# taz.de -- Pflanzenschutzmittel Glyphosat: Wahrscheinlich (nicht) krebserregend | |
> Das Pestizid Glyphosat sei wohl doch nicht krebserregend, urteilt die | |
> zuständige EU-Behörde. Kritiker zweifeln an deren Unabhängigkeit. | |
Bild: Der Unkrautvernichter wird auf rund 40 Prozent der deutschen Ackerfläche… | |
BERLIN taz | Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hat | |
empfohlen, den weltweit meistverkauften Pestizidwirkstoff Glyphosat weiter | |
zuzulassen – obwohl die Weltgesundheitsorganisation ihn als „wahrscheinlich | |
krebserregend“ bezeichnet. Da die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten in | |
der Regel die Stellungnahmen des Amts übernehmen, werden sie Glyphosat wohl | |
für weitere zehn Jahre erlauben. Die aktuelle Zulassung läuft im Juni aus. | |
Die industrialisierte Landwirtschaft kommt ohne Glyphosat kaum aus. Der | |
Unkrautvernichter wird auf rund 40 Prozent der deutschen Ackerfläche und in | |
Gärten oder Grünanlagen gespritzt. So wird die Nahrung von Lebewesen | |
zerstört, was zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten beiträgt. Zudem | |
finden sich Rückstände in Lebensmitteln. | |
Glyphosat ist auch ein Schlüssel zur Gentechnik. In Nord- und Südamerika | |
etwa hat der Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch | |
veränderten Pflanzen beliebig oft mit dem Stoff behandelt werden können. | |
Für die Wirtschaft stehen in der Debatte über das Pestizid | |
Milliardeneinnahmen auf dem Spiel. | |
Doch der Efsa zufolge „ist es unwahrscheinlich, dass Glyphosat eine | |
krebserregende Gefahr für den Menschen darstellt“. Wahrscheinlich schädige | |
der Stoff auch nicht das Erbgut, was Tumoren verursachen kann. Mit beiden | |
Aussagen widerspricht die Behörde der Krebsforschungsagentur der | |
Weltgesundheitsorganisation. | |
## Erbgutschädigungen | |
Die EU-Behörde erklärte die Differenzen „größtenteils“ damit, dass sie | |
lediglich den Wirkstoff Glyphosat untersucht hat. Die | |
Krebsforschungsagentur dagegen beruft sich auch auf Studien mit den fertig | |
gemischten Pestiziden, die neben Glyphosat auch Hilfsstoffe enthalten. Laut | |
Efsa sind wahrscheinlich diese Substanzen verantwortlich für die | |
Erbgutschädigungen, die bei glyphosathaltigen Chemikalien beobachtet | |
wurden. | |
Andere Studien, bei denen Tiere nach Einnahme von Glyphosat ohne | |
Hilfsstoffe Krebs bekamen, verwarf die Efsa als irrelevant. Zum Beispiel | |
weil die Dosis zu hoch oder das Ergebnis nach dem angewandten | |
Statistikverfahren nicht signifikant gewesen sei. | |
Außerdem, so die Efsa, habe sie mehr wissenschaftliche Ergebnisse bewertet | |
als die Krebsforschungsagentur. Dabei geht es offenbar vor allem um von | |
Glyphosatherstellern selbst in Auftrag gegebene Studien. Die Krebsforscher | |
schließen nämlich Untersuchungen aus, die nicht öffentlich zugänglich und | |
deshalb auch nicht von externen Fachleuten überprüfbar sind. | |
Die Schlussfolgerung in Sachen Krebs war selbst unter den | |
Efsa-Mitgliedstaaten umstritten: Schweden wollte sich der Entwarnung nicht | |
anschließen. Schon im Vorfeld hatten Wissenschaftler die Bewertung der | |
Versuchsergebnisse kritisiert. | |
Zwar schlägt die EU-Behörde nun vor, erstmals eine „Akute Referenzdosis“ | |
festzulegen. Das ist die Menge Glyphosat, die Menschen in einem kurzen | |
Zeitraum – etwa bei einer einzelnen Mahlzeit – ohne Risiko zu sich nehmen | |
können. Gleichzeitig rät das Amt aber auch, die „Akzeptable Tagesdosis“ um | |
66 Prozent auf 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu erhöhen. Diese | |
Menge sollen selbst Kinder täglich lebenslang zu sich nehmen können. | |
Beide Zahlen dienen dazu, die Grenzwerte für die erlaubten Rückstände in | |
Lebensmitteln zu berechnen. Ob die nun erhöht oder gesenkt werden, muss die | |
Efsa noch entscheiden. „Wir können im Moment aber sagen, dass die Efsa | |
durch die Einführung der Akuten Referenzdosis die künftige Bewertung | |
potenzieller Risiken durch Glyphosat verschärft“, sagte Sprecher Jan Op Gen | |
Oorth der taz. | |
Während der US-Konzern Monsanto und andere Glyphosathersteller die | |
Stellungnahme der Efsa lobten, hagelte es von Umweltverbänden Kritik. | |
„Diese Bewertung der Efsa lässt an ihrer wissenschaftlichen Unabhängigkeit | |
zweifeln“, urteilte Greenpeace. Der Behörde werden immer wieder personelle | |
Verflechtungen mit der Industrie vorgeworfen. Genauso wie dem deutschen | |
Bundesinstitut für Risikobewertung, das der Efsa zugearbeitet hatte. | |
12 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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