| # taz.de -- Rechte Hetze gegen Journalisten: Freiheit im Fadenkreuz | |
| > Seit Jahren wird der Journalist Alexander Roth wegen seiner | |
| > Berichterstattung von Rechten attackiert. Er macht weiter – trotz | |
| > Morddrohungen. | |
| Er steht an der Seite wie ein Passant, einer der Einkaufenden in der | |
| Stuttgarter Innenstadt, der zufällig stehen geblieben ist, an diesem Abend | |
| des 5. Oktober 2022, um der kleinen Kundgebung zuzuhören. Aber dann geht es | |
| plötzlich nicht mehr um das „Corona-Unrecht“ und die „Pandemie“, sonde… | |
| die verhasste Presse. Und Alexander Roth, 33 Jahre, Journalist bei der | |
| Waiblinger Kreiszeitung, ist kein Passant am Rand mehr, sondern steht im | |
| Mittelpunkt. | |
| Er freue sich, dass die linke Presse gekommen sei, „die uns schon im | |
| Vorfeld verurteilt hat als Rechtsextreme, Schwurbler, Querdenker, | |
| Alu-Hut-Träger“, sagt der Redner am Mikrofon. Sein Name ist Alfredo G., er | |
| wendet sich in Richtung Roth, der äußerlich ungerührt dasteht. Tatsächlich | |
| seien hier „würdige“ Menschen versammelt, die „alles geben, um ihr Recht… | |
| verteidigen“, sagt G. Wer sich hier als „rechtsextrem“ einschätze, möge… | |
| Hand heben, fordert er die Demonstrierenden auf. Niemand meldet sich. | |
| Gejohle. „Herr Roth, schauen Sie mal, wie viele Rechtsextreme es hier | |
| gibt,“ ruft G. „Schauen Sie hin, bevor Sie in Ihrem Blatt wieder diese | |
| Lügen verbreiten. Hören Sie auf zu hetzen.“ Eine Frau sagt amüsiert über | |
| Roth: „Seine Hand zittert“. „Lügenpresse, Lügenpresse“, rufen die | |
| Demonstranten. So zeigen es Video-Aufnahmen von der Demonstration. | |
| „Die Situation schien für große Belustigung zu sorgen“, sagt Roth der taz | |
| später über den Abend. Er sei „gefilmt, fotografiert, von der Bühne herab | |
| mehrfach als Feind markiert, angebrüllt und verunglimpft“ worden. Beim Zug | |
| durch die Innenstadt zeigten Passant:innen ihm immer wieder ihren | |
| Mittelfinger. „Zeitweise wirkte es fast, als sei es eine Demo gegen mich.“ | |
| Seit dem ersten Jahr der Pandemie berichtet der junge Journalist Alexander | |
| Roth über die Querdenker im Raum Stuttgart und deren Verstrickungen mit der | |
| lokalen [1][Reichsbürgerszene] – genauer, ausdauernder, profunder schreibt | |
| bundesweit kaum jemand zu diesen Themen. Zu tun hat er genug: Die | |
| bundesweite Protestbewegung gegen die Coronapolitik hat in der Gegend ihre | |
| Ursprung. Zeitweise gab es im Waiblinger Rems-Murr-Kreis über 30 | |
| Querdenker-Kundgebungen an einem einzigen Tag. Doch nur wenige | |
| Journalist:innen berichteten vor Ort über das Thema. Roth wurde schnell | |
| bekannt – und zum Ziel von Anfeindungen. Erst sind es Posts in Sozialen | |
| Medien, Videos, in denen gegen ihn gehetzt wird. Dann kommen Morddrohungen. | |
| Ein Nutzer etwa schreibt, er werde „diesen Roth verschwinden lassen“. Heute | |
| muss Roth sich mit der Polizei absprechen, wenn er bei einer Veranstaltung | |
| eingeladen ist. | |
| Nach der Stuttgarter Demo postet ein Aktivist auf der | |
| Social-Media-Plattform Telegram Fotos von Roth, schreibt, der habe die | |
| „Ehrenmitgliedschaft bei Anitfa-Terrorgruppen“. „Jetzt weiß man zumindes… | |
| wie diese Kreatur aussieht,“ antwortet ein Telegram-Nutzer. | |
| „Und weil das so viele wissen, ist für mich eine Demo-Beobachtung immer mit | |
| Schwierigkeiten verbunden“, sagt Roth. „Ich werde erkannt, verleumdet, | |
| beleidigt und eingeschüchtert. Ich soll meine Arbeit nicht machen können.“ | |
| In einer einjährigen Recherche hat die taz die Kampagne gegen den | |
| Waiblinger Journalisten rekonstruiert, hat vor Ort recherchiert, Beteiligte | |
| mit ihrer Hetze konfrontiert und das Social-Media-Netzwerk analysieren | |
| lassen, in dem sich der Hass verbreitet. | |
| 2023 belegt Deutschland [2][Platz 21 in der Rangliste der Pressefreiheit | |
| von Reporter ohne Grenzen]. Vor der Pandemie war es Platz elf. Die | |
| physischen Angriffe auf Journalist*innen sind auf einen Höchststand | |
| gestiegen. Ein Großteil findet in verschwörungsideologischen, | |
| antisemitischen und extrem rechten Kontexten statt. Die Attacken gegen Roth | |
| zeigen, wie sich in dem Milieu der Hass auf die Presse immer weiter | |
| steigert. | |
| Der eingangs erwähnte Demo-Redner Alfredo G. betreibt ein kleines | |
| Lebensmittel-Importgeschäft in einem Vorort von Stuttgart. Seit 2020 ist er | |
| als Aktivist bei den Coronaprotesten dabei, hat viele Kundgebungen | |
| angemeldet. 2022 etwa wurden auf einer „Filmmahnwache“ am Stuttgarter | |
| Schlossplatz Videos gezeigt, in denen der Arzt Sucharit Bhakdi | |
| Falschbehauptungen zur Pandemie aufstellen konnte. In einer „Galerie des | |
| Grauens“ wurden Fotos angeblicher Impfopfer ausgestellt. Gegendemonstranten | |
| wurde gesagt, sie hätten „Gift in der Maske“. | |
| Auch am 14. Juni 2023 hat G. eine Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt | |
| angemeldet. Auf einem kleinen Platz nahe des Schlosses sammeln sich die | |
| Menschen, optisch alle aus dem Alternativmilieu, es ist ein warmer | |
| Spätnachmittag. Transparente werden entrollt, auf denen die „Aufarbeitung | |
| des Corona-Unrechts“ verlangt wird. G. spricht mit Polizisten die Route ab. | |
| Auf Roth angesprochen sagt G. an diesem Nachmittag, dass die | |
| Demonstrierenden ein „Recht auf Kritik“ hätten, ohne „tendenziös beleid… | |
| zu werden, wie Roth es getan habe. Die Presse müsse sie „nicht bejubeln“, | |
| dürfe sie aber auch nicht als „Schwurbler“ beleidigen. Roth allerdings | |
| hatte den Begriff „Schwurbler“ nur ein einziges Mal verwendet, und zwar als | |
| Zitat der Eigenbezeichnung einer Datingplattform für das Querdenker-Milieu. | |
| Alfredo G. sagt, er lehne auch die Bezeichnung „Querdenker“ ab. | |
| „Selbstdenker“ sei ihm lieber. Dabei hatte die Bewegung – vor allem in | |
| Stuttgart – den Begriff ab 2020 als Eigenbezeichnung gewählt. Die Art, wie | |
| die Presse gegen die Coronademonstranten gehetzt habe, sei ein „Verstoß | |
| gegen die Menschenwürde“, den er nur in einer Diktatur erwarten würde, sagt | |
| G. Er glaube, dass die Presse so schreibe, weil sie gekauft sei. Sie hoffe | |
| auf „Subventionen, Investitionen oder Sponsoren, vom Staat oder aus anderen | |
| Ecken, vielleicht aus der Pharma-Industrie“. | |
| Es sind Versatzstücke von Verschwörungstheorien, die in der Pandemiezeit | |
| immer populärer wurden. | |
| Dann läuft der Demozug los, durch die Innenstadt, bis vor die | |
| Landeszentrale der Grünen. Nach einer kurzen Ansprache macht G. über den | |
| Demo-Lautsprecher Musik an. Erst kommt „Aber bitte mit Sahne“ von Udo | |
| Jürgens, dann der Track „AfD“, den der rechtsextreme Rapper Kaia Boehm, | |
| Künstername SchwrzVyce, nach eigener Aussage als „Wahlwerbespot“ für die | |
| Partei geschrieben hat. Die AfD hat sich allerdings davon distanziert. „Ich | |
| bin es so leid, eure grün-versiffte woke scheiß Agenda hier in diesem | |
| Land“, heißt es in dem Song. Boehm nennt die grünen Ministerinnen „häßl… | |
| F....., die dieses Land angeblich regieren, aber es verraten jeden Tag aufs | |
| Neue“. Er als „Patriot“ müsse „kotzen, wenn ich diese Missgeburten seh… | |
| heißt es über die Ampel-Regierung. | |
| Dann ist das Lied zu Ende. Die Corona-Kundgebung vor der Grünen-Zentrale | |
| geht weiter. Niemand scheint Anstoß an dem Text zu nehmen. | |
| Die Situation ist beispielhaft für die Entwicklung der | |
| Corona-Leugner:innen. Zwar ist die Querdenker-Szene in Baden-Württemberg – | |
| anders als in Ostdeutschland – stärker durch ein alternatives, esoterisches | |
| Öko-Milieu geprägt. Doch auch im Ländle gab es eine Radikalisierung, | |
| bestehen längst inhaltliche Überschneidungen und Kontakte zu | |
| Rechtsextremist:innen. | |
| Einer der wichtigsten Köpfe hinter den Attacken auf Roth ist der ehemalige | |
| AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner. Der Onkologe mit eigener Praxis | |
| war einer der prominentesten Köpfe der baden-württembergischen | |
| Querdenker-Szene. Fiechtner attackiert Roth auf seinen Telegram-Kanälen | |
| über viele Monate – und triggert unter seinen Followern Gewaltfantasien | |
| gegen den Journalisten. | |
| Im November 2022 nennt Fiechtner Roth auf Telegram einen der | |
| „blasiertesten, verlogenen, hetzerischsten, am tiefsten im NS- und | |
| Stalinsumpf suhlenden Schorrnalisten aus, direkt aus der Printbude für | |
| braune Soße“. Er schreibt dies am Vorabend einer Kundgebung, über die Roth | |
| berichten wird. In einem auf Fiechtners Telegram-Kanal veröffentlichten | |
| Video ist die Rede von „Nazi-Alex“, der „von Jourfaschisten eigens | |
| eingeschleimte Preise für Indoktrination und Propaganda erhält.“ | |
| Fiechtner spricht auf einer Kundgebung in Stuttgart, bei der Roth als | |
| Berichterstatter anwesend ist. Fiechtner liest dem Demo-Publikum einen | |
| Tweet Roths vor und hebt seinen rechten Arm, wie zum Hitlergruß. Das | |
| Publikum johlt. | |
| Als Roth über das Auftreten Fiechtners auf einer Demo berichten will, | |
| schickt er Fiechtner vor Veröffentlichung des Artikels einige ihn | |
| betreffende Passagen mit der Möglichkeit, Stellung zu beziehen zu. | |
| Fiechtner postet die Anfrage auf Telegram – und nennt Roth einen | |
| „Schornazisten“ – eine Wortneuschöpfung Fiechtners für unliebsame | |
| Journalist*innen. Fiechtner veröffentlicht einen Screenshot des Artikels, | |
| inklusive Autorenfoto. | |
| Immer wieder hat Fiechtner mit seinen Attacken Wellen von Hassnachrichten | |
| gegen Roth ausgelöst. Diesmal sticht ein Post in seiner Bedrohlichkeit | |
| heraus: „Ohne Kugeln in den Kopf wird nix passieren. Die Bewegung braucht | |
| einen Einzeltäter, der jedem Regierungspolitiker eine verpasst.“ | |
| Um ein Gespräch gebeten lädt Fiechtner im Juni 2023 in seine Praxis ein. Er | |
| trägt ein weißes Hemd mit einer blauen Fliege; er nimmt sich Zeit. Die | |
| Berichterstattung zur Pandemie und den Corona-Protesten in der Waiblinger | |
| Zeitung sei eine „absolute Katastrophe“ gewesen, sagt er. Roth sei ein | |
| „beinharter Ideologe“, der „nicht unterscheiden kann zwischen Meinungs- u… | |
| Sachbericht“. Dass er die Corona-Proteste als „rechts“ und als „vom | |
| Verfassungsschutz beobachtet“ bezeichnet habe, habe „Stimmung erzeugen“ | |
| sollen. Dabei sei der Verfassungsschutz, der die Querdenker beobachtet, | |
| eine „weisungsgebundene Behörde“. Man müsse dies erwähnen, wenn man über | |
| den VS spreche. Denn der werde benutzt, seitdem er „in ihren Dienstbereich“ | |
| gekommen sei – mit „ihren Dienstbereich“ meint er die schwarz-grüne | |
| Regierung in Baden-Würtemberg. | |
| Im Auftrag der taz hat das Center für Monitoring, Analyse und Strategie | |
| (CeMAS) die Online-Angriffe gegen Roth analysiert. Das CeMas beobachtet | |
| rund 2.800 Telegram-Kanäle und rund 1.900 Gruppen aus dem | |
| verschwörungsideologischen und rechtsextremen Spektrum. Eine Auswertung | |
| ergab, dass die bis Juli 2020 zurück reichenden Attacken auf Roth von | |
| Kanälen ausgingen, die entweder eine starke Verbindung in die rechtsextreme | |
| Szene haben oder bundesweit als Brücke zwischen dieser und der sogenannten | |
| Querdenken-Bewegung dienen. Besondere Nähe der Kanäle gebe es etwa zum | |
| Compact-Magazin und zur [3][rechtsextremen Identitären-Bewegung]. Von | |
| Sommer 2020 bis Frühjahr 2023 fanden die CeMAS-Expertinnen mehr als 250 | |
| Nachrichten über Roth, mit einer Reichweite von insgesamt rund 480.000 | |
| Views. | |
| Die meisten Kanäle behandeln den Raum um Waiblingen – entsprechend sei auch | |
| die Bedrohung durch lokale Akteur:innen groß. Mit steigender Anzahl der | |
| Nachrichten, könnte auch „die Wahrscheinlichkeit von tätlichen Angriffen | |
| steigen“, vermutet man bei CeMAS: „Das Feindbild, das Kanalbetreiber und | |
| Gruppenmitglieder schaffen und personifizieren, kann und wird vor Ort | |
| bedrängt und bedroht“. Der Lokaljournalismus werde so „zum konkreteren Ziel | |
| als der abstraktere ‚Hauptstadtjournalismus‘ – die Arbeitsräume des | |
| Journalisten sind bekannt, möglicherweise auch Wohnort und | |
| Hobbytätigkeiten.“ Neben dem Kanal Fiechtners hebt CeMAS besonders den | |
| Kanal „Antifa & Aufklärung von Remstal Rebell“ hervor. | |
| Als sich Roth Ende 2021 auf Twitter über die ständige Bedrohung durch die | |
| Querdenker-Szene beklagt, veröffentlicht Michael S., ein lokaler | |
| rechtsextremer Aktivist aus Fellbach, dies auf seinem Telegram-Kanal: „Uuuh | |
| der kleine Alexander hat Angst“. Roth nennt er „Menschenverachtender | |
| Radikal-Rassist“. Der Beitrag zieht weite Kreise auf Telegram. Der Kanal | |
| „Antifa & Aufklärung von Remstal Rebell“ wiederum ist mit S. verbunden. Der | |
| macht auf Telegram Stimmung gegen Flüchtlinge und organisiert Demos unter | |
| dem Motto: „Fellbach wehrt sich“. | |
| Die taz trifft S. in einem Café am Rande Fellbachs. Michael S. erzählt | |
| davon, wie ein Freund ihm 2014 Alex Jones empfohlen habe, einen | |
| rechtsextremen Radiomoderator aus den USA. Von da habe er sich immer weiter | |
| geklickt. Vorher sei er „Mainstream“ gewesen. Es ist der klassische Weg der | |
| Radikalisierung, vor dem Expert:innen seit Jahren warnen: Bei Youtube | |
| etwa ist der Algorithmus darauf ausgelegt, immer krassere Videos | |
| anzubieten, um die Konsument:innen bei der Stange zu halten. Das kann | |
| den Weg in den Rechtsextremismus, in eine politische Radikalisierung | |
| befördern. | |
| S. referiert bei der Begegnung mit der taz ungefragt fast die komplette | |
| Bandbreite rechter Erzählungen: Er relativiert den menschlichen Einfluss | |
| auf den Klimawandel, hält Migration nach Deutschland mindestens indirekt | |
| für gesteuert, schwadroniert über die Psychologie von Menschen aus Afrika. | |
| Alexander Roth sei ein Denunziant und für viele ein „rotes Tuch“, sagt er | |
| und relativiert die Verbindungen der Querdenker-Szene zum | |
| Rechtsextremismus, über die Roth schreibt. Laut S. nennt Roth Leute | |
| rechtsextrem, nur weil sie vor Jahren mal ein Rechtsrock-Konzert | |
| organisiert hätten. Dabei wisse Roth nicht, was diese Leute heute dächten. | |
| Auf den Umstand angesprochen, dass seine Telegram-Posts zu Gewalt gegen | |
| Roth animierten, streitet S. zunächst eine Verantwortung ab. Dann spricht | |
| er von einer „Grauzone“. | |
| Im Laufe des Jahres 2021 haben es noch weitere lokale Querdenken-Akteure | |
| auf Roth abgesehen: Auch Heiko M. und Markus H. hetzen auf ihren | |
| Telegram-Kanälen regelmäßig gegen den Journalisten. Im April 2021 droht | |
| Heiko M. Roth dabei mit einer „Neuauflage der Nürnberger Prozesse“ – er | |
| soll also nach einer rechten Machtübernahme vor Gericht gestellt werden. | |
| Roth hatte zuvor zu Heiko M. und dessen Vernetzung in die | |
| Reichsbürger-Szene recherchiert. Im Juli 2021 tauchen Heiko M. und Markus | |
| H. vor Roths Arbeitsplatz, dem Gebäude des Zeitungsverlags Waiblingen, auf. | |
| Später veröffentlichen sie ein Video davon auf Telegram. Man wolle | |
| Alexander Roth auf ein Bier einladen, heißt es darin. | |
| Einige Wochen später kommen die beiden Querdenken-Akteure unter einem | |
| Vorwand in das Verlagsgebäude. Am Empfang sagen sie, sie würden einen | |
| Kaffee mit Roth trinken wollen. Er habe sie eingeladen, jederzeit | |
| vorbeizukommen. Die Einladung ist erfunden. Sie werden am Eingang | |
| abgewiesen, aber Roths Bedrohungsgefühl steigt. | |
| Im Januar 2022 mobilisiert die Querdenken-Szene gegen eine öffentliche | |
| Veranstaltung, auf der Roth über Rechtsextremismus in der Region spricht. | |
| Es wird über Telegram dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu „besuchen“. | |
| Nikolai Nerling, ein bekannter rechtsextremer Videoblogger und | |
| Holocaustleugner, auf Youtube bekannt als „der Volkslehrer“, teilt den | |
| Aufruf ebenfalls in seinem Telegram-Kanal – verbunden mit der Behauptung, | |
| Roth sei Jude. Damit entfacht er eine Welle antisemitischer Kommentare | |
| gegen Roth. | |
| Die Online-Angriffe weiten sich zu einer ständigen Bedrohungslage aus. Als | |
| Lokaljournalist läuft Roth Gefahr, auf der Straße erkannt zu werden – von | |
| den Personen, über die er berichtet. Von denjenigen, die es auf ihn | |
| abgesehen haben. Roth berichtet der taz, er sei in regelmäßigem Austausch | |
| mit der Polizei über Fragen zu seiner Sicherheit. Bei jedem öffentlichen | |
| Auftritt muss diese das Risiko bewerten, ob Polizeischutz nötig ist. | |
| Auf Twitter schreibt er: „Ich gehe keinen Schritt, ohne mich zu fragen, wie | |
| sicher ich bin. Wenn ich mich meiner Wohnung nähere, drehe ich mich alle | |
| paar Sekunden um. Wenn ich privat unterwegs bin, habe ich die Demo-Termine | |
| im Hinterkopf – um nicht aus Versehen in eine hineinzulaufen“. Auch diese | |
| Nachricht wurde auf Telegram-Kanälen genutzt, um weiter gegen Roth zu | |
| hetzen. | |
| Auf Demonstrationen, von denen er berichtet, muss er mit Angriffen rechnen. | |
| In der Redaktion sei es ständig Thema, welche Termine er überhaupt noch | |
| wahrnehmen könne. | |
| Bei einer Veranstaltung im Sommer 2023, auf den die taz ihn begleitetet, | |
| ist eine Sicherheitsabwägung und Rücksprache mit der Polizei nötig. Roth | |
| wechselt das Auto und nutzt einen Dienstwagen. | |
| Als er 2022 einen Lokaljournalistenpreis gewinnt, muss die Preisverleihung | |
| unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden: Geheimhaltung der | |
| Örtlichkeit und Polizeischutz mit Bombenspürhunden. Das Ausloten, welche | |
| Sicherheitsvorkehrungen zu treffen sind, kostet Zeit. In der Vorbereitung | |
| auf die Preisverleihung habe er eine Arbeitswoche in die Sicherheitsplanung | |
| investiert, sagt Roth. | |
| Er passe auf, wem er in seiner Nachbarschaft von seinem Job erzähle, um | |
| nicht versehentlich Personen gegen ihn aufzubringen: „Das ist eben ein | |
| Problem, das ich als Lokaljournalist habe – ich berichte über Menschen, die | |
| sehr nahe bei mir sind. Die mich auch mal auf der Straße sehen können, oder | |
| auf Festen“. | |
| Dass ein Nutzer auf Facebook schrieb, er werde „diesen Roth verschwinden | |
| lassen“, erfährt Roth erst viel später. Eine Kollegin macht ihn Ende 2021 | |
| darauf aufmerksam. Sie meldet den Fall auch dem örtlichen Polizeipräsidium. | |
| Das Verfahren wird an die Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben, da der | |
| Beschuldigte dort wohnhaft ist. Ermittelt wird wegen Störung des | |
| öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Im Juli stellt die | |
| Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Kein hinreichender Tatverdacht. | |
| Später zeigt Roth außerdem Michael S. wegen Beleidigung an. Auch dies | |
| bleibt ohne Folgen: Der Strafantrag wurde nicht im Rahmen der | |
| Drei-Monatsfrist gestellt. | |
| In den meisten Fällen handele es sich bei Hasskriminalität im Internet um | |
| Beleidigungsdelikte, sagt Josephine Ballon. Ballon ist Anwältin und | |
| Leiterin der Rechtsabteilung bei HateAid, einer Organisation, die | |
| Betroffene digitaler Hasskriminalität berät und unterstützt. „Es ist eben | |
| nicht Aufgabe der Betroffenen zu identifizieren, welcher Straftatbestand in | |
| ihrem Fall vorliegt.“ In vielen Beleidigungsverfahren erlebe man zudem, | |
| dass Betroffene nicht wissen, dass sie in diesem Fall innerhalb von drei | |
| Monaten einen Strafantrag stellen und diesen in Papierform einreichen | |
| müssen. „Da wäre es hilfreich, wenn Polizei und Staatsanwaltschaften selbst | |
| darauf hinweisen oder auf Beratungsstrukturen verweisen würden, die | |
| Betroffene bei Rechtsfragen unterstützen“, meint Ballon. | |
| Im November 2022 erstattet Roth Anzeige gegen Heinrich Fiechtner – dieses | |
| Mal über den Anwalt der Redaktion. Das Verfahren läuft aktuell noch. | |
| Fiechtner hetzt indes weiter gegen Roth. Dass Roth ihn angezeigt hat, teilt | |
| Fiechtner auf Telegram mit den Worten mit, Roths „fragiles hassbebendes | |
| Innere bebt so sehr, dass das Mimimi jetzt sogar die Polizei (…) aktiviert | |
| hat“. | |
| „Bei uns gibt es mittlerweile einen sehr kurzen Draht zur Polizei“, sagt | |
| Roth. „Ich habe auch einen Ansprechpartner, dem ich regelmäßig Sachen | |
| weiterleiten kann, dem ich nicht immer erklären muss, wer ich bin und worum | |
| es geht. Dieser ist mit der Lage vertraut und kann direkt sagen, wie wir | |
| vorgehen.“ | |
| Freier Journalismus, mancherorts ist er in Deutschland nur unter | |
| Polizeischutz möglich. | |
| Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts „Decoding the disinformation | |
| playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute in | |
| Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und taz durchgeführt | |
| wird. Das Projekt wird vom European Media and Information Fund finanziell | |
| unterstützt, der von der Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird. | |
| Eine ausführliche Fallstudie zu den Diffamierungen gegen Alexander Roth | |
| findet sich auf den Seiten des International Press Institute: | |
| [4][https://tinyurl.com/dm5xz5r2] | |
| 3 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Behoerdlicher-Umgang-mit-Reichsbewegten/!5958321 | |
| [2] /Angriffe-auf-Medien-in-Leipzig/!5938435 | |
| [3] /Die-AfD-und-die-Identitaeren/!5955016 | |
| [4] https://ipi.media/decoding-disinformation-playbook/case-study-alexander-rot… | |
| ## AUTOREN | |
| Jean-Philipp Baeck | |
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| Luisa Kuhn | |
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