# taz.de -- Neonazis in der Corona-Protestbewegung: Ohne Abstand | |
> Am Samstag protestieren „Querdenker“ wieder gegen Coronaregeln. Die | |
> Bewegung wird von Rechtsextremen unterwandert – und wehrt sich nicht. | |
Bild: Gegen die Corona-Diktatur: Rechtsextremist Sven Liebich auf einer Demo in… | |
Berlin taz | Am Samstag rufen die „Querdenker“ wieder zur Großdemonstration | |
auf. Diesmal in Stuttgart, einem der Gründungsorte und Hotspots ihres | |
Protests. Für „Freiheit und Frieden“ wollen die Gegner:innen der | |
Coronamaßnahmen dort demonstrieren. Doch dass es friedlich bleibt, ist | |
längst nicht mehr ausgemacht. | |
Denn zuletzt fiel der Protest gleich mehrfach mit wüsten Szenen auf. In | |
[1][Kassel] und Dresden setzten sich Teilnehmer:innen über | |
Demonstrationsverbote hinweg, rangelten mit Polizeikräften und | |
Gegendemonstranten. Inzwischen hat der Verfassungsschutz die Bewegung im | |
Blick. Erst am Dienstag stufte das Hamburger Landesamt das dortige | |
„Querdenken 40“ und die Gruppe „Hamburg steht auf“ als Verdachtsfall ei… | |
Bei den Gruppen hätten sich „verfassungsfeindliche Bestrebungen | |
verdichtet“. Es werde „ausdrücklich zu einem Widerstand gegen den | |
demokratischen Rechtsstaat aufgerufen, der über friedlichen Protest | |
hinausgeht“. Zuvor schon hatten Baden-Württemberg und Bayern Teile der | |
Bewegung als Beobachtungsjobjekte eingestuft. Weitere Landesämter und das | |
Bundesamt prüfen, ob sie nachziehen. Auch weil sich immer wieder | |
Rechtsextreme in den Protest einreihen – und das von Beginn an. | |
Am 25. April 2020 steht [2][Udo Voigt] auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in | |
Berlin. Fotos zeigen den NPD-Funktionär mit Schirmmütze und blauer | |
Steppjacke. Mit ihm haben sich mehrere hundert Menschen versammelt, die als | |
selbsternannte „Hygienedemo“ gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren – es | |
ist einer der ersten Coronaproteste überhaupt. Bürgerliche, Hippies, | |
Impfgegner:innen oder Verschwörungsanhänger finden sich ein. An dem | |
NPD-Mann stören sie sich offenbar nicht. Der sucht gezielt die | |
Aufmerksamkeit. „Coronadiktatur stoppen, bevor es zu spät ist“, wird Voigt | |
später auf einem Facebook-Profil schreiben. „Wir sehen nicht tatenlos zu!“ | |
Voigt ist damit einer der ersten Neonazis, der sich in die damals | |
entstehenden Coronaproteste einreiht. Er wird nicht der einzige bleiben. | |
Die rechtsextreme Szene erkennt das Potenzial früh. Voigts NPD frohlockt | |
schon Mitte März letzten Jahres: „Noch nie war ein Systemwechsel so | |
greifbar wie derzeit.“ Zur gleichen Zeit bietet auch „Die Rechte“, eine | |
Neonazi-Splitterpartei, „Corona-Einkaufshilfen“ als Zeichen der „national… | |
Solidarität“ an. Und „Der III. Weg“, auch eine rechtsextreme Kleinpartei, | |
klagt, die „Deutschen“ würden in der Coronakrise „komplett entmündigt�… | |
Slogan auch hier: „Das System ist gefährlicher als Corona.“ | |
## Rechtsradikale wittern ihre Chance | |
Anfang April 2020 geht „[3][Die Rechte]“ in Bremerhaven unter dem Slogan | |
„Grundrechte auch in der Coronazeit schützen“ auf die Straße. In Chemnitz | |
demonstriert das rechtsextreme „[4][Pro Chemnitz]“ gegen die | |
„Coronadiktatur“, in Cottbus rufen Rechtsextreme eine „Covid 1984 | |
Warnstufe“ aus. Der Verfassungsschutz listet allein von April bis Anfang | |
August 2020 bundesweit 92 Coronakundgebungen, die von Rechtsextremisten | |
dominiert oder gleich selbst organisiert werden. | |
Und auch bei den Großprotesten der „Querdenker“ sind sie dabei. Denn diese | |
Veranstaltungen kultivieren so einige Aspekte, die auch zum rechtsextremen | |
Glaubenskanon gehören: Agitation gegen Regierung und die „Lügenpresse“, d… | |
Behauptung einer Dichotomie von böswilligen Eliten und unterdrücktem Volk, | |
dazu teils antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählungen. Wirkliche | |
Gegenwehr erhalten die Rechtsextremen nicht, im Gegenteil. Der Protest | |
funktioniere „parteiübergreifend, ohne sich gegenseitig zu distanzieren“, | |
bekundet NPD-Mann Voigt erfreut im Mai 2020 in einem Interview. | |
Einer der ersten, der selbst Kundgebungen organisiert, ist Sven Liebich, | |
ein umtriebiger Rechtsextremist aus Halle. Vor Jahren war der Endvierziger | |
beim [5][Blood-&-Honour]-Netzwerk dabei, nun setzt er auf | |
Politprovokationen, die er auf seinem Videokanal festhält. Fast | |
allwöchentlich demonstriert Liebich bis heute auf dem Marktplatz in Halle | |
gegen die „Coronadiktatur“, taucht auch, wie Udo Voigt, bei bundesweiten | |
Großprotesten auf. Er stützt diese auch materiell: Über seinen | |
Internetversand bietet Liebich Shirts mit „Querdenker“- oder | |
QAnon-Aufdrucken an. Oder – die NS-Verbrechen relativierend – solche mit | |
„Judenstern“ und der Aufschrift „Ungeimpft“. | |
In Nordrhein-Westfalen ist es wiederum Michael Brück, ein | |
Anfang-dreißig-Jähriger und Sprachrohr von „Die Rechte“, der früh von ei… | |
„Volksfront“ träumt. Die rechtsextreme Szene ruft er offensiv zur Teilnahme | |
auf: „Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber | |
vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid | |
dabei.“ Ähnlich deutlich wird Matthias Fischer, Vizechef des „III. Wegs“. | |
„Wir müssen als Nationalrevolutionäre jetzt auf die Straße gehen“, erkl�… | |
er in einem Video zum Coronaprotest. „Nutzt jede Möglichkeit, unsere | |
Weltanschauung zu verbreiten.“ | |
Die Neonazis verhehlen ihre Pläne damit nicht. Sie wollen in der Masse der | |
Coronaprotestierenden ihre eigene Agenda platzieren und dort Mitstreiter | |
gewinnen. Und sie wollen die Wut auf die Regierung, Parteien und Medien | |
bestärken, um diese zu delegitimieren. Zwar bleiben die Rechtsextremen eine | |
Minderheit bei den Protesten, aber eine gut organisierte. Und anders als | |
die teils kaum politisierten Mitdemonstranten mit ihren diffusen | |
Forderungen wissen die Neonazis ganz genau, was sie wollen: den | |
Systemsturz. „Nicht das Virus ist das Problem, sondern das System“, erklärt | |
„III. Weg“-Mann Fischer. | |
## Matte Reaktionen der „Querdenker“ | |
Die Organisatoren der Coronaproteste reagieren auf die Rechtsextremen nur | |
halbherzig. Das Stuttgarter „Querdenken 711“ betont in seinem „Manifest“ | |
zwar, man sei eine friedliche Bewegung, in der „menschenverachtendes | |
Gedankengut“ keinen Platz habe. Dort heißt es aber auch: „Wir sind | |
überparteilich und schließen keine Meinung aus.“ Fragt man, warum es zu | |
keinen Ausschlüssen von Rechtsextremen auf den Demonstrationen kommt, | |
lautet die Antwort: Man könne weder wissen noch kontrollieren, wer sich dem | |
Protest anschließe. Und die NPD etwa sei ja eine Partei, die nicht verboten | |
ist. | |
Als am 29. August 2020 in Berlin rund 38.000 „Querdenker“ zur | |
Großdemonstration zusammenkommen, zählt der Verfassungsschutz darunter | |
immerhin 2.500 Rechtsextreme, unter ihnen auch Michael Brück, Sven Liebich | |
und Udo Voigt. Für sie wird es eines der größten Szenetreffen seit Jahren | |
in der Hauptstadt – mit ungewohnten Freiräumen, ohne Ausschluss seitens der | |
„Querdenker“, ohne nennenswerten Gegenprotest von außen. Am Ende sind es | |
Reichsbürger, welche die Bundestagstreppe stürmen und kurzzeitig besetzen. | |
Es sind die Bilder, die von diesem Tag bleiben – ein Propaganda-Erfolg für | |
die Rechtsextremen. Der „III. Weg“ lobt danach das Miteinander als | |
„Meilenstein“ für das „nationale Lager“. Michael Brück von der „Rec… | |
lobt die Logistik der „Querdenker“ als „ganz große Hausnummer“ – aber | |
fordert noch „mehr zivilen Ungehorsam“. | |
Auch wenn sich die „Querdenker“-Organisator:innen später von der | |
Besetzung der Bundestagstreppe distanzieren: Die Rechtsextremen bleiben | |
Teil der Bewegung. Am 7. November 2020 findet diese ihren nächsten | |
Höhepunkt. Wieder stehen die Rechtsextremen gemeinsam mit den „Querdenkern“ | |
auf der Straße, diesmal in Leipzig, wieder kommen rund 40.000 | |
Protestierende, wieder sind Liebich, Brück und Voigt dabei. Und diesmal | |
wird es den Widerstand geben, den Brück einforderte. | |
Als die Polizei einen untersagten Demonstrationszug verhindern will, | |
tauchen Rechtsextreme vor den Beamten auf, fordern, die Straße | |
freizumachen, werfen Pyrotechnik und Flaschen. In erster Reihe steht mit | |
Mikrofon: Michael Brück. Tatsächlich weicht die Polizei schließlich zurück, | |
die Demonstrierenden ziehen über den Leipziger Ring – und feiern eine | |
vermeintliche Analogie zu den Leipziger Montagsdemos von 1989. Es ist ein | |
erneuter Erfolg, dank der Rechtsextremen. Die Arbeitsteilung an diesem Tag | |
funktioniert. Und die „Querdenker“ werden den Schulterschluss auch jetzt | |
nicht aufkündigen. In einer Pressemitteilung verneinen die Organisatoren | |
Ausschreitungen aus den eigenen Reihen und erwähnen die Rechtsextremen mit | |
keinem Wort. Vielmehr heißt es: Dass sich „ein Aufzug um den Innenstadtring | |
von Leipzig gebildet hat, war den Menschen in Leipzig zu verdanken“. | |
Tatsächlich gibt es unter den „Querdenkern“ immer wieder Stimmen, die vor | |
einer Spaltung warnen. Ralf Ludwig, Anwalt und „Querdenken“-Wortführer, | |
begrüßt gar auf einer Kundgebung die Teilnahme von Rechtsextremen wie der | |
NPD. Man demonstriere ja für Freiheit und Demokratie: „Und wenn sich die | |
NPD genau diesem anschließt, dann ist das doch ein Erfolg von uns.“ Dann | |
sei das „doch auch Antifaschismus“. „Querdenken“-Anführer Michael Ball… | |
trifft sich im November mit Reichsbürgern in Thüringen zu Strategietreffen. | |
Klare Grenzziehungen sehen anders aus. Und so sickert auch die Rhetorik der | |
Rechtsextremen in den Protest ein. Neben der „Coronadiktatur“ ist nun auch | |
die Rede von „Ermächtigungsgesetzen“ – ein Terminus, den der III. Weg sc… | |
im März 2020 bediente. Sven Liebich tritt bereits im Mai 2020 in einem | |
Anne-Frank-Shirt auf. Auch dieser die NS-Zeit verharmlosende Vergleich wird | |
später noch breiter auftauchen. | |
Dazu wird der Protest immer gewalttätiger. Als im November Demonstranten | |
vor dem Bundestag in Berlin gegen die Verabschiedung des neuen | |
Infektionsschutzgesetzes protestieren, reisen wieder etliche Neonazis an, | |
es kommt zu Angriffen auf Polizisten. Vorne mit dabei heizt Liebich die | |
Stimmung an, ruft den Beamten zu: „Erschießt doch einfach die Leute!“ Die | |
Polizei setzt erstmals seit Jahren wieder Wasserwerfer ein, Berlins | |
Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht im Anschluss von „immenser“ | |
Gewalt. | |
Wenig später stuft der [6][Verfassungsschutz] Baden-Württemberg das | |
Stuttgarter „Querdenken 711“, bundesweiten Protestorganisator, als | |
Beobachtungsobjekt ein. Personell wie ideologisch prägten Reichsbürger und | |
rechtsextreme Akteure die Gruppierung, so die Behörde. Auch wenn die | |
meisten Demonstrierenden weiter nicht extremistisch seien, schüre der | |
Protest doch „gezielt Hass auf den Staat“. Vor zwei Wochen stufte auch der | |
bayrische Verfassungsschutz Teile der Bewegung entsprechend ein, nun zieht | |
Hamburg nach. Weitere Landesämter dürften folgen. | |
Die „Querdenker“ fordern das geradezu heraus – mit jüngsten Auftritten w… | |
in Dresden oder Kassel. Zu letzterer Demo reist auch Sven Liebich wieder | |
an, mit einem „Judenstern“ samt „ungeimpft“-Aufdruck auf dem Anorak. | |
„Schöner Tag“, konstatiert er, nachdem die Protestierer die Polizei | |
überrannt haben. „War wirklich alles unser Gelände.“ Auch Anhänger des | |
„III. Wegs“ reihen sich wieder ein. Gleichzeitig demonstrieren | |
Rechtsextreme auch in Berlin gegen die Coronamaßnahmen, am vergangenen | |
Wochenende taten sie es in Chemnitz. Zu verlockend bleibt der Coronaprotest | |
– als Vehikel zur Verbreitung der eigenen Propaganda und für die Suche nach | |
neuen Mitstreiter:innen. Oder, wie es der „III. Weg“ einmal festhält: „W… | |
es nirgendwo sonst einfacher war, sich direkt an deutsche Seelen zu wenden, | |
ohne keifenden Antifa-Pöbel und Hamburger Gitter im Weg.“ | |
Der Text ist ein aktualisierter Vorabdruck aus dem Sammelband „Fehlender | |
Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“, | |
der am 7. April im Herder-Verlag erscheint. | |
31 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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