| # taz.de -- Mitteldeutscher Rundfunk reformbedürftig: Ändern und streichen | |
| > Der MDR hat Probleme. Die stehen symptomatisch für den Reformdruck der | |
| > Öffentlich-Rechtlichen. Insbesondere Kulturformate haben es schwer. | |
| Bild: Was die Zuschauer nicht bemerken: das Echo der Mitarbeiterinnen und Mitar… | |
| Alle zwei Wochen widmet sich das Inforadio MDR Aktuell seit Mitte September | |
| in einem Podcast dem „Tabuthema Wechseljahre“. Gemeint sind tatsächlich | |
| die hormonellen Veränderungen reiferer Frauen und nicht etwa die | |
| Umstrukturierungsprobleme des Mitteldeutschen Rundfunks. | |
| Doch die dort anstehenden Wechsel durch ARD-Reformen und veränderte | |
| Mediennutzung verunsichern die Mitarbeiterschaft. Am bekanntesten dürfte | |
| das Bestechlichkeitsurteil gegen den früheren Sportchef Wilfried Mohren | |
| oder der Kika-Skandal um fingierte Rechnungen 2010 geworden sein, die | |
| Fragen nach dem internen Kontrollsystem des MDR aufwarfen. | |
| Doch solche Vergleiche hinken. Als zu Jahresbeginn [1][der Betrugsprozess | |
| gegen den früheren MDR-Unterhaltungschef Udo Foht] zu Ende ging, wurde das | |
| nicht nur bei Medienexperten als Schlussstrich unter die „Wilden Jahre“ des | |
| Mitteldeutschen Rundfunks angesehen. | |
| Der leidenschaftliche Produzent hatte ein undurchsichtiges | |
| Vorfinanzierungssystem von Sendungen aufgebaut. Vorbei sind auch die Zeiten | |
| des „Schwarzfunks“ der 1990er-Jahre, als allzu CDU-kritischer Journalismus | |
| vor allem freien Mitarbeitern gefährlich werden konnte. [2][Die | |
| zwölfjährige Ära der scheidenden Intendantin Karola Wille] brachte mehr | |
| Stabilität und Großzügigkeit. | |
| Wenn nun der MDR im Frühsommer mit vermeintlichen Skandalen wieder in die | |
| Schlagzeilen geriet, muss dies im Zusammenhang mit dem Reformdruck auf die | |
| öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und mit dem Digitalisierungsdruck | |
| gesehen werden. Und mit dem Ehrgeiz der einzigen ostdeutschen | |
| Rundfunkanstalt, die nicht wie der NDR und der rbb mit bestehenden | |
| westdeutschen Anstalten fusionierte und sich überdies rühmt, das | |
| erfolgreichste dritte Fernsehprogramm auszustrahlen. | |
| Dieses Selbstbewusstsein führte unter anderem dazu, dass der MDR nach dem | |
| nun wirklich [3][skandalbedingten Rückzug des rbb] beim neuen zweistündigen | |
| Mittagsmagazin zuschlug und nun gemeinsam mit dem ZDF die zwei Stunden | |
| gestalten wird. Sechs Millionen Euro mehr muss die Dreiländeranstalt dafür | |
| nach unbestätigten Angaben wohl aufbringen. | |
| [4][Mindestens ein Geschmäckle hatte dabei Anfang Juli der Auftakt zur | |
| Auswahl des künftig von vier auf zwei reduzierten Moderatorenteams]. Nadia | |
| Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said, beide mit migrantischen Vorfahren, | |
| hatten sich nicht mehr beworben. Ob sie vorab resignierten, weil | |
| MDR-Chefredakteurin Julia Krittian sich in Ostdeutschland verwurzelte | |
| Moderatorinnen oder Moderatoren wünschte, ist bis heute nicht restlos | |
| geklärt. Mit einigem Sarkasmus könnte man konstatieren, dass auch viele | |
| Ostdeutsche sich nach 33 Jahren noch wie Migranten im vereinigten | |
| Deutschland fühlen. | |
| ## Situation beruhigt? | |
| MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer stellte jedenfalls Ende August im | |
| Medienmagazin „DWD“ klar, dass alle bisherigen Moderatorinnen und | |
| Moderatoren über das Casting mit schließlich zwölf Teilnehmern informiert | |
| wären. Eine Entscheidung sei noch nicht getroffen worden. Menschen mit | |
| Migrationshintergrund gehörten selbstverständlich auch zum MDR. Er hoffe, | |
| dass sich die Situation beruhigt habe. | |
| Gras gewachsen ist auch über das zeitweise Ausbleiben zugelieferter | |
| Regionalnachrichten für „Tagesschau-Online“. Brinkbäumer erklärt das mit | |
| einer technischen Umstellung auf automatisierte Übernahme von | |
| Regionalnachrichten bei tagesschau.de im April. Nur dort habe der MDR | |
| zeitweilig gestoppt, weil Korrekturen und Aktualisierungen solcher Feeds | |
| nach der Übernahme nicht geklärt waren. Schließlich trage der Sender die | |
| rundfunkrechtliche Verantwortung. | |
| Mit den eigentlichen Problemen wie Programmumstellungen, | |
| Mitarbeiterversetzungen oder knappen Finanzen kämpft der MDR aber | |
| weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Die Auswirkungen werden | |
| Fernsehzuschauer demnächst natürlich bemerken, wenn Ende November das | |
| eigene Gesundheitsmagazin „Hauptsache gesund“ eingestellt wird. | |
| Die ARD will mit der Vermeidung von Parallelproduktionen rationalisieren, | |
| und so wird das Feld Gesundheit künftig vom Norddeutschen Rundfunk und | |
| seiner „Visite“-Sendung dominiert werden. Der MDR wolle stattdessen seine | |
| Ressourcen auf Formate mit Alleinstellungsmerkmal wie „Einfach genial“, | |
| eine Sendung über neue Erfindungen, konzentrieren, heißt es. | |
| Was die Zuschauer nicht bemerken, ist das Echo der Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter. Im Intranet wird der Zustand des Gesundheitswesens insgesamt | |
| debattiert und dass man nicht auch noch bei populären Informationssendungen | |
| abbauen dürfe. Regionale Expertise sei wichtig. | |
| „Welche Anstalt gewinnt beim Rennen um die gebündelten Themenplätze?“, | |
| fragt jemand mit Blick auf Aufgabenkonzentration. Die dafür geschaffenen | |
| Kompetenzzentren zu Themenschwerpunkten werden aber tendenziell als | |
| sinnvoll begrüßt. Sie folgen dem kritischen Debattendruck auf die | |
| Öffentlich-Rechtlichen, die auf mehr Effizienz, Arbeitsteilung und | |
| Synergien in der Zusammenarbeit der Regionalanstalten zielen. | |
| ## Transformation und Verzicht | |
| Der Verlust von Aufgaben und die Umorientierung stoßen bei Mitarbeitern | |
| aller Unternehmen auf Beharrungsvermögen und Widerstände. „Zur | |
| Transformation gehört Verzicht“, formuliert deshalb Programmdirektor | |
| Brinkbäumer im „DWD“-Interview insbesondere mit Blick auf das Verhältnis | |
| von linearen und Online-Angeboten. | |
| Aber gerade hier diagnostizieren langjährige MDR-Mitarbeiter mehr als nur | |
| übliche Anpassungs- und Umstellungsprobleme etwa bei der Einführung des | |
| neuen Kulturdesks im Hörfunk, was zu mehr formalem Aufwand führe. Zu lange | |
| sei beim MDR die Ausstrahlung linearer Angebote nach Radio-/TV-Programm als | |
| Auslaufmodell betrachtet worden. Nun beobachten sie bei der MDR-Führung | |
| eine Art Erwachen in der Erkenntnis, dass Hörer und Zuschauer oberhalb der | |
| Generation Handy mindestens noch zwei Jahrzehnte die Stammklientel bilden | |
| werden und anspruchsvoll versorgt werden müssen. | |
| Selbstredend ist der Kampf um die vorwiegend am und im Netz orientierte | |
| Jugend eine Schlüsselfrage für alle Medien. [5][Das Zauberwort | |
| Trimedialität i]st auch beim MDR schon lange kein Fremdwort mehr, viel mehr | |
| ist es bereits ein bisschen entzaubert. Belächelt wird die Umbenennung der | |
| in Halle beheimateten Kulturwelle in „Kultur und Jugend“, die nun die | |
| Zielgruppe fesseln soll. | |
| Von den Kulturjournalisten ernsthaft kritisiert wird die Absicht, den | |
| bisherigen festen Fünf-Minuten-Kultur-Festplatz im künftigen Mittagsmagazin | |
| zu streichen und flexible Formate einzusetzen. Wenn nun angesichts einer | |
| fraglichen Gebührenerhöhung gespart werden muss, dann wieder einmal zuerst | |
| bei der Kultur. So sollen etwa im Jahr zehn „artour“-Magazine im dritten | |
| Fernsehprogramm wegfallen. | |
| Es gibt aber ebenso gut versorgte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die | |
| selbstkritisch einräumen, man klage auf hohem Niveau. Umstrukturierungen | |
| bringen eben schlechte Stimmung mit sich, wenn sogar Leitungsebenen in den | |
| drei Landesfunkhäusern bei Kantinengesprächen über mangelhafte oder | |
| irritierende Kommunikation klagen. | |
| Bürokratische Mühlen mahlen nun einmal langsam: Bald wird auch am | |
| Kulturstandort Halle das in den Landesfunkhäusern längst übliche | |
| einheitliche Redaktionssystem Resy eingeführt. Es kostet Mühe und | |
| Flexibilität, jahrzehntelange ARD-Strukturen, die älter sind als der 1992 | |
| wiedergegründete MDR, zu reformieren und damit die Akzeptanz der | |
| gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten bei Politik und Bürgern zu | |
| verbessern. | |
| 1 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Betrugsfaelle-beim-MDR/!5919945 | |
| [2] /Intendanz-des-MDR/!5906993 | |
| [3] /RBB/!t5010099 | |
| [4] /Wechsel-beim-Mittagsmagazin/!5942030 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mark Spitz | |
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