# taz.de -- Detox für Nahrungsmittel: Obstkuchen gehört nicht in Alufolie | |
> Viele Spuren der Industrialisierung im Essen wurden bekämpft. Doch Arsen, | |
> Cadmium, Blei und Aluminium sind noch verbreitet. | |
Bild: Vorsicht bei gewürzten Rippchen in Alufolie. | |
Detox-Kuren sind der Trend. Mittels Superfood, Kräutertees oder | |
Nahrungsergänzungsmitteln wie Spirulina-Algen will der moderne Homo sapiens | |
Gifte und Schlacken aus seinem Körper ausleiten. Neben Feinstaub und | |
Strahlung ist es vor allem das Essen, das Ängste erzeugt. Immerhin 60 | |
Prozent der Bevölkerung in Deutschland sehen laut dem Bundesinstitut für | |
Risikobewertung (BfR) in Kontaminanten aus Lebensmitteln ein hohes oder | |
sehr hohes gesundheitliches Risiko. | |
Es stimmt schon: Die Industrialisierung und die damit einhergehende | |
Umweltverschmutzung haben auch im Essen ihre Spuren hinterlassen. So wurden | |
vor allem in den 1970er Jahren große Mengen an Chemikalien ,etwa PCB | |
(Polychlorierte Biphenyle), Dioxine oder Schwermetalle, in | |
Muttermilchproben gefunden. Doch durch Gegenmaßnahmen, wie etwa das | |
PCB-Verbot aus dem Jahr 1989, schwimmen heute immer weniger dieser Gifte in | |
unserer Suppe. | |
So werden in Humanmilch auch kaum noch Dioxine nachgewiesen. Im Jahr 2009 | |
enthielten die Proben im Mittel ungefähr 80 Prozent weniger Dioxine als im | |
Jahr 1990 – Tendenz weiter sinkend. Denn: Früher wurden etwa kiloweise | |
dioxinhaltige Pestizide auf deutschen Äckern versprüht, diese sind heute | |
verboten. | |
Durch technische Neuerungen in Abfallverbrennungsanlagen konnten auch die | |
Dioxin-Emissionen gedrosselt werden. Auch Blei findet man immer seltener in | |
unserer Nahrung. Blei wird seit 1988 als Zusatz in Benzin geächtet. | |
Hochriskante Pflanzenschutzmittel wie DDT kamen auf den Index. Zudem sank | |
die Belastung der Deutschen mit Arsen, Cadmium, Quecksilber, Polyzyklischen | |
aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) sowie dem Holzschutzmittel PCP. | |
## Restgifte im Essen | |
Auch Antibiotikarückstände sind extrem selten. Der Anteil der tierischen | |
Lebensmittel mit Rückständen über den Grenzwerten lag etwa in Bayern im | |
Verlauf der letzten Jahre bei rund 0,3 Prozent. Die Medikamente sind also | |
für den Verbraucher direkt kein Problem, indirekt ist der massenhafte | |
Einsatz der Stoffe aber sehr wohl besorgniserregend, da Resistenzen | |
entstehen können. | |
Trotzdem gibt es weiterhin Stoffe, die Toxikologen Kopfzerbrechen bereiten. | |
Arsen, Cadmium, Blei und Aluminium können etwa bei Schwangeren oder | |
Kleinkindern noch ein Problem sein. Krebserregendes Arsen steckt in | |
Reisprodukten, Cadmium kommt in zahlreichen pflanzlichen Lebensmitteln von | |
Getreide bis zu Schokolade vor und kann die Nieren schädigen. Auch die | |
Höchstmenge für das Nervengift Aluminium kann laut BfR überschritten | |
werden: Ein Stück Obstkuchen oder mariniertes Fleisch sollte man | |
beispielsweise besser nicht in Alufolie gewickelt aufbewahren. Andrea | |
Harwig und Gunnar Jahnke vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) | |
fordern darum, dass Schwermetalle deutlich reduziert werden müssten. | |
Mineralölrückstände (MOAH und MOSH) aus Lebensmittelverpackungen sind zwar | |
bereits von der Industrie heruntergefahren worden, finden sich aber | |
trotzdem immer wieder in großen Mengen in einzelnen Lebensmitteln etwa in | |
Speiseölen. Auch die sogenannten Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) | |
bereiten Sorgen. Sie finden sich als Beschichtung auf Pfannen oder | |
Backpapier und sind in dieser Form und unzerkratzt ungefährlich. | |
Allerdings reichern sich die PFAS in der Umwelt an, etwa durch die | |
Ausbringung von Klärschlämmen auf Äcker, und landen so wiederum in | |
Trinkwasser und Lebensmitteln. PFAS sind zumindest im Tierversuch | |
gefährlich für Leber und Schilddrüse. Risikoforscher des BfR halten darum | |
auch hier eine Verringerung für nötig. „Es sollten fluorfreie | |
Beschichtungen entwickelt werden“, meint Ulrike Pabel vom BfR. | |
## Der Pestizid-Cocktail | |
Pestizide sind dagegen ein Beispiel, das vor allem die Gemüter der | |
Verbraucher erhitzt, weniger jedoch der BfR-Risikoforscher. Zwar finden | |
Tester immer wieder Rückstände etwa in grünen Bohnen, Tees oder exotischen | |
Früchten. Diese sind jedoch in den seltensten Fällen gesundheitlich | |
bedenklich. Eine Ausnahme ist das Herbizid Glyphosat. Hier sind sich die | |
Experten nicht einig, ob es nun krebserregend ist oder nicht. Auch in | |
Sachen Mehrfachrückstände, also Pestizid-Cocktails, ist die Datenlage nicht | |
klar. Zwar meint das BfR, dass ein Risiko durch die Mixturen | |
unwahrscheinlich ist. Französische Studien aus den letzten Jahren zeigten | |
jedoch, dass sich Wirkungen – zwar selten – aber durchaus potenzieren | |
können. | |
Auch hormonähnliche Substanzen wie Bisphenol A oder Phthalate, die in | |
Kunststoffverpackungen stecken, sind ein Dauerstreitthema. Sie stehen im | |
Verdacht, hormonabhängige Tumoren zu befördern oder auch für | |
Unfruchtbarkeit verantwortlich zu sein. Erst kürzlich forderte die Deutsche | |
Gesellschaft für Endokrinologie, sie vorsorglich zu verbieten. | |
Ebenso werden Substanzen, die bei der Erhitzung von Lebensmitteln | |
entstehen, wie Acrylamid, Furan und bestimmte Fettsäureester, von | |
Risikoforschern beobachtet. Acrylamid-Gehalte sollten laut BfR gesenkt | |
werden, da Abbauprodukte krebserregend sind. Erst kürzlich hat die | |
EU-Kommission angekündigt, den Herstellern von Chips und Keksen strengere | |
Auflagen zu machen. Allerdings ist außer für Acrylamid die Datenlage zu | |
mau, um genaue Aussagen über die Gefährlichkeit zu treffen. Susanne Andres | |
vom BfR fordert hier mehr Studien. | |
## Neue Studien gefragt | |
Fakten fehlen auch in Sachen Nanomaterialien. Ob von den Miniteilchen wie | |
etwa Titandioxid, das unter anderem in Kaugummis steckt, eine Gefahr | |
ausgeht, ist daher unklar. Jeder Stoff muss hier einzeln untersucht werden. | |
Erste Studien geben Hinweise, dass Titandioxid zumindest von Menschen mit | |
entzündlichen Darmerkrankungen gemieden werden sollte. | |
Verbraucher fürchten neben Aluminium, Mineralöl und Glyphosat auch | |
Gen-Food, Schimmelpilzgifte und Mikroplastik. Zwar gibt es bislang keine | |
guten Studien, die gentechnisch veränderte Lebensmittel als ungesund | |
ausweisen, umgekehrt fehlen aber Langzeitanalysen, um eine Gefahr völlig | |
auszuschließen. Mikroplastik-Rückstände werden intensiv erforscht, bislang | |
wurden sie aber nur in Fisch-Organen, nicht im deren Fleisch nachgewiesen. | |
Für Schimmelpilzgifte gelten teils sehr strenge Grenzwerte, da sie wie etwa | |
die Aflatoxine krebserregend sind. | |
Große Hoffnung setzen die BfR-Forscher in eine derzeit laufende Studie, die | |
Total-Diet-Studie. Hier werden Stoffe in zubereiteten Lebensmitteln | |
gemessen, zum Beispiel Elemente, Kontaminanten, die bei der Verarbeitung im | |
Haushalt entstehen, Zusatzstoffe oder Nährstoffveränderungen. Daraus können | |
auf die Gesamtbelastung der Bevölkerung Rückschlüsse gezogen – und, wo | |
nötig, Minimierungsmaßnahmen eingeleitet werden. | |
Derweil gilt es, möglichst abwechslungsreich zu essen, um das Risiko zu | |
streuen. Zudem sind saisonale, regionale, Bio- und wenig verarbeitete | |
Lebensmittel empfehlenswert. Auch Superfoods können auf dem Speiseplan | |
stehen. Auf Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet sollte man seiner | |
Gesundheit wegen jedoch lieber ganz verzichten. Nicht selten werden hier | |
erwiesenermaßen giftige Substanzen gefunden. Französische Behörden | |
entdeckten in Spirulina-Kapseln kürzlich leberschädigende Cyanotoxine. | |
14 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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