# taz.de -- Pressefreiheit in Thüringen: Berichten nur mit Bodyguard | |
> Seit Jahren mehren sich Übergriffe auf Reporter:innen, besonders schlimm | |
> ist es im Osten Deutschlands. Wie geht es Medien vor Ort? Und was tun sie | |
> zum Schutz ihrer Leute? | |
Von der Regierungsmacht in Thüringen träumt der AfD-Landesvorsitzende Björn | |
Höcke seit Langem. Beim Landesparteitag in Pfiffelbach nahe Weimar | |
verkündete er im April, was er denn genau zu tun gedenke im Falle des | |
Falles. Unter den weißen Kronleuchtern des örtlichen Festsaals legte er | |
sein Fünf-Punkte-„Sofortprogramm für Thüringen“ dar. Unter anderem | |
versprach er, die Medienstaatsverträge zu kündigen. „Ja, das macht der | |
Höcke“, rief er unter Applaus in den Saal. | |
Jurist:innen streiten bis heute, welche konkreten Folgen ein solcher | |
Schritt für die Arbeitsfähigkeit des MDR in Thüringen wirklich hätte. Doch | |
allein die Ankündigung ist eine Kriegserklärung. Dass die größte | |
Oppositionspartei offen das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks | |
anstrebt, war hierzulande jahrzehntelang undenkbar. | |
Nach seiner Rede trat Höcke zum Chefredakteur des damals noch legalen | |
[1][rechstextremen Compact-Mag]azins, Jürgen Elsässer, ans Mikro und klagte | |
über die „Entmenschlichung gerade meiner Person vor allem durch die | |
etablierten Medien“. Die erreiche ein „Ausmaß, dass mir manchmal die | |
Sprache fehlt“. | |
Die etablierten Medien als Feind ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen | |
der AfD. Und je stärker es wird, desto mehr nehmen Angriffe auf | |
Journalist:innen zu – durch die Partei selbst, aber vor allem durch ein | |
gesellschaftliches Klima, in dem Journalist:innen diskreditiert werden. | |
Die AfD setzt dabei den Ton – und nicht selten ist es die Neonaziszene, die | |
daraufhin zuschlägt. | |
Bekannt wurde etwa der Fall von Peter Hagen, einem Reporter der | |
Ostthüringer Zeitung. Als der im November 2023 über eine AfD-Veranstaltung | |
in Plothen berichtete, wurde er erst beschimpft und dann geschlagen. In | |
seinen Autoreifen steckten Schrauben. Ein Jahr zuvor war Hagen von Thomas | |
Weigelt, dem parteilosen Bürgermeister von Bad Lobenstein, [2][auf dem | |
Marktplatz der Stadt gewaltsam am Filmen gehindert und dabei verletzt | |
worden]. | |
Am 25. Januar dieses Jahres blockierten 500 Menschen das Landesfunkhaus in | |
Erfurt: Angemeldet von zwei Handwerkern kamen die Protestierenden mit Lkws | |
und Traktoren, ihr Feindbild: die „Lügenpresse“. „Von Redakteur bis | |
Sprecher – alles Verbrecher“ stand auf ihren Transparenten gegen die | |
„Medienhetze“. Die Demonstrierenden hatten Puppen in Sträflingskleidung | |
mitgebracht, auf Schildern stand „schuldig“. Es war die erste Aktion dieser | |
Art auf dem Höhepunkt der [3][Bauernproteste] zu Jahresbeginn. Die | |
Bauernverbände distanzierten sich später. Doch der Tag zeigte, wie sich die | |
Stimmung im Land gewandelt hat. | |
An jenem Morgen bekam Lucas Munzke, Gewerkschaftssekretär bei Verdi für | |
Medien in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, Anrufe aus dem | |
Landesfunkhaus. „Ich hab Angst, hier rauszugehen“, hätten ihm Mitarbeiter | |
gesagt. Die Polizei habe „vor Ort ein sehr achtsames Auge“ gehabt und so | |
sei zum Glück nichts passiert. Doch Übergriffe gegen Journalist:innen | |
seien in der Region ein „trauriger Normalzustand“, den Überblick zu | |
behalten sei schwierig, sagt Munkze. Speziell in Sachsen gebe es seit den | |
2014 gestarteten [4][Pegida-Demonstrationen] eine „Zunahme an Medienkritik, | |
die sich in Medienfeindlichkeit verwandelt“. | |
Zu spüren bekommen hat das auch Fabian Klaus. Der heute 38-Jährige fing mit | |
16 Jahren an, als Reporter zu arbeiten. Heute berichtet er für die Funke | |
Mediengruppe, die drei Regionalzeitungen in Thüringen herausgibt. | |
Klaus ist keiner, der sich in den Vordergrund drängt, immer wieder weist er | |
im Gespräch mit der taz darauf hin, dass andere Kollegen es noch schwerer | |
hätten, etwa freie Journalisten oder die Menschen in den Lokalredaktionen. | |
Doch auch wenn seine Erzählungen nüchtern daherkommen, haben sie es in | |
sich. Zuletzt wurde er Opfer eines Angriffs bei einer AfD-Kundgebung Ende | |
April 2023: Ein Demonstrationsteilnehmer ging auf Klaus los, der am Rand | |
des Demonstrationszugs Fotos machte. Klaus’ Sicherheitsmann musste den | |
Angriff abwehren. Im August soll der Vorfall vor Gericht verhandelt werden. | |
Eben weil es mittlerweile Standard sei, bei solchen Einsätzen von Security | |
begleitet zu werden, seien es nicht diese Situationen, die ihm Sorge | |
bereiteten, sagt Klaus. „Es ist eher so, dass ich mich im Privaten anders | |
verhalte, dass ich nicht mehr unbedingt abends allein durch die Stadt | |
laufe, zumindest nicht durch dunkle Straßen.“ Auch sein Umfeld habe das auf | |
dem Schirm, sei oft besorgter als er selbst. Auch sonst treffe er | |
Vorsichtsmaßnahmen: „Ich nehme lieber das Auto als den Zug zu | |
Veranstaltungen, um schneller wegzukommen.“ Von seinem Arbeitgeber, der | |
Funke-Mediengruppe, fühle er sich dabei sehr gut unterstützt: „Da gibt es | |
eine Sensibilisierung und ein Bewusstsein bis in die höchsten Ebenen, und | |
wirklich gute Angebote.“ | |
Dass er im Fokus von Rechtsextremen steht, ist Fabian Klaus seit Jahren | |
gewohnt. Immer wieder wird er beispielsweise vom Geraer Neonazi Christian | |
Klar diffamiert, erst Anfang dieses Jahres wieder. Da lief Klar auf einer | |
rechten Demonstration mit einem Schild herum, das ein Foto von Fabian Klaus | |
in Sträflingskleidung zeigt, wie auch bei den Bauernprotesten mit der | |
Aufschrift „schuldig“. | |
„Schon als ich 2002 in diesem Beruf angefangen habe, war ich meistens dort, | |
wo etwas los war, und das waren eben oft auch rechtsextreme | |
Veranstaltungen“, sagt Klaus. Etwa bei den Demonstrationen von [5][Thorsten | |
Heise], einem der bekanntesten militanten Neonazis Deutschlands, der nur | |
ein paar Kilometer von Björn Höcke entfernt wohnt und mit ihm gut bekannt | |
sein soll. | |
Doch seit den Jahren 2014/2015, dem Höhepunkt der Pegida-Bewegung, habe | |
sich das politische Klima noch einmal deutlich verschärft. „Es gibt da eine | |
zunehmende Verrohung, die bis in die Mitte der Gesellschaft reicht, es sind | |
längst nicht mehr nur die klassischen Neonazis, die einem gefährlich werden | |
können“, sagt Klaus. Auch die Pandemie habe hier wie ein Verstärker | |
gewirkt: Bei den Protesten gegen die Maßnahmen spielten Rechtsextreme | |
besonders im Osten oft eine zentrale Rolle. Es gelang ihnen, Menschen aus | |
einem noch größeren Teil der Gesellschaft zu mobilisieren als bei Pegida. | |
Ganz ähnlich beschreibt es auch Jana Merkel. Die freie Journalistin | |
arbeitet für die politischen Magazine des MDR und ist Host des ARD-Podcasts | |
„Extrem rechts“. Merkel beobachtet die rechte Szene seit Jahren, und auch | |
sie erkennt eine Veränderung, die vor etwa zehn Jahren begonnen habe. Nicht | |
nur, was den Hass auf Journalist:innen angehe. „Früher habe ich gern | |
erzählt, dass ich Journalistin bin, und dafür auch positive Reaktionen | |
bekommen. Heute gibt es entweder Mitleid oder abfällige Bemerkungen.“ | |
Vor allem aber habe sich verändert, von wem die Gefahr ausgehe. „Was jetzt | |
anders ist, und was westdeutsche Kollegen vielleicht manchmal auch nicht | |
nachvollziehen können, ist, dass es optisch nicht mehr erkennbar ist, wer | |
einem gefährlich werden kann“, sagt sie. Auch Merkel spricht von einer | |
zunehmenden „Verrohung“, von einer „Enthemmung“ bis weit in die Mitte d… | |
Gesellschaft hinein. „Es sind nicht nur die klischeehaften Neonazis mit | |
Springerstiefeln, sondern ganz durchschnittlich aussehende Menschen, von | |
denen verbale Anfeindungen, teils sogar körperliche Übergriffe ausgehen.“ | |
Klemens Köhler von der Initiative [6][Between The Lines], die in Sachsen | |
ehrenamtlich Begleitschutz für freie Journalisten anbietet, beschreibt es | |
so: „Das sind heute die Oma mit dem Fahrrad und der Opa mit dem | |
Regenschirm, die keine Hemmungen haben, diese Sachen auch einzusetzen.“ | |
Begonnen hatte die Initiative im Winter 2021/2022, als die Coronaproteste | |
besonders stark waren. Verglichen damit sei es in diesem Wahljahr bisher | |
noch einigermaßen ruhig. Doch „wenn die AfD die prognostizierten Gewinne | |
einfährt, ist es wahrscheinlich, dass sich viele ihrer Anhänger zu | |
Angriffen ermutigt fühlen werden“, sagt Köhler. | |
Aktuell kümmere sich bei Between The Lines ein Kern von etwa zehn | |
Ehrenamtlichen um durchschnittlich zwei Begleitungen pro Woche. „Wir | |
konzentrieren uns auf die freien Journalisten, weil die eben in der Regel | |
nicht auf eine entsprechende Unterstützung durch den Arbeitgeber | |
zurückgreifen können“, sagt Köhler. | |
## „Ohne die Schränke an meiner Seite wäre es unangenehm geworden“ | |
Das ist bei Jana Merkel und ihren Kolleg:innen vom MDR anders, auch hier | |
gehören Security-Teams mittlerweile dazu. „Leider schafft das auch Distanz | |
zu den Menschen und erschwert Gespräche, aber ich verstehe, dass es nicht | |
anders geht“, sagt Merkel. Sie habe selbst schon mehrere Situationen | |
erlebt, die „ohne die beiden Schränke an meiner Seite wohl unangenehm | |
geworden wären.“ Auch die gegenseitige Unterstützung in ihrem Team erlebe | |
sie als sehr verlässlich und hilfreich, sagt sie. | |
Doch auch Merkel sieht noch Luft nach oben bei der Frage, wie betroffene | |
Journalist:innen unterstützt werden könnten. Sie wünscht sich, dass | |
alle öffentlich-rechtlichen Anstalten dem [7][Schutzkodex für bedrohte | |
Journalist:innen] beitreten, der 2022 unter anderem von Reporter ohne | |
Grenzen und der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion initiiert | |
wurde. Dieser sieht neben Personenschutz und juristischer Unterstützung | |
auch psychologische Hilfe oder Fortbildungen zum Umgang mit | |
Hassnachrichten vor. | |
Was die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber angeht, treibt Merkel derzeit | |
vor allem ein Thema um, das nicht direkt im Zusammenhang mit der rechten | |
Bedrohungslage steht, aber mittelbar dann doch: Im Mai verkündete der MDR | |
ein Sparprogramm, das besonders die Redaktion „Politische Magazine und | |
Reportagen“ betrifft, für die auch Merkel arbeitet und die sich durch | |
investigative Recherchen auszeichnet. Es sei das „falsche Signal, weil das | |
politische Geschehen in unserer Region eigentlich eine engmaschige | |
hintergründige Berichterstattung braucht“, sagt Merkel. | |
Das sei der Sender seinem Publikum schuldig. [8][In einem offenen Brief] | |
hatten MDR-Mitarbeiter:innen die Entscheidung kritisiert. Mehr als 500 | |
Personen unterschrieben als Unterstützer:innen: darunter | |
Journalist:innen anderer Medien, Menschen aus Wissenschaft, Kultur, | |
Zivilgesellschaft und aus dem MDR-Publikum. „Diese breite Unterstützung hat | |
mich wirklich wahnsinnig gefreut und gerührt“, sagt Merkel. | |
Die taz hat noch mit weiteren Mitarbeiter:innen des MDR gesprochen, | |
die von den Kürzungen betroffen sind. Sie berichten, dass sich die | |
Entscheidung gerade in diesen Zeiten wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt. | |
„Man reißt sich den Arsch auf, wird ständig angefeindet und muss sich dann | |
noch fragen, ob man sich ab Januar einen anderen Job suchen müssen wird“, | |
beschreibt es eine Journalistin, die aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen | |
anonym bleiben möchte. Dass der investigative Journalismus gerade jetzt | |
geschwächt werden solle, sei ein fatales Signal. | |
Die AfD bemüht sich unterdessen nach Kräften, unliebsamen Medien die Arbeit | |
zu erschweren. Verdi-Sekretär Lucas Munzke erinnert daran, dass die Partei | |
schon zu Beginn des Wahlkampfs das ARD-Magazin „Monitor“ wegen angeblicher | |
„plumper Stimmungsmache“ von ihrem Landesparteitag im November in | |
Pfiffelbach auszuschließen versucht habe. Der WDR zog gegen den Ausschluss | |
allerdings erfolgreich vor Gericht. | |
Das Verwaltungsgericht Meiningen verurteilte im Juni den bundesweit ersten | |
[9][AfD-Landrat, Robert Sesselmann], dazu, dem Spiegel 15 Fragen zu | |
beantworten. Sesselmann hatte dies zuvor verweigert. „Die Strategie der AfD | |
ist: Infos bekommen nur die Journalisten, die sie mag“, sagt Munzke. Das | |
habe eine andere Qualität als die übliche Mauerei einiger Pressesprecher. | |
Die zur Pressefreiheit gehörende Auskunftspflicht der Behörden würde „stark | |
infrage gestellt, wenn die AfD an die Macht kommt“, glaubt Munzke. | |
Eine Regierungsbeteiligung der AfD in einem Bundesland ist derzeit zwar | |
unrealistisch. Doch der aus dem Grundgesetz abgeleitete Auskunftsanspruch | |
ist in den Landespressegesetzen verankert. Und die können die | |
Landesparlamente in gewissem Umfang ändern. | |
Schon heute aber hätten die Feindseligkeiten der AfD und ihrer | |
Anhänger:innen konkrete Folgen für Medienschaffende – vor allem im | |
ländlichen Raum. „Da sind die Kollegen oft komplett ungeschützt und unter | |
Umständen allein. Das ist dann eine Steilvorlage für Demonstrierende, um | |
ihre Wut auf Journalist:innen auszuleben.“ | |
Da wäre zum Beispiel der Angriff auf zwei junge Journalist:innen des | |
Portals Vue Critique am 13. Februar 2022. Während eines rechtsextremen | |
Coronaprotests habe es eine regelrechte Hetzjagd von Neonazis auf die | |
beiden gegeben. Auf Videos von dem Tag ist zu erkennen, wie Angreifende | |
Sätze rufen wie: „Ihr Schwuchteln, du bist tot, Junge, wenn ich dich in die | |
Finger kriege.“ In sozialen Netzwerken berichteten Journalist:innen aus | |
der Region unter dem Hashtag [10][#ausgebranntepresse] damals über ähnliche | |
Erfahrungen. | |
„Die Landesregierung zeigt sich problembewusst und kooperativ“, sagt | |
Munzke. Wer von Kundgebungen berichtet, könne sich heute vorab bei den | |
örtlichen Polizeidirektionen melden. Mehrere Beamte würden dann als | |
Begleitschutz für eine:n einzelne:n Journalist:in abgestellt. „Die | |
sind dann dauerhaft um einen herum“, sagt Munzke. „Das bringt schon | |
wirklich was.“ Die Berichterstattung erleichtern dürfte es aber nur | |
bedingt. Und in Anspruch nehmen können diesen Schutz in der Regel nur | |
Hauptamtliche mit Presseausweis. Wer nebenberuflich unterwegs ist, bleibt | |
auf sich allein gestellt. | |
Von „Angst vor der Selbstzensur“ spricht Munzke deshalb – den Effekt wür… | |
auch Studien mittlerweile zeigen: das Meiden bestimmter Themen oder Orte | |
aus Sorge vor Angriffen. Und je stärker die AfD den öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunk zurückdrängen vermöge, „desto mehr blinde Flecken gibt es im | |
ländlichen Raum“. | |
Diese Sorge teilt Sebastian Haak. Der freie Journalist ist Mitglied im | |
Vorstand der Thüringer Landespressekonferenz. Auch er beobachtet seit | |
Jahren Attacken bei Kundgebungen. In solchen Situationen seien Angreifer | |
teils „enthemmt und die Polizei ist oft überfordert, da ist es relativ | |
simpel, mal auszuholen. Gelegenheit macht Diebe“, sagt Haak. | |
Die Ereignisse im Jahr 2015 seien der Katalysator gewesen. „Erst ging es um | |
die Flüchtlinge, dann Covid, dann die Ukraine, dann das Klima. Die Themen | |
sind austauschbar“, sagt Haak. Er würde nicht sagen, dass die Gewalt | |
schlimmer geworden ist. Das Level an körperlicher Gewalt sei relativ | |
konstant und in der Regel auf das Umfeld von Kundgebungen beschränkt. | |
„Soweit ich weiß, gab es in Thüringen bisher nichts vor einem Privathaus | |
oder so.“ Allerdings seien Nazikundgebungen in der Vergangenheit teils | |
bewusst an Redaktionsräumen vorbeigezogen. | |
Doch das sei nur eine Ebene des Problems. Eine andere sei das Netz. „Auf | |
Facebook gibt es ein permanentes Bashing etablierter Medien, da sind Hass | |
und Hetze allgegenwärtig.“ Im Frühsommer etwa habe es nach seiner | |
Berichterstattung über ein AfD-Bundestreffen in Suhl eine Fotocollage von | |
ihm bei Facebook gegeben. In Anlehnung an die Werbung eines Dating-Portals | |
habe darunter gestanden: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein | |
Mainstream-Journalist in Regierungsgeld.“ Die Behauptung, Journalisten | |
seien käuflich, sei weit verbreitet, sagt Haak. „Das ist seit Jahren | |
Standard“, sagt er. Es sei ein „schleichendes Gift, das permanent in | |
kleinen Dosen“ verabreicht werde. Ein Beispiel sei Höcke, der sich von dem | |
Begriff „Lügenpresse“ distanziert habe und gleichzeitig erkläre, er sage | |
höchstens mal „Lückenpresse“. | |
Früher hätten viele Printmedien den Anspruch gehabt, für jeden zu | |
schreiben: „Den Fliesenleger, den Azubi, den Arbeitslosen und die Oma. | |
Jeder konnte sich was aus der Zeitung raussuchen. Damals war alles noch | |
nicht so polarisiert, da hat das funktioniert.“ | |
Doch der rechtsextreme Dauerbeschuss und die Diskreditierung etablierter | |
Medien hätten heute klar sichtbare Folgen, sagt Haak. Bei vielen | |
Regionalzeitungen würden etwa in Lokalredaktionen nach wie vor Journalisten | |
gesucht.„Auf manche dieser Stellen bewirbt sich aber genau gar keiner | |
mehr.“ Früher hätte es auf einen solchen Posten 15 Bewerbungen aus ganz | |
Deutschland gegeben. „Das war attraktiv, das Image war anders.“ | |
Und zumindest ein Teil der Leser, der Zuschauer, der Hörer, der Nutzer | |
ticke eben auch so, wie die AfD das gern hätte. Für viele Redaktionen | |
stelle sich deshalb natürlich auch die Frage, wie Wahlberichterstattung | |
möglich sei, ohne einem nicht kleinen Teil des eigenen Medienpublikums | |
ständig vor das Schienbein zu treten. „Da gibt es eine permanente | |
Diskussion.“ | |
Obwohl völlig klar sei, dass in Sachsen, Brandenburg und Thüringen „das | |
Licht ausgeht“, wenn nicht in großer Zahl ausländische Fachkräfte kämen, | |
sei es „fast unmöglich, in einem Text zu schreiben, dass wir den Zuzug von | |
Ausländern brauchen, ohne dass jemand sagt, das sei ‚linksextreme Hetze‘.�… | |
Zu Artikeln über die von Correctiv enthüllte „[11][Remigrations-Konferenz]�… | |
in Potsdam im vergangenen November klagten Leser:innen, dies sei | |
„tendenziös“ oder „Bashing“. | |
„In Zeiten, in denen Printauflagen im Sinkflug sind, ist das ein | |
riesengroßes Problem“, sagt Sebastian Haak. Hier schlage die Zeitungskrise | |
voll durch. „Für einige Zeitungen ist es fünf nach zwölf. Dabei sind die | |
ein ganz prägender Teil der Medienlandschaft.“ In Thüringen verzeichnen die | |
verbleibenden Tageszeitungsverlage teils ein Auflagenminus von 5 Prozent | |
pro Quartal. Seit rund einem Jahrzehnt werde über öffentlich finanzierte | |
Stiftungen diskutiert, um Medien zu unterstützen. „Aber nichts ist | |
passiert.“ | |
Wenn Leser:innen sich abwenden, öffne dies Räume für alternative Medien | |
mit prorussischer und rechtsextremer Propaganda. In der Fläche gebe es | |
viele kostenlose Anzeigeblätter „auf teils unterstem Niveau“, sagt Haak: | |
„Da ist dann von ‚Meinungsdiktatur‘ die Rede und davon, dass die Ausländ… | |
uns die Frauen wegnehmen und uns abstechen.“ | |
Haak hält das Wegbrechen des ökonomischen Unterbaus der privaten | |
Medienlandschaft in Deutschland für deren größtes Problem. „Gegen | |
Forderungen nach Unterlassungserklärung können wir uns juristisch wehren, | |
wir können Sicherheitsdienste gegen Gewalt einstellen.“ | |
Doch dagegen, dass die Leser:innen sich von prodemokratischer | |
Berichterstattung abwenden, „dagegen können wir uns nicht wirklich wehren“, | |
sagt Haak. Das ist viel gefährlicher als ‚Ich hau dir auf die Nase oder | |
schlag‘ dir die Kamera weg.'“ | |
Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts [12][„Decoding the | |
disinformation playbook of populism in Europe“], das vom International | |
Press Institute in Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und | |
taz durchgeführt wird. Das Projekt wird von dem European Media and | |
Information Fund finanziell unterstützt, der von der | |
Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird | |
9 Aug 2024 | |
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