Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pressefreiheit in Thüringen: Berichten nur mit Bodyguard
> Seit Jahren mehren sich Übergriffe auf Reporter:innen, besonders schlimm
> ist es im Osten Deutschlands. Wie geht es Medien vor Ort? Und was tun sie
> zum Schutz ihrer Leute?
Von der Regierungsmacht in Thüringen träumt der AfD-Landesvorsitzende Björn
Höcke seit Langem. Beim Landesparteitag in Pfiffelbach nahe Weimar
verkündete er im April, was er denn genau zu tun gedenke im Falle des
Falles. Unter den weißen Kronleuchtern des örtlichen Festsaals legte er
sein Fünf-Punkte-„Sofortprogramm für Thüringen“ dar. Unter anderem
versprach er, die Medienstaatsverträge zu kündigen. „Ja, das macht der
Höcke“, rief er unter Applaus in den Saal.
Jurist:innen streiten bis heute, welche konkreten Folgen ein solcher
Schritt für die Arbeitsfähigkeit des MDR in Thüringen wirklich hätte. Doch
allein die Ankündigung ist eine Kriegserklärung. Dass die größte
Oppositionspartei offen das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
anstrebt, war hierzulande jahrzehntelang undenkbar.
Nach seiner Rede trat Höcke zum Chefredakteur des damals noch legalen
[1][rechstextremen Compact-Mag]azins, Jürgen Elsässer, ans Mikro und klagte
über die „Entmenschlichung gerade meiner Person vor allem durch die
etablierten Medien“. Die erreiche ein „Ausmaß, dass mir manchmal die
Sprache fehlt“.
Die etablierten Medien als Feind ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen
der AfD. Und je stärker es wird, desto mehr nehmen Angriffe auf
Journalist:innen zu – durch die Partei selbst, aber vor allem durch ein
gesellschaftliches Klima, in dem Journalist:innen diskreditiert werden.
Die AfD setzt dabei den Ton – und nicht selten ist es die Neonaziszene, die
daraufhin zuschlägt.
Bekannt wurde etwa der Fall von Peter Hagen, einem Reporter der
Ostthüringer Zeitung. Als der im November 2023 über eine AfD-Veranstaltung
in Plothen berichtete, wurde er erst beschimpft und dann geschlagen. In
seinen Autoreifen steckten Schrauben. Ein Jahr zuvor war Hagen von Thomas
Weigelt, dem parteilosen Bürgermeister von Bad Lobenstein, [2][auf dem
Marktplatz der Stadt gewaltsam am Filmen gehindert und dabei verletzt
worden].
Am 25. Januar dieses Jahres blockierten 500 Menschen das Landesfunkhaus in
Erfurt: Angemeldet von zwei Handwerkern kamen die Protestierenden mit Lkws
und Traktoren, ihr Feindbild: die „Lügenpresse“. „Von Redakteur bis
Sprecher – alles Verbrecher“ stand auf ihren Transparenten gegen die
„Medienhetze“. Die Demonstrierenden hatten Puppen in Sträflingskleidung
mitgebracht, auf Schildern stand „schuldig“. Es war die erste Aktion dieser
Art auf dem Höhepunkt der [3][Bauernproteste] zu Jahresbeginn. Die
Bauernverbände distanzierten sich später. Doch der Tag zeigte, wie sich die
Stimmung im Land gewandelt hat.
An jenem Morgen bekam Lucas Munzke, Gewerkschaftssekretär bei Verdi für
Medien in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, Anrufe aus dem
Landesfunkhaus. „Ich hab Angst, hier rauszugehen“, hätten ihm Mitarbeiter
gesagt. Die Polizei habe „vor Ort ein sehr achtsames Auge“ gehabt und so
sei zum Glück nichts passiert. Doch Übergriffe gegen Journalist:innen
seien in der Region ein „trauriger Normalzustand“, den Überblick zu
behalten sei schwierig, sagt Munkze. Speziell in Sachsen gebe es seit den
2014 gestarteten [4][Pegida-Demonstrationen] eine „Zunahme an Medienkritik,
die sich in Medienfeindlichkeit verwandelt“.
Zu spüren bekommen hat das auch Fabian Klaus. Der heute 38-Jährige fing mit
16 Jahren an, als Reporter zu arbeiten. Heute berichtet er für die Funke
Mediengruppe, die drei Regionalzeitungen in Thüringen herausgibt.
Klaus ist keiner, der sich in den Vordergrund drängt, immer wieder weist er
im Gespräch mit der taz darauf hin, dass andere Kollegen es noch schwerer
hätten, etwa freie Journalisten oder die Menschen in den Lokalredaktionen.
Doch auch wenn seine Erzählungen nüchtern daherkommen, haben sie es in
sich. Zuletzt wurde er Opfer eines Angriffs bei einer AfD-Kundgebung Ende
April 2023: Ein Demonstrationsteilnehmer ging auf Klaus los, der am Rand
des Demonstrationszugs Fotos machte. Klaus’ Sicherheitsmann musste den
Angriff abwehren. Im August soll der Vorfall vor Gericht verhandelt werden.
Eben weil es mittlerweile Standard sei, bei solchen Einsätzen von Security
begleitet zu werden, seien es nicht diese Situationen, die ihm Sorge
bereiteten, sagt Klaus. „Es ist eher so, dass ich mich im Privaten anders
verhalte, dass ich nicht mehr unbedingt abends allein durch die Stadt
laufe, zumindest nicht durch dunkle Straßen.“ Auch sein Umfeld habe das auf
dem Schirm, sei oft besorgter als er selbst. Auch sonst treffe er
Vorsichtsmaßnahmen: „Ich nehme lieber das Auto als den Zug zu
Veranstaltungen, um schneller wegzukommen.“ Von seinem Arbeitgeber, der
Funke-Mediengruppe, fühle er sich dabei sehr gut unterstützt: „Da gibt es
eine Sensibilisierung und ein Bewusstsein bis in die höchsten Ebenen, und
wirklich gute Angebote.“
Dass er im Fokus von Rechtsextremen steht, ist Fabian Klaus seit Jahren
gewohnt. Immer wieder wird er beispielsweise vom Geraer Neonazi Christian
Klar diffamiert, erst Anfang dieses Jahres wieder. Da lief Klar auf einer
rechten Demonstration mit einem Schild herum, das ein Foto von Fabian Klaus
in Sträflingskleidung zeigt, wie auch bei den Bauernprotesten mit der
Aufschrift „schuldig“.
„Schon als ich 2002 in diesem Beruf angefangen habe, war ich meistens dort,
wo etwas los war, und das waren eben oft auch rechtsextreme
Veranstaltungen“, sagt Klaus. Etwa bei den Demonstrationen von [5][Thorsten
Heise], einem der bekanntesten militanten Neonazis Deutschlands, der nur
ein paar Kilometer von Björn Höcke entfernt wohnt und mit ihm gut bekannt
sein soll.
Doch seit den Jahren 2014/2015, dem Höhepunkt der Pegida-Bewegung, habe
sich das politische Klima noch einmal deutlich verschärft. „Es gibt da eine
zunehmende Verrohung, die bis in die Mitte der Gesellschaft reicht, es sind
längst nicht mehr nur die klassischen Neonazis, die einem gefährlich werden
können“, sagt Klaus. Auch die Pandemie habe hier wie ein Verstärker
gewirkt: Bei den Protesten gegen die Maßnahmen spielten Rechtsextreme
besonders im Osten oft eine zentrale Rolle. Es gelang ihnen, Menschen aus
einem noch größeren Teil der Gesellschaft zu mobilisieren als bei Pegida.
Ganz ähnlich beschreibt es auch Jana Merkel. Die freie Journalistin
arbeitet für die politischen Magazine des MDR und ist Host des ARD-Podcasts
„Extrem rechts“. Merkel beobachtet die rechte Szene seit Jahren, und auch
sie erkennt eine Veränderung, die vor etwa zehn Jahren begonnen habe. Nicht
nur, was den Hass auf Journalist:innen angehe. „Früher habe ich gern
erzählt, dass ich Journalistin bin, und dafür auch positive Reaktionen
bekommen. Heute gibt es entweder Mitleid oder abfällige Bemerkungen.“
Vor allem aber habe sich verändert, von wem die Gefahr ausgehe. „Was jetzt
anders ist, und was westdeutsche Kollegen vielleicht manchmal auch nicht
nachvollziehen können, ist, dass es optisch nicht mehr erkennbar ist, wer
einem gefährlich werden kann“, sagt sie. Auch Merkel spricht von einer
zunehmenden „Verrohung“, von einer „Enthemmung“ bis weit in die Mitte d…
Gesellschaft hinein. „Es sind nicht nur die klischeehaften Neonazis mit
Springerstiefeln, sondern ganz durchschnittlich aussehende Menschen, von
denen verbale Anfeindungen, teils sogar körperliche Übergriffe ausgehen.“
Klemens Köhler von der Initiative [6][Between The Lines], die in Sachsen
ehrenamtlich Begleitschutz für freie Journalisten anbietet, beschreibt es
so: „Das sind heute die Oma mit dem Fahrrad und der Opa mit dem
Regenschirm, die keine Hemmungen haben, diese Sachen auch einzusetzen.“
Begonnen hatte die Initiative im Winter 2021/2022, als die Coronaproteste
besonders stark waren. Verglichen damit sei es in diesem Wahljahr bisher
noch einigermaßen ruhig. Doch „wenn die AfD die prognostizierten Gewinne
einfährt, ist es wahrscheinlich, dass sich viele ihrer Anhänger zu
Angriffen ermutigt fühlen werden“, sagt Köhler.
Aktuell kümmere sich bei Between The Lines ein Kern von etwa zehn
Ehrenamtlichen um durchschnittlich zwei Begleitungen pro Woche. „Wir
konzentrieren uns auf die freien Journalisten, weil die eben in der Regel
nicht auf eine entsprechende Unterstützung durch den Arbeitgeber
zurückgreifen können“, sagt Köhler.
## „Ohne die Schränke an meiner Seite wäre es unangenehm geworden“
Das ist bei Jana Merkel und ihren Kolleg:innen vom MDR anders, auch hier
gehören Security-Teams mittlerweile dazu. „Leider schafft das auch Distanz
zu den Menschen und erschwert Gespräche, aber ich verstehe, dass es nicht
anders geht“, sagt Merkel. Sie habe selbst schon mehrere Situationen
erlebt, die „ohne die beiden Schränke an meiner Seite wohl unangenehm
geworden wären.“ Auch die gegenseitige Unterstützung in ihrem Team erlebe
sie als sehr verlässlich und hilfreich, sagt sie.
Doch auch Merkel sieht noch Luft nach oben bei der Frage, wie betroffene
Journalist:innen unterstützt werden könnten. Sie wünscht sich, dass
alle öffentlich-rechtlichen Anstalten dem [7][Schutzkodex für bedrohte
Journalist:innen] beitreten, der 2022 unter anderem von Reporter ohne
Grenzen und der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion initiiert
wurde. Dieser sieht neben Personenschutz und juristischer Unterstützung
auch psychologische Hilfe oder Fortbildungen zum Umgang mit
Hassnachrichten vor.
Was die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber angeht, treibt Merkel derzeit
vor allem ein Thema um, das nicht direkt im Zusammenhang mit der rechten
Bedrohungslage steht, aber mittelbar dann doch: Im Mai verkündete der MDR
ein Sparprogramm, das besonders die Redaktion „Politische Magazine und
Reportagen“ betrifft, für die auch Merkel arbeitet und die sich durch
investigative Recherchen auszeichnet. Es sei das „falsche Signal, weil das
politische Geschehen in unserer Region eigentlich eine engmaschige
hintergründige Berichterstattung braucht“, sagt Merkel.
Das sei der Sender seinem Publikum schuldig. [8][In einem offenen Brief]
hatten MDR-Mitarbeiter:innen die Entscheidung kritisiert. Mehr als 500
Personen unterschrieben als Unterstützer:innen: darunter
Journalist:innen anderer Medien, Menschen aus Wissenschaft, Kultur,
Zivilgesellschaft und aus dem MDR-Publikum. „Diese breite Unterstützung hat
mich wirklich wahnsinnig gefreut und gerührt“, sagt Merkel.
Die taz hat noch mit weiteren Mitarbeiter:innen des MDR gesprochen,
die von den Kürzungen betroffen sind. Sie berichten, dass sich die
Entscheidung gerade in diesen Zeiten wie ein Schlag ins Gesicht anfühlt.
„Man reißt sich den Arsch auf, wird ständig angefeindet und muss sich dann
noch fragen, ob man sich ab Januar einen anderen Job suchen müssen wird“,
beschreibt es eine Journalistin, die aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen
anonym bleiben möchte. Dass der investigative Journalismus gerade jetzt
geschwächt werden solle, sei ein fatales Signal.
Die AfD bemüht sich unterdessen nach Kräften, unliebsamen Medien die Arbeit
zu erschweren. Verdi-Sekretär Lucas Munzke erinnert daran, dass die Partei
schon zu Beginn des Wahlkampfs das ARD-Magazin „Monitor“ wegen angeblicher
„plumper Stimmungsmache“ von ihrem Landesparteitag im November in
Pfiffelbach auszuschließen versucht habe. Der WDR zog gegen den Ausschluss
allerdings erfolgreich vor Gericht.
Das Verwaltungsgericht Meiningen verurteilte im Juni den bundesweit ersten
[9][AfD-Landrat, Robert Sesselmann], dazu, dem Spiegel 15 Fragen zu
beantworten. Sesselmann hatte dies zuvor verweigert. „Die Strategie der AfD
ist: Infos bekommen nur die Journalisten, die sie mag“, sagt Munzke. Das
habe eine andere Qualität als die übliche Mauerei einiger Pressesprecher.
Die zur Pressefreiheit gehörende Auskunftspflicht der Behörden würde „stark
infrage gestellt, wenn die AfD an die Macht kommt“, glaubt Munzke.
Eine Regierungsbeteiligung der AfD in einem Bundesland ist derzeit zwar
unrealistisch. Doch der aus dem Grundgesetz abgeleitete Auskunftsanspruch
ist in den Landespressegesetzen verankert. Und die können die
Landesparlamente in gewissem Umfang ändern.
Schon heute aber hätten die Feindseligkeiten der AfD und ihrer
Anhänger:innen konkrete Folgen für Medienschaffende – vor allem im
ländlichen Raum. „Da sind die Kollegen oft komplett ungeschützt und unter
Umständen allein. Das ist dann eine Steilvorlage für Demonstrierende, um
ihre Wut auf Journalist:innen auszuleben.“
Da wäre zum Beispiel der Angriff auf zwei junge Journalist:innen des
Portals Vue Critique am 13. Februar 2022. Während eines rechtsextremen
Coronaprotests habe es eine regelrechte Hetzjagd von Neonazis auf die
beiden gegeben. Auf Videos von dem Tag ist zu erkennen, wie Angreifende
Sätze rufen wie: „Ihr Schwuchteln, du bist tot, Junge, wenn ich dich in die
Finger kriege.“ In sozialen Netzwerken berichteten Journalist:innen aus
der Region unter dem Hashtag [10][#ausgebranntepresse] damals über ähnliche
Erfahrungen.
„Die Landesregierung zeigt sich problembewusst und kooperativ“, sagt
Munzke. Wer von Kundgebungen berichtet, könne sich heute vorab bei den
örtlichen Polizeidirektionen melden. Mehrere Beamte würden dann als
Begleitschutz für eine:n einzelne:n Journalist:in abgestellt. „Die
sind dann dauerhaft um einen herum“, sagt Munzke. „Das bringt schon
wirklich was.“ Die Berichterstattung erleichtern dürfte es aber nur
bedingt. Und in Anspruch nehmen können diesen Schutz in der Regel nur
Hauptamtliche mit Presseausweis. Wer nebenberuflich unterwegs ist, bleibt
auf sich allein gestellt.
Von „Angst vor der Selbstzensur“ spricht Munzke deshalb – den Effekt wür…
auch Studien mittlerweile zeigen: das Meiden bestimmter Themen oder Orte
aus Sorge vor Angriffen. Und je stärker die AfD den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk zurückdrängen vermöge, „desto mehr blinde Flecken gibt es im
ländlichen Raum“.
Diese Sorge teilt Sebastian Haak. Der freie Journalist ist Mitglied im
Vorstand der Thüringer Landespressekonferenz. Auch er beobachtet seit
Jahren Attacken bei Kundgebungen. In solchen Situationen seien Angreifer
teils „enthemmt und die Polizei ist oft überfordert, da ist es relativ
simpel, mal auszuholen. Gelegenheit macht Diebe“, sagt Haak.
Die Ereignisse im Jahr 2015 seien der Katalysator gewesen. „Erst ging es um
die Flüchtlinge, dann Covid, dann die Ukraine, dann das Klima. Die Themen
sind austauschbar“, sagt Haak. Er würde nicht sagen, dass die Gewalt
schlimmer geworden ist. Das Level an körperlicher Gewalt sei relativ
konstant und in der Regel auf das Umfeld von Kundgebungen beschränkt.
„Soweit ich weiß, gab es in Thüringen bisher nichts vor einem Privathaus
oder so.“ Allerdings seien Nazikundgebungen in der Vergangenheit teils
bewusst an Redaktionsräumen vorbeigezogen.
Doch das sei nur eine Ebene des Problems. Eine andere sei das Netz. „Auf
Facebook gibt es ein permanentes Bashing etablierter Medien, da sind Hass
und Hetze allgegenwärtig.“ Im Frühsommer etwa habe es nach seiner
Berichterstattung über ein AfD-Bundestreffen in Suhl eine Fotocollage von
ihm bei Facebook gegeben. In Anlehnung an die Werbung eines Dating-Portals
habe darunter gestanden: „Alle 11 Minuten verliebt sich ein
Mainstream-Journalist in Regierungsgeld.“ Die Behauptung, Journalisten
seien käuflich, sei weit verbreitet, sagt Haak. „Das ist seit Jahren
Standard“, sagt er. Es sei ein „schleichendes Gift, das permanent in
kleinen Dosen“ verabreicht werde. Ein Beispiel sei Höcke, der sich von dem
Begriff „Lügenpresse“ distanziert habe und gleichzeitig erkläre, er sage
höchstens mal „Lückenpresse“.
Früher hätten viele Printmedien den Anspruch gehabt, für jeden zu
schreiben: „Den Fliesenleger, den Azubi, den Arbeitslosen und die Oma.
Jeder konnte sich was aus der Zeitung raussuchen. Damals war alles noch
nicht so polarisiert, da hat das funktioniert.“
Doch der rechtsextreme Dauerbeschuss und die Diskreditierung etablierter
Medien hätten heute klar sichtbare Folgen, sagt Haak. Bei vielen
Regionalzeitungen würden etwa in Lokalredaktionen nach wie vor Journalisten
gesucht.„Auf manche dieser Stellen bewirbt sich aber genau gar keiner
mehr.“ Früher hätte es auf einen solchen Posten 15 Bewerbungen aus ganz
Deutschland gegeben. „Das war attraktiv, das Image war anders.“
Und zumindest ein Teil der Leser, der Zuschauer, der Hörer, der Nutzer
ticke eben auch so, wie die AfD das gern hätte. Für viele Redaktionen
stelle sich deshalb natürlich auch die Frage, wie Wahlberichterstattung
möglich sei, ohne einem nicht kleinen Teil des eigenen Medienpublikums
ständig vor das Schienbein zu treten. „Da gibt es eine permanente
Diskussion.“
Obwohl völlig klar sei, dass in Sachsen, Brandenburg und Thüringen „das
Licht ausgeht“, wenn nicht in großer Zahl ausländische Fachkräfte kämen,
sei es „fast unmöglich, in einem Text zu schreiben, dass wir den Zuzug von
Ausländern brauchen, ohne dass jemand sagt, das sei ‚linksextreme Hetze‘.�…
Zu Artikeln über die von Correctiv enthüllte „[11][Remigrations-Konferenz]�…
in Potsdam im vergangenen November klagten Leser:innen, dies sei
„tendenziös“ oder „Bashing“.
„In Zeiten, in denen Printauflagen im Sinkflug sind, ist das ein
riesengroßes Problem“, sagt Sebastian Haak. Hier schlage die Zeitungskrise
voll durch. „Für einige Zeitungen ist es fünf nach zwölf. Dabei sind die
ein ganz prägender Teil der Medienlandschaft.“ In Thüringen verzeichnen die
verbleibenden Tageszeitungsverlage teils ein Auflagenminus von 5 Prozent
pro Quartal. Seit rund einem Jahrzehnt werde über öffentlich finanzierte
Stiftungen diskutiert, um Medien zu unterstützen. „Aber nichts ist
passiert.“
Wenn Leser:innen sich abwenden, öffne dies Räume für alternative Medien
mit prorussischer und rechtsextremer Propaganda. In der Fläche gebe es
viele kostenlose Anzeigeblätter „auf teils unterstem Niveau“, sagt Haak:
„Da ist dann von ‚Meinungsdiktatur‘ die Rede und davon, dass die Ausländ…
uns die Frauen wegnehmen und uns abstechen.“
Haak hält das Wegbrechen des ökonomischen Unterbaus der privaten
Medienlandschaft in Deutschland für deren größtes Problem. „Gegen
Forderungen nach Unterlassungserklärung können wir uns juristisch wehren,
wir können Sicherheitsdienste gegen Gewalt einstellen.“
Doch dagegen, dass die Leser:innen sich von prodemokratischer
Berichterstattung abwenden, „dagegen können wir uns nicht wirklich wehren“,
sagt Haak. Das ist viel gefährlicher als ‚Ich hau dir auf die Nase oder
schlag‘ dir die Kamera weg.'“
Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts [12][„Decoding the
disinformation playbook of populism in Europe“], das vom International
Press Institute in Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und
taz durchgeführt wird. Das Projekt wird von dem European Media and
Information Fund finanziell unterstützt, der von der
Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird
9 Aug 2024
## LINKS
[1] /Verbotsverfuegung-gegen-Compact-Magazin/!6024670
[2] /Pressefreiheit-in-Thueringen/!5875946
[3] /Bauernprotest/!t5985152
[4] /Schwerpunkt-Pegida/!t5008701
[5] /BGH-hebt-Urteil-gegen-Neonazis-auf/!5995136
[6] /Begleitschutz-auf-Querdenken-Demos/!5825794
[7] https://schutzkodex.de/
[8] /Kuerzungen-und-Entlassungen-beim-MDR/!6007610
[9] /Fuenf-Monate-AfD-Landrat-in-Thueringen/!5978732
[10] /AusgebranntePresse/!5824602
[11] /Geheimtreffen-mit-Rechtsextremen/!5984871
[12] https://ipi.media/decoding-disinformation-playbook/
## AUTOREN
Malene Gürgen
Christian Jakob
## TAGS
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Schwerpunkt Pressefreiheit
Thüringen
Journalismus
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Lesestück Recherche und Reportage
GNS
Thomas Kemmerich
Wahlen in Ostdeutschland 2024
Verschwörungsmythen und Corona
MDR
Schwerpunkt Pressefreiheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die FDP im Thüringer Wahlkampf: Thomas Kemmerich hat einen Plan
Er stürzte das Land in die Krise, als er von der AfD zum
Ministerpräsidenten gewählt wurde. Nun hofft Kemmerich, dass ihm die
Geschichte nochmal nutzt.
Landtagswahl in Thüringen: Zwischen Höcke und Wagenknecht
In drei Wochen wählt Thüringen. Die CDU will an die Macht – ohne AfD und
Linke. Aber mit wem dann? Unterwegs in einem komplizierten Wahlkampf.
Rechte Hetze gegen Journalisten: Freiheit im Fadenkreuz
Seit Jahren wird der Journalist Alexander Roth wegen seiner
Berichterstattung von Rechten attackiert. Er macht weiter – trotz
Morddrohungen.
Mitteldeutscher Rundfunk reformbedürftig: Ändern und streichen
Der MDR hat Probleme. Die stehen symptomatisch für den Reformdruck der
Öffentlich-Rechtlichen. Insbesondere Kulturformate haben es schwer.
#AusgebranntePresse: Kollektives Presse-Burnout
Viele Geschichten unter einem Hashtag: Journalist:innen berichten von
Gewalterfahrungen, die sie bei Protesten von radikalisierten Impfgegnern
erfuhren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.