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# taz.de -- Berliner Aufarbeitung der Kolonialzeit: Wem gehört die Beute?
> In Berlin eröffnet eine Kolonialismus-Ausstellung. Da stellt sich die
> Frage: Wie sieht es eigentlich mit der Aufarbeitung in der Hauptstadt
> aus?
Bild: Aus der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum: Völkerschauen im B…
Es waren vier schmale Schilder, schwarz-weiß auf unscheinbaren
Stahlstelzen, die im Berliner Stadtteil Wedding jahrelang für Aufregung
sorgten. Sie wiesen den Eingang zu den 167 Parzellen des örtlichen
Kleingartengeländes. Dauerkolonie Togo e.V. stand darauf. 1939 wurde die
Anlage von den Nazis gegründet. Der Name war eine Hommage an die
Weltmachtambitionen des deutschen Kaiserreichs – und dessen Streben nach
Geltung und Besitz auf dem afrikanischen Kontinent. Von 1884 bis 1916 war
Togo deutsche Kolonie.
Seit zwei Jahren nennt sich die ehemalige Dauerkolonie
Dauer-Kleingartenverein, die Schilder sind ausgetauscht. Denn von einem
verdrängten Kapitel der Geschichte ist die Kolonialzeit zu einem heiß
diskutierten Thema geworden.
Das öffentliche Interesse wächst, kritische Perspektiven finden Gehör. Zum
ersten Mal widmet sich mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM) nun eine
der großen historischen Bildungseinrichtungen des Landes der deutschen
Kolonialherrschaft. Heute wird die Sonderausstellung eröffnet. Doch wie
steht es in Berlin um die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte?
Dass die Nordberliner Gärtner ihren Vereinsnamen änderten, ist auch ein
Erfolg von Christian Kopp. Seit etwa zehn Jahren setzten er und seine
Mitstreiter sich im Verein Berlin Postkolonial für einen kritischen Umgang
mit dem kolonialen Erbe Berlins ein, mehre Jahre rangen sie mit den
Kleingärtnern um den Namen ihres Vereins. „Für schwarze Menschen war es
verletzend, jeden Tag an den Schildern vorbeizugehen“, sagt er. Der Name
Dauerkolonie impliziere einen andauernden Herrschaftsanspruch der
ehemaligen Kolonialherren.
## Tausende Menschen willkürlich hingerichtet
Doch nicht nur die Kleingärtner erinnern im Wedding an das koloniale Erbe.
Die Anlage liegt im afrikanischen Viertel. Hier heißen die Straßen nach den
ehemaligen Besitztümern des deutschen Reichs in Übersee: Sansibar, Guinea,
Kamerun.
Andere Wege tragen die Namen der Männer, die den vermeintlichen deutschen
Platz an der Sonne blutig erkämpften: Carl Peters, ein deutscher
Kolonisator, der in Ostafrika Tausende Menschen willkürlich hinrichten
ließ, ist Namenspatron der Petersallee. Die Lüderitzstraße erinnert an den
Tabakhändler Adolf Lüderitz, der Ende des 19. Jahrhunderts durch
betrügerische Deals weite Teile des heutigen Namibias ergaunerte. Er gilt
als einer der Wegbereiter des Völkermordes an den Herero und Nama, den die
Deutschen 1904 verübten.
Nach jahrelanger Diskussion hat die Bezirksverordnetenversammlung vor
einigen Monaten beschlossen, dass Petersallee, Lüderitzstraße und
Nachtigalplatz neue Namen bekommen sollen – statt an die Täter von einst
sollen sie an nun afrikanische Frauen erinnern, die Widerstand gegen
Kolonialismus und Rassismus geleistet haben. Bis zum Mai 2017 sollen die
Namen gefunden sein.
## Tobende Debatte im Humboldt-Forum
Die Dekolonisierung des öffentlichen Raums beläuft sich freilich nicht nur
auf die Umbenennung von Straßen: Auch um das kulturpolitische
Prestigeprojekt der deutschen Hauptstadt, das Humboldt-Forum, tobt eine
Kolonialismusdebatte. Denn ein Kernstück des Gebäudes wird die bislang in
Dahlem beheimatete ethnologische Sammlung bilden: Thronsessel, Speere und
Holzmasken sollen künftig in dem wieder errichteten Preußenschloss bestaunt
werden können. „Ein Großteil dieser Sammlung müsste man heute wohl als
Raubkunst bezeichnen“, sagt Joachim Zeller, der sich als Historiker mit dem
Kolonialismus beschäftigt.
Die Ausstellungsstücke stammen fast alle aus den ehemaligen Kolonien – von
den Eroberern wurden sie oft gewaltsam erbeutet und als exotisches
Mitbringsel stolz zu Hause präsentiert. Seit Jahren tobt ein Streit über
den richtigen Umgang mit dem kolonialen Besitz.
Das Museum verfolgt das Konzept des shared heritage: ein von allen
geteiltes, postnationales Erbe, dessen Standort unerheblich sei. Für die
postkoloniale Aktivisten eine bloße Phrase: Sie haben sich in der
Initiative „No Humboldt 21“ versammelt und fordern, dass die
Ausstellungsstücke an die ehemaligen Kolonien zurückgegeben werden.
## Wer nicht für uns ist, ist gegen uns
Doch es ist nicht immer leicht herauszufinden, woher die Objekte stammen,
wer ihr Eigentümer ist. Zudem, argumentiert das Museum, sollten die Objekte
die Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe
sein. Diese Debatte wolle man führen.
Die Diskussion ist kontrovers, der richtige Umgang umstritten. Bisweilen
stehen sich die Akteure unversöhnlich gegenüber. „Bei einigen
Postkolonialen herrscht ein gewisser moralischer Rigorismus, nach dem
Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – und im Zweifelsfall ein
Rassist. Das erschwert manchmal die Auseinandersetzungen“, sagt der
Historiker Zeller. Andererseits hätten sie durch ihre Vehemenz das Umdenken
der Verantwortlichen überhaupt erst angestoßen.
Dass die Debatte erst am Anfang steht, darin sind sich alle einig. Die
Aktivisten von Berlin Postkolonial haben bereits ein neues Ziel: Rund 8.000
menschliche Gebeine aus ehemaligen Kolonien würden noch in Berlin lagern,
sagt Christian Kopp. Für deren Rückführung will sein Verein kämpfen.
Auch der Kolonialismusausstellung im DHM wollen sie sich widmen, sagt Kopp.
Zu wenig schwarze Historiker seien in der Planung einbezogen worden und bei
der Eröffnung hätten Herero-Vertreter nicht sprechen dürfen. Obgleich die
Ausstellung grundsätzlich ein wichtiges Signal sei, müsse man den Verlauf
doch kritisch begleiten.
14 Oct 2016
## AUTOREN
Robert Pausch
## TAGS
Kolonialismus
Berlin-Wedding
Postkolonialismus
Geschichtsaufarbeitung
Online-Petition
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Deutscher Kolonialismus
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