# taz.de -- Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Müllentsorgung als Bürgerpflicht | |
> Mülltrennung beruhigt das schlechte Gewissen, viel mehr Gutes tut sie | |
> aber nicht. Und auch nicht die zuständige Ministerin. | |
Bild: Der gelbe Sack für Plastikmüll | |
Anfang Mai fand in einem Rewe-Markt in Friedrichshain die erste „Plastic | |
Attack“ Berlins statt. Ein kleine Gruppe Kunden hatte sich verabredet, um | |
ihre Einkäufe nach dem Bezahlen aus Plastikfolien und Tüten zu schälen. Die | |
Verpackungen blieben im Supermarkt zurück. Eine starke Aktion, ich war | |
inspiriert. | |
Immerhin, ich trenne Müll. Aus Überzeugung. Den leeren Joghurtbecher | |
gesondert von Gurkenschalen und Glas zu entsorgen, damit er später | |
eingeschmolzen und wiederaufbereitet als Flasche oder T-Shirt auferstehen | |
kann, halte ich für eine zivilisatorische Errungenschaft. Dafür unterhalte | |
ich gern diverse Mülleimer in meiner Küche. Dass ich damit aber zu den | |
Verbrauchern gehöre, die ihre Verantwortung gegenüber der Umwelt spätestens | |
beim Schließen des Deckels der Wertstofftonne abgeben, musste ich nun | |
leider in der Zeitung lesen. | |
## Nur 36 Prozent werden recycelt | |
Ein Team von ReporterInnen hatte recherchiert, dass gerade mal 36 Prozent | |
der Leichtverpackungen aus den gelben Wertstofftonnen in Deutschland | |
recycelt werden. Wertstofftonne – das Wort allein ist ein Euphemismus, denn | |
die restlichen 64 Prozent werden nach Asien verschifft beziehungsweise zu | |
großen Teilen in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Wobei die hochgiftigen | |
Rückstände – eine braune Suppe – tonnenweise in Bergwerke in Thüringen, | |
Hessen oder Baden-Württemberg gepumpt werden. | |
Ich fühlte mich ertappt. Der gelbe Sack hatte mein schlechtes Gewissen | |
erfolgreich beruhigt. Mehr aber nicht. | |
Etwa 25 Kilo Leichtverpackungsmüll pro Jahr produziert jeder Berliner, | |
knapp sechs Millionen Tonnen Plastikabfall die Deutschen im Jahr 2015 – | |
Tendenz steigend. Der Plastikstrudel im Pazifik ist auf 1,6 Millionen | |
Quadratkilometer angewachsen, eine Fläche mehr als viermal so groß wie | |
Deutschland. Und selbst im Marianengraben, der tiefsten Stelle des Ozeans, | |
hat ein japanisches Forscherteam in 10.898 Meter Tiefe eine Plastiktüte | |
gefunden. Das war alarmierend – ich beschloss meine eigene Plastic Attack. | |
## Obst in Papiertüten | |
Für meinen Bioabfall benutze ich nun kompostierbare Beutel aus dickem | |
Packpapier. Um den türkischen Supermarkt, in dem ich normalerweise | |
herrliches Obst und Gemüse bekomme, mache ich einen Bogen. Denn mit meinem | |
Versuch, den Verkäufer davon zu überzeugen, dass ich nicht fünf | |
Plastiktüten für Birnen, Äpfel, Möhren, Tomaten und Petersilie benötigte, | |
war ich kläglich gescheitert. Tomaten und Bananen kaufe ich jetzt also in | |
einem Feinkostgeschäft, in dem man die Früchte in Papiertüten packen kann. | |
Eigentlich ist der Laden viel zu teuer für meinen Geldbeutel. Auch dass die | |
Kassiererin beim Bezahlen Papiertüte für Papiertüte wieder öffnen muss, um | |
deren Inhalt vor dem Abwiegen genauestens zu inspizieren, dauert seine | |
Zeit. Aber geschenkt. | |
## Milchschlauch aus Kreide | |
Besser läuft es beim Milchkauf. Die neue Schlauch-Verpackung besteht zu 40 | |
Prozent aus Kreide und ist leer getrunken fast so flach wie ein Blatt | |
Papier. Für Joghurt gibt es Pfandgläser und für Eier einen Karton. Käse und | |
Wurst kaufe ich nach wie vor in Kunststoffverpackungen, denn eine | |
Tupperdose mitzunehmen, finde ich übertrieben. Ebenso Kosmetikartikel, denn | |
meine Zahnpasta möchte ich nicht selbst aus Kokosöl und Natron anrühren. | |
Verzichtet habe ich dafür auf Eis im Plastikbecher, Sushi in der | |
Plastikschale sowie auf die in Folie eingeschweißten 100 Gramm Lachs. Und | |
nun? | |
Ich sage es mal so: Das mit dem Eis könnte schwierig werden – gerade jetzt | |
im Sommer. Zudem verschlingen meine gut gemeinten kunststoffarmen Einkäufe | |
ziemlich viel Geld und Zeit, weil ich nicht mehr in den nächstbesten Markt | |
um die Ecke gehen kann. Und auch die kompostierbaren Biomülltüten erweisen | |
sich als Flop. Beim Runterbringen riss die suppige Papiertüte und die | |
Bananen- Eier- und Kartoffelschalen verteilten sich im Treppenhaus. | |
## Bürgerpflicht | |
Etwas anderes aber wirkt noch entmutigender: Vor ein paar Tagen sprach sich | |
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) gegen die Einführung einer | |
Steuer auf Plastikverpackungen aus. Die Plastik-Lobby und | |
Lebensmittelkonzerne nahm sie gar nicht in die Pflicht, auch ihr Vorschlag | |
einer intelligenteren Steuerung, die zu weniger Abfall und mehr Recycling | |
führt, blieb vage. Von den Bürgern aber forderte Schulze einen | |
Bewusstseinswandel, ja einen kritischeren Umgang mit Plastikverpackungen. | |
Eins war damit klar: Während ich Eierschalen im Treppenhaus zusammenkehrte, | |
hatte die Bundesumweltministerin ihr Plastikmüll-Problem erfolgreich | |
entsorgt. | |
19 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Julia Boek | |
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