# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Ein Fliegenschiss von 5 Millionen | |
> Alle jubeln über das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ der Regierung. Die | |
> setzt ihr Nichtaktionsprogramm Umweltschutz konsequent um. | |
Bild: Unbezahlbar: Fliege mit Tautropfen | |
Früher hieß Insektenschutz, dass man sich Autan auf die Haut schmierte, um | |
die Mücken abzuwehren. Heute heißt Insektenschutz, dass die Bundesregierung | |
5 Millionen Euro ausgibt, um Mücken, Fliegen, Bienen und dem restlichen | |
Gekrabbel und Gesumse ein Überleben zu sichern. | |
So jedenfalls steht es im „Aktionsprogramm Insektenschutz“, das | |
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch durchs Kabinett gebracht | |
hat. Da hat sich die Regierung viel vorgenommen: Sie will damit die | |
Lebensräume der Insekten schützen und wiederherstellen, Schutzgebiete | |
stärken, den Einsatz von Pestiziden und die Überdüngung der Böden | |
reduzieren und die Lichtfallen der Dauerbeleuchtung bekämpfen. | |
Mit 5 Millionen Euro. | |
Natürlich ist es erstmal sehr schön, dass was passiert. UmweltschützerInnen | |
sind auch schon ganz aus dem Vogelhäuschen, dass es dieses Thema überhaupt | |
in die Nachrichten und ins Kabinett schafft. Beim Sommerfest der BUND | |
Anfang Juni gab es selbstgehäkelte Bienen zum Umhängen und große | |
Begeisterung dafür, dass dieses Thema endlich mal jemanden interessiert. | |
Auch die Grünen sagen, geholfen habe nicht nur ihr Bienchen-Wahlkampf im | |
letzten Jahr, sondern auch die Borkenkäfer-Strategie: Jahrelang dicke | |
Bretter bohren, bis der Baum fällt. | |
## Die EU zahlt tausendfüßlermal so viel für die Agrarindustrie | |
Aber jetzt mal im Ernst. Wieviel Natur ist für 5 Millionen Euro wohl zu | |
renaturieren? Zwei Flussschleifen? Jedes Jahr zahlt die EU-Agrarpolitik 4,8 | |
Milliarden Euro an die industrielle Landwirtschaft in Deutschland – das | |
Tausendfüsslerfache des „Aktionsprogramms Insektenschutz“. Und mit diesem | |
unserem Steuergeld werden fröhlich Gifte gespritzt, Hecken gerodet, | |
Gewässer überdüngt. Deutschland hat bisher nur ein paar Gifte namens | |
Neonikotinoide im Freiland verboten, in Gewächshäusern sind sie noch legal. | |
Die Glyphosaat des Schreckens geht auch noch bis 2022 auf. Und vor allem: | |
Bei der Reform der EU-Agrarpolitik, wo gerade in Brüssel die entscheidenden | |
Weichen gestellt werden, drängt Berlin keineswegs auf mehr Grün und weniger | |
Gift. | |
In den letzten knapp 30 Jahren hat die Menge der Insekten um etwa 75 | |
Prozent abgenommen, hat im letzten Jahr eine Studie gezeigt. Drei Viertel | |
der Lebensgrundlage unseres Ökosystems sind verschwunden. Man stelle sich | |
vor: Die deutsche Autoproduktion bräche um 75 Prozent ein. Der Export ginge | |
um 75 Prozent zurück. Drei von vier Arbeitsplätzen und damit Steuerzahlern | |
fielen weg. Würde auch dann die Regierung mit einem Aktionsprogramm | |
reagieren, das etwa 0,001 Prozent des Bundeshaushalts ausmacht? | |
Wir denken da alle viel zu wenig radikal. Es geht ans Eingemachte und wir | |
begnügen uns mit Trostpflastern. Was beim Klima und beim Artenschutz da | |
draußen passiert, ist ein Wirbelsturm, dem wir mit einem Kinder-Regenschirm | |
gegenübertreten. | |
Sicher, irgendwo muss man anfangen. Besser die Wildbiene in der Hand als | |
das Wespennest unterm Dach. Aber das bisschen Aktionsprogramm Insekten darf | |
nicht über das breit angelegte Nichtaktionsprogramm Umwelt und | |
Landwirtschaft hinwegtäuschen, dass die neue Regierung uns auch nach 100 | |
Tagen im Amt vorlegt. Da sind die 5 Millionen Euro ein – genau – | |
Fliegenschiss. | |
23 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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