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# taz.de -- Nach neuer EU-Zulassung des Pestizids: Viele Bauern sind Glyphosat-…
> Das wahrscheinlich krebserregende Ackergift ist die Droge der „modernen“
> Landwirtschaft. Doch eine Therapie der Süchtigen ist möglich.
Bild: Bekommt nicht genug von Glyphosat: der Bauer
Viele Bauern sind wie Junkies. Sie spritzen Glyphosat – auf [1][37 Prozent
der Felder] in Deutschland. Weil sie das Pestizid Freude erfahren lässt,
nämlich ihre Gewinne steigert. Und weil es ihr Leid mindert, also etwas
Luft im Kampf gegen die Verdrängung durch Konkurrenten verschafft. Die
Abhängigkeit ist groß. Glyphosat ist die Droge der „modernen“
Landwirtschaft.
Die Branche tut alles, um weiter ihrer Sucht zu frönen. Dafür zieht sie
sogar ihren treuen Handlanger, den Bundesagrarminister Christian Schmidt,
ins Verderben. Auf ihren Druck hin benimmt sich auch der CSU-Politiker wie
ein Junkie: Er riskiert seinen Job, er hintergeht seine Kollegen und seine
Chefin, er bricht Regeln.
Schmidt hat am Montag gegen den Willen von Umweltministerin Barbara
Hendricks (SPD) ermöglicht, [2][dass die EU das Unkrautvernichtungsmittel
weitere fünf Jahre zulässt.] Damit hat er die [3][Geschäftsordnung der
Bundesregierung] verletzt, die bei unterschiedlichen Auffassungen der
Koalitionspartner verlangt, dass Deutschland sich in EU-Abstimmungen
enthält. Jetzt will ihn die SPD in keinem möglichen neuen Kabinett mit der
Union tolerieren. Und Kanzlerin Angela Merkel ist blamiert, weil Schmidt
ihre Anweisung ignorierte, sich zu enthalten.
Aber das ist der Agrarlobby egal. Hauptsache, sie bekommt weiter ihren
Stoff. Warum verteidigen viele Bauern Glyphosat so rücksichtslos? Weil der
Unkrautvernichter ein Symbol für die „moderne“ Landwirtschaft ist, wie der
Bauernverband sie gern nennt. Dazu haben Glyphosat vor allem die
Umweltverbände gemacht. Wenn der BUND oder Greenpeace gegen den
Unkrautvernichter feuern, dann kämpfen sie auch gegen die ihrer Meinung
nach umweltschädliche Turbolandwirtschaft.
## Glyphosat dient dazu, die Natur zu bezwingen
Glyphosat eignet sich als Exempel, weil es der Pestizidwirkstoff ist, der
am meisten genutzt wird. Denn mit ihm lassen sich die Produktionskosten
reduzieren. Spritzen spart Arbeit. Man muss nicht mehr so häufig mit dem
Pflug oder anderen Geräten über den Acker fahren, um das Unkraut
loszuwerden. Es genügt eine Runde mit der Glyphosatspritze vor der Aussaat.
Das Gift tötet dann so gut wie alles, was grün und nicht genverändert ist.
Glyphosat schaltet die Natur so effizient aus wie kein anderes Pestizid.
Der Wirkstoff ist aber auch eng mit der Gentechnik verbunden. In Nord- und
Südamerika hat der Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten
gentechnisch veränderten Pflanzen beliebig oft mit dem Stoff behandelt
werden können.
Glyphosat dient also dazu, die Natur zu bezwingen. Es gehört zu einer
Landwirtschaft, die weniger mit als gegen die Umwelt arbeitet. Dahinter
steht das gleiche Prinzip, nach dem Schweinen die Ringelschwänze gekürzt
werden, um die Tiere auf engstem Raum halten zu können. Die Gülle wird in
so großen Mengen auf die Felder gekippt, dass sie das Grund- und
Trinkwasser verschmutzt. Masthähnchen werden so überzüchtet, dass sie
regelmäßig Schmerzen leiden.
All das maximiert den Gewinn der Landwirte – und der Industrien, die sie
beliefern. Leider haben sich die Bauern von den Methoden dieser
Turbolandwirtschaft abhängig gemacht. Aus diesem Grund verbrauchen die
Landwirte immer mehr Glyphosat. Der Absatz wuchs seit 1991 jedes Jahr im
Schnitt um 11 Prozent, wie eine Statistik des Bundesamts für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigt.
## Trifft es einen Menschen, ist es einer zu viel
Aber wie jede Droge ist auch Glyphosat ein Gift. Im März 2015 ist Glyphosat
von der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als
[4][„wahrscheinlich krebserregend“] eingestuft worden. Die Wissenschaftler
beriefen sich insbesondere auf beunruhigende Ergebnisse von Tierversuchen.
Doch die Zulassungsbehörden in der EU, den USA oder Kanada beispielsweise
halten diese Experimente nicht für aussagekräftig genug. Unter anderem,
weil die Versuchstiere [5][„exzessive“ Dosen] Glyphosat bekommen hätten.
Die Mengen, die wir mit den Lebensmitteln zu uns nehmen, sind gering, die
Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist daher niedrig. Aber selbst
wenn es nur einen Menschen treffen sollte, wäre das einer zu viel. Da
Betroffene sogar sterben können, ist klar: Solche Stoffe dürfen nicht auf
den Markt, selbst wenn die Krebsgefahr (noch) nicht völlig bewiesen ist.
Hinzu kommen Zweifel an der Unabhängigkeit der Behörden: Das deutsche
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beispielsweise hat viele Seiten
seines Gutachtens über Glyphosat wortwörtlich aus dem Zulassungsantrag der
Industrie übernommen. Wie glaubwürdig kann eine „Entwarnung“ von solcher
Stelle sein?
## Glyphosat-Junkies brauchen eine klare Ansage
Außerdem hat das Prüfverfahren für Pestizide strukturelle Mängel. Zwar sind
für die einzelnen Wirkstoffe Tierversuche vorgeschrieben, aber nicht für
die fertigen Pestizide, die außer Glyphosat immer auch andere Substanzen
enthalten. Diese könnten noch giftiger sein als Glyphosat selbst, das räumt
selbst BfR-Präsident Andreas Hensel ein. Studien zeigen zudem, dass sich
die schädliche Wirkung der verschiedenen Stoffe vergrößern kann, wenn sie
mit anderen Substanzen kombiniert werden.
Und die Natur? Wenn Glyphosat so gut wie alle Pflanzen auf dem Feld
zerstört, dann haben dort Vögel weniger zu fressen. Das gefährdet die
Artenvielfalt.
Daran ändern auch die Bedingungen nichts, die Agrarminister Schmidt für die
neue Zulassung durchgesetzt hat. Sie fordern die Behörden nur sehr vage
auf, [6][„besondere Aufmerksamkeit“] beispielsweise den Risiken für die
Artenvielfalt durch Glyphosat zu widmen.
Solch zaghafte Bitten werden die Glyphosatjunkies kaum von ihrer Sucht
abbringen. Sie brauchen eine klare Ansage. In etwa so: Spätestens in fünf
Jahren, nach Ablauf der verlängerten EU-Zulassung, kommt ihr auf Entzug!
Bis dahin werden wir euch zwingen, euren Konsum zu reduzieren.
## Häufigkeit der Anwendung stärker begrenzen
Das EU-Recht gestattet Mitgliedstaaten ausdrücklich, „[7][das
Vorsorgeprinzip anzuwenden, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht],
ob die in ihrem Hoheitsgebiet zuzulassenden Pflanzenschutzmittel Gefahren
für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt bergen“.
Deutschland könnte also Bauern den Einsatz von Glyphosatprodukten aus
Artenschutzgründen nur noch erlauben, wenn sie einen Mindestanteil an
Flächen nachweisen, auf denen Ackerwildkräuter wachsen. Die nationalen
Behörden dürfen auch die zulässigen Mengen und die Häufigkeit der Anwendung
stärker begrenzen.
Die deutschen Glyphosatbauern lehnen solche Einschränkungen ab, weil sie
Nachteile im Wettbewerb mit anderen EU-Ländern befürchten. Aber Frankreich
hat bereits angekündigt, dass Glyphosat dort nicht länger als drei weitere
Jahre verwendet werden darf. Wenn die beiden größten EU-Staaten vorangehen,
könnten auch andere Glyphosatgegner wie Italien und Österreich folgen. Mit
dem Pestizid produzierte Importe aus Nicht-EU-Ländern könnte man auf
ähnliche Weise verhindern wie die Einfuhren von Hormonfleisch.
Die Glyphosatjunkies werden trotzdem jaulen: Wir können nicht ohne den
Stoff! Aber das ist falsch. Monsanto hat Glyphosat 1974 auf den deutschen
Markt gebracht. Dennoch wurden noch 1987, als die Hersteller ihren
Pestizidabsatz erstmals melden mussten, nur 282 Tonnen des Wirkstoffs
verkauft: ein Bruchteil dessen, was jetzt verbraucht wird. Die DDR ernährte
ihre Bürger sogar völlig ohne den Unkrautvernichter.
Es hilft nichts, die Junkies müssen ihr Leben umstellen: Statt zum Beispiel
Raps und dann zwei Jahre lang Weizen anzubauen, könnten sie mehr Früchte
auf dem Feld abwechseln. Dann wüchse weniger Unkraut. Oder sie säen
zwischen Maisreihen Hülsenfrüchte, die Unkraut verdrängen. Sie könnten das
Unkraut auch maschinell bekämpfen: mit einem Striegel etwa, der den Boden
nicht so tief aufreißt und weniger Erosion verursacht als der Pflug. Das
alles ist kein Hexenwerk, sondern uraltes Handwerk. Die Bauern müssen
wieder auf ihr traditionelles Wissen vertrauen – und nicht mehr ihrem
Chemiedealer.
## Eine Therapie ist möglich
Die Glyphosatsüchtigen können aber – anders als zuweilen behauptet – nicht
auf Ersatzdrogen ausweichen, die möglicherweise noch gefährlicher wären.
Denn kein Unkrautvernichter tötet so viele Pflanzenarten so effizient wie
Glyphosat. Für die wichtigsten Anwendungen gebe es [8][„keine chemische
Alternative“], hat auch das bundeseigene Julius-Kühn-Forschungsinstitut für
Kulturpflanzen festgestellt.
Ja, manche Lebensmittel wie Äpfel würden ohne Glyphosat wohl etwas teurer.
Aber das sollte uns die Vorsorge gegen Krebs wert sein. Natürlich würden
wir ohne den Unkrautvernichter etwas weniger produzieren, aber wenn in der
EU jedes Jahr ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weggeworfen wird,
sollten wir lieber die Verschwendung reduzieren, als Gift zu spritzen. Oder
weniger Fleisch essen, das sehr ressourcenintensiv produziert wird. Oder
weniger exportieren und dadurch die Agrarwirtschaft in anderen Ländern
unter Druck setzen.
Eine Therapie ist also möglich. Die Glyphosatjunkies müssen sie nur wollen
– die Politik sollte ihnen dabei helfen.
2 Dec 2017
## LINKS
[1] https://ojs.openagrar.de/index.php/BerichteJKI/article/download/7667/7086
[2] /EU-zu-Glyphosat/!5466435
[3] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/regierung-un…
[4] https://www.iarc.fr/en/media-centre/iarcnews/2016/glyphosate_IARC2016.php
[5] https://echa.europa.eu/opinions-of-the-committee-for-risk-assessment-on-pro…
[6] https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/plant/docs/pesticides_glyphosate…
[7] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R1107
[8] https://ojs.openagrar.de/index.php/JKA/article/download/5831/5575
## AUTOREN
Jost Maurin
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