| # taz.de -- Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Wie ich flüssiges Eis zu Geld ma… | |
| > Weil das Geld nicht für die ersehnte Diesel-Jeans reichte, musste | |
| > unbedingt ein Ferienjob her. Da lernt man für's Leben. | |
| Bild: Auch unsere Autorin arbeitete in den Sommerferien in einer Eisdiele | |
| Wenn kommende Woche die Sommerferien beginnen, suchen viele SchülerInnen | |
| vergeblich einen Ferienjob, las ich vor ein paar Tagen. Solche Jobs seien | |
| in Berlin Mangelware. Die Nachricht überraschte mich. Denn war es nicht | |
| andersherum? Die jungen Menschen aus meiner Nachbarschaft, aus Familie und | |
| Freundeskreis wollen in den nächsten Wochen verreisen, ins Freibad gehen, | |
| zocken, Party machen und auf jeden Fall ihre Freunde treffen. Arbeiten aber | |
| wollen sie nicht. An einem Andrang auf die Jobs kann es also nicht liegen. | |
| Zu meiner Schulzeit war das anders. Wie die meisten meiner Freunde auch | |
| jobbte ich zwei bis drei Wochen in den Sommerferien. Schon mit 14 Jahren | |
| legte ich los. Warum? Ich hatte Langeweile, Internet gab es nicht und | |
| außerdem hatte ich diese schicke Diesel-Jeans für 150 Mark gesehen, die ich | |
| mir unbedingt kaufen wollte. Also heuerte ich für fünf Mark die Stunde als | |
| Küchenhilfe im Forsthaus, einer Gaststätte gleich um die Ecke, an. | |
| Die Wirtin des Forsthauses schickte mich zuerst in ihren Imbissstand. Dort | |
| war die Stimmung mies. Immerzu motzte der hektische Budenverkäufer, während | |
| ich Bestellungen annahm und mich bemühte, Pommes goldbraun zu frittieren. | |
| Als ich einen Kunden, der eine Bockwurst wollte, wiederholt an den Grill | |
| schickte, flippte er aus. Ich bat um Versetzung ins Restaurant. | |
| ## Tische decken im Forsthaus | |
| In den nächsten Wochen deckte ich die Tische im Forsthaus ein und sortierte | |
| Geschirr und Besteck in die Küchenschränke. Meine Mutter war entzückt, die | |
| verdienten 400 Mark wurden in ein Bowleglas in der Wohnzimmervitrine | |
| gesteckt, und die Jeans bekam ich obendrein geschenkt. | |
| Im darauf folgenden Sommer arbeitete ich als Eisverkäuferin auf der | |
| Seebrücke unseres Ostseebades. Gleich der erste Tag war schwierig, denn die | |
| Kühlung der Eistruhe war kaputt. Also kleckste ich das immer flüssiger | |
| werdende Schokoladen- und Vanilleeis mit der Kelle auf die flachen | |
| Eiswaffeln und – wenn eine ordentliche Windböe kam – auf die Hosen und | |
| Jacken meiner KundInnen. Den vollen Preis von einer Mark pro Kugel | |
| kassierte ich trotzdem. | |
| Das andere Problem: meine Schuhe. Damals glaubte ich, richtig coole | |
| Eisverkäuferinnen würden schwarze Hackenschuhe zu Rock und Bluse tragen. | |
| Ein Irrtum. Meine Füße schmerzten in den hohen Schuhen und so mancher Gast | |
| grinste breit, wenn ich mit meinen schwarzen Pumps über die Holzbohlen der | |
| Seebrücke stakste. | |
| In der kommenden Saison ließ ich es ruhiger angehen. Ich suchte mir einen | |
| Bürojob und fand ihn in der Kurverwaltung. Täglich sechs Stunden lang | |
| übertrug ich die Namen und Adressen der Urlaubsgäste von den Kurkarten in | |
| eine Tourismussoftware und verdiente dabei sieben Mark die Stunde. Die | |
| Arbeit war monoton. | |
| Ein bisschen Abwechslung kam nur auf, wenn zwischen den vielen Müllers und | |
| Meiers aus Sachsen und Thüringen mal ein dänischer Name wie Sørensen | |
| auftauchte. Nach vier Wochen schwor ich mir, keine weitere Lebenszeit mehr | |
| mit dem Übertragen von Datensätzen zu verbringen. | |
| ## Der Wert von Diesel-Jeans | |
| So rasch die Sommerferien vorübergingen und das soeben verdiente Geld | |
| wieder ausgegeben war – rückblickend waren meine ersten Erfahrungen am | |
| Tresen und im Büro sehr nachhaltig. So kam ich durch meine Ferienjobs früh | |
| auf den süßen Geschmack der Unabhängigkeit, entwickelte ein Verständnis für | |
| den Wert von Diesel-Jeans und flachen Schuhen, wusste, dass ich sogar | |
| geschmolzenes Eis zu Geld machen konnte und niemals in der Verwaltung | |
| arbeiten würde. | |
| Vor allem aber hatte ich die Möglichkeit, mich in diversen Jobs | |
| auszuprobieren, ohne den hohen Ansprüchen der Leistungsgesellschaft gerecht | |
| werden zu müssen. Von SchülerInnen erwartet man schließlich keine | |
| Perfektion. Also: Ran an die Arbeit! | |
| 1 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Boek | |
| ## TAGS | |
| Teilnehmende Beobachtung | |
| Schule | |
| Teilnehmende Beobachtung | |
| Schule | |
| Sommerferien | |
| Teilnehmende Beobachtung | |
| Schwerpunkt „Lügenpresse“ | |
| Teilnehmende Beobachtung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Schön bröckelnde Städte | |
| Beim Schlendern durch das charmant-marode Belgrad begreift Kolumnistin | |
| Julia Boek, was ihr in Berlin fehlt. | |
| Erfahrungen als Ferienjobber I: Stundenlang Parfüm einpacken | |
| Mit den Klassen wachsen die Ansprüche. In der Oberstufe ist Party und Kino | |
| angesagt. Da kommt ein Ferienjob gerade recht. | |
| Ferienjobs in Berlin: An die Arbeit, Kinder! | |
| Am Donnerstag beginnen die Sommerferien. Viele Schüler verdienen sich mit | |
| Ferienjobs Geld dazu; manche basteln so bereits an ihrer Karriere. | |
| Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Müllentsorgung als Bürgerpflicht | |
| Mülltrennung beruhigt das schlechte Gewissen, viel mehr Gutes tut sie aber | |
| nicht. Und auch nicht die zuständige Ministerin. | |
| Kolumne „Teilnehmende Beobachtung“: Auf die Presse! | |
| Fake News, Lügenpresse & Co: taz-Kolumnistin Julia Boek musste in letzter | |
| Zeit viel einstecken und kritisiert jetzt zurück – und schwingt den | |
| moralischen Holzhammer | |
| Kolumne Teilnehmende Betrachtung: Wodka und Schaben | |
| Die Russen und Berlin – eine lange Geschichte. In der es um Salamis, | |
| Totenkopfschaben und natürlich viel viel viel Wodka geht. |