# taz.de -- Chemikalie Titandioxid: Kampf ums Pigment | |
> Titandioxid färbt Zahncremes oder Farben weiß, könnte aber in Staubform | |
> Krebs auslösen. Die Bundesregierung ist trotzdem gegen Warnhinweise. | |
Bild: Titandioxid färbt viele Produkte, die weiß sein sollen | |
Berlin taz | Die Bundesregierung versucht, eine Regulierung der Chemikalie | |
Titandioxid zu verhindern. Das geht aus einem Brief des Bundesministeriums | |
für Arbeit und Soziales an den zuständigen Ausschuss der EU-Kommission | |
hervor. Darin setzt es sich dafür ein, dass „vor einer Einstufung ein | |
Gesamtkonzept für Stoffe entwickelt wird, die ausschließlich wegen des | |
Partikeleffekts krebserzeugend sind“. | |
Hintergrund des Schreibens ist eine intensive Auseinandersetzung über das | |
Weißpigment Titandioxid. Das färbt viele Produkte, die weiß oder milchig | |
sein sollen, von Zahncreme über Wandfarben bis zu Tütensuppen. 7,2 | |
Millionen Tonnen des Pigments werden weltweit jährlich hergestellt, allein | |
in Deutschland beträgt der Umsatz mit dem Farbstoff etwa eine halbe | |
Milliarde Euro. | |
2017 hatte ein wissenschaftliches Gremium der Europäischen | |
Chemikalienagentur Echa die Staubform von Titandioxid als potenziell | |
krebserregend eingeschätzt und empfohlen, Farben, Lacke und ähnliche | |
Produkte mit Warnhinweisen zu versehen. Frankreich hatte vorgeschlagen, | |
Titandioxid in Staub- und in flüssiger Form zu kennzeichnen. Die | |
betroffenen Unternehmen der Farben-, Lack- und Recyclingbranche, die mit | |
Titandioxid-Staub in Berührung kommen, entfalteten daraufhin eine | |
angestrengte Lobbytätigkeit. | |
Es hagelten Briefe und Frühstückseinladungen von Wirtschaftsverbänden an | |
EU-Abgeordnete und Kommission. Ergebnis: Neben dem ursprünglichen | |
französischen Vorschlag gibt es inzwischen weitere, abgespeckte Varianten. | |
Im Sommer brachten England und Slowenien die Idee ins Spiel, das Pigment | |
nur in seiner Staubform zu kennzeichnen, etwa auf Säcken, in denen | |
Lackhersteller es kaufen. Nun schlägt Deutschland vor, ganz auf eine eigene | |
Regulierung von Titandioxid zu verzichten und stattdessen eine umfassende | |
Gesetzgebung für Stäube zu entwickeln. | |
„Das ist sehr sinnvoll“, sagt Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer des | |
Verbands der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie, „damit würden wir | |
das Problem bei den Wurzeln anpacken.“ Schließlich gäbe es auf dem | |
gemeinsamen Binnenmarkt zwar harmonisierte Regeln für Produkte, aber nicht | |
für die Produktion. „Der Arbeitsschutz ist überall unterschiedlich | |
geregelt“, so Engelmann. Auch der grüne EU-Abgeordnete Bas Eickhout hält | |
eine umfassende Regulierung für Stäube für eine gute Idee. Deutschland | |
erwecke mit seinem Vorstoß allerdings den Eindruck, es wolle das Thema erst | |
einmal beseitigen. „Wir müssen jetzt das Problem Titandioxid lösen“, so d… | |
niederländische Parlamentarier, „dafür muss die deutsche Regierung eine | |
Position finden.“ | |
Tatjana Santos, Chemikalienexpertin des europäischen Umweltbüros, hält eine | |
Produktkennzeichnung wie von Frankreich vorgeschlagen für nötig. „Die | |
Bürger in der EU haben das Recht zu erfahren, welche potenziellen Risiken | |
die Produkte haben, die sie kaufen“, so Santos, „die EU-Kommission sollte | |
wie üblich dem Vorschlag der Echa folgen“, sagt sie, „sonst schaffen wir | |
einen unguten Präzedenzfall.“ Eine Entscheidung über eine Einstufung der | |
Chemikalie könnte die Kommission auf der nächsten Sitzung des | |
Regelungsausschusses im Dezember fällen. | |
2 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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