# taz.de -- Grünenpolitikerin über Pestizidzulassung: „Ich bin entgeistert�… | |
> Glyphosat ist unbedenklich? Für solche Erklärungen hat Renate Künast das | |
> Bundesinstitut für Risikobewertung als Ernährungsministerin 2002 nicht | |
> gegründet. | |
Bild: Proteste gegen Glyphosat in München im Dezmeber 2017 | |
taz: Frau Künast, Sie haben vor 15 Jahren als damalige grüne | |
Ernährungsministerin das Bundesinstitut für Risikobewertung gegründet. Das | |
BfR soll den Zulassungsämtern mitteilen, wie gefährlich oder ungefährlich | |
beispielsweise Pestizide wie Glyphosat sind. Schämen Sie sich heute dafür? | |
Renate Künast: What? Wie kommen Sie denn darauf? | |
Das BfR hat Glyphosat zuletzt für unbedenklich erklärt, weshalb die EU den | |
Wirkstoff nun für weitere fünf Jahre zugelassen hat – obwohl die | |
Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation | |
ihn als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. | |
Ich bin stolz darauf, das Institut gegründet zu haben, weil wir damit die | |
Bewertung und das Management von Risiken getrennt haben. Das heißt: Das BfR | |
analysiert, wie gefährlich ein Stoff ist, und andere Behörden entscheiden | |
dann, ob er beispielsweise verboten werden muss. Das war eine Konsequenz | |
aus der Krise um die Rinderseuche BSE, deren Risiko die damaligen Ämter | |
lange geleugnet hatten. Das BfR dagegen kann unabhängig Risiken | |
einschätzen, es muss und soll sich keine Gedanken über die wirtschaftlichen | |
oder politischen Folgen machen. | |
Ist das BfR denn wirklich so unabhängig? In das genannte Gutachten über | |
Glyphosat hat das Institut seitenweise Abschnitte aus dem Zulassungsantrag | |
der Hersteller übernommen – wortwörtlich. Die jeweilige Quelle war | |
bestenfalls unklar angegeben, manche sagen: gar nicht. | |
Das muss auch ich kritisieren. Unabhängigkeit und Wissenschaftlichkeit | |
heißen immer: etwas analysieren und selbst zu einem eigenen Ergebnis | |
kommen. Und daraus muss man schließen, dass man nicht zufällig auf die | |
gleichen Formulierungen kommen kann. Insofern haben die Autoren dieses | |
BfR-Textes selbst dazu beigetragen, dass man tatsachengestützt Zweifel | |
haben darf, ob sie sauber gearbeitet haben. | |
Der von Ihnen eingestellte BfR-Chef Andreas Hensel hat kürzlich in einem | |
Interview mit dem Tagesspiegel erklärt: „[1][In der Wissenschaft ist das | |
Urteil glasklar]: Glyphosat ist nicht krebserregend.“ Dabei ist die | |
Krebsforschungsagentur, die führende Wissenschaftler auf ihrem Gebiet | |
vereint, anderer Meinung. Ist Hensel da als BfR-Präsident noch tragbar? | |
Das muss nicht ich entscheiden. Aber ich sage mal klar: Er erweist dem BfR | |
mit solchen Äußerungen einen Bärendienst, weil sie nicht stimmen. Es gibt | |
unterschiedliche Wissenschaftler mit unterschiedlichen Arbeitsaufträgen. | |
Die Zulassungsbehörden in der EU oder den USA müssen die Studien der | |
Pestizidhersteller nutzen, aber dürfen sie nicht veröffentlichen. Monsanto | |
und andere Hersteller haben das erkämpft, weil eine Studie, die geheim ist, | |
ja nicht kritisch hinterfragt oder analysiert werden kann. So können die | |
Bürger nur blöd gucken. Die Krebsforschungsagentur dagegen beruft sich auf | |
öffentlich zugängliche Daten und hat eine breitere Fragestellung. Das | |
müsste eigentlich Herr Hensel genau erklären. Er aber tut so, als sei er | |
der Oberwissenschaftler mit der breitesten Studienstruktur. Statt | |
beispielsweise die Veröffentlichung aller Studien über die Stoffe zu | |
fordern, beschimpft das BfR seine Kritiker. | |
Hensel sagt, die wirklichen Probleme lägen nicht bei den | |
Pflanzenschutzmittelrückständen. Das Risiko durch mangelnde Küchenhygiene, | |
durch keimbelastete sogenannte Killerlappen zum Beispiel sei viel höher. | |
Spielt er die Gefahren durch Pestizide herunter? | |
Herr Hensel kann sich nicht exkulpieren mit einer anderen Gefahr. Wir | |
können die Privatküchen ja nicht verbieten, Glyphosat dagegen schon. Wir | |
schaffen eine chemiebelastete Welt zusätzlich zu den normalen Risiken, die | |
ein Haushalt hat. Die Chemikalien wirken auf den Körper ein, gerade auch | |
auf kleine Kinder. Das können wir doch gar nicht verantworten. Ich bin | |
entgeistert, dass Herr Hensel da mit dem Verweis auf einen Küchenlappen | |
oder so antwortet. | |
Das BfR wirft den Glyphosat- und Gentechnikgegnern vor, die Wissenschaft | |
politisch beeinflussen zu wollen. Fühlen Sie sich angesprochen? | |
Nein, weil Wissenschaft nicht die absolute Wahrheit gefressen hat. Schon | |
gar nicht, wenn die Fragestellungen der Studien dazu nicht auch | |
entsprechend breit sind. Und das sind sie nicht. Die Zulassungsverfahren | |
sind dank Lobbyarbeit stark an den Interessen der Antragsteller | |
ausgerichtet. Man wird ja noch mal fragen dürfen, beispielsweise ob die | |
Wissenschaft die Methode sauber einhält. Das ist nötig, wie wir bei der | |
Affäre mit den abgeschriebenen Texten gemerkt haben. | |
Wenn es so viele Mängel bei der Pestizidzulassung gibt, können wir dann | |
überhaupt noch sicher sein, dass wir uns nicht beim Essen vergiften? | |
Ich traue jedenfalls den üblichen Beschwichtigungen nicht. Deshalb kämpfe | |
ich für mehr Bio-Lebensmittel. Das ist besser für Körper und Natur. | |
Was muss das BfR künftig anders machen? | |
Das Bundesinstitut sollte nach 15 Jahren „Stopp“ rufen und Speerspitze | |
werden für ein neues Verfahren zur Zulassung von Pestiziden. Es muss sagen: | |
Wir wollen, dass alle Studien öffentlich gemacht werden und dass sie | |
unabhängig von der Industrie erstellt sind. Künftig müssen langfristige | |
Wirkungen von Pestiziden besser untersucht werden. Und auch, was die | |
Nebenwirkstoffe bewirken. Glyphosat wird ja nicht pur verkauft, sondern ist | |
nur ein zentraler von mehreren Inhaltsstoffen zum Beispiel des | |
Unkrautkillers Roundup. Es gibt Hinweise, dass sich bei Kombinationen | |
schädliche Wirkungen potenzieren oder neu ergeben. Schließlich muss das BfR | |
ein Ende des Zulassungstourismus fordern. Wenn sich der Hersteller selbst | |
den Staat aussuchen kann, in dem er sein Pestizid überprüfen lässt, dann | |
schadet das der Unabhängigkeit. | |
Hensel hat doch bereits darauf hingewiesen, dass es beim | |
Zulassungsverfahren Defizite gibt, etwa bei einer [2][Bundestagsanhörung zu | |
Glyphosat]. | |
Ja, aber daraus zieht er nicht genügend Konsequenzen. Er müsste dies auch | |
immer wieder in Interviews oder bei Anhörungen im Europaparlament klar | |
sagen: Unser Auftrag ist lückenhaft und zu begrenzt. Stattdessen behauptet | |
er mit großer Geste das Gegenteil: Es ist glasklar in der Wissenschaft, | |
dass Glyphosat nicht gefährlich ist. Und wo ist die Initiative des BfR, die | |
jetzt in US-Gerichtsverfahren entdeckten Monsanto Papers über | |
Einflussnahmen und unzureichende Forschungsaufträge öffentlich | |
nachvollziehbar auszuwerten? | |
Warum erzählen Sie das den Leuten beim BfR denn nicht persönlich? | |
Das habe ich bereits getan, nämlich beim Festakt zum 15-jährigen Jubiläum | |
des BfR. Nach meiner Rede sind viele Wissenschaftler des Instituts zu mir | |
gekommen und haben gesagt: So sehen wir das auch. Das hat mich dann auch | |
überrascht. Das macht Mut. | |
9 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/praesident-des-bundesinstituts-fuer-r… | |
[2] /Streit-ueber-das-meistverkaufte-Pestizid/!5241659 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
Renate Künast | |
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