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# taz.de -- Kommentar Verdi: Streiken aus reiner Verzweiflung
> Schlichtung im Kitastreik, bald Streik bei der Post – Verdi gibt sich
> kämpferisch. Das sieht stark aus, ist aber in Wahrheit schiere
> Verzweiflung.
Bild: Verdi wirkt wie ein leckgeschlagener Tanker, den Kapitän Frank Bsirske m…
Der Streik im Sozial- und Erziehungsdienst läuft noch, da plant Verdi
bereits den nächsten großen Arbeitskampf: Falls die Arbeitgeberseite bis
Donnerstagnachmittag das Verdi-Angebot nicht angenommen hat, droht auch bei
der Deutschen Post ein unbefristeter Streik. Was auf den ersten Blick wie
ein Ausdruck von Selbstbewusstsein erscheint, ist in Wahrheit ein Akt der
Verzweiflung. Denn die zweitgrößte Einzelgewerkschaft Deutschlands steht
mit dem Rücken zur Wand, im Konkreten wie im Großen und Ganzen.
Es ist ein Abwehrkampf, den Verdi bei der Post führt. Obwohl der ehemalige
Staatsbetrieb Milliardengewinne schreibt, betreibt er die Flucht aus dem
Haustarifvertrag – wogegen die Gewerkschaft ankämpft. Für die Rückführung
der neu geschaffenen 49 Regionalgesellschaften, in denen ein rund 20
Prozent niedrigerer Stundenlohn gezahlt wird, ist Verdi bereit, einen hohen
Preis zu zahlen. Ihr Angebot enthält einen Verzicht auf eine lineare
Einkommenserhöhung in diesem Jahr und eine Veränderung der Entgelttabelle
zuungunsten neu eingestellter Beschäftigter. Außerdem ist ihre
ursprüngliche Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung vom Tisch. Mehr
kann man der Arbeitgeberseite nicht entgegenkommen.
Trotzdem lässt es die Post anscheinend unbeeindruckt. Dabei gehört sie
immerhin zu den Konzernen, wo Verdi noch über einen hohen Organisationsgrad
und entsprechend große Schlagkraft verfügt: Wenn dort die Zusteller die
Arbeit niederlegen, dann bleibt der Briefkasten leer. Wenn diese
Auseinandersetzung verloren geht, hätte das gehörige negative Auswirkungen
auf die Gesamtorganisation. Kaum vorstellbar, dass dann Frank Bsirske den
Bundeskongress im September in Leipzig politisch überlebt.
Seit ihrer Gründung 2001 steht Bsirske an der Spitze von Verdi. Damals
organisierten sich rund 2,9 Millionen Mitglieder in der
Dienstleistungsgewerkschaft. Heute sind es noch rund 2 Millionen. Alleine
im vergangenen Jahr verlor sie fast 25.000 Mitglieder. Das hat nicht
zuletzt ökonomische Konsequenzen. Die Folgen sind Personalabbau,
Einschränkungen bei den Publikationen oder der Infrastruktur,
beispielsweise durch die im Mai beschlossene Schließung der
gewerkschaftlichen Bildungsstätte Lage-Hörste. Eine zündende Idee, wie der
Abwärtstrend gestoppt werden könnte, ist nicht zu erkennen.
## „Solidarität“ bleibt rein verbal
Verdi wirkt wie ein leckgeschlagener Tanker, den der Kapitän mit kopflosem
Aktionismus wieder manövrierfähig machen will. Bestes Beispiel dafür ist
der Amazon-Streik. Ohne sich eine Ausstiegsstrategie zu überlegen, ist
Verdi in einen Arbeitskampf gegangen, der unter den gegebenen Bedingungen
nicht zu gewinnen ist. Fahrlässig wurde die Hartleibigkeit des
US-Onlineversandhändlers unter- und die eigene Mobilisierungsfähigkeit wie
die Auswirkungen auf die Kunden überschätzt. „Dieser Kampf hat die
Solidarität der gesamten Organisation“, behauptet zwar Bsirske nach wie
vor. Doch kaufen können sich die Amazon-Beschäftigten davon nichts –
solange diese „Solidarität“ rein verbal bleibt.
Auch den Kitastreik wird Bsirske nur schwer als Erfolgsgeschichte verkaufen
können. Zwar dürfte es hier immerhin ein Ergebnis geben – aber es wird
meilenweit von dem entfernt sein, was Verdi eigentlich durchsetzen wollte.
Denn so wirkungsvoll der Streik zum Leidwesen der betroffenen Eltern auch
ist: Der Druck auf die Gegenseite hält sich naturgemäß in Grenzen, wenn der
Arbeitgeber durch einen Ausstand nicht höhere Kosten hat, sondern Geld
spart. So wird die Gewerkschaft gezwungen sein, etwas als Erfolg zu
verkaufen, was keiner ist. Entsprechend groß wird die Enttäuschung bei den
so engagierten Erzieherinnen, Sozialarbeitern und Sozialpädagoginnen sein.
Verdi braucht eine selbstkritische Strategiediskussion. Alles gehört auf
den Prüfstand, nicht zuletzt die hierarchisch-autoritäre Grundstruktur.
Solange die Gewerkschaftsspitze ihre Mitglieder als willenlose Masse
begreift, die von oben manövriert werden kann, wird der Schrumpfungsprozess
weitergehen. Anzeichen in diese Richtung sind allerdings nicht zu erkennen,
wie Bsirskes unsäglicher Pro-Kohle-Kurs zeigt. Als einzigem Grünen an der
Spitze einer DGB-Gewerkschaft müsste er eigentlich wissen: Nicht nur
verlorene Tarifkämpfe kosten Mitglieder.
4 Jun 2015
## AUTOREN
Pascal Beucker
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