# taz.de -- Studie zur Energiewende: Es muss schneller gehen | |
> Die Deutsche Energieagentur drängt die Regierung zu ernsthaftem | |
> Klimaschutz: minus 95 Prozent Emissionen bis 2050. Startschuss? Jetzt. | |
Bild: Für einen ausgewogenen Mix müssen mehr Solaranlagen her | |
BERLIN taz | Die staatliche „Deutsche Energieagentur“ (dena) fordert von | |
der Bundesregierung die schnelle Festlegung auf ein anspruchsvolles | |
Klimaziel für 2050. Bisher will Deutschland bis 2050 seine klimaschädlichen | |
Emissionen gegenüber 1990 um „80 bis 95 Prozent“ verringern. „Wir empfeh… | |
der Bundesregierung, sich an 95 Prozent zu orientieren“, sagte Andreas | |
Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung in Berlin zur Vorstellung | |
der „Leitstudie Integrierte Energiewende“ am Montag. | |
Wenn die Regierung nicht in dieser Legislaturperiode wichtige | |
Entscheidungen treffe, könnten Klimaschutz und Energiewende in Deutschland | |
„dramatisch scheitern“, warnte Kuhlmann. Rasch entscheiden soll sich die | |
Große Koalition nicht nur für dieses 95-Prozent-Ziel für die Klimagase. Die | |
Regierung müsse in den nächsten vier Jahren auch klären, ob das | |
Energiesystem völlig auf Öko-Strom umgestellt werde oder auf einen Mix aus | |
Strom, Wasserstoff und synthetischen Brennstoffen hinauslaufe (wofür die | |
dena plädiert). | |
Auch müssten die Weichen gestellt werden für oder gegen die Forschung und | |
Anwendung von synthetischen Brennstoffen, für oder gegen Lkw auf Strombasis | |
und zur Frage, wie sicher die Stromversorgung sein müsse. Dazu komme noch, | |
dass die Regierung einen Ausstiegspfad aus der Kohle beschließen müsse – | |
„aber das ist fast noch die einfachste Entscheidung“, meinte Kuhlmann. | |
## Mit jetzigem Plan landet Deutschland bei minus 62 Prozent | |
Die „Leitstudie“ ist unter Beteiligung von 60 Unternehmen und Verbänden, | |
von dena-Fachleuten mit der Beratungsfirma ewi Energy Research entstanden. | |
Sie warnt davor, nur Klimaziele bis 2030 zu diskutieren, denn eine | |
Festlegung auf 2050 habe schon gravierende Auswirkungen auf 2030. Gehe | |
alles so weiter wie bisher, lande Deutschland 2050 nur bei 62 Prozent | |
weniger Klimagas Kohlendioxid (CO2), sagte Harald Hecking, | |
ewi-Geschäftsführer und wissenschaftlicher Hauptgutachter. „Für Minus 95 | |
Prozent müssen jedes Jahr 26 Millionen Tonnen CO2 gespart werden – derzeit | |
sind es nur 8 Millionen Tonnen pro Jahr.“ | |
Die Studie widerspricht anderen Gutachten, die den Wegfall von Kohle, Öl | |
und Gas fast ausschließlich über grünen Strom ersetzen wollen. Eine solche | |
„All Electric Society“, sagen die Macher der dena-Studie, sei zwar machbar, | |
aber anfälliger und teurer als ein „technologieoffener Instrumentenmix“, | |
bei dem Wasserstoff und Methan auf Ökobasis genutzt werden. Eine | |
Komplettversorgung mit reinem Ökostrom – also ohne Wasserstoff und Methan – | |
erfordere dreimal so viele Solaranlagen und fünfmal so viele Windmühlen an | |
Land wie derzeit, was zu Protesten der Anwohner führen könne. | |
Das 95-Prozent-Ziel mit dem „Technologie-Mix“ erfordere insgesamt 1,6 | |
Billionen Euro mehr Investitionen als der derzeitige Weg des halbherzigen | |
Klimaschutzes, haben die Gutachter errechnet. Allerdings sei das | |
„vollelektrische“ Ziel noch einmal etwa 540 Milliarden teurer. In den | |
Zahlen sind vermiedene Kosten durch verhinderte Klimaschäden und weniger | |
Ausgaben für Krankheiten etwa durch Kohlesmog nicht enthalten. | |
Beim Energiesparen und den grünen Energien „reicht das bisherige Tempo | |
nicht aus“, mahnen die Experten. Gebäude, Maschinen und Motoren müssten pro | |
Jahr zwei Prozent effizienter werden, nicht nur ein Prozent wie derzeit. | |
Auch bei neuen Wind- und Solaranlagen müsse die Regierung klotzen, nicht | |
kleckern: Jährlich sollten bis zu 7,6 Gigawatt an neuen Anlagen entstehen, | |
nicht nur 5,4 GW wie derzeit geplant. Immerhin müsse sich der Anteil des | |
Ökostroms am Gesamtmarkt, der heute bei etwa 36 Prozent liegt, bis 2030 | |
verdoppeln, der Strom aus Kohle, Atom und Gas bis 2030 sich auf die Hälfte | |
reduzieren. | |
Als wichtige dritte Säule sollten „synthetische erneuerbare Brennstoffe“ im | |
großen Stil entwickelt und importiert werden: Wasserstoff, Methan oder Öl, | |
die aus Ökostrom entstehen, könnten den Erfolg der Energiewende | |
garantieren. | |
Die dena-Studie ist damit optimistischer als die „Klimapfade für | |
Deutschland“, die der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu Beginn | |
des Jahres vorgestellt hat. Demnach sind zwar minus 80 Prozent „mit einer | |
schwarzen Null“ für die deutsche Volkswirtschaft machbar, die | |
95-Prozent-Hürde aber nur zu nehmen, wenn international alle Länder | |
mitziehen. Dena-Chef Kuhlmann wollte bei allem Drängen der Regierung auch | |
Mut machen. Man dürfe nicht vergessen, dass die Energiewende auch eine | |
große Chance sei. „Wir werden auch positive Überraschungen erleben.“ | |
4 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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