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# taz.de -- Rat für Nachhaltige Entwicklung: Die Klimawandler
> Am Montag will sich die Bundesregierung als grün und fortschrittlich
> präsentieren. Dabei leistet sie sich aus Umweltsicht einen beispiellosen
> Fehlstart.
Bild: Das Kabinett von Angela Merkel – hier vor Schloss Meseberg in Brandenbu…
Die Stimmung ist gut, die Lage ist mies. Auf der Einladung zur 18.
Jahreskonferenz des Rats für nachhaltige Entwicklung (RNE) am 4. Juni in
Berlin lacht Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz entspannt im Kreise ihrer
Ratsmitglieder – aber gleich der erste Satz der Einladung ist eine kalte
Dusche: „Viele und wesentliche Entwicklungen in Bezug auf Nachhaltigkeit
laufen global und in unserem Land in die falsche Richtung oder schaffen
keine Durchbrüche zur Transformation“ steht da. Und beim Blick auf die
aktuelle Politik der neuen Bundesregierung vergeht vielen Experten schnell
das Lachen.
Denn in der Umwelt-, Energie- und Nachhaltigkeitspolitik legt das Kabinett
Merkel IV gerade einen Fehlstart hin. Schon im Wahlkampf 2017 kamen diese
Themen praktisch nicht vor. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wurden
sie an den Rand gedrängt. Und in der Realität der ersten drei Monate wurde
es noch schlimmer: Ziele wurden gekappt, Fristen versäumt, Zusagen
kassiert, Dringendes wurde auf die lange Bank geschoben. „Es gibt keine
erkennbaren Ansätze der Bundesregierung, engagiert voranzugehen“, sagt
Hubert Weiger, Chef des Umweltverbands BUND und selbst Mitglied im Rat für
Nachhaltigkeit.
„Thesen und Taten. Transformation!“ ist der Titel der diesjährigen
Konferenz des Rats. Thesen gibt es genug, aber von Transformation und Taten
sei nicht viel zu sehen, moniert ein anderes Beratungsgremium der
Regierung, der „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ (SRU): „Die drohe…
globale Umweltkrise wird von Politik und Gesellschaft immer noch nicht
ernst genommen“, sagt SRU-Generalsekretär Carsten Neßhöver, „unsere Chan…
das Schlimmste zu vermeiden, etwa beim Klima, der Stickstoffüberdüngung
oder im Artenschutz, wird immer geringer“. Die Konferenz am Montag befasst
sich aber lieber mit den Themen „Sport“, „Medien“, „Stadt“ und „W…
außerdem werden internationale Experten die deutsche Strategie bewerten.
Die aktuelle Politik findet im offiziellen Programm dagegen kaum statt.
Eine lange Liste an Ökosünden
Dabei gäbe es da genug zu diskutieren. Denn seit Jahren zeigen die
Indikatoren, mit denen der RNE die Entwicklung in Deutschland misst, den
gleichen Trend: Fortschritte bei den sozialen und ökonomischen Bereichen
wie Frauenrechten, Staatsschulden, Investitionen oder der Anzahl der
Raucher. Rückschritte und Stagnation dagegen bei den meisten Indikatoren
für die ökologische Gesundheit.
In einer bislang unveröffentlichten Grafik des SRU zeigt sich das
drastisch: Nur bei 6 von 25 Indikatoren ist Deutschland auf Zielkurs, etwa
beim Ökostrom und beim Feinstaub. Bei 17 Indikatoren werden die Ziele
verfehlt, am stärksten beim Energieverbrauch im Verkehr, bei der
Artenvielfalt, der Nitratbelastung des Grundwassers und den CO2-Emissionen
des privaten Konsums. Bei zwei Feldern fehlen die Daten. Die ersten knapp
100 Tage der neuen alten Regierung machen wenig Hoffnung auf Besserung. Im
Gegenteil – die Entscheidungen sind eine lange Liste von Ökosünden und
verpassten Chancen:
– Das Klimaziel für 2020 (minus 40 Prozent CO2) wurde aufgegeben.
– Um trotzdem Ernst zu machen mit dem Klimaschutz, wurden in dem Vertrag
Sonderausschreibungen für Solar- und Windkraft versprochen. Diese legte das
Wirtschaftsministerium auf Eis.
– Die steuerliche Förderung für Wärmedämmung in Gebäuden, im
Koalitionsvertrag angelegt, taucht im Entwurf für den Bundeshaushalt nicht
auf.
– Die „Strukturkommission“ zum Kohleausstieg ist noch nicht berufen.
– Immer noch gibt es keinen Nachfolger für Rainer Baake als Staatssekretär,
der die Energiewende im Wirtschaftsministerium koordinierte.
– Anders als debattiert wird die Stromsteuer nicht gesenkt, um den Umstieg
auf Ökostrom zu erleichtern.
– Ein Mindestpreis für CO2 im Emissionshandel, von Umweltschützern,
Ökonomen und Frankreichs Präsident Macron gefordert, ist nicht in Sicht.
– Baukindergeld und gesetzliche Vorschriften zum „Bauen im Außenbereich“
fördern den Flächenfraß, den die Nachhaltigkeitsstrategie bremsen soll.
– Im Dieselskandal ist keine Strategie der Regierung erkennbar: Das
Umweltministerium will eine Nachrüstung der Autos auf Kosten der Industrie,
Verkehrsminister und Kanzleramt sind dagegen. Die Regierung erklärt, sie
wolle „Fahrverbote verhindern“, die nach dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts zulässig sind und in Hamburg bereits verhängt
werden. Eine blaue Plakette für halbwegs saubere Diesel lehnt die Koalition
weiter ab.
– Die Pensionskassen des Bundes, die 22,6 Milliarden Euro für die Pensionen
von 600.000 Beamten anlegen, beginnen erst jetzt nach einer EU-Vorlage die
Debatte, wie sie ihr Kapital nach ökologischen Kriterien anlegen. In diesem
Jahr fließen noch mindestens 542 Millionen Euro in Aktienfonds, in denen
Kohle-, Öl- und Gaskonzerne vertreten sind – doppelt so viel wie im
Vorjahr.
– Immer noch weist der Bundeshaushalt etwa 55 Milliarden Euro an
Subventionen aus, die das Umweltbundesamt „umweltschädlich“ nennt:
Beihilfen für Diesel, Stromverbrauch oder Fleischproduktion. Grundsätzlich
geändert habe sich daran auch nichts im Haushalt 2019, moniert das „Forum
Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft“.
Auch bei der Umsetzung der „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDG), die
alle Staaten der Erde 2015 beschlossen haben und die Deutschland national
konkretisieren muss, gehe es kaum voran, moniert Adolf Kloke-Lesch vom
Sustainable Solutions Network Germany (SDSN), einem Verbund von
Forschungsstellen und Entwicklungsgruppen. Er lobt zwar, dass es inzwischen
in jedem Ministerium einen „Nachhaltigkeitskoordinator“ gebe und dass die
deutsche Strategie entlang der SDG überarbeitet wurde und noch 2018
fortgeschrieben werden soll. Auch haben sich am 23. Mai zum ersten Mal zehn
zentrale Beratungsgremien der Regierung in einer internen Runde getroffen,
um darüber zu sprechen, wie das Thema etwa auch bei den „Wirtschaftsweisen“
zum Tragen komme. „Aber in den wirklichen politischen Debatten, wo es etwa
um Gerechtigkeit, Flüchtlinge oder Subventionen geht, gibt es praktisch
keinen Bezug auf diese Ziele“, sagt Kloke-Lesch. „Vielen Politikern ist
nicht klar, wie das zusammenhängt, und in der Nachhaltigkeits-Community
herrscht zu viel Konsensdenken. Wir müssen über die Wege zu Nachhaltigkeit
mehr streiten.“
Streit gibt es schon ab und zu. SPD-Umweltministerin Svenja Schulze etwa
sucht beim Thema Diesel den Konflikt mit der Autoindustrie und dem
Verkehrsressort. Aber auf ein Signal für mehr Nachhaltigkeit aus dem
Kanzleramt, wo eigentlich die Nachhaltigkeitspolitik koordiniert wird,
wartet sie bisher vergeblich. Angela Merkel, ehemals Umweltministerin und
Klimakanzlerin, hält sich bedeckt. „Ich erwarte, dass sie am Montag bei
ihrer Rede vor dem Rat erklärt, die neue Regierung werde die
Nachhaltigkeitsziele engagiert angehen“, meint Hubert Weiger. „Die
Regierung hält es auf Dauer nicht durch, Ziele zu verkünden und dann nicht
umzusetzen.“
Auch von den zuständigen Abgeordneten der Koalition kommt Druck. Carsten
Träger (SPD) sieht die aktuelle Politik mit „begrenzter Begeisterung“, sein
Kollege Andreas Lenz, CSU-Nachhaltigkeitsexperte, wünscht sich, dass dieses
Thema stärker im Handeln der Regierung vertreten sei. Er vergibt die
Schulnote „3 bis 3 minus“, denn „obwohl sie in den einzelnen Feldern
vertreten sind, sind die Nachhaltigkeitssziele im Koalitionsvertrag nicht
übergeordnet“. Genau das behauptet die Regierung aber immer wieder: dass
die Orientierung an dem Dreiklang aus wirtschaftlichen, sozialen und
ökologischen Zielen ihr Handeln bestimmt.
Manchmal geht es ja auch voran. Das Kabinett hat die „Sammelklage“ gegen
Unternehmen auf den Weg geschickt, die Verbrauchern mehr Rechte zugesteht.
Und das „Insektenschutzprogramm“ soll bis Ende des Jahres klären, wie viele
Gifte nach dem EU-Verbot der Bienen-Killer Neonikotinoide noch erlaubt
sind. Für SRU-Generalsekretär Neßhöver wird dieses Thema zu einem „Test f…
die Zukunftsfähigkeit“: Ändert die Regierung wirklich etwas an der
Agrarpolitik in Brüssel, Deutschland und den Bundesländern – oder „ist
Nachhaltigkeit nur ein Wolhfühlthema für eine Minderheit?“
3 Jun 2018
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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