Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bilderreportage über Fukushima: Das atomgespaltene Leben
> Drei Jahre nach der Katastrophe spannt „Fukushima 360°“ einen Bogen von
> Hiroshima über die japanische Atomlobby bis hin zur Anti-AKW-Bewegung.
Bild: Strahlende Schönheit.
BERLIN taz | Ein Meer prächtiger gelber Stiefmütterchen inmitten einer
leuchtend grünen Wiese. Frühling, Wachstum, Leben. Dazwischen, ebenfalls in
gelb und deshalb kaum zu erkennen: ein kleines Gerät mit Plastikmantel. So
unscheinbar es ist, zerstört es beim genauen Hinsehen doch die Idylle des
Bildes.
Es handelt es sich um einen Geigerzähler, seinen Dienst tut er im
Kaiseizan-Park in Koriyama, einer Stadt in der japanischen Präfektur
Fukushima. Der Park wurde seit der Atomkatastrophe von 2011 aufwändig
dekontaminiert und gilt offiziell wieder als sicher. Trotzdem zeigt das
Messgerät zwanzigmal höhere Strahlungswerte an als vor der Atomkatastrophe.
Der Geigerzähler im Beet wurde von Alexander Neureiter abgelichtet. Drei
Jahre sind seit dem Erdbeben und dem daraus entstandenen Tsunami vergangen,
in dessen Folge es zur Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi kam.
2013 verbrachte der Fotojournalist drei Wochen in Japan, um den Alltag der
Menschen in der Präfektur Fukushima zu dokumentieren. Aus mehr als 17.000
Fotos und 87 Interviews entstand so das Buch [1][„Fukushima 360° - das
atomgespaltene Leben der Opfer vom 11. März 2011“].
Ein Titel, der einen reißerischen Katastrophenbericht erwarten lässt.
Tatsächlich handelt es sich bei dem Bildband aber um einen einfühlsamen und
differenzierten Versuch, das Unglück in einen Kontext einzubetten.
Neureiter spannt den Bogen von den Atombombenabwürfen in Hiroshima und
Nagasaki über die aufstrebende Atomlobby in Japan bis hin zur neu
entstandenen Anti-AKW-Bewegung im Land. Er erklärt, wie Japan nach den
schrecklichen Erfahrungen der Atombombe zum drittgrößten Produzenten von
Atomenergie weltweit wurde, und warum sich jahrzehntelang weder in der
Politik noch in den Medien ein echter Widerstand dagegen etablieren konnte.
Dabei lässt der Journalist viele unterschiedlicher Menschen zu Wort kommen.
Der ehemalige Fernsehserienheld und jetzige Politiker Taro Yamamoto
berichtet von den Protestmärschen auf der Straße, für japanische
Verhaltensregeln typisch in ordentlichen Dreierreihen. Der Journalist
Takashi Uesugi erklärt, wie die japanischen Medien, die Wirtschaft und auch
die Wissenschaft finanziell auf die großen Investitionen Tepcos angewiesen
waren und wie das jede kritische Berichterstattung unterband.
## Grenzwerte kann man verändern
Der Leser erfährt, wie die japanische Regierung die maximal zulässige
Strahlenbelastung von einem auf 20 Millisievert im Jahr hochsetzte, um
verstrahlte Gebiete wieder freizugeben und die Zahl der zu evakuierenden
Menschen möglichst klein zuhalten – in Deutschland sind 20 Millisievert der
Maximalwert für AKW-Mitarbeiter mit Schutzkleidung und besonderer
Ausbildung.
Wer verstörende Bilder von zerstörten Wohnhäusern oder Ruinen des
Kraftwerks sehen will, der sucht sie in Neureuters Bildband vergeblich. Ein
Obstgarten voller Nashi-Birnbäume, Reisfelder, die Skyline von Tokio.
Dazwischen die Portraits der Menschen, die der Fotograf auf seiner Reise
getroffen hat, und immer wieder der Geigerzähler. Es sind die Texte neben
den Bildern, die die Botschaft des Buches verdeutlichen: Die Strahlung ist
eine unsichtbare Gefahr. Ungefährliche Strahlung gibt es nicht, nur vom
Menschen festgesetzte Grenzwerte, die eine „gesellschaftlich akzeptabel
erscheinende Anzahl von Strahlenkranken und Strahlentoten“ festlegen.
Es geht in dem Buch darum, wie die Katastrophe das Dasein zahlreicher
Menschen für immer verändert hat. „Manchmal denke ich, dass Tepco nicht nur
die Atome, sondern auch unser Leben gespalten hat“, sagt Akemi Shima. Die
Strahlenbelastung bestimmt noch immer jede Minute des Alltags der
38-jährigen Mutter. Ein Alltag, in dem Atemmaske und Geigerzähler
selbstverständlich geworden sind.
## Mahnung an uns alle
Die zierliche Frau steht mit ihrer Tochter im Supermarkt und begutachtet
kritisch einen Maiskolben. Ihre Tochter trägt einen weißen Mundschutz.
Shima berichtet von der Verunsicherung, die jede noch so kleine Frage
begleitet. Sei es die nach der Herkunft des Gemüses, oder wie lange ihre
Kinder draußen auf der Straße spielen dürfen.
Und schließlich geht es in „Fukushima 360°“ um die Zukunft. „Fukushima …
eine deutliche Mahnung an uns alle, denn immer noch gibt es weltweit 437
Atomreaktoren in 21 Ländern, auch in unserer Nachbarschaft“, schreibt
Neureuter in den letzten Absätzen seine Reportage. Er fragt, wie man nach
den Erfahrungen aus Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima noch immer an der
Behauptung festhalten kann, dass unkontrollierbare Kernschmelzen
rechnerisch „eigentlich unwahrscheinlich“ seien.
Seine Reportage verdeutlicht, dass in Japan die Gesundheit von Tausenden
Menschen keine Rolle spielt, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht. Er
zeigt die Schicksale der Menschen, die aus dem Umkreis des AKW evakuiert
wurden und nun in kleinen Containern auf engstem Raum leben. Und er hält
fest: „Zumindest können wir nicht mehr ruhigen Gewissens behaupten, wir
hätten von den wahren Auswirkungen einer Atomkatastrophe nichts gewusst.“
11 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.neureuters.de/umwelt/fukushima
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Fukushima
Anti-AKW
Atomkatastrophe
Atomkraftwerk
Schwerpunkt Atomkraft
USA
Hiroshima
Tepco
Japan
Tschernobyl
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Radioaktivität
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Fukushima
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Anti-AKW-Proteste
## ARTIKEL ZUM THEMA
Historiker über drohenden Atomkrieg: „Nur mit Glück vermieden“
Die Gefahr eines Atomkriegs ist keineswegs gebannt, warnt der Historiker
Peter Kuznick. In den USA fehlten Debatten über die Nuklearwaffen.
Opfer der Hiroshima-Bombe: Das Friedensboot der Überlebenden
Hiroe Kamada war drei Jahre alt, als die Bombe fiel, Takako Kotani sechs.
Heute kämpfen sie gegen die Atomkraft.
Fukushima-Betreiber in der Krise: Tepco laufen die Angestellten davon
Gehaltskürzungen, Stigmatisierung und Strahlenrisiko: Viele Mitarbeiter
verlassen den Energiekonzern Tepco. Auf sie warten Jobs in Japans boomender
Solarbranche.
Atomkraftgegner in Japan: AKW-Neustart vor Gericht gestoppt
Japans rechtskonservative Regierung will so bald wie möglich die ersten
Meiler wieder hochfahren. Doch ein Gericht untersagte das Hochfahren des
Kraftwerks in Oi.
28 Jahre nach Tschernobyl: Fitte Vögel dank Radioaktivität
Sie sind größer und haben weniger Gendefekte. Das haben Biologen bei Vögeln
in Tschernobyl festgestellt. Ihre Ergebnisse lassen Raum für Zweifel.
Atomkraft in Japan: Ausstieg aus dem Ausstieg
Nach Fukushima wurden alle Atomkraftwerke abgeschaltet, nun will die
japanische Regierung wieder in die Kernenergie einsteigen. Die Mehrheit der
Bevölkerung ist dagegen.
Kritik am UN-Bericht über Fukushima: Jede Strahlungserhöhung hat Folgen
UN-Experten erklären, die Atomkatastrophe in Fukushima führe nicht zu einem
erhöhten Krebsrisiko. Kritische Ärzte nennen die Studie „unseriös“.
Atomruine Fukushima: Filtersystem erneut ausgefallen
Tepco kämpft mit immer mehr verseuchtem Wasser zur Kühlung der beschädigten
Reaktoren. Hoffnung ruhte eigentlich auf einem neuen Filtersystem.
Japanischer Journalist über Fukushima: „Ja-Sager für die Regierung“
Die Berichterstattung über Fukushima wird von Lobbyinteressen verfälscht.
Die japanische Presse sei nicht frei, meint der Journalist Masao Fukumoto.
Weniger Atomkraftwerke: Die Renaissance, die keine ist
Die Atomlobby vermittelt seit Jahren den Eindruck, AKW seien weltweit im
Kommen. Doch tatsächlich geht die Zahl der Atommeiler zurück.
Kommentar Atomkraft-Ideologie: Nein danke, zu teuer!
Atomenergie wurde lange als sicher und billig gepriesen. Seit Fukushima ist
auch dieses Argument vom Tisch. Schlechte Zeiten für die AKW-Lobby.
Besuch in Fukushima: Unsichere Sicherung
Verstrahlte Reaktoren, kontaminiertes Wasser: Drei Jahre nach dem Super-GAU
in Fukushima ist das AKW noch immer nicht unter Kontrolle.
Die Folgen von Fukushima: Namie muss sich selber helfen
Eine Gemeinde in der Nähe des AKWs Fukushima Daichi dokumentiert die Folgen
der Verstrahlung in Eigenregie. Den Behörden trauen viele nicht mehr.
Atomkraftwerk in Polen: Die Angst vor der Wolke
Die Polen wollen ein Kraftwerk bei Danzig bauen. Käme es dort zu einem
Unfall, wäre laut einer Studie auch Berlin betroffen. Jetzt macht
Greenpeace Druck.
Jahrestag der Fukushima-Katastrophe: Noch lange nicht vorbei
Vor drei Jahren erschütterte die Reaktorkatastrophe von Fukushima Japan und
die Welt. Die Folgen sind vor Ort deutlich zu spüren.
Jahrestag der Atomkatastrophe: Grüße nach Fukushima
Genau drei Jahre nach dem Inferno in Japan: In den kommenden Tagen starten
Demos und Mahnwachen an über 200 Orten in Deutschland.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.