| # taz.de -- Deutschlands Bildungsmisere: Der Kanzler muss eingreifen | |
| > Wohlhabende Länder blockieren eine gerechte Verteilung von | |
| > Bundesmilliarden für Bildung. Einem sozialdemokratischen Kanzler darf das | |
| > nicht egal sein. | |
| Bild: Mit dem Startchancenprogramm möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen … | |
| An den deutschen Bundeskanzler werden naturgemäß viele Anliegen | |
| herangetragen, so auch diese Woche. Olaf Scholz möge die Flüchtlingspolitik | |
| in die Hand nehmen, Olaf Scholz dürfe sich nicht mit Benjamin Netanjahu | |
| treffen. Eine bemerkenswerte Forderung stellte diese Woche ein Bündnis aus | |
| Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften auf: Der Kanzler müsse Bildung zur | |
| Chefsache machen – und einen richtigen Bildungsgipfel einberufen. Mit | |
| Ministerpräsident:innen und Abschlusserklärung. Damit nicht wieder | |
| so eine laue Veranstaltung herauskommt wie soeben in Berlin. | |
| Zur Erinnerung: Die [1][Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger | |
| (FDP)] hatte Länder und Kommunen, Wissenschaft und Schulcommunity am | |
| Dienstag und Mittwoch zum Krisentreffen gebeten. Eine „bildungspolitische | |
| Trendwende“ wollte sie einleiten und die Kompetenzen zwischen Bund und | |
| Ländern neu regeln. Beides ist gründlich schiefgegangen. Die Länder blieben | |
| – bis auf zwei – dem Gipfel fern, Beschlüsse wurden nicht gefasst. Außer | |
| man lässt die Ankündigung einer Taskforce gelten, die irgendwann Vorschläge | |
| zu drängenden Schulproblemen machen soll. Dabei müsste auch Stark-Watzinger | |
| klar sein, dass man mit Arbeitskreisen keine Schulabbrecherquoten senkt | |
| oder sozial benachteiligten Kindern hilft. Der Gipfel hat offenbart, dass | |
| nicht nur das Bildungssystem in einer Krise steckt – sondern auch die | |
| Bildungspolitik. | |
| Gut möglich, dass eine Einladung aus dem Kanzleramt (und eine frühzeitige | |
| Einbindung der Länder) eine andere Resonanz erzeugt hätte – am Ergebnis | |
| hätte das wohl wenig geändert. Dazu verhalten sich manche Länder zu oft zu | |
| starrsinnig. Diese Erfahrung hat schon Angela Merkel machen müssen, als sie | |
| 2008 einen „richtigen“ Bildungsgipfel ausrief – und auf offener Bühne von | |
| den Länderfürsten vorgeführt wurde, auch aus der eigenen Partei. Ihr | |
| Versprechen, das Bildungsbudget bis 2015 auf zehn Prozent des BIP zu | |
| hieven, konnte Merkel bekanntlich nicht einhalten. | |
| Brennpunktschulen stärken | |
| All das weiß Olaf Scholz natürlich. Er ist zu schlau, um sich in föderale | |
| Grabenkämpfe hineinziehen zu lassen. Dennoch könnte sich für den Kanzler | |
| eine Intervention lohnen. Denn die Sturheit der Länder – aktuell Sachsen | |
| und Bayern – ist geeignet, das zentrale Bildungsversprechen seiner | |
| Regierung zu torpedieren. | |
| Mit dem [2][Startchancenprogramm] möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen | |
| stärken, ab dem Schuljahr 2024/25 soll es losgehen. Markus Söder und | |
| Michael Kretschmer aber wollen partout nicht einsehen, dass die geplanten | |
| Bundesmilliarden nach sozialen Kriterien verteilt werden. | |
| Bildungsforscher:innen halten das für dringend notwendig. Auch | |
| Stark-Watzinger hat eine Mittelvergabe nach Gießkanne – also nach | |
| Königsteiner Schlüssel, der sich nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft | |
| bemisst – ausgeschlossen. Bayern und Sachsen aber beharren auf ihrem | |
| gewohnten Stück vom Kuchen, obwohl andere Länder das Geld dringender | |
| brauchen. | |
| Der Kompromiss, auf den sich die Bildungsminister:innen jetzt bei | |
| ihrem KMK-Treffen am Donnerstag geeinigt haben, sieht vor, dass nur fünf | |
| Prozent der Mittel direkt in die bedürftigsten Schulen fließen sollen. Dazu | |
| soll ein „Solidarfonds“ eingerichtet werden, von dem dann die Länder mit | |
| den meisten sozialen Brennpunkten, also Bremen, Berlin, Hamburg und | |
| Nordrhein-Westfalen, profitieren sollen. Zumindest ganz ein kleines | |
| bisschen. Der größte Teil des Kuchens wird zerbröselt und schön gleichmäß… | |
| über das Bundesgebiet verstreut. | |
| [3][Stark-Watzinger] darf diesen Vorschlag nicht akzeptieren – und Scholz | |
| muss sie darin unterstützen. Zu sehr konterkariert der KMK-Vorschlag das | |
| eigentliche Programmziel. Außerdem wäre die Glaubwürdigkeit der Ampel | |
| dahin, die aus den Fehlern vergangener Bund-Länder-Programme – siehe | |
| „Aufholen nach Corona“ – lernen und die Mittel gezielter verteilen wollte. | |
| Dorthin, wo sie benötigt werden. Und nicht, wo in diesem Jahr Wahlkampf | |
| stattfindet. All das sollte Scholz motivieren, bei der Bildungspolitik ein | |
| Machtwort zu sprechen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit natürlich. | |
| Wie wäre es damit: Der Kanzler macht dem Finanzminister klar, dass bei den | |
| Bildungsversprechen kein Rotstift angesetzt wird (kleiner Tipp: | |
| Investitionen in soziale Gerechtigkeit machen sich auch volkswirtschaftlich | |
| bezahlt!). Den Ländern garantiert er, dass alle Bildungsvorhaben wie der | |
| Digitalpakt 2.0 nun im „Deutschlandtempo“ angepackt werden. Und | |
| Stark-Watzinger gibt er freie Hand, kompromisslos zu verhandeln. Wenn die | |
| Länder all die Milliarden vom Bund wollen, müssen sie mehr bieten als 5 | |
| Prozent. Jedes Prozent mehr macht das Land gerechter. Wenn Deutschland | |
| nicht dafür einen sozialdemokratischen Kanzler hat – wofür dann? | |
| 19 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zusammenarbeit-von-Bund-und-Laendern/!5922278 | |
| [2] /Ampelplaene-fuer-Bildungsgerechtigkeit/!5895419 | |
| [3] /Bettina-Stark-Watzinger-ueber-Bafoeg-Reform/!5851960 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
| ## TAGS | |
| Föderalismus | |
| Schule | |
| Bildung | |
| GNS | |
| Bettina Stark-Watzinger | |
| Frühkindliche Bildung | |
| Bildungssystem | |
| Schule | |
| Lehrerinnen | |
| Bildungssystem | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Lehrerverbandschef über Bildungskrise: „Ein ganz schlechtes Omen“ | |
| Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger ist ein gefragter Schulexperte. | |
| Nun gibt er sein Amt ab. Zum Abschied nimmt er die Politik in die Pflicht. | |
| FDP über Initiative Finanzielle Bildung: Klientelpolitik der alten Schule | |
| Die FDP will 2 Millionen Euro für mehr finanzielle Bildung an Schulen zur | |
| Verfügung stellen. Zu anderen Themen wie Umwelt oder Politik schweigt sie. | |
| Zusammenarbeit von Bund und Ländern: Viel Kritik für Bildungsgipfel | |
| Das Gipfeltreffen mit Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger wird von den | |
| meisten Ländern boykottiert. Auch die bisherigen Ergebnisse überzeugen kaum | |
| jemanden. | |
| Maßnahmen gegen Lehrkräftemangel: Her mit den Lehrkräften! Aber wie? | |
| Zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels gehen die Länder teils | |
| unterschiedliche Wege. Doch welche Ideen gibt es, außer immer mehr | |
| Quereinsteiger:innen? | |
| Ampelpläne für Bildungsgerechtigkeit: Verspätete Chancen | |
| Die Ampelkoalition setzt ihr zentrales Bildungsversprechen für mehr | |
| Chancengleichheit frühestens 2024 um. Noch sind viele strittigen Fragen | |
| offen. |