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# taz.de -- Pressefreiheit in Italien: Behandelt wie die Mafia
> Die sizilianische Staatsanwaltschaft beschuldigt NGOs, mit libyschen
> Schleppern zusammengearbeitet zu haben – und hat Journalist*innen
> abgehört.
Bild: Rettungsaktion der NGO Proactiva Open Arms 72 Kilometer vor der Küste de…
Ungeheuerliches wollen die Staatsanwälte im sizilianischen Trapani
herausgefunden haben, die jetzt Anklage gegen 21 Personen erhoben haben.
Der Vorwurf: Die Beschuldigten – allesamt Mitarbeiter*innen der NGOs
Jugend rettet, Save the Children und Ärzte ohne Grenzen – hätten sich bei
ihren Rettungseinsätzen im Mittelmeer der „Begünstigung der illegalen
Einwanderung“ schuldig gemacht; sprich: sie hätten als Komplizen der
libyschen Schlepperorganisationen gearbeitet.
Schon diese These ist mehr als verwegen, eine solche Anklage kann nur gegen
Personen erhoben werden, die ökonomischen Gewinn aus der Schlepperei
ziehen. Diese Klippe umschifft die Staatsanwaltschaft, indem sie darauf
hinweist, mehr Rettungseinsätze ließen die NGOs halt auf ein steigendes
Spendenaufkommen hoffen.
So krude diese Konstruktion ist, so abenteuerlich waren aber auch die
Ermittlungsmethoden. Nichts fand die Staatsanwaltschaft dabei, in breitem
Maßstab Abhörmaßnahmen anzuordnen, wie sie sonst nur bei Mafia- oder
Terrorismusverdacht zum Einsatz kommen. Und kein Problem hatte sie damit,
dass auch die Gespräche Dutzender Journalist*innen belauscht wurden.
Die Protokolle dieser finden sich jetzt in den 30.000 Seiten der
Ermittlungsakten, die die Staatsanwaltschaft beim Gericht hinterlegte. Die
Kontakte, die angewählten Nummern, die Gesprächsinhalte, nichts bleibt
geheim.
Die Journalist*innen selbst seien ja gar nicht abgehört worden, sie
hätten ihrerseits verdächtige Personen aus den NGOs angerufen, redet sich
die Staatsanwaltschaft heraus, so als sei dann der Quellenschutz kein
schützenswertes Gut mehr. Wenigstens im Fall der freien Journalistin Nancy
Porsia greift diese Ausrede jedoch nicht.
## Gespräch mit Anwältin protokolliert
„In meinem Fall haben die Staatsanwälte angeordnet, direkt meinen Anschluss
abzuhören, auch wenn gegen mich gar nicht ermittelt wurde“, erklärt Porsia
der taz. Sechs Monate lang, von Juli bis Dezember 2017, seien ihre
Gespräche aufgezeichnet worden. Eigentlich darf eine Person, die selbst
nicht verdächtigt wird, bloß 14 Tage lang belauscht werden, „aber jedes Mal
beantragten die Fahnder einfach eine weitere Verlängerung um 14 Tage“.
Die Libyenexpertin Porsia sagt, sie habe sich damals mit den Verstrickungen
libyscher Offiziere in das Schleusergeschäft beschäftigt. Und das
ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Italiens Regierung – [1][damals
geführt von dem Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni] aus der gemäßigt
linken Partito Democratico – mit Unterstützung Libyens den
Flüchtlingszustrom unterbinden wollte. Deshalb ist Porsias Verdacht, dass
es den Fahndern gar nicht um ihre Kontakte zu den NGOs ging, dass „sie
womöglich andere Informationen suchten“.
Nichts fanden die Lauscher auch dabei, ein Gespräch der Journalistin mit
ihrer Anwältin zu protokollieren –und oben auf die Seite „Sehr
interessant!“ zu schreiben, obwohl es um eine Kairoreise der Anwältin ging,
die mit den laufenden Ermittlungen gar nichts zu tun hatte.
In den Augen Porsias war das Abhören dieses Telefonats gleich doppelt
illegal. Sie selbst hat noch keine juristischen Schritte eingeleitet. „Ich
will zunächst das Resultat der von der Justizministerin Marta Cartabia
angeordneten Inspektion in der Staatsanwaltschaft Trapani abwarten.“ Dass
die Ministerin ihre Inspekteure losschickt, wertet sie als klares Indiz
dafür, dass auch das Justizressort seine Zweifel an der Legalität des
Vorgehens hat.
Auch Giuseppe Giulietti, Präsident der italienischen
Journalistengewerkschaft FNSI, hält das Ganze für einen illegalen
Vorgang, wie er der taz sagt. Gewiss, seit 20 Jahren fordere die FNSI
erfolglos ein Gesetz, das den Quellenschutz für Journalist*innen klar
regelt, aber gerade erst habe zum Beispiel der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte gegen die Ukraine entschieden, weil sie Journalist*innen
ohne Rücksicht auf deren legitimes Schutzinteresse abgehört habe. Dieser
Beschluss binde auch Italien, dort aber seien in den Abhörprotokollen „alle
Quellen der abgehörten Journalisten offengelegt“ worden. Das Signal an
auskunftsbereite Personen sei schlicht verheerend.
Am 3. Mai, [2][dem Tag der Pressefreiheit], will deshalb die
Journalistengewerkschaft zu einer Protestkundgebung direkt vor dem Sitz des
Ministerpräsidenten in Rom aufrufen.
19 Apr 2021
## LINKS
[1] /Italien-hat-neuen-Regierungschef/!5364682
[2] /Pressefreiheit-in-Gefahr/!5758599
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Seenotrettung
Sizilien
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Migration
Schwerpunkt Pressefreiheit
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Italien
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