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# taz.de -- #AusgebranntePresse: Kollektives Presse-Burnout
> Viele Geschichten unter einem Hashtag: Journalist:innen berichten von
> Gewalterfahrungen, die sie bei Protesten von radikalisierten Impfgegnern
> erfuhren.
Bild: Trotz Demo-Verbot: Zahlreiche aggressive „Querdenker“ am 18.12. vor d…
Journalist:innen in Deutschland sind am Ende ihrer Kräfte. Unter dem
Hashtag [1][#AusgebranntePresse] berichten seit Dienstag viele von ihnen
über ihre Erfahrungen rund um die Proteste der „Querdenker“ und Impfgegner.
Gewalt, Morddrohungen, Verfolgungen, Feindeslisten, Beleidigungen. Es ist
ein Sammelsurium aus Angriffen, die eines gemeinsam haben: Die Presse als
Feindbild. Und ihre Vertreter:innen als Zielscheibe.
Nun sind es die Journalist:innen, die auf Twitter deutlich sagen: Ich kann
nicht mehr. Nicht unter diesen Umständen, nicht ohne ausreichend geschützt
zu werden. [2][Dazu aufgerufen hatte der Account „Rési Lucetti“], der sich
selbst als linker Fotograf bezeichnet und für das „Kollektiv Communique“
auf Demonstrationen fotografiert. Der Hashtag trendete in Deutschland auf
Twitter, zahlreiche Journalist:innen und Fotograf:innen berichteten
von ihren Erfahrungen.
Der Auslöser für den Hashtag waren wiederholte Angriffe auf die Presse bei
„Querdenker“-Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen in den
vergangenen Tagen. „Ich und viele weitere Journalist*innen fühlen uns
verarscht. Wir werden seit ca. Mai 2020 bei Hygiene Demos / Querdenken und
später weiteren Ablegern angegriffen“, schreibt Rési Lucetti. Und weiter:
„Das Radikalisierungslevel war von Anfang an extrem hoch. Es kam zu
ständigen Übergriffen. Man wurde direkt als Mensch mit Maske markiert und
angegriffen.“
[3][Ein Video des unabhängigen Kollektivs „vue.critique“] aus Dresden zeigt
Schläge, Tritte und weitere physische und verbale Angriffe der letzten
Monate. Im Mai wurde in Dresden einer der Nachwuchsjournalist:innen
am Rande eines Fußballspiels bei Angriffen gegen die Presse bewusstlos
[4][ins Krankenhaus geprügelt].
Das kollektive Presse-Burnout war absehbar. Spätestens seit 2015 hat sich
die rechtsextreme Diffamierung „Lügenpresse“ auf Massendemonstrationen wie
„Pegida“ durchgesetzt. Im November 2020 warfen Querdenker in Leipzig mit
Glasflaschen nach Pressevertreter:innen, zündeten Böller vor ihren Füßen,
schlugen sie zu Boden. [5][Im März 2021 berichtete die taz von einem
massiven Anstieg der Gewalt gegen Journalist:innen], insbesondere auf
Demos von Rechtsextremen, Verschwörungsideologen und selbsternannten
„Querdenkern“.
## Die meisten Angriffe gab es in Sachsen
Aber wer ist dafür verantwortlich? Klar, in erster Linie diejenigen, die
die Presse bedrohen. Und in zweiter Linie der Staat, der diese Bedrohenden
zu oft gewähren lässt, weil die Polizei unterbesetzt ist, illegale
Versammlungen nicht auflöst, Vergehen kaum ahndet und Journalist:innen
zu wenig schützt. Der Berlin-Brandenburger Landesgeschäftsführer der dju,
Jörg Reichel, forderte Anfang Dezember von den Innenministern,
Schutzkonzepte für Journalist:innen auf Demonstrationen auszuarbeiten.
Aber, und das ist eine unpopuläre These, auch die Medien tragen eine
Mitschuld. Weil sie den Schauplätzen des radikalisierten Protests zu wenig
Aufmerskamkeit schenken. Weil sie Reporter:innen zu wenig schützen. Und
weil sie zu wenig Infrastruktur für die Protestberichterstattung stellen.
Die meisten Angriffe gegen Journalist:innen 2021 gab es in Sachsen,
[6][wie eine Studie des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
festgestellt hat]. Gleichzeitig gibt es mit der „ZEIT im Osten“ nur eine
überregionale Zeitung, die eine feste Redaktion in Ostdeutschland hat. Alle
anderen sitzen in westdeutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg oder
München – so auch die taz. Einige haben Korrespondent:innen, die wenigsten
davon sind festangestellt.
Die Folge: Diejenigen, die bei eisiger Kälte aus sächsischen Kleinstädten
über radikalisierte Impfgegner berichten, sind freie Journalist:innen
aus Ostdeutschland selbst, die das auf eigenes Risiko tun. Manchmal sogar
ohne vorher einen Auftrag zu haben. Reporter:innen etablierter Medien
werden meist nur dann geschickt, wenn es eine Großdemonstration oder eine
Versammlung in der Hauptstadt ist. Angebote von Freien, die auf eigenes
Risiko von dort berichten, werden jedoch dankend angenommen.
Sie sind da, wo demokratische Grundwerte verbal und physisch attackiert
werden. Wo die Polizei vor den Angreifern kapituliert, wenn sie das
Versammlungsrecht nicht durchsetzt – oder, wie erst am Dienstag von der
Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen gefordert, die pandemiebedingten
Einschränkungen ganz aufheben will – weil sie schlicht und einfach
überfordert ist von der Menge und dem Ausmaß der Gewalt.
Die Journalist:innen sind dort, um das zu tun, was Presse tun sollte:
Über Gefahren für die Demokratie berichten. Denn die Gefahren für die
Demokratie lauern in Städten wie Bautzen, Freital oder Eisenach. Wo 50, 100
oder 200 Menschen unangemeldet zu „Spaziergängen“ zusammenkommen und die
Polizei manchmal gar nicht erst auftaucht. Denn, wie Sachsens
Polizeipräsident der taz sagte: [7][„Die Polizei kann nicht überall sein.�…
## Staat, Polizei und Redaktionen selbst sind gefragt
Nicht wenige Reporter:innen – darunter auch ich selbst – haben sich aus
der Berichterstattung von Demonstrationen und Corona-„Spaziergängen“
zurückgezogen. Warum? Weil die Gefahren, die mit der Berichterstattung
einhergehen, in keinem Verhältnis zu dem stehen, was man als freie
Journalist:in verdient. [8][#AusgebranntePresse] ist also auch eine
Folge der Krise des Journalismus.
Appelliert werden sollte daher in drei Richtungen: An den Staat und die
Polizei, die Versammlungsverstöße stärker ahnden und Journalist:innen
vor Angriffen besser schützen muss. Aber auch an Redaktionen, dass sie
besser hinschauen, was in all den kleinen Orten, in denen sich eine neue
Qualität der Gewalt entbrannt hat, passiert.
Kritische Berichterstattung ist eine der Stärken der Pressefreiheit. Aber
sie ist in Gefahr, wenn Medien selbst sie nicht schützen. Was
Demokratiefeinde tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, zeigen die
physischen Angriffe auf Medienvertreter:innen. Es ist Aufgabe der
etablierten Medien, diese Demokratiefeinde zu beobachten.
Man muss die Reporter:innen, die sich in die Gefahr begeben, vor Ort zu
berichten, angemessen bezahlen, Schutzstrukturen stellen, Rechtshilfe
bieten und Möglichkeiten der psychologischen Nachsorge etablieren. Denn
sonst passiert, was nicht passieren darf: Die Presse kapituliert vor denen,
die sie bedrohen.
29 Dec 2021
## LINKS
[1] https://twitter.com/search?q=%23AusgebranntePresse&src=typed_query
[2] https://twitter.com/ResiLucetti/status/1475579401362411526
[3] https://twitter.com/vuecritique/status/1475878322869522438?s=20
[4] /Krawalle-nach-Dynamo-Spiel/!5772586
[5] /Pressefreiheit-in-Gefahr/!5758599
[6] https://www.ecpmf.eu/das-feindbild-iv-pressehass-als-normalzustand/
[7] /Polizeipraesident-ueber-Coronademos/!5821120
[8] https://twitter.com/search?q=%23AusgebranntePresse&src=typed_query
## AUTOREN
Sarah Ulrich
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