# taz.de -- Streit über das meistverkaufte Pestizid: Glyphosat: Krebsgefahr im… | |
> Für die Weltgesundheitsorganisation ist der Stoff „wahrscheinlich | |
> krebserregend“, für deutsche Prüfer kein Problem. Was treibt sie? | |
Bild: Auch da kann das umstrittene Pestizid Glyphosat drin sein: leckere Weintr… | |
LYON/BERLIN/NEULEWIN taz | Im März sieht es dann auf einmal so aus, als | |
könnte jemand Hugo Bettiol glauben. Bettiol arbeitet als Arzt in der | |
argentinischen Kleinstadt Monte Maíz. Er ist 72 und beklagt schon lange, | |
dass ein Pestizid, das die Flugzeuge auf die Sojafelder am Rande der Stadt | |
sprühen, die Menschen in der Gegend krebskrank machen könnte. In den | |
vergangenen fünf Jahren, sagt er, hätten fünf seiner 15 Kollegen Tumoren | |
entwickelt – darunter Bettiols Frau, die nur eine Nierenoperation retten | |
konnte. Zwei Kollegen starben. „Und auch unter den Patienten sind viele | |
Krebsfälle“, erzählt Bettiol. | |
Am 20. März nun deutete sich zum ersten Mal an, dass eine offizielle | |
Institution seine Beobachtungen bestätigen könnte. Die | |
Weltgesundheitsorganisation WHO brandmarkte Glyphosat – das weltweit und | |
auch in Deutschland meist verkaufte Pestizid – als [1][“wahrscheinlich | |
krebserregend“]. Sie empfand die Beweislage als so gut, dass sie den | |
Unkrautkiller in der zweithöchsten der fünf Kategorien für Krebsgefahren | |
einstufte. Darüber gibt es nur noch „krebserregend“ – ohne | |
„wahrscheinlich“. | |
Es dauerte einige Monate, bis die Nachricht Hugo Bettiol in seinem kleinen | |
Krankenhaus mit den 25 Betten erreichte. Sie fühlte sich an wie ein Sieg. | |
„Allmählich“, sagt Bettiol, „kommt die Wahrheit ans Licht.“ | |
Kurt Straif, der Mann der hinter der Warnung steht, arbeitet in einem | |
Büroturm im Südosten Frankreichs, 13 Stockwerke hoch: bei der | |
[2][Internationalen Agentur für Krebsforschung] in Lyon, einem | |
WHO-Institut. Vor dem Eingang flattern an weißen Masten Fahnen aller | |
Staaten, die die Agentur finanzieren. Straif leitet die Abteilung, die | |
Stoffe oder Tätigkeiten daraufhin untersucht, ob sie Tumoren verursachen. | |
Monatelang haben 17 von Straifs Forschern Untersuchungen zu dem Pestizid | |
analysiert. Sie fanden: Tierversuche, in denen Glyphosat Krebs erzeugte und | |
das Erbgut schädigte. Und Vergleichsstudien zwischen Menschen mit und ohne | |
Kontakt zu der Chemikalie, die erhöhte Raten an Lymphdrüsenkrebs ergaben. | |
Nach den Gesetzen der Europäischen Union müssen Stoffe mit solchen | |
Eigenschaften verboten werden. | |
Roland Solecki allerdings beurteilt Glyphosat etwas anders. Er ist Chef der | |
Abteilung „Sicherheit von Pestiziden“ am [3][Bundesinstitut für | |
Risikobewertung], der Behörde, die für die Deutschen ermittelt, wie sehr | |
sie sich vor bestimmten Stoffen in Acht nehmen müssen. Die Beamten arbeiten | |
in einem Klinkerbau im Berliner Stadtteil Charlottenburg, zufällig gleich | |
neben einem Unternehmen des Pestizidkonzerns BASF. Wie die Kollegen in | |
Frankreich haben Soleckis Leute gerade Hunderte Untersuchungen zu Glyphosat | |
analysiert – im Auftrag der Europäischen Union. Denn der US-Hersteller | |
Monsanto und andere Chemieunternehmen haben beantragt, dass die EU das | |
Mittel mindestens weitere zehn Jahre zulässt. Die aktuelle Zulassung läuft | |
im Juni 2016 aus. Soleckis Amt sieht [4][“keine gesundheitlichen | |
Auswirkungen auf Anwender, Anwohner und Verbraucher“], wenn Glyphosat so | |
benutzt wird, wie das die hiesigen Gesetze vorsehen. Die Behörde hält den | |
Stoff sogar für so harmlos, dass sie vorgeschlagen hat, einen wichtigen | |
[5][Grenzwert für das Pestizid zu erhöhen]. | |
Wie kommen zwei Forscher bei ein und demselben Stoff zu so | |
unterschiedlichen Einschätzungen? | |
## Zweifel am Zulassungsverfahren für Pestizide | |
Es geht bei dem Streit nicht um irgendein Pestizid, sondern um eines, das | |
auf rund [6][40 Prozent der deutschen Ackerfläche] und in vielen Gärten | |
oder Grünanlagen gespritzt wird. In Nord- und Südamerika etwa hat der | |
Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch veränderten | |
Pflanzen – vor allem die von Monsanto – gegen den Stoff resistent sind. Das | |
heißt: Die Bauern können beliebig oft Unkraut totspritzen, ohne die Soja- | |
oder Maispflanzen zu zerstören. Ein Milliardengeschäft für | |
Chemieunternehmen, Saatgutkonzerne und Großgrundbesitzer. | |
Hinter der Diskussion über Glyphosat verbirgt sich also auch der Kampf für | |
oder gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft. Wenn die Europäische | |
Behörde für Lebensmittelsicherheit auf Grundlage von Risikobewerter | |
Soleckis Recherchen empfiehlt, Glyphosat weiter zuzulassen, dürfte das | |
Signalwirkung für die Regulierungsbehörden überall auf der Welt haben. Das | |
Amt soll seine Bewertung bis Freitag abschließen. | |
Glyphosat ist nicht nur ein Unkrautvernichter, der zum Aussterben von Tier- | |
und Pflanzenarten beiträgt, weil er die Nahrung vieler Lebewesen zerstört. | |
Da sind sich Behörden und Umweltorganisationen weitgehend einig. | |
Naturschützer machen die Substanz etwa für das Amphibiensterben | |
mitverantwortlich. Auch die Gesundheit von Verbrauchern und Landarbeitern | |
könnte gefährdet sein. Denn sie kommen mit Glyphosat in Berührung: auf dem | |
Feld oder über Rückstände in Lebensmitteln. Da der Stoff schon | |
jahrzehntelang auf dem Markt ist und von den Ämtern durchgewunken wurde, | |
nährt der Fall auch Zweifel an der Verlässlichkeit der Zulassungsverfahren. | |
## Den Bauern geht es ums Geld | |
Neulewin in Brandenburg: Wie ein Raubvogel breitet die Spritzmaschine der | |
Firma Agrarproduktion Oderbruch ihre beiden metallenen Flügel aus. 32 Meter | |
breit ist das Gestänge, an dem Düsen hängen. Der Motor dröhnt, der Fahrer | |
dreht das Gefährt mit den riesigen Reifen und drückt auf den Steuerknüppel | |
in der Kabine. Sofort schießt eine klare Flüssigkeit aus dem | |
5.000-Liter-Tank hinter dem klimatisierten Cockpit durch die Ventile: ein | |
Pestizid mit Glyphosat. | |
Das Gift regnet auf den Boden: auf Raps, der die letzte Ernte überlebt hat, | |
auf Unkräuter, auf Ackerhellerkraut, Ehrenpreis und Ackerwinde – alles, was | |
grün ist und wächst, wird in zwei bis drei Wochen gelb und tot sein. „Wir | |
machen einmal reinen Tisch“, sagt Wilfried Daue. So hat das Getreide, das | |
der Chef des Agrarunternehmens nach dem Spritzen säen lässt, kaum noch | |
Konkurrenten um Nährstoffe, Licht und Boden. | |
Daue, 64 Jahre alt, hat gut gebräunte Haut, markante Falten und kräftige | |
Bauernhände. Er arbeitete schon zu DDR-Zeiten auf diesem Land nahe der | |
polnischen Grenze. Heute leitet er den mit 3.500 Hektar sehr großen | |
Betrieb, der pro Jahr 5 Millionen Euro einnimmt. Ohne Glyphosat, erzählt | |
Daue, müssten sie das Unkraut mit Pflügen oder anderen Maschinen | |
durchschneiden und aus dem Boden reißen. „Das wäre ein Arbeitsgang mehr: | |
mehr Zeit, mehr DK, also Dieselkraftstoff.“ Kostenpunkt: mindestens 30 bis | |
50 Euro mehr pro Hektar. Das könnte etwa bei Brotweizen schon mal ein | |
Viertel des Gewinns verschlingen. Bei Glyphosat geht es also den | |
konventionellen Landwirten genauso wie den Chemiekonzernen vor allem um | |
Geld. | |
Deshalb reagiert Monsanto sofort, als Kurt Straif am 20. März die Warnung | |
der Krebsforschungsagentur auf der Internetseite der Fachzeitschrift The | |
Lancet Oncology veröffentlichen lässt. Gentechnikgegner schicken sie als | |
„Breaking News“ über ihre E-Mail-Verteiler, die internationale Presse | |
berichtet. In einer [7][schriftlichen Stellungnahme] diskreditiert der | |
Konzern Straifs Urteil als „Junk Science“, Schrottwissenschaft. | |
In Straifs Büro im fünften Stock der Agentur in Lyon hört man, wie der Wind | |
an den Fenstern rüttelt. Straif – 58 Jahre alt, Facharzt für Innere Medizin | |
mit Abschlüssen der Universitäten Frankfurt am Main, Münster und | |
Kalifornien – trägt ein blaues Jackett, darunter ein rostrotes T-Shirt. | |
Sein Vollbart ist ein wenig struppig, das passt zu ihm. Kühles Neonlicht | |
fällt von der Decke. Die Wände sind kahl, hinter Straif stehen große | |
Papierablagen. | |
Schrottforschung? | |
Straif verzieht keine Miene. Die Bewertungen seiner Agentur seien „seit | |
mehr als 40 Jahren weltweit dafür bekannt, dass sie der Goldstandard sind | |
in der Gefährdungseinschätzung von möglicherweise krebserregenden | |
Substanzen“, sagt er. | |
Er kennt solche Lobbykämpfe, bei denen der Schutz der Gesundheit gegen die | |
Interessen einer ganzen Branche steht. Straif hat schon die Einstufung von | |
Dieselabgasen als eindeutig krebserregend gegen die Autoindustrie aufrecht | |
erhalten. Nun eben die Chemiefirmen. „Wir sind gewohnt, dass unsere | |
Bewertungen auf Interesse stoßen“, sagt Straif und lächelt. „Das ist hier | |
sicher eine relativ starke Reaktion, weil es direkt in das Businessmodel | |
von Monsanto trifft.“ | |
Seine Leute seien beim Thema Glyphosat „weltweit führend“. Außerdem glaubt | |
Straif, das Richtige zu tun: Er wolle, sagt der Mediziner, dass seine | |
Wissenschaft angewandt wird, zum Nutzen der Menschen. | |
## Bei Krebsgefahr spielt die Dosis für ein Verbot keine Rolle | |
Da ähnelt er Roland Solecki dem deutschen Risikobewerter. „Mein Wunsch“, | |
erzählt der Beamte in seinem Büro im Berliner Bundesinstitut, „war es | |
immer, die Gesundheit der Menschen zu schützen.“ Anders als der Arzt Straif | |
hat der Biologe Solecki aber immer auch die Interessen der Landwirtschaft | |
im Blick gehabt: [8][Ab 1977 arbeitete er im Institut für | |
Pflanzenschutzforschung der DDR], das Pestizide entwickelte, bevor er zu | |
einer Vorgängerbehörde des Bundesinstituts wechselte. Hinter Soleckis | |
Schreibtisch steht ein Chefsessel mit Kopfstütze. An den Wänden hängen | |
Gemälde und Kunstgrafiken. Er ist 61 Jahre alt, trägt ein sportliches | |
beiges Jackett und dazu passende Jeans. | |
Im Gegensatz zu den Experten in Lyon, sagt Solecki, berücksichtige sein | |
Team auch, wie viel Glyphosat im Körper ankommt, wenn die Chemikalie | |
ordnungsgemäß angewendet werde. Wie hoch also die Rückstände in | |
Lebensmitteln und die Mengen sind, die die Bauern auf dem Feld abbekommen. | |
Die Glyphosatmengen, die in der EU zulässig sind, halten Soleckis Leute für | |
harmlos. | |
Allerdings: Falls eine Chemikalie auch nur „wahrscheinlich krebserregend“ | |
ist, gilt jede Dosis als gefährlich und muss verboten werden. So steht es | |
in der [9][EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung | |
von Stoffen und Gemischen]. | |
Kurt Straif ist Wissenschaftler. Er würde nie sagen: Die Berliner haben | |
Quatsch gemacht. Aber er sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass all die | |
Studien, die wir einbezogen haben, vom Bundesinstitut miteinbezogen wurden. | |
Man kann mit diesen Studien eigentlich nicht zu einer anderen | |
Schlussfolgerung kommen.“ | |
Tatsächlich räumen Soleckis Mitarbeiter ein, dass sie mehrere | |
Untersuchungen, mit denen die Krebsforschungsagentur ihre Einstufung | |
begründet hat, [10][nicht berücksichtigt] hatten. | |
Andere Tierversuchsstudien, die über erhöhte Krebsraten bei Mäusen | |
berichteten, tauchten zwar von Anfang an in seinen Analysen auf. Aber | |
Soleckis Team stufte sie als unwichtig ein, unter anderem weil die | |
Glyphosatdosis ihnen zu hoch erschien. Menschen wären seiner Meinung nach | |
längst daran gestorben. „Wir machen doch die Risikobewertung für den | |
Menschen. Mit dieser Dosis wird man normalerweise nicht exponiert“, | |
argumentiert der Beamte. Er beruft sich dabei auf Regeln der | |
Industrieländerorganisation OECD. | |
Niemand wisse aber so genau, welche Dosis tödlich ist, sagt Ivan Rusyn, | |
Toxikologe an der texanischen A&M University und einer der Wissenschaftler | |
der Krebsforschungsagentur. Im Übrigen seien gerade die Experimente am | |
aussagekräftigsten, deren Dosierungen so hoch ist, dass bei den | |
Versuchstieren Effekte zu beobachten sind. | |
Wegen solcher Widersprüche werfen Kritiker Soleckis Leuten Manipulationen | |
vor. Das Bundesinstitut halten sie für zu industrienah. Das | |
Zulassungsverfahren der EU sei so aufgebaut, dass die Hersteller zu viel | |
Einfluss nehmen könnten. Außerdem hat Solecki es mitgestaltet, er | |
bestreitet das auch nicht. | |
Laut [11][EU-Verordnung Nummer 1107/2009] dürfen die Pestizidhersteller die | |
Studien selbst machen, die überprüfen, wie giftig ihre Wirkstoffe sind. Sie | |
müssen die Untersuchungen noch nicht einmal veröffentlichen. Unabhängige | |
Wissenschaftler können sie kaum kontrollieren. Lediglich Zusammenfassungen | |
der Analysen finden sich in einem Bericht des Bundesinstituts, der nach | |
Abschluss des Verfahrens publiziert wird. Diese Inhaltsangaben übernehmen | |
Soleckis Leute nach eigener Darstellung von der Industrie, sie korrigieren | |
nur noch offensichtliche Fehler. | |
Kurt Straif schüttelt den Kopf, wenn er das hört. Der Arzt hat nichts gegen | |
Studien, die von der Industrie kommen. Aber er nutzt sie nur, [12][wenn sie | |
öffentlich zugänglich sind] – damit alle Bewertungen der | |
Krebsforschungsagentur „durch die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind“, wie | |
er erklärt. | |
Ende September ist die Kritik an Soleckis Bewertung so laut geworden, dass | |
er in den Bundestag muss, in den großen, zweistöckigen Sitzungssaal 3.101, | |
in dem vor allem Untersuchungsausschüsse arbeiten. Heute befragen hier die | |
Abgeordneten des Agrarausschusses öffentlich Experten zu Glyphosat. Sie | |
grillen vor allem Andreas Hensel, den Präsidenten des Bundesinstituts. Aber | |
es geht um Soleckis Arbeit. Er sitzt zwei Reihen hinter seinem Chef, einen | |
dicken Aktenordner auf dem Schoß, immer wieder reicht er Hensel kleine | |
Zettel mit Stichwörtern über die Schulter. | |
## Solecki nickt. Das Argument könnte ihn retten | |
Hensel verteidigt sich unter anderem damit, dass Soleckis Leute laut Gesetz | |
ja nur den puren Wirkstoff prüfen müssten. Also nicht die fertigen | |
Pestizide, die außer Glyphosat immer auch Hilfssubstanzen enthalten. Die | |
sollen etwa das Eindringen in die Pflanze erleichtern. Sie könnten aber | |
auch giftiger sein als Glyphosat selbst, erzählt Hensel. Möglicherweise ist | |
also nicht Glyphosat, sondern ein Beistoff krebserregend. Solecki nickt. | |
Dieses Argument könnte ihn mit seiner Unbedenklichkeitserklärung für das | |
pure Glyphosat aus der Schusslinie bringen. | |
Es offenbart sich damit aber auch eine Lücke im Zulassungssystem: Derzeit | |
werden die Hilfsstoffe nicht genügend kontrolliert, was Soleckis Chef im | |
Bundestagsausschuss indirekt einräumt. Hensel spricht sich dafür aus, über | |
„gesetzgeberische Maßnahmen“ bei der Zulassung der Mischungen nachzudenken, | |
weil [13][“auch die Beistoffe vernünftig mitgeprüft werden sollten“]. | |
Auf der Besuchertribüne sitzt die Toxikologin Anita Schwaier. Früher hat | |
sie in der Pharmaindustrie gearbeitet. Sie ist 78, lange in Rente und sieht | |
ein noch größeres Problem: „Eine von der EU-Kommission initiierte | |
[14][Metastudie] kommt zu dem Schluss, dass sich die schädlichen | |
Veränderungen der Einzelsubstanzen in Pestiziden addieren, teilweise sogar | |
potenzieren“, sagt die Wissenschaftlerin. „Mischungen müssen aber für die | |
Zulassung nicht experimentell geprüft werden.“ | |
Solecki bestätigt, dass mögliche Kombinationswirkungen der Inhaltsstoffe | |
bei der Zulassung lediglich „berücksichtigt“ würden, „soweit dies auf B… | |
der vorliegenden Daten möglich ist“. Das nutzt den Herstellern: Wenn nur | |
die einzelnen Bestandteile im Tierversuch geprüft werden müssen, dürfen sie | |
die Chemikalien ohne teure Tests immer wieder zu neuen Produkten | |
kombinieren. | |
Wie unabhängig agieren die Menschen, die an solchen Gesetzen mitgewirkt | |
haben und sie nun anwenden? | |
In seinem Büro holt Roland Solecki den Ausdruck einer 32-seitigen | |
[15][Studie] aus einer Aktenmappe. Unter den Autoren steht sein Name, aber | |
auch der von Monsanto- und Syngenta-Mitarbeitern – also von | |
Pestizidherstellern, deren Antrag auf Wiederzulassung von Glyphosat er | |
jetzt bewertet hat. Initiiert wurde die Studie, das steht auf der zweiten | |
Seite, von der Industrieorganisation Ilsi. Der Inhalt ist denn auch im | |
Sinne der Industrie: ein Vorschlag für Prüfvorschriften, der den Aufwand | |
für Tierversuche im Zulassungsverfahren von Pestiziden reduzieren könnte. | |
Es gehe beispielsweise darum, „hohe Dosierungen zu vermeiden, die unnötige | |
Sorgen der Öffentlichkeit verursachen“. | |
Der Text erschien bereits 2006. Tagungsunterlagen zufolge nahm Solecki aber | |
2009 und 2011 als Redner an Workshops des Ecetoc teil. Dieser Verband, in | |
dem sich unter anderem die Konzerne BASF, Bayer und Syngenta | |
zusammenschließen, entwickelt auch Konzepte zur toxikologischen Bewertung | |
von Chemikalien. Dazu kommt: Das Bundesinstitut lässt sich nach eigenen | |
Angaben bis heute in seiner „[16][Kommission Pflanzenschutzmittel]“ unter | |
anderem von Industrievertretern beraten – beispielsweise über Strategien | |
zur Einschätzung von Pestiziden. | |
„Da entsteht viel zu viel Nähe“, kritisiert Heike Moldenhauer, | |
Gentechnikexpertin der Umweltorganisation BUND. „Diejenigen, die | |
kontrolliert werden sollen, werden in gemeinsamen Arbeitsgruppen zu den | |
Kontrollen konsultiert.“ Und das nicht nur sporadisch, sondern | |
„institutionalisiert“. Für Moldenhauer ist diese Zusammenarbeit mit den | |
Pestizidherstellern „ein klarer Interessenkonflikt“. | |
## Die Hälfte der Namen hat er grün angestrichen | |
„Nein, das möchte ich aufs Schärfste zurückweisen“, antwortet der Beamte | |
darauf und guckt entsetzt. Er zeigt auf die Autorenliste der Ilsi-Studie. | |
Ungefähr die Hälfte der 19 Namen hat er grün angestrichen: Mitarbeiter von | |
Behörden aus Frankreich, Kanada und den USA. Soll heißen: Das macht doch | |
jeder. Er habe auch kein Geld für seine Mitarbeit erhalten. | |
„Glauben Sie mir“, sagt Solecki. „Ich habe mein Leben lang für den | |
Verbraucherschutz gearbeitet. Die Mehrheit meiner Mitarbeiter sind | |
Bundesbeamte. Da macht es mich extrem traurig, wenn Bundesbeamten | |
unterstellt wird, die werden von der Industrie beeinflusst.“ | |
Daue, der Bauer aus Brandenburg, vertraut Solecki. Ohne Glyphosat würde | |
Deutschland noch mehr Billigware aus dem Ausland importieren, wo weiter mit | |
dem Pestizid produziert wird, warnt er. Außerdem gehe mehr Boden durch | |
Erosion verloren, wegen der dann nötigen Unkrautbekämpfung per Pflug. Und | |
seine Ernten wären kleiner. | |
Daue könnte Glyphosat auch durch andere Pestizide ersetzen. Allerdings | |
bräuchte er dann mehrere Wirkstoffe, denn keiner tötet so effizient fast | |
alle Unkrautarten. „Dieses Zeug ist ja ein halbes Wundermittel“, sagt Daue. | |
Und man müsse auch mal fragen, ob andere Chemikalien für Umwelt und | |
Gesundheit besser seien. | |
Aber: Andere Pestizide, die als krebserregend gelten, sind sowieso | |
verboten. | |
## Bio-Landbau statt Glyphosat | |
Es gäbe auch die Alternative, die Früchte auf dem Feld so abzuwechseln, | |
dass Unkraut möglichst gar nicht erst entsteht. Man kann zwischen | |
Maisreihen Hülsenfrüchte säen, die es verdrängen. Solche Biolandbausysteme | |
verhindern Erosion und sind klimafreundlich. Die Ernten wären etwas | |
geringer. Aber 2014 produzierte Deutschland laut Bundesagrarministerium | |
[17][40 Prozent mehr Weizen, als es selbst verbraucht]. | |
Bis Mitte 2016 muss die EU-Kommission nun gemeinsam mit den Mitgliedstaaten | |
über die Zukunft von Glyphosat entscheiden. Sollte sie es verbieten, würde | |
das auch für Konkurrenten der deutschen Bauern etwa in Frankreich gelten. | |
Extrem niedrige Grenzwerte für Rückstände des Pestizids könnten Importe von | |
mit Glyphosat angebauten Pflanzen aus Nicht-EU-Ländern weitgehend | |
verhindern. | |
In einem Hochhaus in Lyon dürfte jemand genau darauf hoffen. | |
25 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(15)70134-8/a… | |
[2] http://www.iarc.fr/index.php | |
[3] http://bfr.bund.de/de/start.html | |
[4] http://www.bundestag.de/blob/387778/b7ccd64798cfccaf206d21a07d9d6a2e/stellu… | |
[5] /Umstrittenes-Pestizid-Glyphosat/!5053358/ | |
[6] http://pub.jki.bund.de/index.php/JKA/article/view/1766 | |
[7] http://news.monsanto.com/press-release/research-and-development/monsanto-re… | |
[8] https://ess.efsa.europa.eu/doi/?wicket%3Ainterface=%3A0%3Amemberslistpanel%… | |
[9] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ%3AL%3A2008%3A353%3… | |
[10] /!5229109/ | |
[11] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R1107 | |
[12] http://monographs.iarc.fr/ENG/Preamble/currenta4data0706.php | |
[13] http://www.bundestag.de/mediathek/?action=search&contentArea=details&a… | |
[14] http://ec.europa.eu/environment/chemicals/pdf/report_Mixture%20toxicity.pdf | |
[15] http://air.unimi.it/bitstream/2434/39344/2/Doe%20et%20al%20%20CRT%202006.p… | |
[16] http://www.bfr.bund.de/cm/343/11-sitzung-der-bfr-kommission-fuer-pflanzens… | |
[17] http://berichte.bmelv-statistik.de/MBT-0201030-0000.xls&lnkname=http:/… | |
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Jost Maurin | |
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