Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne „Teilnehmende Beobachtung“: Auf die Presse!
> Fake News, Lügenpresse & Co: taz-Kolumnistin Julia Boek musste in letzter
> Zeit viel einstecken und kritisiert jetzt zurück – und schwingt den
> moralischen Holzhammer
Bild: Man kann's echt nicht mehr hören!
Vergangene Woche ist es schon wieder passiert. Auf einer Geburtstagsfeier
im Gespräch mit einem Freund schimpfte dieser aus heiterem Himmel auf die
Presse. „Überall – ob auf Spiegel Online, in der Süddeutschen oder bei Bi…
– steht das Gleiche“, sagte er. Das sei doch eine ganz verlogene Branche.
Ein paar Wochen zuvor hatte ich beim Sonntagsfrühstück zum ersten Mal im
Kreis meiner Familie das Wort „Lügenpresse“ vernommen. Es war wohl als Spa…
gemeint, doch blieb mir fast die Käsestulle im Hals stecken. Und dann hatte
mir eine enge Freundin, die seit vielen Jahren bei namhaften Verlagen
arbeitet, beim Kochen erklärt, dass in den meisten Zeitungen doch nur Texte
von Nachrichtenagenturen stünden, was sie auch an den Kürzungen von
Redakteursstellen festmachte.
Ich aber hatte einen Pressekater. Dass, wie im Kapitalismus üblich, auch in
den Redaktionen Stellen wegrationalisiert wurden, um an sogenannten
Newsdesks dieselben überregionalen Seiten für sämtliche Zeitungen zu
produzieren, darin musste ich meiner Freundin recht geben.
Und natürlich gibt es im Journalismus Themenmainstream bzw.
Themenkonjunktur. Katerstimmung bereitete mir vielmehr, dass die Kritik an
den Medien in der Mittelschicht der gut ausgebildeten, gut verdienenden
urbanen Mittdreißiger bis Mittvierziger jetzt wohl zum guten Ton gehörte.
## Pauschal ausgeteilt
Jedoch keine differenzierte Kritik, etwa über die widersprüchliche
Kommentarmeinung eines Autors, eine schlecht recherchierte Geschichte oder
eine viel zu boulevardesk zugespitzte Titelzeile. Ausgeteilt wird eher
eilig, diffus und pauschal, also mit dem Holzhammer.
Bravo, Sie haben Ihr Ziel erreicht!, möchte man den Autokraten und
Rechtspopulisten mit ihrer Propaganda rund um Lügenpresse, Fake oder
Alternative News, um Zensur, die Schließung von Redaktionen und das
Inhaftieren von Kollegen von Russland bis in die USA da zynisch zurufen.
Immerhin, wir verhandeln hier das Vertrauen in die vierte Staatsgewalt, das
zur Meinungsbildung und damit Partizipation beitragen soll.
Es ist deshalb an der Zeit, selbst den moralischen Holzhammer zu schwingen
und Kritik an den Kritikern zu üben. Denn wie kommt der mündige Rezipient
eigentlich auf die Idee, die Verantwortung beim Lesen bzw. Denken
abzugeben? Wer hat ihm das erlaubt? Natürlich macht es einen Unterschied,
ob Sie Ihre Nachrichten von Facebook, der B. Z. oder aus dem Dossier der
Zeit oder der taz haben.
Und dann das kollektive Gerede über den Wahrheitsgehalt von Informationen.
Gewiss ein Problem in der rasend schnellen digitalen Welt, für die
gesellschaftliche Werte und Normen erst noch definiert werden müssen.
Trotzdem: Fake News gab es in der Menschheitsgeschichte schon immer.
Pharaonen, Könige und Kaiser haben auf Grundlage falscher Nachrichten
ihre Macht und Reiche ausgebaut.
## Die fetten Jahre sind vorbei
Und woher nimmt der kritische Leser eigentlich den Hochmut, einen ganzen
Berufsstand und sein Handwerk an den Pranger zu stellen? Das ist so, als
würde man sagen: Berlins Busfahrer können nicht Bus fahren. Natürlich gibt
es – wie in jeder Branche – Kollegen, die ihr Handwerk nicht richtig
beherrschen, deren Sendungsbewusstsein auf viel Narzissmus trifft.
Allerdings sind im Journalismus die fetten Jahre doch längst vorbei, und
gerade junge Kollegen reißen sich nach vielen Jahren Studium, Praktikum,
Volontariat und freier Mitarbeit den Arsch auf, um gegen schlechte
Bezahlung ihre Geschichten erzählen zu dürfen.
Und glauben Sie bitte nicht, dass wir Journalisten uns dabei etwas
schenken. Kommen Sie doch mal zu einer Blattkritik der taz vorbei, seien
Sie live dabei, wenn der Artikel eines Kollegen filetiert wird. Frei nach
der Devise: Je kritischer, desto besser. Wir veranstalten hier keinen
Ringelpiez.
Auch nicht mit Ihnen, liebe Leser. Deshalb geben auch Sie sich bitte Mühe.
Rezipieren Sie uns kritisch, hinterfragen Sie die gewonnenen Informationen,
jedoch ohne dabei paranoid zu werden. Machen Sie ordentlich Gebrauch von
Ihrer Meinungsfreiheit und kommentieren Sie unsere Arbeit differenziert in
jeder erdenklichen Form. Bitte üben Sie sich – im Kritiküben.
26 Mar 2017
## AUTOREN
Julia Boek
## TAGS
Schwerpunkt „Lügenpresse“
Fake News
Fake
Social Media
Teilnehmende Beobachtung
Teilnehmende Beobachtung
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Meta
Schwerpunkt Meta
Teilnehmende Beobachtung
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Teilnehmende Beobachtung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Wie ich flüssiges Eis zu Geld machte
Weil das Geld nicht für die ersehnte Diesel-Jeans reichte, musste unbedingt
ein Ferienjob her. Da lernt man für's Leben.
Die taz und die Neuen Rechten: Die Lügenpresse, das sind wir
Gegen die Elite aus Mainstreammedien und Politik, die die Wahrheit
verschweigt, wurde 1979 die taz gegründet. Heute reden Rechte so. Was
bedeutet das?
Facebook klärt über Fake News auf: Soll das alles sein?
Facebook schaltet in drei großen Tageszeitungen eine Anzeige mit Tipps, wie
man Fake News erkennt. Liegt die Verantwortung damit bei den Nutzern?
Hetze in Online-Netzwerken: Facebook muss nicht filtern
Justizminister Maas hat das geplante Gesetz gegen Hass in Online-Netzwerken
an einem zentralen Punkt entschärft. Und er stärkt die Nutzerrechte.
Kolumne Teilnehmende Betrachtung: Wodka und Schaben
Die Russen und Berlin – eine lange Geschichte. In der es um Salamis,
Totenkopfschaben und natürlich viel viel viel Wodka geht.
Kolumne „Teilnehmende Beobachtung“: Markt der Möglichkeiten
Das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz: ein Angriff auf
das weltoffene Berlin, das sich gerade auf den Märkten der Stadt
manifestiert.
Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Nette Nachbarn
taz-Kolumnistin Julia Boek will ihren MitbewohnerInnen noch eine Chance
geben.
Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Kopfstand gegen Konservatismus
Berlin umweht seit jeher das Image des Unangepassten, des
Alles-ist-möglich. Diese Lässigkeit ist das Gebot der Stunde.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.