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# taz.de -- Ernährung und Gesundheit: Freispruch für fettes Essen
> Nun ist es fast schon amtlich: Fette Nahrung ist bei Weitem nicht so
> gesundheitsschädigend, wie es lange Zeit propagiert wurde.
Bild: Fett in Lebensmitteln ist wieder erlaubt.
Im Februar dieses Jahres musste sich so manch ein Ernährungsexperte die
Augen reiben. Da mahnte doch tatsächlich ein US-amerikanisches Fachgremium,
das die Gesundheitsbehörde FDA berät, erhebliche Änderungen in Sachen
Fett-Empfehlungen an. Die Experten plädierten dafür, die Fettobergrenze von
35 Prozent abzuschaffen sowie Cholesterin aus tierischen Lebensmitteln
nicht mehr pauschal als ungesund zu deklarieren.
Zwar ist noch nicht endgültig klar, ob die FDA diese Empfehlungen in ihre
demnächst aktualisierten „Dietary Guidelines“ überführen wird. Trotzdem
gleicht dieses Plädoyer jetzt schon einer radikalen Abkehr von den alten
Denkmustern – zumal die Empfehlungen in der Vergangenheit von der FDA fast
immer berücksichtigt wurden.
Blicken wir zurück: In den 80er Jahren begann der Feldzug gegen fettes
Essen aufgrund einiger weniger epidemiologischer Studien, die einen
Zusammenhang zwischen fettreicher Nahrung und Herzkrankheiten aufdeckten.
Gleichzeitig wurden klinische Studien dazu ignoriert, die keinen
Zusammenhang zeigten. Das deckte ein britisch-amerikanisches Forscherteam
um die Übergewichtsforscherin Zoë Harcombe Anfang dieses Jahres auf.
Ernährungsexperten empfahlen seither, nicht mehr als 30 Prozent der
täglichen Kalorien als Fett aufzunehmen. Dafür sollte man fettreiche
Wurst-, Fleisch- und Fischsorten vom Speiseplan streichen, Milch nur in der
1,5-Prozent-Variante oder entrahmt trinken, und sogar Nüssen und Ölen hängt
ein Dickmacher-Image an. So sollte etwa auch Gemüse stets mit wenig
Pflanzenfett zubereitet werden. Fett hat schließlich mehr Kalorien pro
Gramm aufzuweisen als Eiweiß oder Kohlenhydrate.
Kurz danach, bereits in den 90er Jahren, waren die Supermärkte überschwemmt
mit Light-Produkten, die aufgemotzt mit Stärke und Zucker Schlankheit und
Gesundheit versprachen. Dafür wurden Kohlenhydrate wie Brot, Reis, Nudeln
als gesunde Sattmacher gepriesen, die man essen sollte, soviel man wollte.
Und viele Menschen folgten diesen Anweisungen, ersetzten die Fettbomben mit
Reis, Nudeln, Weißbrot, Zucker – in den USA sollen es mehr als 70 Prozent
der Bürger sein.
Zudem sind Ernährungsempfehlungen – auch in Deutschland – die Basis für d…
Gemeinschaftsverpflegung, in Schulen, Behörden oder Krankenhäusern. In den
USA wurde etwa fettreiche Milch aus dem Schulmilch-Programm gestrichen,
dafür gibt es entrahmten, zuckergesüßten Kakao. Trotzdem erkranken heute
mehr Menschen an Fettsucht und Diabetes als vor 40 Jahren.
Seit rund 15 Jahren häufen sich nun aussagekräftigere Studien, die ein
anderes Bild zeichnen. Die FDA trug dem ein erstes Mal Rechnung, als sie
2005 die Fettobergrenze auf 35 Prozent anhob und eine Untergrenze von 20
Prozent festlegte. Sollte signalisieren: Der Mensch braucht Fett in
gewissen Maßen, Fett per se ist nicht „böse“. Doch das Low-Fat-Mantra hat…
sich tief in die Seele der Menschen eingegraben.
## „Leere“ Kohlenhydrate
Seit 2006 kamen immer mehr Studien dazu, sie fanden keinen Zusammenhang
zwischen einer fettreduzierten Ernährungsweise und der Verhinderung von
Übergewicht, Herzkrankheiten, Schlaganfall, Diabetes oder Krebs. Parallel
dazu zeigte sich, dass mediterrane Speisepläne mit viel Olivenöl, fettem
Fisch und Nüssen sowie über 40 Prozent Fett das Risiko für Herzinfarkt,
Diabetes oder Gewichtszunahme senkten.
Heute ist klar: Wer an Fleisch und fetten Milchprodukten spart und dafür
kräftig bei den „leeren“ Kohlenhydraten zulangt, riskiert mehr
Gesundheitsprobleme als ein Anhänger der mediterranen Diät. Cholesterin in
der Nahrung erhöht auch nicht die Cholesterinwerte im Blut, Eier sind also
nicht so ungesund, wie lange suggeriert wurde. Doch trotz dieser neuen
Funde empfehlen die US-Experten weiterhin, rotes Fleisch und fetthaltige
Milch einzuschränken. Der Freispruch gilt also nur für Fisch, Öle, Nüsse
und Eier.
## Cholesterin und Herzinfarkt
Die Argumentation: Gesättigte Fette würden das LDL-Cholesterin im Blut
erhöhen. „Ignoriert wird hier, dass Milchfett auch das gute HDL-Cholesterin
erhöht“, meint Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler an der Deutschen
Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement. Zudem ist ein
Zusammenhang zwischen hohem LDL-Cholesterin und drohenden Herzinfarkten
bislang nicht belegt worden. So fand Russell de Souza, Epidemiologe an der
kanadischen McMaster University, im August heraus: Die Menge an gesättigten
Fetten in der Nahrung erhöht weder das Risiko für Herzkrankheiten oder
Typ-2-Diabetes noch für die Gesamtsterblichkeit in der gesunden
Bevölkerung.
Warum decken sich Wissenschaft und Empfehlung hier also nicht? Einen Grund
dafür benennt das Gremium selbst: Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung
wäre für die Nachhaltigkeit besser – auch diesen Aspekt müssten moderne
Ernährungsempfehlungen neben der Gesundheit berücksichtigen. Buchautorin
Nina Teichholz meinte zudem kürzlich im British Medical Journal: „Es sitzen
nicht die echten Experten in diesem Komitee.“ Es gebe Interessenkonflikte,
da einige Gremium-Mitglieder Forschungsgelder von der
Pflanzenfett-Industrie bekommen hätten.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) findet in der Anfang
2015 aktualisierten Fettleitlinie keinen Zusammenhang zwischen Fettmenge
oder gesättigten Fettsäuren und diversen Krankheiten. Trotzdem hält die DGE
im Gegensatz zu den US-Kollegen weiterhin an den Obergrenzen 30 Prozent
Fett und 300 Milligramm Cholesterin pro Tag fest, da eine Ernährung mit
hohem Fettgehalt schnell zu einer überhöhten Energiezufuhr führe. Alexander
Ströhle, Ernährungswissenschaftler an der Universität Hannover, meint dazu:
„Tatsächlich kann eine fettreiche Ernährung eine hohe Energiedichte haben �…
aber sie muss es nicht.“ So sprächen einige Studien dafür, dass Fett besser
sättigt und damit Völlerei automatisch verhindert wird. „Vielleicht hat man
Angst, zuzugeben, dass man jahrzehntelang falsch lag, oder man macht sich
Sorgen, wie die Botschaft und die Infomaterialien nun umgeschrieben werden
sollen“, sagt Worm.
## Vollmilch wird rehabilitiert
Immerhin wird die DGE demnächst ihre Empfehlung für Milch und Milchprodukte
ändern: Normalgewichtige Menschen sollen demnach zu Vollmilch greifen
dürfen. Schließlich deuten einige neue Studien darauf hin, dass Käse- und
Joghurt-Fans seltener an Herzkrankheiten leiden. Einigkeit herrscht indes
bei den industriell erzeugten Transfettsäuren, wie sie in Pommes oder
Croissants stecken. Diese sind nachgewiesenermaßen ungesund. Und auch
Schinken- sowie Wurstwaren sollten nur in Maßen auf den Tisch kommen, da
sie das Risiko für Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten und Krebs
erhöhen. Allerdings ist hier nicht das Fett der Übeltäter sondern
vermutlich der hohe Salz- und Eisengehalt.
Zu Recht sind einige Verbraucher verwirrt, andere ärgerlich, und das merken
auch die Ernährungsberater. Ursel Warburg, Ökotrophologin an der FH
Münster, plädiert daher für eine andere Form der Empfehlungen, denn: „Es
stellt sich die Frage, ob der nährstoffbasierte Ansatz sinnvoll und
zielführend ist.“ Vielmehr könnten lebensmittelbasierte Tipps die bessere
Variante darstellen.
Schließlich wird landauf, landab beklagt, die Deutschen essen zu viel, zu
fett, zu süß, zu salzig. Doch bei aller Panikmache sollte man laut
Christoph Klotter, Psychologe an der Universität Fulda, nicht vergessen,
dass die Ernährungsweise hierzulande gar nicht so schlecht ist: „Obwohl
sich das Essverhalten der deutschen Bevölkerung seit Jahren im Grunde nicht
ändert, ernährt sie sich dennoch im Schnitt so gesund, dass unter anderem
deshalb die durchschnittliche Lebenserwartung von 1990 bis 2010 um mehr als
5 Prozent angestiegen ist.“
29 Oct 2015
## AUTOREN
Kathrin Burger
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