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# taz.de -- Pressefreiheit in Gefahr: Unter Druck
> Gewalt gegen Journalist:innen hat massiv zugenommen. Vor allem auf
> Querdenker-Demos kommt es immer wieder zu Übergriffen. Woher rührt der
> Hass?
Bild: Demonstration in Berlin gegen die „Coronamaßnahmen“, rechte Teilnehm…
Leipzig, am Abend des 7. November 2020. Es ist dunkel, die Menschen sind zu
einer Masse geworden. Sie schreien, fuchteln mit den Armen. Flaschen
fliegen, Feuerwerkskörper explodieren. Plötzlich durchbricht eine Gruppe
aggressiver Demonstrant:innen die Polizeikette. Die Beamt:innen sind
überfordert, die Masse am Toben. Mittendrin stehen Journalist:innen –
von Zeitungen, von öffentlich-rechtlichen Sendern, freischaffend.
Einige von ihnen pressen sich mit dem Rücken gegen einen Polizeiwagen, der
den einzigen Schutz im Chaos zu bieten scheint. Sie suchen einen Ausweg,
aber sind umzingelt: In allen Richtungen sammelt sich der Mob, die Polizei
schaut zu, wie er grölend über die Straße zieht. Die Journalist:innen
werden beschimpft, als „GEZ-Huren“ oder „Volksverräter.“ Sie werden
geschubst, bespuckt, bedroht.
[1][Es ist eine Demonstration der selbsternannten Querdenker], einer
Mischung aus Hippies in Pluderhosen, Esoteriker:innen, Reichsbürger:innen,
Familien und Senior:innen, aber auch Führungskadern rechter Parteien,
Jungnazis, Hooligans, organisierter Rechtextremer aus ganz Deutschland. Sie
eint der Hass auf die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung.
Vor den Augen der Polizei werden an diesem Tag [2][zahlreiche
Medienvertreter:innen angegriffen], später berichten sie von
Schlägen ins Gesicht, Griffen in die Kamera, physischen und verbalen
Bedrohungen. Mindestens ein Journalist wurde zu Boden geprügelt und am
Boden liegend auf den Kopf geschlagen.
Mittendrin steht an diesem Abend Andrea Röpke. Röpke, 56, ist mehrfach
ausgezeichnete freie Journalistin und schreibt seit Jahren über die extreme
Rechte, auch für die taz. Sie kennt die Netzwerke, Organisationen und
Personen wie kaum eine andere in Deutschland. Und sie kennt die Arbeit auf
Demonstrationen, die Anfeindungen, die Bedrohungen.
Doch auch sie steht an diesem Abend fassungslos vor der Masse – „in der
Falle sitzend“, wie sie es zwei Monate später beschreibt. „Es war kurz
davor, dass der gesamte Mob prügelt und nicht nur Einzelne“, sagt Röpke.
Die unvorbereitete und unterbesetzte Polizei habe die Journalist:innen
„zum Freiwild“ werden lassen. An ein Wunder grenze es, dass nicht mehr
passiert sei.
43 Angriffe auf Medienvertreter:innen zählt die Deutsche Journalistinnen-
und Journalisten Union (dju) allein für diesen Tag. Ein
Gewerkschaftssekretär, der die Demo miterlebt hat, sagt, die Gewalt und
Bedrohungen gegen Journalist:innen hätten an diesem Abend eine neue
Qualität bekommen.
Der Abend in Leipzig fügt sich ein in einen Trend: Die Gewalt gegen
Journalist:innen hat 2020 massiv zugenommen. Die Bundesregierung hat im
Januar auf eine Kleine Anfrage der Grünen geantwortet: 252 Angriffe auf
Journalist:innen habe es im Jahr 2020 gegeben. Das sind mehr als
doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Darunter waren Beleidigung, Bedrohung,
Sachbeschädigung, Körperverletzung, Brandstiftung, Raub. 144 der Angriffe
waren rechts motiviert, 42 links. Die meisten passierten in Sachsen,
gefolgt von Berlin und Nordrhein-Westfalen.
Auch andere Organisationen beobachten, dass die Zahl der Angriffe
zugenommen hat. Reporter ohne Grenzen zählte so viele Angriffe wie nie
zuvor. Bei ihrer Gewerkschaft meldeten sich mittlerweile fast wöchentlich
Journalist:innen, um von Übergriffen zu berichten, sagt Monique Hofmann,
die Bundesgeschäftsführerin der dju, der Deutschen Journalistinnen- und
Journalisten-Union innerhalb der Großgewerkschaft Verdi.
Am vergangenen Wochenende passierte das in [3][Kassel], [4][Würzburg] und
[5][Dresden]. Am Wochenende davor in Hannover und München – immer am Rande
von Coronademos. Man kann fast sagen: Da, wo derzeit gegen Coronamaßnahmen
demonstriert wird, werden Journalist:innen bedrängt.
Was bedeuten diese Zahlen? Warum wächst die Feindseligkeit gegenüber Medien
in Deutschland? Und welche Auswirkungen hat das auf die Demokratie, für die
die freie Presse unverzichtbar ist?
## Aufstieg eines Begriffs
Es gibt noch eine Zahl aus dem Jahr 2020, die überraschend ist. Sie
beschreibt das [6][Vertrauen in die Medien]. Rund zwei Drittel der
Deutschen halten die Berichterstattung der Qualitätsmedien für glaubwürdig.
Das ist so viel wie nie seit 2015. Damals begann Infratest Dimap im Auftrag
des Westdeutschen Rundfunks, regelmäßig das Vertrauen in Medien zu erheben.
Die jüngste repräsentative Studie dazu aus dem vergangenen Herbst ergab
Rekordwerte: 80 Prozent der Deutschen halten den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk für sehr vertrauenswürdig, Tageszeitungen werden von 74 Prozent
als glaubwürdig eingestuft. Vier von fünf Befragten finden die
Coronaberichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „gut“ oder
„sehr gut“.
Wie kann es sein, dass mehr Menschen denn je den Medien vertrauen,
Journalist:innen aber gleichzeitig auf so viel Gewalt und Ablehnung
stoßen wie noch nie?
Um das zu verstehen, muss man genauer dahin schauen, wo die Gewalt
tatsächlich passiert: auf Demonstrationen und im Netz.
„Lügenpresse“ ist dafür der zentrale Begriff. Er hat seinen Ursprung im 1…
Jahrhundert. Damals waren es vor allem erzkonservative Katholiken, die mit
dem Wort jene liberal, demokratisch gesinnte Presse denunzieren wollten,
die im Zuge der März-Revolution entstanden war. Schon damals hatte der
Begriff einen antisemitischen Grundton. Das Wort trug sich weiter durch die
zwei Weltkriege, verschwand nach 1945 aber weitgehend, zumindest aus der
bundesrepublikanischen Debatte.
Seit den 2000er Jahren haben vor allem neonazistische Kreise das Wort
wieder entdeckt. Im Oktober 2014 riefen hunderte Neonazis und Hooligans bei
einer gewalttätigen Demonstration der [7][„Hooligans gegen Salafisten“]
immer wieder: „Lügenpresse auf die Fresse“. In der breiten Bevölkerung fa…
der Begriff aber kaum Verwendung – bis Januar 2015. Eine Auswertung der
Google-Anfragen zeigt, dass die Suche nach dem Wort „Lügenpresse“ in diesem
Monat sprunghaft anstieg. Gesucht wurde er vor allem in Thüringen, Sachsen
und Sachsen-Anhalt. Es war der Beginn der Pegida-Proteste und ihrer
Ableger.
Der vorbestrafte Pegida-Chef Lutz Bachmann, der sich selbst damit brüstete,
„Leser-Reporter“ der Bild-Zeitung gewesen zu sein, war einer derer, der den
Begriff Ende 2014 in Dresden säte. Pegida machte die Ablehnung der
etablierten Medien zu einem ihrer großen Themen. „Lügenpresse“ stand auf
Plakaten, an Wänden und auf Aufklebern, schallte durch die Straßen. Die
Behauptung, die Medien wären staatsgeleitet oder würden Lügen verbreiten,
fand Anklang, der Hass auf Journalist:innen wuchs.
Der Hass heute ist ein anderer als zur Zeit der 68er, in der der
Axel-Springer-Verlag im Fokus von Angriffen stand: Springer kontrollierte
damals mehr als 70 Prozent der Tageszeitungen in Westberlin und hatte eine
Meinungsmacht, die viele heftig kritisierten. Springer-Journalisten nannten
die Protestierenden in ihren Kommentaren und auf den Titelseiten
„Polit-Gammler“, „langbehaarte Affen“ und „Rote SA“. Die Bild-Zeitu…
schrieb, man solle die „Drecksarbeit“ gegen den „Terror der Jung-Roten“
nicht allein der Polizei überlassen, und illustrierte den Artikel mit einem
Foto von Rudi Dutschke. Kurz danach wurde Dutschke niedergeschossen.
Mehrere tausend Demonstrant:innen riefen daraufhin zum Boykott und zur
Enteignung von Springer auf, sie blockierten den Vertrieb der Bild-Zeitung
und verbrannten einzelne Ausgaben. Vier Jahre später deponierten Mitglieder
der Roten Armee Fraktion eine Rohrbombe im Axel-Springer-Hochhaus in
Hamburg.
In den Jahren nach 1968 entstand auch die taz, als ein Versuch, dem
Springer’schen Meinungsmonopol etwas entgegen zu stellen. „Die TAZ wird
Säure werden müssen, um gesellschaftliche, politische und persönliche
Verkrustungen wegätzen zu können“, [8][stand in der ersten Ausgabe im April
1979] – ein Duktus, den man heute eher auf den Blogs und in den Chats von
Rechten und organisierten Neonazis findet.
Die Gewalt gegen Medienschaffende heute ist anders als die der 68er
Bewegung. Sie richtet sich nicht mehr gegen ein konkretes Medium, einen
Verlag oder Sender. Sie kann alle treffen, die mit Kamera oder Mikro als
Journalist:innen erkennbar am Rande einer Demo stehen.
Und auch das ist anders als in den Jahren nach 1968: Heute geht die Gewalt
gegen die Presse vor allem von rechts aus. Rund 60 Prozent der Angriffe auf
Journalist:innen im vergangenen Jahr waren rechts motiviert, nur etwa
15 Prozent links. Das zeigen die Zahlen der Bundesregierung. Andere
Erhebungen kommen auf einen noch höheren Anteil von rechtsmotivierten
Angriffen auf Medien.
Andrea Röpke sagt, seit den Anti-Asyl-Demos von Pegida und ähnlichen
Bewegungen sei eine andere Mischung an Menschen auf der Straße. Die
bürgerlichen Demonstrant:innen würden sich von rechtsextremen Hooligans
nicht distanzieren. „Die finden es anscheinend okay, wenn sich Gewalttäter
aus der rechten Hooliganszene an ihre Spitze stellen und sind sich nicht zu
schade, nachzurücken und selbst Gewalt auszuteilen.“ Das konnte man auch
auf den großen Anti-Corona-Demos im vergangenen Jahr beobachten. Da mischte
sich die organisierte Rechte mit einem vermeintlich bürgerlichen Milieu.
Auch Röpke wird immer wieder von Menschen bedroht, die sich außerhalb einer
organisierten Neonazi-Szene bewegen. 2019 hat sie gemeinsam mit Andreas
Speit das Buch „Völkische Landnahme“ herausgebracht. Sie schreibt darin
über die nicht klassischen rechtsextremen Hooligans, eher „fest verankerte
Bildungsbürger“ wie Röpke sagt, „junge Siedler, rechte Ökos“.
Es gibt ein Video eines rechten Youtubers von einer Buchvorstellung Speits
im Oktober 2020. Etwa zehn Menschen stehen im Kreis vor dem
Veranstaltungsort, sie singen alte deutsche Volkslieder. Das Video blendet
über, eine Hand hält das Buch von Röpke und Speit, die andere zündet es an.
Etwa eine Minute lang sieht man dabei zu, wie das Buch langsam verbrennt,
im Hintergrund der Gesang der Völkischen. Bücherverbrennung im Jahr 2020.
„Das ist eine Ansage“, sagt Röpke. Mit über einem Dutzend Abmahnversuchen
und diversen Klagen von einer umstrittenen Kanzlei sollte die öffentliche
Diskussion erschwert werden – bislang ohne Erfolg. Die Post der rechten
Kläger kam teilweise sogar an ihre Privatadresse. Für Röpke ein gezieltes
Vorgehen. „Sie wollen zeigen: Wir wissen, wo du wohnst.“
Solche Ansagen bekommen auch andere Journalist:innen, die zu rechten
Netzwerken recherchieren, nach Hause geschickt. Einen vergammelten
Schweinekopf im DHL-Paket, eine Drohung mit roter Farbe an die Haustür
geschrieben, Erpresserbriefe, unterschrieben mit „Staatsstreichorchester“
oder „NSU 2.0“.
Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, das ECPMF in
Leipzig, dokumentiert die Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland.
Bereits vergangenes Jahr kamen die Forscher:innen in einer
Fünf-Jahres-Bilanz zu dem Schluss: „Angriffe auf die Presse sind inzwischen
der Normalzustand.“ Demonstrationen, zeigt die Studie, sind in Deutschland
der gefährlichste Ort für Journalist:innen.
Auch die in dieser Woche erschienene [9][Studie „Feindbild Journalist“ des
ECPMF] zeigt einen neuen Rekord im Hinblick auf die Zahlen der politisch
motivierten Übergriffe auf Journalist:innen. 69 Angriffe zählen sie im Jahr
2020 – ein Anstieg um das Fünffache im Vergleich zum Vorjahr und so viel
wie nie zuvor seit Beginn der Erhebung vor sechs Jahren. 71 Prozent der
Angriffe erfolgten auf „pandemiebezogenen Veranstaltungen.“
Die Studie zählt 31 Angriffe mit rechtem Tatzusammenhang, fünf mit linkem
und 33, die politisch nicht eindeutig anhand der Rechts-Links-Skala
verordnet werden können. Ein Effekt der „breiten Allianz aus
Verschwörungsgläubigen, Reichsbürger:innen, Neonazis und Esoteriker:innen.“
Lutz Kinkel ist Geschäftsführer des ECPMF und selbst Journalist. Er
beobachtet die Entwicklungen mit Sorge. Kinkel sagt, er sei „fassungslos,
mit welchem eliminatorischen Elan“ der radikalisierte Diskurs und
insbesondere die Hetze im Netz passiert. Will er beschreiben, was da
passiert, zitiert er einen polnischen Journalisten: „The pleasure to hate.“
– Die Lust am Hass. Die Presse, so Kinkel, werde zunehmend nicht mehr als
demokratisches Element gesehen.
„Durch die digitale Transformation sind Journalistinnen und Journalisten
keine Gatekeeper mehr“, sagt Kinkel. Jeder könne sich im Netz äußern,
Journalist:innen entschieden nicht mehr über die Auswahl und
Aufarbeitung von Informationen für die Öffentlichkeit, stattdessen würden
von allen Seiten Informationen verbreitet. „Das ist zwar erstmal
begrüßenswert, fördert aber auch eine massive Ausbreitung von
Desinformation.“
Fake News, also bewusst hergestellte Falschnachrichten, haben zunehmend
auch einen Anteil an der Meinungsbildung in Deutschland.
Verschwörungsideologien, Hetze gegen Minderheiten, das „System“ und die
Presse sowie NS-Verherrlichung erreichen durch Chatgruppen immer mehr
Menschen.
Und dort bleiben sie nicht. Ein Beispiel: Am 2. Februar postet ein Nutzer
in einer Gruppe des [10][Messengerdienstes Telegram] namens
„Verschwörungen“ den Link zu einem Artikel von infranken.de. Das
Onlineportal gehört zur Mediengruppe Oberfranken. In dem Artikel geht es um
einen 48-Jährigen, der an Corona gestorben ist. Auf Facebook hatte ein
Nutzer bezweifelt, dass der Mann an Corona gestorben sei.
Screenshots dieser Aussagen werden in der Telegram-Gruppe geteilt. Dazu
kommentiert ein Mitglied der Gruppe: „ZUR HÖLLE MIT EUCH IHR ELENDEN
SCHMIERFINKEN VON DER LÜGENPRESSE! ZUR HÖLLE.“ Darunter postet er die
Anschrift, Telefonnummer und Mailadresse der Redaktion und schreibt: „Lasst
das Bombardement beginnen Freunde!“ (Zeichensetzungsfehler im Original).
Die Telegram-Gruppe hat mehr als 50.000 Mitglieder. In den Tagen nach dem
Aufruf erreichen die Redaktion sehr viele Anrufe und Mails, schreibt der
Redaktionsleiter von infranken.de auf taz-Anfrage. Persönliche Besuche und
„Bombardements“ erreichen die Redaktion nicht. Woher die vielen Anrufe
kommen, das weiß die Redaktion zunächst nicht. Erst durch die taz-Anfrage
erfährt der Redaktionsleiter von dem Aufruf in der Telegram-Gruppe.
Beispiele wie diese gibt es viele in den vergangenen Monaten, überall in
Deutschland. Sie stehen nicht für die große Gewalt, aber für einen Anfang.
Sie sind eine Art Gift, das langsam in die Redaktionen hinein läuft. Die
Gegner:innen der freien Presse finden Wege, die Mitarbeiter:innen
der Medien zu beschäftigen, sie von ihrer Arbeit abzuhalten, subtile
Drohungen auszusenden.
Dass das gerade in den vergangenen Monaten passiert, ist kein Zufall,
glaubt Lutz Kinkel vom ECPMF. Corona und die Querdenkenbewegung wirkten als
„Brandbeschleuniger“ für die Hetze gegen Journalist:innen. Das bestätigen
auch die offiziellen Zahlen: Von den 252 Straftaten gegen Journalist:innen,
die die Bundesregierung 2020 gezählt hat, fand ein großer Teil am Rande der
Anticoronademos statt, wie in Leipzig im November 2020.
Warum gerade dort, dafür gibt es mehrere Erklärungen. Anne Renzenbrink von
Reporter ohne Grenzen sagt, ein wichtiger Mobilisierungsmoment gegen die
Presse seien für die organisierte Rechte die Neonazi-Aufmärsche in Chemnitz
gewesen, im August 2018. „Diese Brutalität, diese krasse
Medienfeindlichkeit hat mit den Demos gegen die Corona-Maßnahmen ein neues
Ventil gefunden.“
Lutz Kinkel vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit sagt,
Corona verunsichere viele Menschen stark. Sie suchten nach einfachen
Erklärungen für die komplexe Krise. Die könnten Medien aber nicht bieten,
und sie würden auch deshalb zum Feindbild.
Eine Erzählung, die sowohl bei Pegida als auch auf Demonstrationen gegen
die Coronamaßnahmen immer wieder zu hören ist, ist die der vermeintlichen
Eliten. Demnach steckten Medien und Politik unter einer Decke,
Journalist:innen seien „Merkel-Marionetten“ und „Covid-Presse“. Wer in
diesem Schema denkt, wird leicht zum Pressefeind. Und da auf den meisten
Demos von Querdenker:innen und Rechten nur selten Politiker:innen
anwesend sind, dafür aber viele Medienvertreter:innen, entlädt sich der
diffuse Hass auf das gesamte scheinbar korrupte System an ihnen.
Auch in anderen Ländern hat Corona die Gewalt gegen Journalist:innen
angestachelt. Allein innerhalb weniger Tage Ende Januar wurden [11][in den
Niederlanden Journalist:innen während der Arbeit mit Steinen beworfen],
geschlagen, mit einer chemischen Substanz ins Gesicht besprüht und mit
Feuerwerk beschossen. Ähnliches passierte in Italien, Österreich und
Slowenien.
Und in Deutschland? „Ein Witz“ nennt die Journalistin Andrea Röpke die
offiziellen Zahlen der Bundesregierung. Sie schätzt, dass die Dunkelziffer
mindestens doppelt so hoch sein muss. Alleine bei Recherchen gebe es viel
mehr Angriffe. Zur Anzeige bringen würden diese jedoch die wenigsten.
## Das Versagen der Polizei
Um zu verhindern, dass Journalist:innen den Hass von Demonstrierenden
abbekommen, werden Demonstrationen eigentlich von der Polizei begleitet.
Nur wollen sich viele Pressevertreter:innen darauf nicht verlassen.
Immer wieder passiert es auf Demos, wie auch in Leipzig, dass die Polizei
die Presse nicht nur nicht schützt, sondern sogar behindert: Indem sie
Journalist:innen nicht an Absperrungen vorbei lässt, zu lange die
Personalien feststellt, Platzverweise erteilt, Equipment beschlagnahmt.
Polizist:innen wissen oft nicht ausreichend Bescheid über Artikel 5 des
Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert.
Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist der Hutbürger: Im Sommer 2018
filmte ein Team des ZDF in Dresden einen Pegida-Aufmarsch. Nachdem zwei
Demonstranten die Journalist:innen wegen angeblicher Verletzung ihrer
Persönlichkeitsrechte angezeigt hatten, hielt die Polizei das Kamerateam 45
Minuten fest, kontrollierte deren Ausweise und hinderte sie am Arbeiten. In
den Sozialen Medien bekam dieser Vorfall den Namen Pegizei, um deutlich zu
machen, wie nah sich Polizei und Pegida und Sachsen scheinbar waren.
Es gibt einen Verhaltenskodex zwischen Polizei und Presse. Das Papier mit
dem sperrigen Titel „Verhaltensgrundsätze für Presse/Rundfunk und Polizei
zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher
Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ wurde 1993 als
Folge der Geiselnahme von Gladbeck zwischen der Innenministerkonferenz
(IMK) und Vertreter:innen der Presse geschlossen. Seitdem wurde der
Kodex nicht mehr überarbeitet.
[12][Der deutsche Presserat übergab im November 2020 eine überarbeitete
Fassung des Kodex] an die Innenminister:innen, mit der Bitte, man möge sich
auf neue Regeln einigen. Der damalige Chef der Innenministerkonferenz, der
Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD), versprach, man werde den Entwurf
beim nächsten Treffen der Innenminister im November anschauen. Doch das
passierte nicht.
Auf Nachfrage der taz sagt Maier heute, es sei natürlich an der Zeit, den
Verhaltenskodex zu aktualisieren. Innerhalb der Versammlung der
Innenminister:innen gebe es jedoch „im Wesentlichen zwei politische
Linien“ – SPD und CDU. Maier sagt, es sei vor allem seine Partei, die für
den besseren Schutz der Presse einstehe.
Polizist:innen sollten in rechtlichen Fragen und im Umgang mit Medien
besser geschult werden. Aber auch Journalist:innen müssten mehr in die
Verantwortung genommen werden, um besser zu verstehen, dass Demonstrationen
für die Polizei Stress bedeuteten. „Der gegenseitige Perspektivwechsel ist
das, was wichtig ist.“ Maier will, dass Medienvertreter:innen an
Polizeischulen kommen und beide sich über die jeweiligen Erfahrungen
verständigen.
## Immer wieder Sachsen
Nur: Das passiert längst. Vielleicht nicht flächendeckend, aber allein
Sachsen hat nach den großen Pegida-Ausschreitungen Fort- und
Weiterbildungen zur Pressefreiheit in die Ausbildungspläne der
Polizeischulen aufgenommen. Trotzdem kommt es gerade in diesem Bundesland
immer wieder vor, dass Polizist:innen Journalist:innen an ihrer
Arbeit behindern.
Das Misstrauen vieler Pressevertreter:innen in die Polizei beschränkt
sich nicht nur auf die Einsätze vor Ort. Auch nach Angriffen scheuen sich
viele, Anzeige zu erstatten. Zu oft sei es vorgekommen, dass private
Adressdaten über die Polizei in die Hände von Rechtsextremen gewandert
seien, sagt Journalistin Röpke.
Verdi fordert, dass es möglich werden soll, dass Journalist:innen beim
Erstatten einer Anzeige die Adresse ihrer Redaktion angeben dürfen.
Außerdem sollte es Schwerpunktstaatsanwaltschaften geben, die sich mit
Angriffen auf Medienvertreter:innen beschäftigen. „Im Bereich Hate
Speech gibt es solche schon. Sie beweisen, dass Ermittlungen effektiver
verfolgt werden und seltener im Sande verlaufen“, sagt Monique Hofmann von
der dju in Verdi.
Damit es aber gar nicht erst soweit kommt, haben einige Sender und Verlage
Schutzkonzepte für ihre Mitarbeiter:innen erarbeitet. Etliche Verlage,
darunter auch die taz, haben ein Papier von Reporter ohne Grenzen, Verdi,
den Neuen Deutschen Medienmachern und den Beratungsstellen für Betroffene
rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e. V. unterschrieben, das
Standards definiert, mit denen attackierten Journalist:innen geholfen
werden soll. Dazu gehören juristische, psychologische und finanzielle
Unterstützung der Kolleg:innen.
Einige Redaktionen schicken ihre Presseteams nur noch mit Bodyguards auf
Demonstrationen. Ein solches hatte auch das [13][Team des ZDF, das im
vergangenen Mai am Rande einer sogenannten Hygienedemo in Berlin
attackiert] wurde. Es war einer der brutalsten Angriffe des letzten Jahres:
Vier Mitarbeiter des Teams mussten im Krankenhaus behandelt werden. Drei
Security-Leute hatte das Team dabei, alle drei wurden verletzt. Sechs
Personen wurden festgenommen, sie sollen aus dem linken Spektrum kommen.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt noch.
Bei der Demo, auf der das ZDF-Team angegriffen wurde, waren auch
Reporter:innen des Onlinemediums Vice anwesend. Auch sie wollten
filmen, entschieden sich nach dem Angriff aber, die Kamera wieder
einzupacken. „Wir wissen nicht, wer die Angreifer sind oder ob sie etwas
mit der Demo zu tun haben. Aber dass ein ZDF-Team mit 3 (!)
Personenschützern mitten in Berlin so gewaltsam angegriffen wird, ist
übel“, schreibt der Vice-Reporter danach auf Twitter. „Übel ist auch, dass
der Angriff dazu führt, dass wir nicht frei über das berichten können, was
wir wollen – und so möglicherweise sein Ziel erreicht. Das darf niemals
Normalität werden.“
Monique Hofmann von der dju sagt, sie erlebe zunehmend, dass
Journalist:innen bestimmte Demonstrationen meiden würden. Dass sie auf
Demos ihren Presseausweis verstecken, das Mikrofon wieder einpacken und nur
noch unauffällig auf ihren Handys mitschreiben. Vor der großen Demo in
Leipzig, Anfang November 2020, habe sie von drei Journalist:innen
gehört, dass sie sich dagegen entschieden hätten, von dort zu berichten –
aus Angst vor Übergriffen.
Auch die Reporterin Andrea Röpke bestätigt das: „Es gibt Regionen, da fährt
schon jetzt keiner mehr hin, weil dort nicht für den Schutz gesorgt werden
kann.“ Sie nennt ländliche Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg,
Thüringen oder Sachsen. „Zu groß ist die Gefahr.“
Wenn sich das fortsetzt, entstehen blinde Flecken. Sie entstehen vor allem
dort, wo mediale Aufmerksamkeit besonders nötig ist: Bei den Feinden der
Demokratie und einer freien Gesellschaft. Wozu sie fähig sind, hat der 6.
Januar 2021 in Washington gezeigt, als hunderte Rechtsextreme das Kapitol
stürmten, offenbar mit der Absicht, Abgeordnete zu bedrohen, ihnen Gewalt
anzutun.
Auch am Rande des [14][Sturms auf das Kapitol] wurden Journalist:innen
bedrängt, Kameras und Mikrofone auf einer Art Scheiterhaufen verbrannt. Das
zeigt: Wenn die Gewalt gegen Medien eskaliert, dann trifft das nicht nur
die Journalist:innen, deren Sender und Verlage. Es zielt auf eine freie und
liberale Gesellschaft.
27 Mar 2021
## LINKS
[1] /Querdenker-Protest-in-Leipzig/!5726829
[2] /Gewalt-gegen-JournalistInnen/!5724074
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/angreifer-auf-journalisten-identifizier…
[4] https://www.zvw.de/lokales/rems-murr-kreis/angriff-auf-die-pressefreiheit-w…
[5] https://www.fr.de/politik/dresden-querdenken-corona-demo-protest-polizei-wa…
[6] https://www.sueddeutsche.de/medien/vertrauen-medien-politik-studie-1.5063403
[7] /Hooligans-gegen-Salafisten/!t5012769
[8] /Die-taz-und-die-Neuen-Rechten/!5396695
[9] https://www.ecpmf.eu/feindbild-journalist-2021/
[10] /Telegram/!t5254291
[11] /Coronakrawalle-in-den-Niederlanden/!5743196
[12] /Pressekodex/!t5014894
[13] https://www.tagesspiegel.de/berlin/angriff-auf-zdf-kamerateam-am-1-mai-pol…
[14] /Nach-dem-Sturm-auf-das-US-Kapitol/!5738598
## AUTOREN
Anne Fromm
Sarah Ulrich
## TAGS
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Podcast „Vorgelesen“
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