| # taz.de -- Müllentsorgung auf die hippe Art: Das große Reinemachen | |
| > Die Berliner Parks sind verdreckt. Eine Aufräumaktion soll im Görlitzer | |
| > Park und im Friedrichshainer Volkspark am Samstag und Sonntag für Abhilfe | |
| > sorgen. Gut so! | |
| Bild: Das muss doch irgendwie anders gehen: Müll im Park, in diesem Fall im Tr… | |
| Neulich im Park: Dicht beieinander sitzt eine Gruppe von etwa zehn älteren | |
| Männern in durchgewetzten Hosen und löchrigen Schuhen, sie trinken und | |
| lachen, wirken friedlich und entspannt. Plötzlich fliegt im hohen Bogen | |
| eine leere Einwegflasche in einen Busch. | |
| Zehn Meter entfernt steht eine Frau mit blonden Rastas auf, holt die leere | |
| Flasche aus dem Busch und reicht sie mit einem schüchternen Lächeln einer | |
| der Frauen. Eine selbstbewusste Schimpfkanonade bricht los. Das kommt | |
| durchaus nachvollziehbar und sympathisch rüber – das Schulterzucken und | |
| das zerknirschte Gesicht auf der anderen Seite aber natürlich auch. | |
| Es ist so eine Sache mit dem Achtsamkeit in puncto Müll in den Berliner | |
| Parks – besonders, wenn man nicht als wohlstandssatter Idiot dastehen will, | |
| der Speck auf der Seele hat und einfach nichts Besseres zu tun, als sich | |
| wie ein Blockwart über Kippen und Kronkorken auf dem ohnehin völlig | |
| verbrannten Rasen aufzuregen. Insofern ist es eine tolle Sache, wenn man | |
| dem Problem jetzt kollektiv begegnen kann. | |
| Die Organisation [1][Plan A] ruft am Samstag im Görlitzer Park zu einer | |
| freiwilligen Aufräumaktion auf, am Sonntag im Volkspark Friedrichshain | |
| (siehe Kasten). Sicher wird das schön aussehen und absolut sinnvoll, wenn | |
| überall Menschen herumwuseln, die aufgeteilt in Teams für Papier, | |
| Zigaretten und Restmüll die Parks durchkämmen und vielleicht damit sogar | |
| Leute anstecken werden, die sich sonst eher nicht fürs Aufräumen | |
| interessieren. | |
| ## Die Kinder sind in Ordnung | |
| Es gibt einen Hollywoodfilm namens [2][„The Kids Are All Right“] über ein | |
| lesbisches Paar mit zwei Kindern in Kalifornien, der sehr lustig jenes | |
| Unbehagen beschreibt. Diese Irritation, die manchmal eintrifft, wenn man | |
| sich allzu gemütlich auf einer jener lebenswerten Inseln eingerichtet hat, | |
| die das sogenannte linksalternative Milieu einst im kalten Meer des Status | |
| quo gegründet hat. | |
| Jule und Nic, gespielt von den großartigen Schauspielerinnen Julianne | |
| Moore und Annette Bening, haben scheinbar alles richtig gemacht und sind | |
| doch in Routine erstarrt. Sie behandeln ihre 15 und 18 Jahre alten Kinder | |
| auf Augenhöhe und fordern sie einen Augenblick später dazu auf, | |
| Dankesbriefe für Geschenke aus der Verwandtschaft zu schreiben. Sie schauen | |
| zusammen Schwulenpornos und korrigieren sich, wenn eine der beiden „ficken“ | |
| sagt statt „sich erfahren“. | |
| Doch eines Tages der Einbruch der Außenwelt ins betonierte Idyll: Die | |
| Kinder nehmen Kontakt auf zu ihrem Samenspender, einer ziemlich | |
| heterosexuellen Hohlpfeife. Plötzlich tritt all das Erstarrte in dieser ach | |
| so heilen Familie zutage. Am Wendepunkt der Geschichte sitzen Jule und Nic | |
| mit Freunden im Edelrestaurant, und ein Mann in der Runde erzählt von | |
| irgendwelchen Drinks, die er sich aus Hanfmilch mixt. Da, endlich, der | |
| Ausbruch. Nic sagt: „Leute, ich ertrag es nicht mehr“, und fängt an, so | |
| ungefähr alles durch den Dreck zu ziehen, was ihren alternativen Lebensstil | |
| ausmacht. | |
| Es geht gegen die Bioläden und selbst angebauten Tomaten – und auf dem | |
| Höhepunkt nimmt sie sich auch die Mülltrennung vor und spricht mit einem | |
| Hass in den Augen vom Komposter, den man neuerdings zu besitzen hat, von | |
| den „lieben, kleinen Würmern“, die alles zu „biodynamischem Mulch“ | |
| verarbeiten – dass man als Zuschauer ganz starr wird vor Bewunderung. Klar: | |
| Der Anfall bleibt ein Sturm im Wasserglas, die Frauen kriegen sich wieder | |
| ein, aber der Film kommt an dieser Stelle so komisch und wahrhaftig rüber, | |
| dass man sich auch noch Jahre danach besser an die Szene erinnert als an | |
| die ganze Rahmenhandlung. | |
| ## Wie würde es besser gehen? | |
| Die Frage allerdings, was es für Alternativen außerhalb dieser spießigen | |
| Blase gibt, in der sich so viele von uns bewegen, die bleibt natürlich | |
| unbeantwortet. Es ist ja auch keine Lösung, nur noch bei McDonald’s zu | |
| essen und anschließend die leeren Colabecher aus dem Fenster des fahrenden | |
| [3][Diesel-Autos] zu werfen. Außerdem ist es ja auch wirklich eine | |
| Schweinerei, wie derzeit die Parks nach heißen Wochenenden aussehen. | |
| Also: Raus am Samstag und am Sonntag, Müll sammeln gehen in den Parks, man | |
| fällt ja auch gar nicht so auf in der Gruppe, und es wird sicher zu | |
| deutlich weniger Konflikten kommen, als wenn man sich ganz allein zum | |
| Moralapostel aufspielt. | |
| 7 Jul 2018 | |
| ## LINKS | |
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| [2] /Film-ueber-lesbische-Kleinfamilie/!5132103 | |
| [3] /Daimler-und-der-Abgasskandal/!5511866 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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