| # taz.de -- Kenias strenges Verbot von Plastiktaschen: Einigen fehlt die Tüte | |
| > Seit Sommer 2017 hat Kenia das weltweit strikteste | |
| > Anti-Plastiktüten-Gesetz – sogar Haftstrafen sind möglich. Gerade Arme | |
| > leiden oft darunter. | |
| Bild: Sieht schön aus, richtet aber großen Schaden an: die Plastiktüte | |
| Bis zu vier Jahre Gefängnis – oder eine Geldstrafe von 40.000 US-Dollar – | |
| das droht Menschen, die in Kenia Plastiktüten herstellen oder importieren. | |
| Strafbar macht sich sogar, wer dabei erwischt wird, eine Plastiktüte zu | |
| benutzen; ankommenden TouristInnen werden die Tüten aus dem Duty-Free-Shop | |
| noch am Flughafen abgeknöpft. Über 50 Menschen sollen allein im Februar | |
| deswegen festgenommen worden sein. | |
| Ein Händler, der in Plastiktüten eingepackte Hühnerköpfe auf dem Markt | |
| verkaufte, wurde zu einer Geldstrafe verdammt, die so hoch ist wie sein | |
| Lohn von sechs Wochen. Das alles ist Teil eines neuen Gesetzes zur | |
| Verbannung von Plastiktüten, das vor acht Monaten in Kraft trat – nach | |
| dreijähriger Vorlaufzeit und nach zwei gescheiterten Versuchen. Es gilt als | |
| das weltweit strikteste Gesetz seiner Art. | |
| Vor dem Verbot gebrauchten KenianerInnen schätzungsweise 100 Millionen | |
| Plastiktüten pro Jahr. Überall herumliegende, sich in Bäumen und Sträuchern | |
| verfangende Plastikfetzen gehörten wie selbstverständlich zum Straßenbild. | |
| In manchen Slum-Siedlungen stand der Plastik-Müll meterhoch. Wasserwege | |
| wurden durch Plastiktüten blockiert. In Fischernetzen verfingen sich die | |
| Tüten. Tiere erstickten regelmäßig an ihnen – oder verhungerten, weil | |
| Plastiktüten ihren Magen verstopften. | |
| In Schlachthöfen fand man bei drei von zehn geschlachteten Tieren | |
| Plastiktüten im Verdauungssystem, [1][zitiert der Guardian] den | |
| kenianischen Beamten David Ong'are, der für die Implementierung des neuen | |
| Gesetzes verantwortlich ist. Heute, acht Monate nach Inkrafttreten des | |
| Gesetzes, sei das nur noch bei einem von von zehn Tieren der Fall. Aktuell | |
| evaluiere die Regierung die allgemeinen Auswirkungen der Initiative, so | |
| Ong'are. Er freue sich über eine allgemein höhere Lebensqualität, sagte er | |
| dem Guardian weiter. Viele KeniaerInnen teilen diese Einschätzung. | |
| ## Keine „Flying Toilets“ mehr | |
| Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige Menschen mit gemischten Gefühlen | |
| – von den Herstellern von Plastiktüten gar nicht zu sprechen (176 Firmen | |
| mussten laut der Website [2][Business Daily Africa] schließen). Auch viele | |
| VerkäuferInnen ärgern sich, weil sie nun nicht mehr wissen, wie sie ihre | |
| Waren einpacken sollen. Stofftaschen seien sechsmal teurer als | |
| Plastiktüten, sagt eine kenianische Händlerin dem Guardian. Und dass sie | |
| enttäuscht sei über die Regierung – diese könne sie doch zum Beispiel durch | |
| Subventionen unterstützen. | |
| Samuel Matonda von der Kenyan Manufacterers Association schätzt, dass das | |
| neue Gesetz 100.000 Jobs gekostet habe – nicht nur bei den Herstellern von | |
| Plastiktüten, sondern auch bei Firmen, die auf Plastik als Verpackung für | |
| ihre Waren angewiesen seien. Einige Firmen sind zwar von dem Gesetz | |
| ausgenommen, aber scheinbar nicht genug. Zurzeit werden weitere Ausnahmen | |
| diskutiert. | |
| Weil die wenigsten Slum-BewohnerInnen Zugang zu einer Toilette haben, | |
| verrichteten bisher viele ihr Geschäft in Plastiktüten, was man „Flying | |
| Toilet“ nennt. Die Tüte wurde danach zugeknotet und in die Pampa oder auf | |
| ein Blechdach geschleudert. Immer wieder platzten die Tüten, und der Inhalt | |
| quoll hervor unter entsetzlichem Gestank – nicht nur unangenehm, sondern | |
| auch wegen Krankheitserregern medizinisch nicht unbedenklich. | |
| Wiederholt wird diskutiert, ob [3][Plastiktüten Malaria-Ausbrüche | |
| begünstigen] könnten – dafür müssen sie überhuapt nicht mit Kot verschmu… | |
| sein. Allein ihr Material gilt als günstige Brutstätte für den Erreger, so | |
| Forscher. Dass „Flying Toilets“ jetzt ebenfalls verboten sind, ist ein | |
| Problem. Weil es keine wirklichen Alternativen gibt. Die Betreiber | |
| öffentlicher Toiletten freuen sich über steigende Einnahmen. Viele bieten | |
| monatliche Toilettenpässe an. Was allerdings die machen, die sich das nicht | |
| leisten können, ist unklar. | |
| ## Pro Kopf von 68 auf 45 Tüten pro Jahr reduziert | |
| Dennoch: Die positiven Effekte sind offensichtlich, und viele Länder wollen | |
| es Kenia nun gleich tun – so zum Beispiel Uganda, Tansania, Burundi, | |
| Südsudan und Ruanda, das bereits strenge, aber noch nicht so weit gehende | |
| Vorschriften wie Kenia hat. In rund 40 Ländern weltweit, davon in über | |
| zwanzig in Afrika, gibt es bereits Verbote oder zumindest teilweise Verbote | |
| zum Gebrauch von Plastiktüten. | |
| Bereits 2002 hat Bangladesch ein absolutes Verbot erlassen. Die indische | |
| Hauptstadt Neu Delhi hat 2017 alle möglichen wegwerfbaren | |
| Plastik-Gegenstände, darunter auch Tüten, verbannt. So auch der südindische | |
| Bundesstaat Karnataka sowie, in Teilen, die Bundesstaaten Goa, Jammu und | |
| Kashmir und Gujarat. Kerala hingegen kauft Bürgern ihren Plastikmüll ab, um | |
| damit Straßen zu asphaltieren. Die aus Plastik hergestellte Mischung sei | |
| widerstandsfähiger und robuster als herkömmlicher Asphalt, heißt es. | |
| In Deutschland sind Plastiktüten noch nicht verboten. Aber zumindest in | |
| Läden kostenpflichtig – und zwar seit 2016. Das ließ den Verbrauch laut dem | |
| Handelsverband Deutschland (HDE) in nur einem Jahr (2016) von 5,6 | |
| Milliarden auf 3,6 Milliarden Stück sinken, wie die Süddeutsche Zeitung | |
| berichtete. Pro Kopf habe das den Verbrauch von 68 auf 45 Tüten pro Jahr | |
| reduziert. Ein Fortschritt, aber noch nicht ausreichend: Die EU will, dass | |
| jede(r) EU-BürgerIn bis 2025 nur noch maximal 40 Stück pro Jahr benutzt. | |
| ## Dänemark erwägt Pfand auf Plastiktüten | |
| In Dänemark wird gerade über einen Pfand auf Plastiktüten in Supermärkten | |
| nachgedacht. Auch Großbritannien erhebt eine Gebühr auf Plastiktüten, was | |
| den Gebrauch um 80 Prozent gedrosselt haben soll, berichtete der | |
| Independent jüngst. Einigen Kunden in der englischen Stadt Bath geht das | |
| noch nicht weit genug. Sie verabredeten sich kürzlich zu einer Plastic | |
| Attack in einem Supermarkt, bei der sie Produkte aus ihren | |
| Plastikverpackungen rissen und den gesammelten Plastikmüll in Einkaufswagen | |
| an der Kasse deponierten. Damit forderten sie eine komplette Verbannung des | |
| Plastiks. | |
| Auch die Vereinten Nationen sind alarmiert und finden, es sei allerhöchste | |
| Zeit, dass wir vom Plastik wegkommen. Sie haben gerade ausgerechnet, dass | |
| sich bis 2050 mehr Plastikmüll als Fischbestände in den Weltmeeren befinden | |
| werden, wenn wir nicht schnell etwas ändern. Und Wissenschaftler haben | |
| herausgefunden, dass in einem Liter Meereis teilweise mehr als [4][12.000 | |
| Mikroplastik-Teilchen] steckten. | |
| Umdenken müssen wir auch, weil es immer schwerer werden wird, Plastikmüll | |
| zu recyceln. Viele Länder ließen das bislang von China erledigen. Nur macht | |
| da [5][China nicht länger mit]: Es hat Plastikimporte offiziell untersagt. | |
| Und wenn schon China – bislang nicht gerade als Vordenker in Umweltfragen | |
| bekannt – so weit ist, nein zu sagen, will das durchaus was heißen. | |
| 25 Apr 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/world/2018/apr/25/nairobi-clean-up-highs-lows-k… | |
| [2] https://www.businessdailyafrica.com/economy/Firm-seeks-to-be-compensated-fo… | |
| [3] https://famvin.org/en/2005/04/08/plastic-grocery-bags-as-cause-of-malaria-i… | |
| [4] /Studie-zu-Mikroplastik-im-arktischen-Eis/!5501226 | |
| [5] https://www.nytimes.com/2018/01/11/world/china-recyclables-ban.html | |
| ## AUTOREN | |
| Lea Wagner | |
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