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# taz.de -- Debatte Genozid in Deutsch-Südwestafrika: Guter Zeitpunkt für Rep…
> Vor über 100 Jahren verübten Deutsche einen Genozid an Nama und Herero.
> Eine Entschädigung für die Nachkommen ist zwingend geboten.
Bild: Deutschland sollte entschädigen, nicht nur Schädel zurückgeben (2011)
Mit der Resolution des Bundestags vom 2. Juni zum Gedenken an den
Völkermord in Armenien rückte die deutsche Regierung zugleich einen Schritt
näher an die angemahnte und überfällige Anerkennung des Genozids, den
Truppen des Deutschen Kaiserreichs an den Völkern der Herero und Nama
Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Südwestafrika begangen haben.
Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte, [1][die Cem Özdemir
unlängst in der Zeit forderte], muss zwar mit der erwarteten Entschuldigung
des Bundespräsidenten beginnen, verpflichtet jedoch auch die heutige
deutsche Gesellschaft, die Geschichte ihrer Opfer anzuerkennen und darauf
zu reagieren. Mit Ausstellungen wie [2][im Deutschen Historischen Museum
derzeit über den „Deutschen Kolonialismus“] allein ist es nicht getan.
Konsequent wäre die Bereitschaft der Bundesregierung, einen konkreten
Beitrag zur Besserung der Lebensqualität der Betroffenen zu leisten. In
dieser Hinsicht hat die Bundesrepublik mit den Reparationszahlungen an
Israel einen historischen Präzedenzfall geschaffen. Als die
Adenauer-Regierung 1952 die Initiative ergriff und ihr Vorhaben
durchsetzte, trug die Mehrheit der Gesellschaft diese Entscheidung nicht
mit.
Nur 29 Prozent waren der Meinung, dass Juden ein Anrecht auf Entschädigung
haben. Auch bei einer heutigen Umfrage würde sich wahrscheinlich keine
eindeutige Mehrheit für Reparationszahlungen an Namibier stark machen.
Unter dem Druck der Flüchtlingskrise hütet man den Bundeshaushalt, aus dem
bereits hunderte Millionen Euro für Entwicklungshilfe an Namibia gespendet
wurden, und Wolfgang Schäuble verlangt ohnehin nach einer umfassenden
Afrikapolitik.
## Die Mentalität der Kolonisten
Doch das wird wenig weiterhelfen. Denn die [3][Anerkennung eines
Völkermords] befördert die Frage der Gerechtigkeit in eine anderen
Größenordnung. Die Gesellschaft will am Geschehenen Anstoß nehmen und
eingreifen, Tatsachen schaffen, die positiv wirken. Übrigens ist gerade
wegen des plötzlichen demographischen Zuwachses an Mitbürgern aus dem Nahen
Osten und Afrika eine koordinierte Auseinandersetzung mit der Mentalität
der Kolonisten in Südwestafrika mehr denn je angezeigt.
Der Genozid in Deutsch-Südwestafrika war kein von langer Hand vorbereiteter
Vernichtungskrieg, dessen Ziel es war, Völker aus der Welt zu schaffen. Das
Überlegenheitsdenken der Weißen bewog die Kolonisten dazu, im Massensterben
von Schwarzen, die sich gegen ihre Ausbeutung 1904 auflehnten, eine
akzeptable Lösung des Konflikts zu sehen.
Tatsächlich diskutiert der Sondergesandte der Bundesregierung mit seinem
Amtskollegen in Windhoek seit Juli über Hilfeleistungen für Namibia, die im
Rahmen von Entwicklungsprojekten der Gerechtigkeit konkret Geltung
verschaffen sollen. Die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama sehen sich
heute jedoch durch die Unterschiedslosigkeit der gebenden Geste übergangen.
Die Reparationszahlungen der Bundesrepublik an Israel waren eben nicht für
alle Bürger Israels – Juden, Araber und andere Zugezogene – gleichermaßen
bestimmt gewesen, sondern hingen direkt mit den Verbrechen der Deutschen an
den Juden zusammen.
## Zahlung an wen und wie?
Einerseits kann nur der Verwaltungsapparat einer Regierung eine
Verbesserung von Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen umsetzen.
Andererseits widerstrebt es jedoch dem Gerechtigkeitssinn, dass
Direktentschädigungen für Angehörige der dezimierter Volksgruppen wie der
Nama und Herero in Südwestafrika entfallen sollen.
Zu einem Zeitpunkt, wo es keine Überlebenden mehr gibt, sind Renten für
(Zwangs)Arbeitsleistungen ausgeschlossen. Sollte einem Antrag auf direkte
Entschädigung durch Unternehmen wie die Woermann-Schifffahrtslinie oder
Bahngesellschaften, die damals von der Zwangsarbeit profitiert haben,
stattgegeben werden, wären jene Reparationen eigentlich nur den
Arbeitsfähigen zugedacht. Nicht nur die unbeschäftigten Invaliden, Frauen
und Kinder der Konzentrationslager bleiben bei der utilitaristischen
Betrachtung außen vor.
Im Konzentrationslager auf der Haifischinsel bei Lüderitz verzichteten die
Lageraufseher beispielsweise darauf, die Nama zum Bau der Südbahnlinie
heranzuziehen, weil deren Unmut über ihre Zwangslage zu gefährlich schien.
Die Bahnlinie wurde daher hauptsächlich von Herero aus demselben Lager
gebaut. Lebenswichtige Ressourcen wurden den Herero und Nama vorenthalten,
um sie den Deutschen gefügig zu machen. Aus diesem Sachverhalt entspringt
die Schuld am Völkermord, für den es nun gilt die Verantwortung zu
übernehmen.
## Forderungen von Schwarzen in den USA
Wie die Regierung in Berlin auf die Frage zu Reparationen für die
Nachkommen der überlebenden Herero und Nama eingehen wird, ist eine Frage
von großer Tragweite. Das Verbrechen geschah vor mehr als hundert Jahren
und entließ die Überlebenden demographisch vermindert, sozial geschwächt
und ohne Zweifel gesundheitlich belastet in ein auf diese Weise knappes
Jahrhundert fortgesetzter Kolonialherrschaft.
In den USA sind Reparationszahlungen an Afroamerikaner ein Thema, das seit
der Abschaffung der Sklaverei nicht vom Tisch gefegt werden kann, weil die
Anerkennung des Unrechts bislang keine praktischen Reformen nach sich zog,
welche die Integration im Sinne von sozialem Statusausgleich bewirkt
hätten. Trotz der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren, trotz der
Antidiskriminierungsmaßnahmen der Affirmative Action und nach zwei
Amtszeiten des ersten schwarzen Präsidenten der USA lebt die
afroamerikanische Bevölkerung zum Teil weiterhin in einer benachteiligten
Parallelgesellschaft.
Seit über fünfundzwanzig Jahren setzt der US-amerikanische
Kongressabgeordnete John Conyers Jr. bei jeder Versammlung im Kongress den
Gesetzesentwurf HR40, den „Auftrag Reparationsvorschläge für Afroamerikaner
zu studieren“ (Commission to Study Reparation Proposals for African
Americans Act), auf die Tagesordnung. Bislang ohne Erfolg. Aber die
Anhänger dieses Gedankens werden auch Deutschlands Handeln in Zukunft
schärfer ins Auge fassen.
23 Oct 2016
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/2016/33/voelkermord-herero-deutschland-aufarbeitung
[2] /Kolonialismus-Ausstellung-in-Berlin/!5347101
[3] /Bundesregierung-zum-Herero-Massaker/!5322681
## AUTOREN
Ursula Ackrill
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