# taz.de -- Die taz und die Neuen Rechten: Die Lügenpresse, das sind wir | |
> Gegen die Elite aus Mainstreammedien und Politik, die die Wahrheit | |
> verschweigt, wurde 1979 die taz gegründet. Heute reden Rechte so. Was | |
> bedeutet das? | |
Bild: Rudi Dutschke kritisierte die „totale Kontrolle“ bei Pressegesprächen | |
Im Oktober 1979 mogelte sich Rudi Dutschke in Bonn auf eine | |
Pressekonferenz, die der chinesische Ministerpräsident Hua Guofeng und der | |
deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt gaben. Er war mit der Akkreditierung | |
eines befreundeten Journalisten hineingekommen und wollte nun Fragen zur | |
Menschenrechtssituation in China stellen. Dutschke hob die Hand. Aber man | |
rief ihn einfach nicht auf. | |
Wer kam stattdessen dran, um „Pseudofragen“ zu stellen, wie Dutschke es | |
nannte? Das ZDF. Unter schärfstem Protest gegen diese „Manipulationsshow“ | |
verließ er den Saal. Selbst die New York Times berichtete darüber, einen | |
erstaunlich schönen Fehler inklusive: „Red Rudi“ habe eine linke | |
Publikation namens „rageszeitung“ vertreten. Gemeint war die taz. | |
Dutschke, einigermaßen in Rage, schrieb tags darauf einen Artikel, der auf | |
der Titelseite erschien. Er kritisierte die „künstliche Atmosphäre“, in d… | |
„jedes echte Fragen nach Wahrheit“ ausgeschlossen worden sei. Solche | |
Pressegespräche unterlägen der „totalen Kontrolle“. | |
Es war eine Anklage des korrumpierten Schweinesystems, in dem die anderen | |
Journalisten auch noch mitmachten: Von FAZ bis Frankfurter Rundschau, von | |
Welt bis Bild, befand er, waren keine „echt-demokratischen Fragen zu | |
erhoffen“. | |
Zwei Monate später starb Dutschke. Hier war er noch einmal in seinem | |
Element. | |
„Der Bericht dokumentiert eindrucksvoll eine Haltung, die auch die taz | |
prägte“, schrieb Jahrzehnte später Jörg Magenau in einem Buch über die ta… | |
„… die völlige Entfremdung gegenüber dem Staat und die penetrante | |
Selbstgewissheit, dessen ‚Halbwahrheiten und Lügen‘ mit der eigenen | |
‚Wahrheit‘ entlarven zu können.“ Es waren andere Zeiten. Für die heutige | |
taz, schloss Magenau, wäre so ein Auftritt „einfach nur unprofessionell“. | |
## Jetzt betrachten sich rechte Medien als alternativ | |
Man kann von Dutschkes verhinderter Ein-Mann-Demo allerdings nicht lesen, | |
ohne das Wissen der Gegenwart im Kopf zu haben. Leute, die gegen „das | |
System“ und eine „Elite“ aus Medien und Politik wettern, welche die | |
„Wahrheit“ verschweige, die gibt es ja nun wieder. Es sind halt nur die | |
anderen. | |
38 Jahre nach der Gründung der taz betrachten sich rechte Medien als | |
alternativ. Das Monatsmagazin Compact, das Blog „Politically Incorrect“, | |
die Theoriezeitschrift Sezession. Und eine Unzahl von Facebookseiten. „Die | |
neuen Medien erlauben den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit. Es sind | |
Versuche auf Graswurzelniveau, um sich das Land zurückzuholen“, schreibt | |
die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit. | |
Was ist dran an dem Vergleich? Was sagt das über die linken Ziele von | |
damals und die rechten Strategien von heute? | |
Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer, der sich als Enthüllungsjournalist | |
für linke Lebenslügen einen Namen gemacht hat, führte im März 2017 vor, | |
warum es so nahe liegt, von den 68ern auf die Neuen Rechten zu kommen. Über | |
ein Interview mit Rudi Dutschke aus dem Jahr 1967 schrieb er: „Wer beim | |
Zuhören die Augen schließt, erkennt viele Parolen wieder, die heute die | |
rechten Provokateure im Munde führen. Da ist die Schmähung der | |
Regierungskabinette als ‚institutionalisierte Lügeninstrumente‘, die | |
Ablehnung des parlamentarischen Systems als manipulativ und unbrauchbar, | |
die Verherrlichung der neuen Bewegung als eine, die ‚die wirklichen | |
Interessen der Bevölkerung‘ ausdrückt.“ | |
## Redete Dutschke wie Pegida-Prediger heute? | |
Was soll man sagen? Im Detail hat Fleischhauer Recht. So wie Dutschke | |
damals redete, reden heute Pegida-Prediger. Man kann sogar noch weiter | |
gehen und sagen: Zum Glück war Fleischhauer nicht im Archiv der taz. Die | |
erste Ausgabe erschien im April 1979 mit Gedanken von Mitarbeiterinnen und | |
Mitarbeitern. Die Rede ist dort von einem Staat, der „jeden Widerstand zu | |
ersticken“ versuche. „Die TAZ wird Säure werden müssen, um | |
gesellschaftliche, politische und persönliche Verkrustungen wegätzen zu | |
können.“ Da Wahrheiten nicht pur zu haben seien, sondern nur gemischt mit | |
Hass, Hoffnungen und Meinungen, müsse man sie „in 10.000 Lügen erzählen“. | |
Es ist, während man das liest, als säße einem ein kleiner Fleischhauer auf | |
der Schulter und würde rufen: „Es war alles schon mal da. Bei euch, ihr | |
Trottel!“ | |
Was aber unterscheidet das Medienbild der „Lügenpresse“-Rufer von heute von | |
dem der „Bild lügt“-Rufer von damals? | |
Es lohnt sich, auf der Suche nach einer Antwort ein altes Buch zu lesen. | |
Oskar Negt und Alexander Kluge haben es geschrieben, und man muss gar nicht | |
auf das Erscheinungsdatum schauen, um zu merken, dass es 1972 erschienen | |
ist. Begriffe wie „Verblendungszusammenhang“, „Diktatur der Bourgeoisie“ | |
und „Terrorzusammenhang der modernen Kleinfamilie“ verraten es. Das Buch | |
heißt „Öffentlichkeit und Erfahrung“ und ist die maßgebliche | |
Auseinandersetzung mit der Idee der Gegenöffentlichkeit dieser Zeit. | |
## Alltagserfahrungen vieler Menschen spielen keine Rolle | |
Gegenöffentlichkeit – das ist stets ein unscharfer Begriff geblieben. Viele | |
halten ihn für unbrauchbar. Auch in der taz gab es diese Stimmen schon in | |
den Achtzigern. Denn Öffentlichkeit lässt sich nicht spalten wie ein Apfel. | |
Wer Öffentlichkeit herstellt, ist dadurch Teil von ihr. | |
Oskar Negt und Alexander Kluge aber argumentierten, dass es | |
Gegenöffentlichkeit eben doch geben müsse, weil in der Öffentlichkeit einer | |
Klassengesellschaft nur theoretisch all das verhandelt werde, was für | |
wirklich alle wichtig ist. In der Praxis würden die Alltagserfahrungen | |
vieler Menschen keine Rolle spielen; nämlich die der Proletarier. | |
Sie zeigten das am Beispiel eines Unternehmens: Die Arbeiter, Schutzbrille | |
vor den Augen, sehen darin immer nur ihre paar Quadratmeter Fließband. Die | |
Chefs hingegen haben den ganzen Betrieb im Blick. Sie wissen, wie die | |
Rädchen ineinander greifen. Die Proletarier wüssten also gar nicht, was sie | |
über das kapitalistische System nicht wissen – so könnten sie auch ihre | |
Lage nicht verbessern. Daher brauche es eine Gegenöffentlichkeit, in ihrer | |
Sprache. | |
Man mag das heute für muffig halten. Verblendungszusammenhang – come on. | |
Bourgeoisie gegen Proletariat – von gestern. In der Medienwelt von damals | |
waren Journalisten sogenannte Gatekeeper, die Nachrichten durchließen oder | |
aussortierten wie Türsteher. Heute kann im Internet ja jede und jeder alles | |
veröffentlichen. | |
## Gespräche zwischen Ungleichen | |
Das Frappierende ist aber: Wenn man bei Negt und Kluge den Begriff des | |
Proletariers durch den des Pegida-Anhängers ersetzt und „bourgeois“ durch | |
„liberal“, führt das zu einem Verständnis dessen, was mit der | |
„Lügenpresse“-Kritik gemeint sein könnte. Das heißt nicht, dass sie | |
berechtigt wäre. Aber man kommt dem Punkt näher, von dem aus man sich ihre | |
Logik erschließen kann. | |
Wenn Journalisten auf einer rechten Demonstration mit ihren Kritikern | |
reden, fragen sie zum Beispiel, was sie eigentlich so lesen. Welches Medium | |
hat denn gelogen? Wann? Was genau war falsch? | |
Dann kommt als Antwort in der Regel nichts, was das Gesellschaftsgespräch | |
voranbringt. Und das ist im Grunde vorher klar. Es sind Gespräche zwischen | |
Ungleichen mit dem Ergebnis: Siehste, die kennen gar nicht, was sie für | |
verlogen halten. | |
Aus Negts und Kluges Buch kann man ableiten, warum so ein Vorgehen sinnlos | |
ist. Es gibt Menschen, die keine Ahnung haben, wie Journalismus | |
funktioniert, was aber nicht unbedingt ihr Fehler ist. Sie sehen, wenn sie | |
den Fernseher einschalten, eine Weltproduktion, von der sie nicht wissen, | |
wie sie gemacht ist. Warum redet da schon wieder jemand darüber, wie | |
schlimm dieser Trump ist? Oder wie schlecht es den Flüchtlingen geht? Warum | |
redet da keiner über Hartz IV? Oder darüber, ob Kinder nicht eher Mütter | |
brauchen als Kitaplätze? | |
## 42 Prozent der Deutschen glauben an Lügenpresse | |
Wie weit ist es von da zur Frage, ob Journalisten aus dem Kanzleramt | |
gesteuert werden? „Die Medien“ sind „gleichgeschaltete“ „Marionetten�… | |
„Kanzlerdiktatorin“: An dieser Darstellung ist jedes Wort Bullshit. | |
Wie wäre es aber mit dieser Formulierung: Medien und Politik befinden sich | |
in einer geteilten Wirklichkeit, die aber nicht zwangsläufig die von allen | |
Menschen in diesem Land ist. Hartz IV wird in Zeitungen ein Thema, wenn die | |
Politik gerade daran herumschraubt. Sonst eher nicht. Auch wenn es jeden | |
Tag viele Menschen umtreibt. | |
42 Prozent der Deutschen glauben, dass am „Lügenpresse“-Vorwurf zumindest | |
ein bisschen was dran sei, das hat das Allensbach-Institut gerade | |
ermittelt. 42 Prozent! Womöglich wird da ein Glaubwürdigkeitsproblem, das | |
größer ist, als Pegida je war, von der aufgeputschten Rhetorik nur | |
verdeckt. | |
Dass auch noch von einer „Elite“ die Rede ist, sorgt schon für das nächste | |
Missverständnis. Schließlich werden auch Redakteurinnen und Redakteure dazu | |
gezählt, die 2.000 Euro brutto verdienen. Doch um wirtschaftlichen | |
Wohlstand geht es nicht. Sondern darum, wer ins Gesellschaftsgespräch | |
eingreifen kann. Die Kommunikationsmittel sind in dieser Logik die | |
Produktionsmittel von heute. | |
Es war ein Sozialdemokrat des Typs Aktentasche, der die große Verbreitung | |
dieser Logik angestoßen hat. Im Jahr 2010 veröffentlichte Thilo Sarrazin | |
ein Sachbuch, das sich so gut verkaufte wie kaum eines zuvor in der | |
Geschichte der Bundesrepublik: „Deutschland schafft sich ab“. | |
## Sarrazin bediente Ressentiments | |
Das Buch wurde rauf- und wieder runterdiskutiert, aber kaum ein Journalist | |
kam auf die Idee, es rundum großartig zu finden. Sarrazin behauptete, alle | |
Thesen mit Zahlen belegen zu können. Aber natürlich gab es keine, die die | |
Notwendigkeit belegten, über „Kopftuchmädchen“ herzuziehen. Er bediente | |
Ressentiments und kaschierte sie mit dem Rechenschieber. Und wurde dafür | |
auch verehrt. | |
Der Spiegel schrieb einmal über eine Veranstaltung mit ihm in München, es | |
gebe für das Publikum keine bessere Bezeichnung als „Mob“. Adrett | |
zurechtgemacht und nach Eau de Toilette riechend. Aber: ein Mob. Einer, | |
„den es kaum auf den Stühlen hielt, sobald die Rede auf 'die Politik’, ‚… | |
Medien‘ oder ‚die Ausländer‘ kam“. | |
Der Historiker Volker Weiß betrachtet die Sarrazin-Debatte als den Moment, | |
in dem Themen und Begriffe salonfähig wurden, die bis dato nur in der | |
äußersten Rechten zirkulierten. In seinem jüngst erschienenen Buch „Die | |
autoritäre Revolte“ schreibt Weiß: „Meisterhaft verstand Sarrazin sich auf | |
die Inszenierung als Widerstandskämpfer gegen eine angeblich | |
gleichgeschaltete öffentliche Meinung.“ | |
Aus der Zeit der Sarrazin-Debatte, aus dem September 2010, stammt auch eine | |
Bild-Zeitungs-Titelseite, die ein geflügeltes Wort groß machte: „Diese | |
Sätze muss man sagen dürfen“ stand da. Gemeint waren Weisheiten wie: „Nic… | |
wir müssen uns den Ausländern anpassen, sondern sie sich uns.“ Es war die | |
Zeit, in der sich Widerstand gegen angeblich existierende Sprechverbote | |
formierte. | |
Sprechverbote. Auch so ein unscharfes Wort aus dem Lexikon des | |
Ausnahmezustands. Es verbietet doch kein Mensch irgendwas. Die Welt wird | |
geradezu mit Wortmeldungen von Leuten geflutet, die sich unglaubliche | |
Unverschämtheiten erlauben. | |
## Manche wähnen sich in einer Diktatur des Liberalen | |
Aber was, wenn man auch „Sprechverbot“ mal in einen nüchternen Sound | |
übersetzt? Womöglich geht es um die Definition dessen, was als normal gilt. | |
Die hat sich zweifellos verändert, getrieben von einer emanzipierten | |
linksliberalen Avantgarde. Die hat gute Argumente dafür, Begriffe wie | |
„Person of Colour“ zu benutzen und zum Beispiel das N-Wort nicht mehr. Oder | |
sich unter dem Hashtag #aufschrei über ältere Wirtschaftsminister | |
aufzuregen, die junge Frauen vollflirten. Aber wer glaubt, dass der Rest | |
der Welt das sofort versteht, kann aus seinem Milieu lange nicht | |
herausgekommen sein. | |
Es gibt heute Menschen, die sich in einer Art Diktatur wähnen – in jenem | |
Sinn, in dem bei Oskar Negt und Alexander Kluge 1972 von einer „Diktatur | |
der Bourgeoisie“ die Rede war. Sie wähnen sich in einer Diktatur des | |
Liberalen, die sich nur noch für die Emanzipation immer neuer Minderheiten | |
interessiert: Transgendertoiletten gelten als wichtig, Traditionen nicht. | |
Das ist die Unterstellung. Männer sollen Männer heiraten dürfen, Frauen | |
führen Unternehmen, Kopftücher gehören zu Deutschland, Flüchtlinge dürfen | |
auch einfach rein – es ist nicht mehr so, wie es mal war. | |
Als die 68er den Vertrieb der Bild-Zeitung blockierten oder Zeitungen aus | |
dem Axel-Springer-Verlag verbrannten, da ging es immer auch um die Gefahr | |
von Meinungsmonopolen. Springer kontrollierte damals mehr als 70 Prozent | |
der Tageszeitungen in Westberlin. Die kommentierten die „Polit-Gammler“ und | |
„rote SA“ in Grund und Boden und riefen dazu auf, die „Drecksarbeit“ ge… | |
den „Terror der Jung-Roten“ nicht allein der Polizei zu überlassen. Kurz | |
danach wurde Rudi Dutschke niedergeschossen. | |
Aber heute? Meinungsmonopole? In einer Zeit, in der jeder alles ins | |
Internet schreiben kann: in Blogs, auf Facebook, in Kommentarspalten? | |
Der Punkt ist, dass eine Utopie, die sich mit dem Netz verband, nicht | |
Wirklichkeit wurde – die Utopie der demokratisierenden Kraft. Zunächst | |
schien alles angerichtet, eine große liberale Idee wahr werden zu lassen: | |
Die Grenzen zwischen Sender und Empfänger würden fallen. Alle würden | |
mitreden können. | |
## Vorläufer dieser Art Wut | |
Es kam so. Nur anders. Die Zahl der Weltinterpreten ist zwar um ein | |
Vielfaches größer als früher. Aber die meistgenutzten Medien sind immer | |
noch die der großen Marken von einst. Blogs erreichen Nischen. | |
Und Algorithmen, etwa von Facebook, sorgen dafür, dass die Leute in erster | |
Linie das sehen, was sie eh interessiert. In einer dieser Filterblasen | |
wuchs der Zuspruch für die Neuen Rechten, die sich als unterdrückte | |
Minderheit verkaufen, die tapfer gegen „die da oben“ kämpft. | |
Es gab in den vergangenen Jahren einige Vorläufer dieser Art Wut. Wutbürger | |
– der Spiegel hat das Wort 2010 erfunden und Sarrazins Anhänger damit | |
gemeint. Aber auch die Demonstranten gegen Stuttgart 21, einen neuen | |
Bahnhof in Stuttgart. Zehntausende gingen auf die Straße. Sie wollten den | |
Juchtenkäfer beschützen, der die Platanen im Baugebiet liebt. | |
Vor allem aber fühlten sie sich von Politik und Wirtschaft übergangen. | |
Durch Stuttgart schallte es: „Lügenpack, Lügenpack!“ Die Kritik an der | |
Eierlosig- und Politikhörigkeit regionaler Zeitungen führte gar zur | |
Gründung der Kontext-Wochenzeitung, die seither samstags der taz beiliegt. | |
Das Neue war: Hier standen nicht nur die üblichen Verdächtigen auf der | |
Straße; die Castor-Gegner, die Ökos und Pazifisten. Sondern auch die, die | |
früher mit Establishment gemeint gewesen waren. Die Häuslebauer. Die braven | |
CDU-Wähler. Die bewahren wollten, was sie hatten. Nun demonstrierten sie | |
selbst gegen das Establishment. | |
Auf gewisse Weise verbindet das die wütenden Bürger mit der auf den ersten | |
Blick so fernen Gruppe der sogenannten „besorgten Bürger“. Vor Kurzem hat | |
das Institut der deutschen Wirtschaft eine Studie über die Anhängerschaft | |
der AfD veröffentlicht – und schreibt von einer „Partei der sich | |
ausgeliefert fühlenden Durchschnittsverdiener“. Diese stünden | |
wirtschaftlich etwas besser da als der Rest, hätten aber große Angst vor | |
der Zukunft. | |
## Erfahrungsberichte wurden eine wichtige Darstellungsform | |
Die AfD entstand, nachdem Angela Merkel in der Eurokrise eine Politik | |
betrieben hatte, die sie alternativlos nannte. Als Merkel im Sommer 2015 | |
die Grenzen öffnete, kamen lange gehegte Ängste mit einer Berichterstattung | |
zusammen, in der die Begeisterung über die „Willkommenskultur“ überwog. U… | |
rechte Medien konnten sich als Gegenöffentlichkeit darstellen. | |
Ein entscheidender Punkt dafür, dass ihre Strategie verfängt, ist die | |
Kritik, dass die eigene Erfahrung im Gesellschaftsgespräch keine Rolle zu | |
spielen scheint. | |
Erfahrungsberichte, oft Facebookposts, dutzendfach, hundertfach, | |
tausendfach geteilt, wurden zu einer wichtigen Darstellungsform. | |
Geschichten über die Angst vor Flüchtlingen, auf manchen Seiten auch | |
„Fickilanten“ genannt, die deutsche Frauen vergewaltigen. Über solche, die | |
ihre Heime selber anzünden. | |
Betroffenenbericht nannten Linke solche Erfahrungstexte früher. Oskar Negt, | |
der Sozialphilosoph, erklärte in einem Interview 1982, warum solche Texte | |
mal als wesentlich für eine linke Gegenöffentlichkeit galten: „Jeder, der | |
etwas zu sagen hatte, suggerierte durch seinen Erfahrungsbericht | |
Authentizität, einfach dadurch, dass er es sagte.“ Das gilt heute wieder. | |
Negt sagte auch: „Es war nicht die Frage, ob denn das nun | |
verallgemeinerungsfähige Erfahrungen sind.“ Ein ähnliches Denken heißt | |
jetzt „postfaktisch“ und gilt als Spezialdisziplin der Neuen Rechten, seit | |
der erste AfD-Politiker argumentierte, mit Statistiken über die | |
Kriminalität von Ausländern brauche man ihm nicht zu kommen. Entscheidend | |
sei, was die Menschen fühlen. | |
Das ist zum Haareraufen. War das Richtige von damals falsch? Ist das | |
Falsche von heute richtig? Das Problem ist: Die These, die Neuen Rechten | |
seien die Achtundsechziger von heute, ist eine strategisch gesetzte | |
Erzählung. | |
## „Propaganda der Gutmenschen“ | |
Die Identitären haben in dieser Auslegung die Rolle der neuen Spontis | |
angenommen; sie werfen bei einem Kongress zum Protestjahr 1968 Flugblätter | |
auf verdutzte Teilnehmer und klettern auf das Brandenburger Tor – | |
wohlwissend, dass Fotografen anrücken, wenn man zu solch spektakulären | |
Mitteln greift. Die rechte Initiative „Ein Prozent für unser Land“ | |
betrachtet sich selbst als ein neues Greenpeace. Der rechte Intellektuelle | |
Hans-Thomas Tillschneider behauptet, er werde für einen „neuen Dutschke“ | |
gehalten. | |
Der Vergleich selbst ist eine Instrumentalisierung. Die Neuen Rechten bauen | |
gezielt Brücken zwischen rechts und links, um anschlussfähig zu werden auch | |
für jene, die nie mit der NPD marschieren würden. Das Ziel ist, dass ihre | |
Themen dadurch salonfähig werden. Und es funktioniert. | |
Den Medien wurde mittlerweile so oft vorgeworfen, sie würden nicht | |
wahrheitsgemäß über die Kriminalität von Geflüchteten berichten, dass sie | |
ganz nervös wurden. Rechte Medien hatten das wieder und wieder | |
thematisiert. Und so zog die Debatte Kreise. Das Magazin Cicero schrieb | |
kürzlich, „Political Correctness“ sei auch nicht besser als „Fake News�… | |
Es sei „Propaganda der Gutmenschen“, wenn etwa eine Redaktion Nachrichten | |
nicht bringe, „weil sie vielleicht ‚Fremdenfeindlichkeit‘ auslösen | |
könnten“. Der Presserat hat nun gerade seine Richtlinien dazu geändert, | |
wann die Herkunft von Straftätern genannt werden soll. | |
Man sieht, worum es der rechten Gegenöffentlichkeit geht: Themen und | |
Positionen in die Öffentlichkeit einzuspeisen. So wie es auch die taz | |
machte. 1987, acht Jahre nach ihrer Gründung, sagte ein Redakteur, ihre | |
Funktion bestehe darin, in andere Medien hineinzuwirken, sodass ihre Ideen | |
aufgegriffen werden. | |
## Kein Berufsverbot für Andersdenkende | |
Aber ein entscheidender Unterschied ist: Ziel von linker | |
Gegenöffentlichkeit war es, die bestehenden Medien zu ergänzen, ihnen | |
Stimmen hinzuzufügen. Meinungsmonopole zu verhindern. Zwar behaupten Medien | |
der Neuen Rechten genau das heute auch von sich. | |
Aber man sieht in Staaten wie Polen und Ungarn, wohin es führen kann, wenn | |
die Autoritären mit ihren Strategien durchkommen: zu Meinungsmonopolen. | |
Vielfältige Berichterstattung ist das, was abgeschafft werden soll. | |
Bei einer rechten Kundgebung gegen die „verlogene Berichterstattung“ des | |
Südwestrundfunks 2016 kündigten die Veranstalter an, „ehrlich und direkt“ | |
zurückzufunken. Klingt, kühl betrachtet, erst mal nach einer Vergrößerung | |
der Vielfalt. Aber als die Fernsehreporter zu ihm kamen, rief der Redner: | |
„Leute wie Sie gehören … Berufsverbot!“ | |
Rudi Dutschke nahm 1978, ein Jahr vor der Pressekonferenz mit dem | |
chinesischen Ministerpräsidenten, an einem Tribunal zur Situation der | |
Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland teil. Es war ein | |
detailliert ausgearbeiteter Protest. Gegen Berufsverbote für | |
Andersdenkende. | |
15 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Klaus Raab | |
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