns also nicht weiter.
Wir sollten Lehrkräfte eher von bürokratischen Aufgaben entlasten. In der
vergangenen Legislatur haben wir ein Modellprojekt mit
Schulverwaltungsassistenten gestartet, heute haben wir dafür 50 Stellen im
System. Bei mehr als 800 Schulen ist das erst mal ein geringer Anteil. Aber
das Programm wollen wir ausbauen.
Bildungsforscher:innen empfehlen zur Sicherung des Unterrichts,
[3][weniger Lehrkräften Teilzeit zu gewähren]. Sachsen und
Nordrhein-Westfalen planen zum Sommer entsprechend striktere Regeln. Was
halten Sie von dieser Maßnahme?
In Sachsen-Anhalt können wir darüber nicht viel drehen, denn wir haben
bereits die geringste Teilzeitquote aller Bundesländer und sind schon sehr
restriktiv. Wir gewähren Teilzeit im Grunde nur für die Betreuung und
Pflege von Kindern oder im häuslichen Umfeld und aus gesundheitlichen
Gründen – so wie es das Bundesgesetz vorsieht.
Sie versuchen jetzt schon vieles, um an neue Lehrkräfte zu kommen: Sie
setzen Headhunter ein, erlauben Masterstudierenden, regulär vor der Klasse
zu stehen, und locken neuerdings angehende Lehrkräfte mit Stipendien auf
Land. Wie erfolgreich sind die Maßnahmen bisher?
Für manche unserer Maßnahmen sind wir belächelt worden. Vor allem die Idee
mit den Headhuntern. Heute kann ich sagen: Das hat sich wirklich gelohnt.
Bisher haben wir auf diesem Weg über 90 Lehrkräfte eingestellt. Bei 1000
bis 1200 Einstellungen inklusive Seiteneinsteigern im Jahr ist das schon
eine ordentliche Größe. Deshalb nehmen wir noch mal mehr Geld für die
Rekrutierung von Lehrkräften in die Hand und werden in einem nächsten
Schritt Lehrkräfte auch weltweit rekrutieren.
Aber dennoch reicht das nicht, um Ihre Bedarfe zu decken.
Leider nein. Zurzeit haben wir knapp 850 nicht besetzte Stellen. Uns hängt
bis heute nach, dass wir nach der Wende zu viele Lehrkräfte hatten und
deshalb bis Mitte der 2000er Jahre zu wenige Personen eingestellt haben.
Diese Lücken können wir nicht so schnell aufholen.
Eine [4][aktuelle Studie] zeigt, dass die Zahl der Lehramtsstudierenden
trotz steigender Studienplätze kontinuierlich abnimmt. Muss der
Umkehrschluss nicht lauten: Wir machen den Beruf wieder attraktiver!
Das ist eine schöne These. Ich würde entgegnen: Wir haben ein
demografisches Problem. Es fehlen ja nicht nur Lehrer. Es fehlen
Ingenieure, Pflegekräfte, Ärzte. In Sachsen-Anhalt haben wir 5.600
Abiturienten im Jahr – und von denen sollen allein 1.200 Lehramt studieren?
Wie soll das gehen? Dieses demografische Problem müssen wir
gesamtgesellschaftlich angehen.
Wie denn?
Zum Beispiel, indem man das Lehramtsstudium praxisnah gestaltet. Aktuell
sitzen angehende Lehrkräfte und Mathematikstudenten gemeinsam in der
Vorlesung. Für die Grund- und Sekundarschulen ist dieser wissenschaftliche
Anspruch viel zu hoch. Wir müssen uns orientieren an dem, was Lehrkräfte
wirklich brauchen – und das ist vor allem Praxisorientierung. Deshalb
testen wir ab dem Wintersemester 23/24 ein duales Studium. Dabei werden die
Anwärter sofort beim Land angestellt und kommen früher mit Schülerinnen und
Schülern in Kontakt.
Für die hohen Abbrecherquoten muss es doch noch andere Gründe geben. An der
Uni Halle, wo in Sachsen-Anhalt der Großteil der Lehrkräfte ausgebildet
wird, schließt nicht mal mehr jeder Zweite das Studium ab. Was ist Ihre
Erklärung?
Die Universität arbeitet gerade daran, die genauen Gründe dafür
herauszufinden. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Pandemie hierbei
eine Rolle gespielt hat. Die hohe Abbrecherquote macht aber auch mir
Sorgen. Wir müssen das Studium wieder attraktiver machen, etwa indem wir
neue Fächerkombinationen zulassen und auch die Werbung für das Lehramt
intensivieren. Mit unserem Weltenretter-Stipendium fördern wir jetzt
angehende Lehrkräfte mit 600 Euro im Monat, wenn sie dafür später für eine
gewisse Zeit in einer Bedarfsregion arbeiten.
Angenommen, Ihre Maßnahmen fruchten nicht und die Unterrichtsversorgung
verschlechtert sich weiter: Kommt dann im kommenden Schuljahr
flächendeckend die Viertagewoche, die Sie gerade an zwölf Modellschulen
testen?
Zunächst müssen wir die Erfahrungen der beteiligten Schulen auswerten und
gucken, was funktioniert und was nicht. Da gibt es ja sehr unterschiedliche
Modelle. Die einen machen am fünften Tag einen Praxistag, andere hybride
Angebote oder mehr Selbstlernzeiten. Andere haben vor allem die
Unterrichtsstunden neu verteilt. Ob davon etwas für den flächendeckenden
Einsatz in Frage kommt, kann ich jetzt noch nicht sagen. Fragen Sie im
neuen Schuljahr noch einmal nach.
22 Feb 2023
## LINKS
[1] /Lehrkraeftemangel-in-Sachsen-Anhalt/!5911996
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/schule-unterrichtsausfall-studie-…
[3] /Teilzeitquote-an-Schulen/!5908091
[4] /Studie-zu-Lehrerinnenmangel/!5900697
## AUTOREN
Ralf Pauli
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