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# taz.de -- Das Leid mit dem Leberwurst-Lied: „Es ging nicht um Verherrlichun…
> Seit Jahren besingt Hans König einen deutschen Brotaufstrich, vor dem die
> Weltgesundheitsorganisation jetzt wieder warnt: die Leberwurst.
Bild: Inspiriert Hans König zu einem Lied: die Leberwurst.
taz: Herr König, die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor Wurst. Sie
ist krebserregend: Ist das ein Grund, das eigene Œuvre zu überdenken?
Hans König: Es gibt immer Gründe, das eigene Œuvre zu hinterfragen und zu
überprüfen. Das ist selbstverständlich. Das machen wir quasi täglich. Was
aber jetzt die Kritik an der Leberwurst angeht, da können wir eigentlich
mit ins Horn stimmen. Die bestätigt uns eher.
Sie haben der Leberwurst im Leberwurstlied ein Denkmal gesetzt!
Nein, das haben wir nicht. Wir haben allerdings feststellen müssen, dass
die Bevölkerung zur Verherrlichung von Leberwurst neigt und alle anderen
Töne und Dissonanzen in ihrer Begeisterung zu überhören. Als wir angefangen
haben, dieses Lied vorzuführen, waren wir davon überrascht.
Sie hatten nicht mit einer so euphorischen Aufnahme gerechnet?
Wir waren davon ausgegangen, dass unser Publikum ein in sich gespaltenes
Verhältnis zur Leberwurst hat. Aber die Reaktion war eine ganz andere. Die
Leberwurst wird goutiert. Sie wird geschätzt. Selbst heute noch wird das
Lied oft bei iTunes gekauft. Wir dagegen wollten immer schon erreichen,
dass man über die Leberwurst nachdenkt.
Immer schon?
Das war immer unsere Intention. Das Lied hat eine leberwurstkritische
Stoßrichtung. Uns ging es nicht um Wurstverherrlichung.
Aber dieses Lied endet mit einem Hymnus: „O du schöne Leberwurst!“
Ja, aber wer das théâtre du pain kennt, weiß, dass wir widersprüchlich sind
und ambivalent – und durch widersinnige Kontraste das hervorrufen, was wir
wollen: Nämlich – durchaus lustvolles – Nachdenken über zum Beispiel auch
Brotaufstriche. Unter uns: Es ist ja auch so, dass die Melodieführung, wenn
man ganz genau hinhört, die deutsche Nationalhymne zitiert. Da kann man ja
auch auf die Idee kommen, dass wir die deutsche Nation mit einer Leberwurst
gleichsetzen: So gibt es ja auch in dem Deutschland viele Menschen, die das
Land nicht mögen, aber trotzdem hier leben.
Das leuchtet ein.
In dem Lied ist die Leberwurst daher auch als Symbol für etwas zu
verstehen, das man hymnisch besingen und verehren sollte, zu dem man aber
persönlich und aus politischen Gründen sich eher auf Distanz hält. Kurz
gesagt, wir waren nie Leberwurstfreunde und sind es bis heute nicht
geworden.
Dass einem beim Hören dieses Songs die Leberwurst im Halse stecken bliebe,
hat sich aber nicht als Wirkung eingestellt?
Nein. Das war auch nicht unser Anliegen. Wir schauen den Leuten nicht auf
den Teller und sagen ihnen: Esst weniger Leberwurst. So didaktisch sind wir
nicht. Wohl aber entspringt das Lied einer tiefen Skepsis, ob die Dinge,
die man uns aufs Brot schmiert, wirklich die Dinge sind, für die wir sie
halten. Diese metaphysische Dimension schwingt da in jedem Moment mit, in
den meisten Texten aus dieser Epoche.
Sie war Ausdruck ihrer Zeit?
Das war für uns eine Schaffensphase der großen Sprachkritik, gepaart mit
der Bereitschaft, Gegenstände als Bilder für etwas ganz anderes, als man
sie sah, wahrzunehmen. Zum Beispiel Milch.
Milch?
Ja, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl dachte man auf einmal ganz
anders über Milch nach. Früher hat man das einfach getrunken. Ich glaube,
dass dieses Besingen der Leberwurst auch etwas Karnevaleskes hatte. Der
Kollege Mateng Pollkläsener hat den Text gerne auch mal einfach als
Trinkspruch gebraucht.
Das wirkt wie ein Echo darauf, dass, große Verstörung, dem Lied zufolge die
Leberwurst etwas für den Durst wäre – was einen ja voll vor den Kopf stöß…
Genau. Habe ich auch nie verstanden, was das soll: Leberwurst / Für den
Durst – wirklich, ich weiß nicht, was das soll. Wir singen das Lied ja
manchmal noch. Gerade jetzt hatten wir Vorpremiere unseres neuen Programms
in Wuppertal.
Sie haben ein neues Programm?
Ja, gibt es ja nicht so oft: „Tamtam der Leidenschaften“ heißt es, und ...
... die Leberwurst spielt eine Rolle?
Nein, die Premiere ist zwar am 6. November im Schlachthof in Bremen und es
treten eine ganze Reihe von Nahrungsmitteln auf, es geht sehr stark um
Schoko-Kirsch, aber die Leberwurst ist es nicht. Aber trotzdem haben wir es
in Wuppertal singen müssen ...
... als Zugabe?
Als letzte Zugabe, das machen wir immer damit die Leute endlich gehen.
Jedenfalls immer, wenn wir an diese Durststelle kommen, frage ich mich:
wieso eigentlich? Weil, wenn ich mir vorstelle, ich habe Durst und müsste,
statt etwas zu trinken, Leberwurst essen, dann wird mir schlecht.
Sie haben sich vom Lied, das Sie selbst singen, entfremdet?
Der Konsens zwischen uns, die es auf der Bühne noch vortragen, besteht
wirklich darin, die Leberwurst, dieses überwürzte Gemisch aus Fett und
Schlachtereiabfällen, gar nicht so sehr als Nahrungsmittel zu sehen,
sondern als Sinnbild des ideellen Schmierfetts. Und das kann natürlich auch
wieder was für den Durst sein ...
Da stimmt es dann wieder.
Oder auch nicht: Ich merke gerade, während wir darüber sprechen, ich habe
ein wirklich sehr ambivalentes Verhältnis zu diesem Lied. Fällt mir jetzt
selber auf.
Ist die Leberwurst ein norddeutsches Phänomen?
Das sehe ich nicht. Ich denke eher, dass die Leberwurst ihre Triumphe in
der Kindheit feiert: Wer Kinder hat, der ist wahrscheinlich mit dem
Phänomen konfrontiert worden, dass deren Groß- oder sogar Urgroßeltern das
Bedürfnis haben, den Kindern Brote zu schmieren. Und das sind
Leberwurstbrote: nicht Cervelat und nicht Käse.
Woran liegt das?
Ich vermute, weil die Leberwurst so ein
Nachkriegssattwerdewohlstandsaufstrich ist: Das Leberwurstbrot sagt:
„Junge, nimm doch noch was. Du musst doch groß und stark werden.“
Und Krebs kriegen: Erfüllt sich mit der Feststellung der
Gesundheitsbedenklichkeit der Wurst das, was das Lied prophezeit hat?
Nein, so prophetisch waren wir nicht: Was wir sagen wollten, berührt eher
eine tiefere Schicht – oder, je nachdem, eine höhere Wahrheit: Es ging um
die Frage: Was ist das, dieser fettige Brei, der pars pro toto für alles an
fettigem Brei steht, den man sich Tag für Tag zuführt – und zuführen muss …
und von dem klar ist, das kann alles nicht gesund sein – und je genauer ich
ihn durchdenke, desto unmöglicher ist es, ihn zu verdauen. Und dennoch
merken wir, immer wenn es um Nahrungsmittel geht, ist unser Publikum wenig
kritisch und geradezu freudig erregt. Die Leberwurst wird schon noch
gemocht.
Paradox?
Wir tun immer wieder Dinge, die uns eigentlich schaden.
Wobei natürlich die kindliche Begegnung mit von liebevoller Hand
verschmierter und verabreichter Leberwurst oft als eine Erfahrung der
Geborgenheit sich eingebrannt haben dürfte: Hat so nicht jeder seine
persönliche Leberwurstgeschichte?
Das könnte sein. In welchem Kontext man eine Nahrung zu sich genommen hat,
beeinflusst stark, ob man etwas mag oder nicht mag. Mich würde dazu
Konsumentenforschung interessieren, ob und wie stark der Leberwurstabsatz
Schwankungen unterworfen ist.
Und ob Hiobsbotschaften wie jetzt den Absatz beeinflussen?
Als dieser BSE-Skandal war, hatte ich mal ganz frech eine
Fleischfachverkäuferin danach gefragt, ob sie erwartet, jetzt weniger
Rindfleisch zu verkaufen. Die hat mich nur angegrinst und gesagt: „Menschen
sind Tiere. Die werden das einfach weiter essen.“ Das hat sie sehr
selbstbewusst gesagt – das klang nicht bloß nach Hoffnung. Für Leberwurst
wird das ähnlich gelten, auch wenn die mit Fleisch nur sehr entfernt etwas
zu tun hat.
Also bleibt das Lied weiter im Programm – ohne Warnhinweise oder ähnliches?
Ja, das Lied bleibt im Programm. Wir selbst sind durch die neue Entwicklung
natürlich aufgerufen, erneut darüber nachzudenken, was wir da eigentlich
singen – und vielleicht auch, es ein Stück weit wieder auf die Füße zu
stellen, es aus seiner metaphorischen Sublimierung zu befreien, in der
Leberwurst wieder die Leberwurst zu entdecken.
31 Oct 2015
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Wurst
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Krebs
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