# taz.de -- Krebsrisiko steigt mit Verzehrmenge: Hüte Dich vor verarbeitetem F… | |
> Die WHO geht davon aus, dass weltweit jedes Jahr 34.000 Menschen sterben, | |
> weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben. | |
Bild: Deutsche Wurst – alles andere ist Käse. | |
BERLIN taz | Jetzt sind es nicht irgendwelche Veganer, die vor Fleisch | |
warnen – sondern Wissenschaftler der Weltgesundheitsorganisation WHO: Deren | |
Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) hat verarbeitetes Fleisch wie | |
Würstchen, Schinken oder Speck als „krebserregend“ eingestuft. Schon 50 | |
Gramm am Tag erhöhten das Risiko bösartiger Tumoren im Darm um 18 Prozent, | |
[1][so die IARC] am Montag. | |
Unverarbeitetes rotes Fleisch – etwa vom Rind, Schwein oder Schaf – | |
beurteilt die Agentur lediglich als „wahrscheinlich krebserregend“, weil | |
die Datenlage nicht ganz so deutlich ist wie für Fleischerzeugnisse. Doch | |
auch das ist noch die zweithöchste der fünf WHO-Kategorien für | |
Krebsgefahren. | |
Die IARC ist eine der ersten Adressen weltweit, wenn es darum geht, | |
Substanzen auf ihr Krebspotenzial zu untersuchen. Sie wertet alle | |
öffentlich zugänglichen relevanten Studien aus, ihre Fachleute gelten als | |
besonders unabhängig von Branchen, die von den IARC-Einstufungen betroffen | |
sind. Daher haben die aktuellen Ergebnisse mehr Gewicht als frühere | |
Einzelstudien, die ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und | |
Krebs festgestellt hatten. | |
Für die Einstufung haben die 22 WHO-Experten mehr als 800 Untersuchungen | |
aus mehreren Ländern und Kontinenten analysiert, vor allem epidemiologische | |
Studien, bei denen der Gesundheitszustand und die Ernährung großer Gruppen | |
verglichen wurden. Ergebnis: Wer mehr verarbeitetes Fleisch aß, entwickelte | |
häufiger Tumoren. | |
Diesen Zusammenhang fanden die Forscher in verschiedenen Untersuchungen, | |
Bevölkerungsgruppen und Staaten mit unterschiedlichen | |
Ernährungsgewohnheiten. Es sei unwahrscheinlich, dass die Resultate durch | |
Zufall, mangelnde Neutralität der Wissenschaftler oder andere Störfaktoren | |
zustande gekommen seien. | |
Bei unverarbeitetem roten Fleisch dagegen konnten die Wissenschaftler diese | |
möglichen Verzerrungen nicht mit derselben Gewissheit ausschließen. | |
Allerdings fanden sie „starke“ Hinweise dafür, dass rotes Fleisch | |
Mechanismen im Körper auslöst, die Krebs entstehen lassen können. | |
Warum genau Fleisch Tumoren verursacht, ist laut IARC noch nicht völlig | |
geklärt. Bekannt ist aber, dass beim Haltbarmachen durch Pökeln oder | |
Räuchern krebserregende Substanzen entstehen. | |
## Fleisch hat auch Vorteile | |
Die Tragweite der Einschätzung ist groß: Weltweit sterben laut WHO 34.000 | |
Menschen jedes Jahr, weil sie zu viel verarbeitetes Fleisch gegessen haben. | |
Je nach Land essen zwei bis 65 Prozent der Bevölkerung verarbeitetes | |
Fleisch und fünf bis 100 Prozent unverarbeites rotes Fleisch. Die | |
Fleischindustrie und ihr Zulieferer, die Landwirtschaft, machen | |
Milliardenumsätze. | |
Doch was bedeutet die Warnung für die Verbraucher? „Für die einzelne Person | |
bleibt das Risiko gering, wegen des Konsums von verarbeitetem Fleisch | |
Darmkrebs zu entwickeln“, sagt Kurt Straif, der die für die | |
Krebseinstufungen zuständige „Monografien“-Abteilung der Agentur leitet. | |
Zigarettenrauchen erhöhe das Risiko für Lungenkrebs um mehr als 1.000 | |
Prozent. Die vorliegenden Daten erlaubten es aber nicht, eine Fleischdosis | |
zu definieren, die sicher ist. Fest stehe nur: „Das Risiko steigt mit der | |
Menge.“ | |
Also gar kein verarbeitetes oder rotes Fleisch mehr konsumieren? „Fleisch | |
essen hat Vorteile für die Gesundheit“, so die IARC. Es liefert das | |
lebenswichtige Eisen und Vitamin B12, das für Hirnentwicklung und -funktion | |
unabdingbar ist. Derartige Nährstoffe enthalten aber auch pflanzliche | |
Lebensmittel und Milchprodukte. | |
Wer dagegen vegan lebt, also auch auf Milch und alle anderen tierischen | |
Nahrungsmittel verzichtet, muss Vitamin B12 künstlich zuführen, etwa durch | |
Tabletten oder angereicherte Lebensmittel. „Man muss sehr gut Bescheid | |
wissen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden“, so Professor Bernhard Watzl | |
vom bundeseigenen Max-Rubner-Institut für Ernährung und Lebensmittel. | |
## Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf | |
Watzl hält bis zu 500 Gramm Fleisch pro Woche für ungefährlich „wenn man | |
viel Obst, Gemüse, Salate isst“ – denn die enthielten Stoffe, die das | |
Krebsrisiko mindern. Die renommierte Deutsche Gesellschaft für Ernährung | |
(DGE) empfiehlt seit Jahren, „nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und | |
Wurst pro Woche“ zu essen. | |
Derzeit verschlingen die Deutschen aber sehr viel mehr: Männer kommen laut | |
DGE auf 1.092 Gramm pro Woche. „Die Leute müssen weniger Fleisch essen“, | |
fordert Watzl – nicht nur wegen Krebs, sondern weil zu viel Fleisch ebenso | |
Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen könne. | |
Kritik an der IARC-Einstufung kommt vom Krebsforscher und | |
Medizinnobelpreisträger Harald zur Hausen. Ihm ist das Urteil zu pauschal. | |
„Die Evidenz spricht sehr dafür, dass das Rindfleisch eine spezifische | |
Rolle spielt“, so von Hausen. Schweine, Lämmer oder Ziegen könnten | |
unschuldig am Krebs sein. „Man sollte gezielt Untersuchungen über die | |
Fleischarten starten.“ | |
Das North American Meat Institute, eine Lobbyorganisation der | |
US-Fleischindustrie, wirft der IARC vor, mit alten, aussageschwachen und | |
unzuverlässigen Daten gearbeitet zu haben. „Sie haben die Daten gefoltert, | |
um ein bestimmtes Ergebnis sicherzustellen.“ | |
26 Oct 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.who.int/en/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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