| # taz.de -- NPD-Chef Udo Voigt: Sein Kampf | |
| > Seit zwölf Jahren, erstaunlich lange für die NPD, hält sich Udo Voigt an | |
| > der Spitze. Für den Parteitag Ende Mai schickt die Basis Konkurrenten ins | |
| > Rennen. Die wären noch extremer. | |
| Bild: NPD-Parteichef Udo Voigt muss seine Entmachtung fürchten. | |
| BERLIN-KÖPENICK/BAD SAAROW taz Die Tür geht auf, wortlos reicht der | |
| Mitarbeiter ein Fax herein. Auf dieses Schreiben hat der Parteichef lange | |
| gewartet. Es ist der Mietvertrag. Endlich! Ende Mai soll in der Bamberger | |
| Kongresshalle der NPD-Bundesparteitag stattfinden, Udo Voigt blättert | |
| hastig durch die Seiten. Sein Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln. | |
| Es ist jene angestrengte Miene, die er oft trägt in der letzten Zeit. Vor | |
| allem dann, wenn es nichts zu lachen gibt. So wie jetzt. | |
| Die Stadt Bamberg fordert 100.000 Euro Kaution für die Halle. 100.000 Euro! | |
| Wo doch jeder weiß, dass die NPD vor lauter Schulden schon ihre Mitglieder | |
| anbettelt. Voigt sagt: "Die werfen uns Knüppel zwischen die Beine, wo sie | |
| nur können." Er sieht angespannt aus. | |
| Es ist sind ja nicht nur Bamberger Bürokraten, mit denen er sich | |
| herumschlägt. Auch in der NPD gibt es Ärger. Und die Kameraden tun ihm | |
| nicht den Gefallen, die Streitereien diskret zu behandeln. Seit Wochen | |
| berichtet die Presse über einen "Machtkampf" an der NPD-Spitze - es geht um | |
| seinen Posten, auf dem er sich seit zwölf Jahren hält. Als Vorsitzender der | |
| radikalsten unter den rechtsextremen Parteien in diesem Land. Erst ließ der | |
| NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, erklären, die | |
| Parteiführung zu übernehmen. Zwei Tage später schloss sich dessen | |
| Pressesprecher Andreas Molau an. Inzwischen hat die Basis eine ganze Reihe | |
| Gegenkandidaten vorgeschlagen. Ist Udo Voigt, gelernter | |
| Metallflugzeugbauer, 56 Jahre, am Ende? | |
| Nein, sagt der NPD-Chef, die "Führungsfrage" stelle sich gar nicht. Er hält | |
| die Arme vor dem Bauch verschränkt. Er lächelt mal wieder. | |
| Es ist ein strahlender Frühlingstag in Berlin-Köpenick, Voigt hat die | |
| Jalousien vor den Fenstern seines Büros im ersten Stock der Parteizentrale | |
| heruntergelassen. Hier drinnen in dem schäbigen Altbau hat er sich sein | |
| kleines Reich geschaffen. Es könnte die Kulisse für eine Führer-Klamotte | |
| sein. Fahnen stehen in einem Halter hinter seinem Sessel, an der Wand hängt | |
| eine Karte des Reiches aus anderen Zeiten, und wenn der NPD-Chef aufschaut, | |
| blickt ihn eine Bismarck-Büste an. | |
| Udo Voigt vergleicht sich gerne mit dem Reichskanzler. Der ist weniger | |
| heikel als Hitler. Schon als Grundschüler habe er sich für Bismarck | |
| begeistert. "Er ist für mich ein politisches Vorbild", sagt Voigt | |
| ehrfürchtig. "Er war auch ein Offizier und Soldat." Der Gedanke ans Militär | |
| bringt ihn ins Schwärmen. Er habe in seiner Jugend "Kriegsliteratur" | |
| verschlungen - auch jene, die ihm sein Vater, ein SA-Mann und | |
| Wehrmachtsveteran, hinlegte. Voigt seufzt. "Ich wäre lieber Offizier als | |
| Parteivorsitzender." | |
| Zwölf Jahre hatte Voigt bei der Bundeswehr gedient, bevor er rausflog, | |
| nachdem er rechtsextrem agitiert hatte. Es war ein Kosmos, wo Befehl und | |
| Gehorsam galten - und wo es nicht nötig war, den Demokraten zu spielen. "In | |
| der Partei muss man jede Entscheidung vorbereiten, man muss sie diskutieren | |
| und ist einem Hinterfragungsprozess ausgesetzt." Für die Demokratie hatte | |
| Voigt noch nie etwas übrig - außer Verachtung. "Beim Militär wird gesagt: | |
| So wird es gemacht. Und wer nicht mitmacht, der wird vorläufig | |
| festgenommen", schwärmt er. "Dann ist die Sache erledigt." | |
| So wie sich seine Truppe dieser Tage benimmt, wären wohl einige | |
| Parteifreunde reif für den Arrest. | |
| Würde Voigt gestürzt und durch Pastörs ersetzt, droht eine weitere | |
| Radikalisierung der NPD. Unter anderem deshalb halten Fachleute in den | |
| Sicherheitsbehörden einen Abgang Voigts beim Parteitag für | |
| unwahrscheinlich. Bisher gebe es "keine ernsthaften Anzeichen für eine | |
| Palastrevolution", urteilt ein hochrangiger Beamter. "Die Signale stehen | |
| eher auf Kontinuität." Eine Einschätzung, die andere Verfassungsschützer | |
| teilen. Die Mehrheit der NPD-Delegierten seien "Traditionalisten", denen | |
| sei ein unkontrollierter "Demagoge" wie Pastörs "schwer vermittelbar". | |
| Man muss die zwei nur gemeinsam erleben. Beide gleich alt, beide Wessis. | |
| Doch an Pastörs Seite wirkt Voigt wie ein altersmüder Schäferhund neben | |
| einem jungen Terrier: Voigt schreitet, Pastörs wieselt. Voigt neigt zu | |
| zähen Referaten, Pastörs liebt provokante Reden. | |
| So wie kürzlich, bei einer Protestaktion gegen die Innenministerkonferenz | |
| im brandenburgischen Bad Saarow. Voigt liest aus dem Grundgesetz vor, seine | |
| Rede zieht sich, die ersten Kameraden gähnen, da trifft mit halbstündiger | |
| Verspätung Pastörs ein. Klein, drahtig, akkurat gescheitelt. Im | |
| Stechschritt stürzt er auf den Parteichef zu, streckt ihm die Hand | |
| entgegen, verbeugt sich so tief, als sei er am japanischen Hof in die Lehre | |
| gegangen, und reiht sich artig ein in den Halbkreis rechtsextremer Zuhörer. | |
| Als Pastörs schließlich selbst ans Mikrofon darf, wedelt er nicht mit dem | |
| Grundgesetz, er beschimpft lieber den Bundestag als "Knesset an der Spree". | |
| Da wachen auch die Provinzneonazis am Straßenrand wieder auf. | |
| Fragen nach seinen Ambitionen weicht Pastörs aus. "Politik ist dynamisch, | |
| nicht statisch", orakelt er in eine TV-Kamera. Und dass er "notfalls" | |
| bereit stehe - "wenn die Partei mich ruft". Sein Bückling vor dem Chef, | |
| eine gespielte Geste der Demut? Udo Voigt hört dem Parteifreund aufmerksam | |
| zu. Er schweigt. Lächelt. | |
| Ein paar Tage später gibt Voigt sich siegesgewiss. Keiner habe bisher im | |
| NPD-Präsidium eine Gegenkandidatur angemeldet. "Und man würde dem | |
| Vorsitzenden doch wenigstens sagen: Ich beabsichtige gegen dich | |
| anzutreten!" | |
| Gemessen an seinen Vorgängern hält sich Udo Voigt erstaunlich lange an der | |
| Spitze der NPD - seit 1996, als er sich knapp gegen seinen Vorgänger Günter | |
| Deckert durchsetzte. Der saß damals im Gefängnis, die Partei war ein | |
| desolater Haufen. Unter Voigt hat sie ihre Mitgliederzahl fast | |
| verdreifacht, während die "Republikaner" und die DVU schrumpften. Sie zog | |
| in zwei Landtage ein, erwarb sich in einigen Gebieten im Osten den Ruf als | |
| akzeptierte Regionalpartei. | |
| Voigt kann, was wenige in der Szene beherrschen: zwischen den Parteiflügeln | |
| vermitteln. Er gilt als politisches Chamäleon besonderer Art, er vermag | |
| jederzeit sein Erscheinungsbild anzupassen - von hellbraun bis dunkelbraun. | |
| Voigt ist ein Rassist und ein Verfassungsfeind, der mit seiner | |
| Verherrlichung der NS-Zeit schon öfter die Staatsanwaltschaft hellhörig | |
| machte, der Hitler als "großen deutschen Staatsmann" pries und die | |
| Bundesrepublik "abwickeln" will. Aber er weiß genau, wo die Grenze | |
| verläuft. Wenn er öffentlich redet, dann mit einer Schere im Kopf. | |
| Er ist ein pragmatischer Extremist, ein personifizierter Kompromiss. In | |
| seiner Amtszeit gewannen junge, militante Neonazis in der NPD an Einfluss - | |
| gleichzeitig besänftigte Voigt die alten Kader und schmiedete obendrein den | |
| "Deutschland-Pakt", ein Wahlbündnis mit der Altherrenpartei DVU. Wie | |
| elastisch Voigt seine Position anpasst, zeigt der Streit um den Vertrag mit | |
| der DVU. Seit Monaten fordert die NPD-Basis, der DVU entgegen den | |
| Absprachen bei der Landtagswahl in Thüringen doch nicht den Vortritt zu | |
| lassen. Voigt ließ die eigenen Leute abblitzen. Doch jetzt, kurz vor dem | |
| Parteitag, verkündet der NPD-Chef plötzlich die Wende: Der Pakt mit der DVU | |
| werde nachverhandelt. | |
| Voigts strategischer Schwenk dient wie so oft dem eigenen Machterhalt. Er | |
| will um jeden Preis Zoff beim Parteitag verhindern. Auch weil seine Bilanz | |
| der vergangenen Monate alles andere als glanzvoll ausfällt. Bei Wahlen im | |
| Westen blieb der Durchbruch aus. Die Finanzlage der Partei ist wieder mal | |
| brenzlig. Und seit Februar sitzt auch noch der Schatzmeister in | |
| Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Erwin Kemna, 627.000 | |
| Euro von NPD-Konten abgezweigt zu haben. Sicherheitskreise orakeln zwar, | |
| der Fall werde vermutlich eine "kleinere Nummer" als gedacht. Sollten die | |
| Ermittler aber vor dem Parteitag doch noch brisante Fakten auftischen, die | |
| auch Voigt betreffen, dann könnte es für ihn vorbei sein. | |
| Denn Kemna gehört zu jenen Funktionären, mit denen der NPD-Chef dicke war. | |
| Er steht bis heute zu ihm. Voigt sagt, er habe von dessen Methoden | |
| "kreativer Geldbeschaffung" gewusst. Er erzählt sogar, dass der | |
| Schatzmeister ihm aus dem Gefängnis schreibe, "nette, freundlich gehaltene | |
| Briefe". Gerade erst habe Kemna ihm zum Geburtstag gratuliert. "Ich kann | |
| mir nicht vorstellen, dass er das Vertrauen missbraucht hat." | |
| Udo Voigt hat viele Affären ausgesessen. Er zählt zu den Meistern dieser | |
| Disziplin. Er redet sich weiter ein, dass er "große Aufgaben" vor sich hat. | |
| Berufen ist, "das deutsche Volk zu bewahren". | |
| Selbst wenn er es auf dem Weg durch die Institutionen so weit noch nicht | |
| gebracht hat. Seit Herbst sitzt Voigt im Bezirksparlament Treptow-Köpenick, | |
| letzte Reihe. Er darf sich Bürgerfragen zu Hundeauslaufgebieten anhören und | |
| über Tempo-30-Zonen abstimmen. | |
| Dreieinhalb Stunden vergehen, bis der NPD-Chef an diesem Aprilabend seinen | |
| ersten Auftritt hat. Im dunkelblauen Anzug steht er vorne am Mikrofon. | |
| "Meine sehr verehrten Damen und Herren", hebt Voigt an - um dann im | |
| getragenen Ton seinen Antrag zu begründen. Es geht darin auch um Nöte des | |
| deutschen Volkes, allerdings ziemlich kleine, gemessen an Voigts Zielen. | |
| Die NPD verlangt die "Aufstellung öffentlicher Toiletten" - | |
| "barrierefreie", wie Voigt in seiner Rede anmerkt. Keine Chance, die | |
| Demokraten im Saal stimmen geschlossen dagegen. Der Vorstoß für mehr | |
| Klohäuschen im Bezirk scheitert. | |
| Zumindest diese Niederlage aber wird Voigt wohl nicht lange grämen. | |
| 10 May 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Astrid Geisler | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |