| # taz.de -- Streit über das meistverkaufte Pestizid: Glyphosat: Krebsgefahr im… | |
| > Für die Weltgesundheitsorganisation ist der Stoff „wahrscheinlich | |
| > krebserregend“, für deutsche Prüfer kein Problem. Was treibt sie? | |
| Bild: Auch da kann das umstrittene Pestizid Glyphosat drin sein: leckere Weintr… | |
| LYON/BERLIN/NEULEWIN taz | Im März sieht es dann auf einmal so aus, als | |
| könnte jemand Hugo Bettiol glauben. Bettiol arbeitet als Arzt in der | |
| argentinischen Kleinstadt Monte Maíz. Er ist 72 und beklagt schon lange, | |
| dass ein Pestizid, das die Flugzeuge auf die Sojafelder am Rande der Stadt | |
| sprühen, die Menschen in der Gegend krebskrank machen könnte. In den | |
| vergangenen fünf Jahren, sagt er, hätten fünf seiner 15 Kollegen Tumoren | |
| entwickelt – darunter Bettiols Frau, die nur eine Nierenoperation retten | |
| konnte. Zwei Kollegen starben. „Und auch unter den Patienten sind viele | |
| Krebsfälle“, erzählt Bettiol. | |
| Am 20. März nun deutete sich zum ersten Mal an, dass eine offizielle | |
| Institution seine Beobachtungen bestätigen könnte. Die | |
| Weltgesundheitsorganisation WHO brandmarkte Glyphosat – das weltweit und | |
| auch in Deutschland meist verkaufte Pestizid – als [1][“wahrscheinlich | |
| krebserregend“]. Sie empfand die Beweislage als so gut, dass sie den | |
| Unkrautkiller in der zweithöchsten der fünf Kategorien für Krebsgefahren | |
| einstufte. Darüber gibt es nur noch „krebserregend“ – ohne | |
| „wahrscheinlich“. | |
| Es dauerte einige Monate, bis die Nachricht Hugo Bettiol in seinem kleinen | |
| Krankenhaus mit den 25 Betten erreichte. Sie fühlte sich an wie ein Sieg. | |
| „Allmählich“, sagt Bettiol, „kommt die Wahrheit ans Licht.“ | |
| Kurt Straif, der Mann der hinter der Warnung steht, arbeitet in einem | |
| Büroturm im Südosten Frankreichs, 13 Stockwerke hoch: bei der | |
| [2][Internationalen Agentur für Krebsforschung] in Lyon, einem | |
| WHO-Institut. Vor dem Eingang flattern an weißen Masten Fahnen aller | |
| Staaten, die die Agentur finanzieren. Straif leitet die Abteilung, die | |
| Stoffe oder Tätigkeiten daraufhin untersucht, ob sie Tumoren verursachen. | |
| Monatelang haben 17 von Straifs Forschern Untersuchungen zu dem Pestizid | |
| analysiert. Sie fanden: Tierversuche, in denen Glyphosat Krebs erzeugte und | |
| das Erbgut schädigte. Und Vergleichsstudien zwischen Menschen mit und ohne | |
| Kontakt zu der Chemikalie, die erhöhte Raten an Lymphdrüsenkrebs ergaben. | |
| Nach den Gesetzen der Europäischen Union müssen Stoffe mit solchen | |
| Eigenschaften verboten werden. | |
| Roland Solecki allerdings beurteilt Glyphosat etwas anders. Er ist Chef der | |
| Abteilung „Sicherheit von Pestiziden“ am [3][Bundesinstitut für | |
| Risikobewertung], der Behörde, die für die Deutschen ermittelt, wie sehr | |
| sie sich vor bestimmten Stoffen in Acht nehmen müssen. Die Beamten arbeiten | |
| in einem Klinkerbau im Berliner Stadtteil Charlottenburg, zufällig gleich | |
| neben einem Unternehmen des Pestizidkonzerns BASF. Wie die Kollegen in | |
| Frankreich haben Soleckis Leute gerade Hunderte Untersuchungen zu Glyphosat | |
| analysiert – im Auftrag der Europäischen Union. Denn der US-Hersteller | |
| Monsanto und andere Chemieunternehmen haben beantragt, dass die EU das | |
| Mittel mindestens weitere zehn Jahre zulässt. Die aktuelle Zulassung läuft | |
| im Juni 2016 aus. Soleckis Amt sieht [4][“keine gesundheitlichen | |
| Auswirkungen auf Anwender, Anwohner und Verbraucher“], wenn Glyphosat so | |
| benutzt wird, wie das die hiesigen Gesetze vorsehen. Die Behörde hält den | |
| Stoff sogar für so harmlos, dass sie vorgeschlagen hat, einen wichtigen | |
| [5][Grenzwert für das Pestizid zu erhöhen]. | |
| Wie kommen zwei Forscher bei ein und demselben Stoff zu so | |
| unterschiedlichen Einschätzungen? | |
| ## Zweifel am Zulassungsverfahren für Pestizide | |
| Es geht bei dem Streit nicht um irgendein Pestizid, sondern um eines, das | |
| auf rund [6][40 Prozent der deutschen Ackerfläche] und in vielen Gärten | |
| oder Grünanlagen gespritzt wird. In Nord- und Südamerika etwa hat der | |
| Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch veränderten | |
| Pflanzen – vor allem die von Monsanto – gegen den Stoff resistent sind. Das | |
| heißt: Die Bauern können beliebig oft Unkraut totspritzen, ohne die Soja- | |
| oder Maispflanzen zu zerstören. Ein Milliardengeschäft für | |
| Chemieunternehmen, Saatgutkonzerne und Großgrundbesitzer. | |
| Hinter der Diskussion über Glyphosat verbirgt sich also auch der Kampf für | |
| oder gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft. Wenn die Europäische | |
| Behörde für Lebensmittelsicherheit auf Grundlage von Risikobewerter | |
| Soleckis Recherchen empfiehlt, Glyphosat weiter zuzulassen, dürfte das | |
| Signalwirkung für die Regulierungsbehörden überall auf der Welt haben. Das | |
| Amt soll seine Bewertung bis Freitag abschließen. | |
| Glyphosat ist nicht nur ein Unkrautvernichter, der zum Aussterben von Tier- | |
| und Pflanzenarten beiträgt, weil er die Nahrung vieler Lebewesen zerstört. | |
| Da sind sich Behörden und Umweltorganisationen weitgehend einig. | |
| Naturschützer machen die Substanz etwa für das Amphibiensterben | |
| mitverantwortlich. Auch die Gesundheit von Verbrauchern und Landarbeitern | |
| könnte gefährdet sein. Denn sie kommen mit Glyphosat in Berührung: auf dem | |
| Feld oder über Rückstände in Lebensmitteln. Da der Stoff schon | |
| jahrzehntelang auf dem Markt ist und von den Ämtern durchgewunken wurde, | |
| nährt der Fall auch Zweifel an der Verlässlichkeit der Zulassungsverfahren. | |
| ## Den Bauern geht es ums Geld | |
| Neulewin in Brandenburg: Wie ein Raubvogel breitet die Spritzmaschine der | |
| Firma Agrarproduktion Oderbruch ihre beiden metallenen Flügel aus. 32 Meter | |
| breit ist das Gestänge, an dem Düsen hängen. Der Motor dröhnt, der Fahrer | |
| dreht das Gefährt mit den riesigen Reifen und drückt auf den Steuerknüppel | |
| in der Kabine. Sofort schießt eine klare Flüssigkeit aus dem | |
| 5.000-Liter-Tank hinter dem klimatisierten Cockpit durch die Ventile: ein | |
| Pestizid mit Glyphosat. | |
| Das Gift regnet auf den Boden: auf Raps, der die letzte Ernte überlebt hat, | |
| auf Unkräuter, auf Ackerhellerkraut, Ehrenpreis und Ackerwinde – alles, was | |
| grün ist und wächst, wird in zwei bis drei Wochen gelb und tot sein. „Wir | |
| machen einmal reinen Tisch“, sagt Wilfried Daue. So hat das Getreide, das | |
| der Chef des Agrarunternehmens nach dem Spritzen säen lässt, kaum noch | |
| Konkurrenten um Nährstoffe, Licht und Boden. | |
| Daue, 64 Jahre alt, hat gut gebräunte Haut, markante Falten und kräftige | |
| Bauernhände. Er arbeitete schon zu DDR-Zeiten auf diesem Land nahe der | |
| polnischen Grenze. Heute leitet er den mit 3.500 Hektar sehr großen | |
| Betrieb, der pro Jahr 5 Millionen Euro einnimmt. Ohne Glyphosat, erzählt | |
| Daue, müssten sie das Unkraut mit Pflügen oder anderen Maschinen | |
| durchschneiden und aus dem Boden reißen. „Das wäre ein Arbeitsgang mehr: | |
| mehr Zeit, mehr DK, also Dieselkraftstoff.“ Kostenpunkt: mindestens 30 bis | |
| 50 Euro mehr pro Hektar. Das könnte etwa bei Brotweizen schon mal ein | |
| Viertel des Gewinns verschlingen. Bei Glyphosat geht es also den | |
| konventionellen Landwirten genauso wie den Chemiekonzernen vor allem um | |
| Geld. | |
| Deshalb reagiert Monsanto sofort, als Kurt Straif am 20. März die Warnung | |
| der Krebsforschungsagentur auf der Internetseite der Fachzeitschrift The | |
| Lancet Oncology veröffentlichen lässt. Gentechnikgegner schicken sie als | |
| „Breaking News“ über ihre E-Mail-Verteiler, die internationale Presse | |
| berichtet. In einer [7][schriftlichen Stellungnahme] diskreditiert der | |
| Konzern Straifs Urteil als „Junk Science“, Schrottwissenschaft. | |
| In Straifs Büro im fünften Stock der Agentur in Lyon hört man, wie der Wind | |
| an den Fenstern rüttelt. Straif – 58 Jahre alt, Facharzt für Innere Medizin | |
| mit Abschlüssen der Universitäten Frankfurt am Main, Münster und | |
| Kalifornien – trägt ein blaues Jackett, darunter ein rostrotes T-Shirt. | |
| Sein Vollbart ist ein wenig struppig, das passt zu ihm. Kühles Neonlicht | |
| fällt von der Decke. Die Wände sind kahl, hinter Straif stehen große | |
| Papierablagen. | |
| Schrottforschung? | |
| Straif verzieht keine Miene. Die Bewertungen seiner Agentur seien „seit | |
| mehr als 40 Jahren weltweit dafür bekannt, dass sie der Goldstandard sind | |
| in der Gefährdungseinschätzung von möglicherweise krebserregenden | |
| Substanzen“, sagt er. | |
| Er kennt solche Lobbykämpfe, bei denen der Schutz der Gesundheit gegen die | |
| Interessen einer ganzen Branche steht. Straif hat schon die Einstufung von | |
| Dieselabgasen als eindeutig krebserregend gegen die Autoindustrie aufrecht | |
| erhalten. Nun eben die Chemiefirmen. „Wir sind gewohnt, dass unsere | |
| Bewertungen auf Interesse stoßen“, sagt Straif und lächelt. „Das ist hier | |
| sicher eine relativ starke Reaktion, weil es direkt in das Businessmodel | |
| von Monsanto trifft.“ | |
| Seine Leute seien beim Thema Glyphosat „weltweit führend“. Außerdem glaubt | |
| Straif, das Richtige zu tun: Er wolle, sagt der Mediziner, dass seine | |
| Wissenschaft angewandt wird, zum Nutzen der Menschen. | |
| ## Bei Krebsgefahr spielt die Dosis für ein Verbot keine Rolle | |
| Da ähnelt er Roland Solecki dem deutschen Risikobewerter. „Mein Wunsch“, | |
| erzählt der Beamte in seinem Büro im Berliner Bundesinstitut, „war es | |
| immer, die Gesundheit der Menschen zu schützen.“ Anders als der Arzt Straif | |
| hat der Biologe Solecki aber immer auch die Interessen der Landwirtschaft | |
| im Blick gehabt: [8][Ab 1977 arbeitete er im Institut für | |
| Pflanzenschutzforschung der DDR], das Pestizide entwickelte, bevor er zu | |
| einer Vorgängerbehörde des Bundesinstituts wechselte. Hinter Soleckis | |
| Schreibtisch steht ein Chefsessel mit Kopfstütze. An den Wänden hängen | |
| Gemälde und Kunstgrafiken. Er ist 61 Jahre alt, trägt ein sportliches | |
| beiges Jackett und dazu passende Jeans. | |
| Im Gegensatz zu den Experten in Lyon, sagt Solecki, berücksichtige sein | |
| Team auch, wie viel Glyphosat im Körper ankommt, wenn die Chemikalie | |
| ordnungsgemäß angewendet werde. Wie hoch also die Rückstände in | |
| Lebensmitteln und die Mengen sind, die die Bauern auf dem Feld abbekommen. | |
| Die Glyphosatmengen, die in der EU zulässig sind, halten Soleckis Leute für | |
| harmlos. | |
| Allerdings: Falls eine Chemikalie auch nur „wahrscheinlich krebserregend“ | |
| ist, gilt jede Dosis als gefährlich und muss verboten werden. So steht es | |
| in der [9][EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung | |
| von Stoffen und Gemischen]. | |
| Kurt Straif ist Wissenschaftler. Er würde nie sagen: Die Berliner haben | |
| Quatsch gemacht. Aber er sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass all die | |
| Studien, die wir einbezogen haben, vom Bundesinstitut miteinbezogen wurden. | |
| Man kann mit diesen Studien eigentlich nicht zu einer anderen | |
| Schlussfolgerung kommen.“ | |
| Tatsächlich räumen Soleckis Mitarbeiter ein, dass sie mehrere | |
| Untersuchungen, mit denen die Krebsforschungsagentur ihre Einstufung | |
| begründet hat, [10][nicht berücksichtigt] hatten. | |
| Andere Tierversuchsstudien, die über erhöhte Krebsraten bei Mäusen | |
| berichteten, tauchten zwar von Anfang an in seinen Analysen auf. Aber | |
| Soleckis Team stufte sie als unwichtig ein, unter anderem weil die | |
| Glyphosatdosis ihnen zu hoch erschien. Menschen wären seiner Meinung nach | |
| längst daran gestorben. „Wir machen doch die Risikobewertung für den | |
| Menschen. Mit dieser Dosis wird man normalerweise nicht exponiert“, | |
| argumentiert der Beamte. Er beruft sich dabei auf Regeln der | |
| Industrieländerorganisation OECD. | |
| Niemand wisse aber so genau, welche Dosis tödlich ist, sagt Ivan Rusyn, | |
| Toxikologe an der texanischen A&M University und einer der Wissenschaftler | |
| der Krebsforschungsagentur. Im Übrigen seien gerade die Experimente am | |
| aussagekräftigsten, deren Dosierungen so hoch ist, dass bei den | |
| Versuchstieren Effekte zu beobachten sind. | |
| Wegen solcher Widersprüche werfen Kritiker Soleckis Leuten Manipulationen | |
| vor. Das Bundesinstitut halten sie für zu industrienah. Das | |
| Zulassungsverfahren der EU sei so aufgebaut, dass die Hersteller zu viel | |
| Einfluss nehmen könnten. Außerdem hat Solecki es mitgestaltet, er | |
| bestreitet das auch nicht. | |
| Laut [11][EU-Verordnung Nummer 1107/2009] dürfen die Pestizidhersteller die | |
| Studien selbst machen, die überprüfen, wie giftig ihre Wirkstoffe sind. Sie | |
| müssen die Untersuchungen noch nicht einmal veröffentlichen. Unabhängige | |
| Wissenschaftler können sie kaum kontrollieren. Lediglich Zusammenfassungen | |
| der Analysen finden sich in einem Bericht des Bundesinstituts, der nach | |
| Abschluss des Verfahrens publiziert wird. Diese Inhaltsangaben übernehmen | |
| Soleckis Leute nach eigener Darstellung von der Industrie, sie korrigieren | |
| nur noch offensichtliche Fehler. | |
| Kurt Straif schüttelt den Kopf, wenn er das hört. Der Arzt hat nichts gegen | |
| Studien, die von der Industrie kommen. Aber er nutzt sie nur, [12][wenn sie | |
| öffentlich zugänglich sind] – damit alle Bewertungen der | |
| Krebsforschungsagentur „durch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind“, wie | |
| er erklärt. | |
| Ende September ist die Kritik an Soleckis Bewertung so laut geworden, dass | |
| er in den Bundestag muss, in den großen, zweistöckigen Sitzungssaal 3.101, | |
| in dem vor allem Untersuchungsausschüsse arbeiten. Heute befragen hier die | |
| Abgeordneten des Agrarausschusses öffentlich Experten zu Glyphosat. Sie | |
| grillen vor allem Andreas Hensel, den Präsidenten des Bundesinstituts. Aber | |
| es geht um Soleckis Arbeit. Er sitzt zwei Reihen hinter seinem Chef, einen | |
| dicken Aktenordner auf dem Schoß, immer wieder reicht er Hensel kleine | |
| Zettel mit Stichwörtern über die Schulter. | |
| ## Solecki nickt. Das Argument könnte ihn retten | |
| Hensel verteidigt sich unter anderem damit, dass Soleckis Leute laut Gesetz | |
| ja nur den puren Wirkstoff prüfen müssten. Also nicht die fertigen | |
| Pestizide, die außer Glyphosat immer auch Hilfssubstanzen enthalten. Die | |
| sollen etwa das Eindringen in die Pflanze erleichtern. Sie könnten aber | |
| auch giftiger sein als Glyphosat selbst, erzählt Hensel. Möglicherweise ist | |
| also nicht Glyphosat, sondern ein Beistoff krebserregend. Solecki nickt. | |
| Dieses Argument könnte ihn mit seiner Unbedenklichkeitserklärung für das | |
| pure Glyphosat aus der Schusslinie bringen. | |
| Es offenbart sich damit aber auch eine Lücke im Zulassungssystem: Derzeit | |
| werden die Hilfsstoffe nicht genügend kontrolliert, was Soleckis Chef im | |
| Bundestagsausschuss indirekt einräumt. Hensel spricht sich dafür aus, über | |
| „gesetzgeberische Maßnahmen“ bei der Zulassung der Mischungen nachzudenken, | |
| weil [13][“auch die Beistoffe vernünftig mitgeprüft werden sollten“]. | |
| Auf der Besuchertribüne sitzt die Toxikologin Anita Schwaier. Früher hat | |
| sie in der Pharmaindustrie gearbeitet. Sie ist 78, lange in Rente und sieht | |
| ein noch größeres Problem: „Eine von der EU-Kommission initiierte | |
| [14][Metastudie] kommt zu dem Schluss, dass sich die schädlichen | |
| Veränderungen der Einzelsubstanzen in Pestiziden addieren, teilweise sogar | |
| potenzieren“, sagt die Wissenschaftlerin. „Mischungen müssen aber für die | |
| Zulassung nicht experimentell geprüft werden.“ | |
| Solecki bestätigt, dass mögliche Kombinationswirkungen der Inhaltsstoffe | |
| bei der Zulassung lediglich „berücksichtigt“ würden, „soweit dies auf B… | |
| der vorliegenden Daten möglich ist“. Das nutzt den Herstellern: Wenn nur | |
| die einzelnen Bestandteile im Tierversuch geprüft werden müssen, dürfen sie | |
| die Chemikalien ohne teure Tests immer wieder zu neuen Produkten | |
| kombinieren. | |
| Wie unabhängig agieren die Menschen, die an solchen Gesetzen mitgewirkt | |
| haben und sie nun anwenden? | |
| In seinem Büro holt Roland Solecki den Ausdruck einer 32-seitigen | |
| [15][Studie] aus einer Aktenmappe. Unter den Autoren steht sein Name, aber | |
| auch der von Monsanto- und Syngenta-Mitarbeitern – also von | |
| Pestizidherstellern, deren Antrag auf Wiederzulassung von Glyphosat er | |
| jetzt bewertet hat. Initiiert wurde die Studie, das steht auf der zweiten | |
| Seite, von der Industrieorganisation Ilsi. Der Inhalt ist denn auch im | |
| Sinne der Industrie: ein Vorschlag für Prüfvorschriften, der den Aufwand | |
| für Tierversuche im Zulassungsverfahren von Pestiziden reduzieren könnte. | |
| Es gehe beispielsweise darum, „hohe Dosierungen zu vermeiden, die unnötige | |
| Sorgen der Öffentlichkeit verursachen“. | |
| Der Text erschien bereits 2006. Tagungsunterlagen zufolge nahm Solecki aber | |
| 2009 und 2011 als Redner an Workshops des Ecetoc teil. Dieser Verband, in | |
| dem sich unter anderem die Konzerne BASF, Bayer und Syngenta | |
| zusammenschließen, entwickelt auch Konzepte zur toxikologischen Bewertung | |
| von Chemikalien. Dazu kommt: Das Bundesinstitut lässt sich nach eigenen | |
| Angaben bis heute in seiner „[16][Kommission Pflanzenschutzmittel]“ unter | |
| anderem von Industrievertretern beraten – beispielsweise über Strategien | |
| zur Einschätzung von Pestiziden. | |
| „Da entsteht viel zu viel Nähe“, kritisiert Heike Moldenhauer, | |
| Gentechnikexpertin der Umweltorganisation BUND. „Diejenigen, die | |
| kontrolliert werden sollen, werden in gemeinsamen Arbeitsgruppen zu den | |
| Kontrollen konsultiert.“ Und das nicht nur sporadisch, sondern | |
| „institutionalisiert“. Für Moldenhauer ist diese Zusammenarbeit mit den | |
| Pestizidherstellern „ein klarer Interessenkonflikt“. | |
| ## Die Hälfte der Namen hat er grün angestrichen | |
| „Nein, das möchte ich aufs Schärfste zurückweisen“, antwortet der Beamte | |
| darauf und guckt entsetzt. Er zeigt auf die Autorenliste der Ilsi-Studie. | |
| Ungefähr die Hälfte der 19 Namen hat er grün angestrichen: Mitarbeiter von | |
| Behörden aus Frankreich, Kanada und den USA. Soll heißen: Das macht doch | |
| jeder. Er habe auch kein Geld für seine Mitarbeit erhalten. | |
| „Glauben Sie mir“, sagt Solecki. „Ich habe mein Leben lang für den | |
| Verbraucherschutz gearbeitet. Die Mehrheit meiner Mitarbeiter sind | |
| Bundesbeamte. Da macht es mich extrem traurig, wenn Bundesbeamten | |
| unterstellt wird, die werden von der Industrie beeinflusst.“ | |
| Daue, der Bauer aus Brandenburg, vertraut Solecki. Ohne Glyphosat würde | |
| Deutschland noch mehr Billigware aus dem Ausland importieren, wo weiter mit | |
| dem Pestizid produziert wird, warnt er. Außerdem gehe mehr Boden durch | |
| Erosion verloren, wegen der dann nötigen Unkrautbekämpfung per Pflug. Und | |
| seine Ernten wären kleiner. | |
| Daue könnte Glyphosat auch durch andere Pestizide ersetzen. Allerdings | |
| bräuchte er dann mehrere Wirkstoffe, denn keiner tötet so effizient fast | |
| alle Unkrautarten. „Dieses Zeug ist ja ein halbes Wundermittel“, sagt Daue. | |
| Und man müsse auch mal fragen, ob andere Chemikalien für Umwelt und | |
| Gesundheit besser seien. | |
| Aber: Andere Pestizide, die als krebserregend gelten, sind sowieso | |
| verboten. | |
| ## Bio-Landbau statt Glyphosat | |
| Es gäbe auch die Alternative, die Früchte auf dem Feld so abzuwechseln, | |
| dass Unkraut möglichst gar nicht erst entsteht. Man kann zwischen | |
| Maisreihen Hülsenfrüchte säen, die es verdrängen. Solche Biolandbausysteme | |
| verhindern Erosion und sind klimafreundlich. Die Ernten wären etwas | |
| geringer. Aber 2014 produzierte Deutschland laut Bundesagrarministerium | |
| [17][40 Prozent mehr Weizen, als es selbst verbraucht]. | |
| Bis Mitte 2016 muss die EU-Kommission nun gemeinsam mit den Mitgliedstaaten | |
| über die Zukunft von Glyphosat entscheiden. Sollte sie es verbieten, würde | |
| das auch für Konkurrenten der deutschen Bauern etwa in Frankreich gelten. | |
| Extrem niedrige Grenzwerte für Rückstände des Pestizids könnten Importe von | |
| mit Glyphosat angebauten Pflanzen aus Nicht-EU-Ländern weitgehend | |
| verhindern. | |
| In einem Hochhaus in Lyon dürfte jemand genau darauf hoffen. | |
| 25 Oct 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(15)70134-8/a… | |
| [2] http://www.iarc.fr/index.php | |
| [3] http://bfr.bund.de/de/start.html | |
| [4] http://www.bundestag.de/blob/387778/b7ccd64798cfccaf206d21a07d9d6a2e/stellu… | |
| [5] /Umstrittenes-Pestizid-Glyphosat/!5053358/ | |
| [6] http://pub.jki.bund.de/index.php/JKA/article/view/1766 | |
| [7] http://news.monsanto.com/press-release/research-and-development/monsanto-re… | |
| [8] https://ess.efsa.europa.eu/doi/?wicket%3Ainterface=%3A0%3Amemberslistpanel%… | |
| [9] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ%3AL%3A2008%3A353%3… | |
| [10] /!5229109/ | |
| [11] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R1107 | |
| [12] http://monographs.iarc.fr/ENG/Preamble/currenta4data0706.php | |
| [13] http://www.bundestag.de/mediathek/?action=search&contentArea=details&a… | |
| [14] http://ec.europa.eu/environment/chemicals/pdf/report_Mixture%20toxicity.pdf | |
| [15] http://air.unimi.it/bitstream/2434/39344/2/Doe%20et%20al%20%20CRT%202006.p… | |
| [16] http://www.bfr.bund.de/cm/343/11-sitzung-der-bfr-kommission-fuer-pflanzens… | |
| [17] http://berichte.bmelv-statistik.de/MBT-0201030-0000.xls&lnkname=http:/… | |
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