# taz.de -- Debatte Krebsverdacht gegen Pestizid: Verbietet Glyphosat! | |
> Die EU will das unter Krebsverdacht stehende Pestizid Glyphosat weiter | |
> erlauben. Höchste Zeit, das Zulassungssystem zu reformieren. | |
Bild: Da ist was drin, was da nicht rein gehört | |
Wir Konsumenten müssen uns nicht groß um die Sicherheit unseres Essens | |
kümmern – sagen Ernährungsbranche, Behörden und rechte Politiker immer | |
wieder. Denn „[1][noch nie waren unsere Lebensmittel so sicher wie heute]“. | |
Der Staat würde uns etwa vor schädlichen Chemikalien schützen. | |
Doch der Fall des meistgebrauchten Pestizids in Deutschland, Glyphosat, | |
beweist das Gegenteil. [2][Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die | |
Chemikalie weitere 15 Jahre zuzulassen.] Am Montag und Dienstag wollen die | |
Mitgliedstaaten darüber beraten und möglicherweise abstimmen. Vermutlich | |
werden sie über kurz oder lang grünes Licht geben. | |
## Wissenschaft ist tief zerstritten | |
Damit setzt sich die EU darüber hinweg, dass Glyphosat unter | |
Wissenschaftlern so umstritten ist wie kaum ein anderes Pestizid, das | |
regelmäßig beispielsweise in Äpfeln auftaucht. Zwar hat die Europäische | |
Behörde für Lebensmittelsicherheit auf Grundlage eines Gutachtens des | |
deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung den Unkrautvernichter [3][als | |
unbedenklich eingestuft]. Doch die Krebsforschungsagentur der | |
Weltgesundheitsorganisation brandmarkt ihn als „[4][wahrscheinlich | |
krebserregend“.] Sie beruft sich vor allem auf Tierversuche, in denen der | |
Wirkstoff Tumoren ausgelöst habe. Aber das Bundesinstitut hat diese | |
Ergebnisse – manche sagen: willkürlich – anders interpretiert. | |
[5][Rund 100 Wissenschaftler] von Universitäten und Behörden zum Beispiel | |
in Deutschland, Frankreich oder den USA warfen deshalb dem Bundesinstitut | |
vor, sein Urteil sei nicht glaubwürdig. Darunter waren viele emeritierte | |
Forscher. Aber sogar [6][Schwedens Chemikalienbehörde hat den | |
Glyphosat-freundlichen Bericht des Amts kritisiert] und sieht den Stoff | |
mindestens in der Kategorie „Verdacht auf krebserregende Wirkung“. | |
Es ist normal, dass Forscher die Gefährlichkeit von Substanzen | |
unterschiedlich bewerten. Doch in diesem Fall warnen besonders viele und | |
seriöse Experten. Bei so großen Zweifeln sollte die EU nach dem | |
Vorsorgeprinzip handeln und Glyphosat verbieten. | |
Dass die EU das nicht tun, liegt auch an zu großen Nähe vieler | |
Überwachungsbehörden zur Industrie. Die Ämter stützen sich laut der | |
[7][EU-Verordnung über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln] auf Studien | |
der Hersteller. Sie müssen die Untersuchungen noch nicht einmal | |
veröffentlichen, so dass unabhängige Wissenschaftler sie kaum kontrollieren | |
können. Lediglich Zusammenfassungen der Analysen finden sich in | |
Glyphosat-Bericht des Bundesinstituts. Diese Inhaltsangaben übernahmen die | |
Beamten nach eigener Darstellung fast eins zu eins von der Industrie. Das | |
wäre bei der Internationalen Krebsforschungsagentur undenkbar. Sie wertet | |
zu Recht [8][nur öffentlich zugängliche Studien] aus. | |
Hinzu kommt, dass die Substanzen, mit denen die Wirkstoffe zu | |
handelsüblichen Pestiziden gemischt werden, und die Mischungen an sich noch | |
schlechter kontrolliert werden. Für Mischungen sind bislang keine | |
Experimente vorgeschrieben. Obwohl [9][Studien zeigen], dass sich die | |
schädlichen Veränderungen der Einzelsubstanzen in Pestiziden addieren, | |
teilweise sogar potenzieren. So konnte es passieren, dass die | |
Beistoffgruppe der POE-Tallowamine zugelassen ist, obwohl [10][selbst die | |
deutschen Behörden] sie seit Jahren für so gefährlich halten, dass die EU | |
sie verbieten sollte. | |
Kein gutes Licht auf die Pestizidkontrolleure wirft auch, dass sie | |
gemeinsam mit Industrievertretern in von der Branche finanzierten | |
Organisationen an neuen Prüfverfahren gearbeitet haben. Das Bundesinstitut | |
lässt sich nach eigenen Angaben bis heute in seiner [11][“Kommission | |
Pflanzenschutzmittel“] von Industrievertretern beraten – beispielsweise | |
über Strategien zur Einschätzung von Pestiziden. | |
Solchen Behörden, die solche industriefreundlichen Gesetze umsetzen, | |
sollten wir Verbraucher keinesfalls blind vertrauen. Stattdessen müssen die | |
Konsumenten selbst einen Teil der Verantwortung für die Sicherheit ihrer | |
Lebensmittel übernehmen. Die Risiken durch Pestizide werden so mangelhaft | |
geprüft, dass man nur empfehlen kann, Nahrungsmittel aus ökologischem | |
Landbau zu essen. Denn Biobauern müssen ohne chemisch-synthetische | |
Pestizide wie Glyphosat produzieren. | |
## Pflug statt Chemie | |
Dieses Verbraucherbewusstsein darf nicht zu Panik führen. Denn die | |
Giftrückstände in konventionellen Nahrungsmitteln sind in der Regel gering. | |
Wer sie ab und an zu sich nimmt, erhöht das – bislang ja noch nicht | |
zweifelsfrei bewiesene – Risiko, etwa für Krebs, nur minimal. Aber warum | |
sollten wir auch so kleine Risiken eingehen für so einen Stoff? Schließlich | |
wird Glyphosat nur eingesetzt, weil die Chemieindustrie mit ihm viel Geld | |
verdient und weil er den Bauern die Arbeit erleichtert. [12][Selbst die | |
konventionelle Landwirtschaft könnte auf den Wirkstoff verzichten], wie das | |
bundeseigene Julius-Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen schreibt. | |
Die Landwirte müssten eben etwas häufiger zum Pflug als zur Pestizidspritze | |
greifen, um Unkraut zu zerstören. | |
Als Bürger sollten wir dafür kämpfen, das Pestizidzulassungssystem zu | |
reformieren. Eine Möglichkeit wäre, dass für die Zulassung die Studien über | |
die Sicherheit der Substanzen künftig nicht mehr von den Herstellern | |
direkt, sondern von einem unabhängigen Fonds in Auftrag gegeben werden. In | |
ihn könnten Gebühren fließen, die die Hersteller für die Zulassungsanträge | |
zahlen. Die Untersuchungen wären zu veröffentlichen, alle Zutaten von | |
Pestiziden genau zu prüfen – auch die Mischungen. | |
Damit würde der Aufwand für die Industrie gewaltig steigen, Pestizide | |
würden teurer werden. Aber das wäre im Interesse der Allgemeinheit. | |
Schließlich würden die Bauern dann weniger Ackergifte einsetzen. Im | |
Gegenzug müssten sie beispielsweise Jahr für Jahr wieder mehr Früchte pro | |
Feld abwechseln, damit Schädlinge und Krankheiten schlechtere Chancen | |
haben. Vielfältigere Fruchtfolgen hätten auch den Effekt, dass wieder mehr | |
Tier- und Pflanzenarten überleben könnten. | |
Klar, die Bauern würden weniger ernten, aber bei der Überproduktion, die | |
wir zum Beispiel bei Schweinefleisch oder Weizen haben, wäre das kein | |
Beinbruch. | |
7 Mar 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.landwirtschaft.sachsen.de/landwirtschaft/17304.htm | |
[2] /Zulassung-fuer-Pflanzengift-Glyphosat/!5281642 | |
[3] http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/151112 | |
[4] http://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(15)70134-8/f… | |
[5] http://db.zs-intern.de/uploads/1448884347-151127_Portier_et_al_EFSA-Glyphos… | |
[6] http://www.kemi.se/hitta-direkt/bekampningsmedel/vaxtskyddsmedel/verksamma-… | |
[7] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R1107 | |
[8] http://monographs.iarc.fr/ENG/Preamble/currenta4data0706.php | |
[9] http://ec.europa.eu/environment/chemicals/pdf/report_Mixture%20toxicity.pdf | |
[10] http://dip.bundestag.de/btd/18/073/1807373.pdf | |
[11] http://www.bfr.bund.de/cm/343/11-sitzung-der-bfr-kommission-fuer-pflanzens… | |
[12] https://www.google.com/url?q=http%3A//www.jki.bund.de/downloadFatPdf.php%3… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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