| # taz.de -- Protestaktion gegen Müll: Die Gurke braucht keine zweite Schale | |
| > Deutschlands erste „Plastic Attack“: Kund*innen entsorgen die | |
| > Verpackungen ihrer Einkäufe im Supermarkt – und sorgen für Verwirrung. | |
| Bild: Die Plastikverpackungen bleiben im Einkaufswagen: Vor einem Rewe-Supermar… | |
| Um fünf vor zwölf heißt es an diesem Samstag: Bühne frei! Auf dem | |
| Treppenpodest vor dem Rewe-Supermarkt an der Warschauer Straße im Berliner | |
| Bezirk Friedrichshain parken zwei leere Einkaufswagen. Eine Traube von etwa | |
| zwanzig Menschen hat sich darum versammelt. Dann öffnet sich die Schiebetür | |
| des Supermarktes, zwei junge Frauen treten heraus. Sie stellen ihre | |
| Einkäufe in die Wagen und beginnen, sie von ihren Plastikverpackungen zu | |
| befreien. | |
| Gurken werden aus ihrer Folie geschält, Gummibärchen entpackt und sogar die | |
| Milch wird mit Hilfe eines Trichters in Glasflaschen umgefüllt. Am Ende | |
| verstauen sie alles in mitgebrachten Stoffbeuteln und Tupperdosen. Das | |
| Plastik bleibt im Wagen zurück. „Was soll das ganze Theater?“, liest man in | |
| den fragenden Blicken vieler Passant*innen. | |
| Der Flashmob vor dem Supermarkt ist eine koordinierte „Plastik-Attacke“, | |
| die erste in Deutschland. Organisiert hat sie die Berliner | |
| Jugendorganisation des Umweltverbandes BUND über soziale Medien. Die Gruppe | |
| will damit auf die unnötigen Massen an Kunststoffmüll aufmerksam machen. | |
| „Das ist doch bescheuert! Gurken haben doch schon eine Schale“, ärgert sich | |
| Björn, der unter den Protestierenden ist. Trotzdem würden sie bekanntlich | |
| oft zum Verkauf in Plastik eingeschweißt. „Bei der ‚Plastic Attack‘ geht… | |
| uns darum, die Verantwortung zurückzugeben“, sagt er. „Als Käufer wollen | |
| wir das Plastik nicht, deswegen lassen wir es heute im Laden.“ | |
| Plastikattacken wie diese fanden in den vergangenen Monaten schon in | |
| Bristol, [1][Brüssel], Amsterdam, Oslo und Melbourne statt – und sie finden | |
| immer mehr Fans. Die Idee: Käufer*innen erledigen ihren normalen Einkauf, | |
| aber lassen überflüssige Verpackungsmaterialien im Supermarkt zurück – | |
| alles ganz legal, denn im Grundsatz sind Supermärkte verpflichtet, einen | |
| Teil des Verpackungsmülls zurückzunehmen. | |
| Plastikabfall ist weltweit zu einer massiven Belastung für die Umwelt | |
| geworden. In Deutschland fallen jährlich rund fünf Millionen Tonnen davon | |
| an. Die Veranstalter*innen der Aktion kritisieren, nicht einmal die Hälfte | |
| des Plastikmülls werde recycelt, ein Großteil werde klimaschädlich | |
| verbrannt und ein beträchtlicher Rest lande im Meer. „Nur davon, dass man | |
| den Plastikmüll im Supermarkt lässt, wird er aber nicht weniger“, meint | |
| Teilnehmerin Julia. | |
| ## Vor allem Symbolcharakter | |
| Den Müll zu reduzieren sei das übergeordnete Ziel, erklärt die Studentin | |
| den Grund für ihr Kommen. Die Aktion hat für sie deshalb vor allem | |
| Symbolcharakter. Es gehe darum, die Supermärkte dazu zu bewegen, ein | |
| Angebot zu schaffen, mit dem man zukünftig weniger Müll einkauft. Sie hebt | |
| ein Bündel Bananen aus ihrem Einkaufskorb und sagt: „Ich fände es super, | |
| wenn ich das Plastikband um die Früchte nicht wegschmeißen müsste.“ | |
| Den Veranstalter*innen von der BUNDjugend geht es auch darum, mit Menschen | |
| über das Müllproblem ins Gespräch zu kommen. Schon vor einigen Wochen | |
| organisierten sie dafür einen sogenannten Trashmob. Als Müllmonster | |
| verkleidet konfrontierten sie auf dem Pariser Platz in Berlin Passant*innen | |
| mit der überbordenden Abfallproduktion. | |
| Auch an diesem Samstag finden sich spontan Mitstreiter*innen: Aurelie und | |
| Maude sind schnell überzeugt und entfernen das Plastik von ihren | |
| Drogerieartikeln. Ingo, ein Friedrichshainer mit Stehkragen und | |
| Seitenscheitel, packt mit Hilfe seines Sohnes Klopapierrollen in eine | |
| Papptüte. | |
| Vor dem Supermarkt herrscht an diesem Vormittag eine ausgelassene Stimmung, | |
| auch wenn nicht alle die Idee auf Anhieb verinnerlicht haben: Manch einer | |
| nutzt das demonstrativ zurückgelassene Plastik der anderen, um die eigenen | |
| Einkäufe darin zu verstauen. | |
| 6 May 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Frederik Richthofen | |
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