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# taz.de -- Jahrestag der Fukushima-Katastrophe: Noch lange nicht vorbei
> Vor drei Jahren erschütterte die Reaktorkatastrophe von Fukushima Japan
> und die Welt. Die Folgen sind vor Ort deutlich zu spüren.
Bild: Der Fischer Fumio Suzuki aus Iwaki bei der Ausfahrt zum Testfang
IWAKI/TOKIO taz | Über sechzig Jahre lang ist er zur See gefahren. Jetzt
sitzt er hier im schmucklosen Versammlungssaal seiner Fischereikooperative
am Stadtrand von Iwaki. Masakazu Yabuki, 77 Jahre alt, spricht mit ruhiger
Stimme und gefalteten Händen über einen sterbenden Berufsstand in der
Präfektur Fukushima.
Iwaki, knapp 50 Kilometer von den Unglücksreaktoren des Kraftwerks
Fukushima Daiichi entfernt, hatte das große Tohoku-Beben vom 11. März 2011
gleich vierfach getroffen. Das Beben allein richtete schwere Zerstörungen
im Ort an. Der unmittelbar nachfolgende Tsunami forderte hunderte
Todesopfer in den küstennahen Siedlungen.
Genau einen Monat darauf, am 11. April, wurde der Ort von einem weiteren,
ähnlich starken Beben getroffen. Die Atomkatastrophe, in deren Bann die
Ortschaft bereits seit Wochen war, schließlich zerstörte die
Lebensgrundlage der in Tourismus, Landwirtschaft und Fischerei
beschäftigten Menschen.
„Schädliche Gerüchte" sind es, die Masakazu Yabuki als größte Bedrohung f…
die Fischer aus Iwaki wahrnimmt. Gerüchte über die Strahlenbelastung,
befeuert von der inkompetenten Informationspolitik der Betreiberfirma
Tepco: „Jeden Tag können wir die enttäuschende Performance der Offiziellen
im Fernsehen anschauen. Ändern tut sich nichts."
Einmal pro Woche fahren seine jüngeren Kollegen zum Testfang raus.
Außerhalb eines 40-Kilometer-Radius' vom Kraftwerk, in ca. 150 Metern Tiefe
hat ihr Fang im Schnitt eine Strahlenbelastung deutlich unter den
zulässigen Höchstwerten. Den Regelbetrieb kann die Kooperative trotzdem
noch nicht aufnehmen. Solange die immer wiederkehrenden Lecks
kontaminierten Wassers aus dem zerstörten Kraftwerkskomplex nicht behoben
sind, ist das Risiko einfach zu hoch. Davon abgesehen würde niemand Fisch
aus der Gegend kaufen wollen.
Die rund 400 Mitglieder der Kooperative müssen derweil mit Kompensationen
aus dem Hilfefonds Tepcos durchkommen. 82% Prozent ihres durchschnittlichen
Einkommens vor dem Unglück werden ihnen bis auf weiteres ausgezahlt. Viele
Fischer in der Gegend waren außerdem bei den Aufräumarbeiten in den von
Beben und Tsunami betroffenen Gebieten eingesetzt. Die entsprechenden
Förderprogramme laufen nun aber eines nach dem anderen aus.
Junge Menschen seien so natürlich nicht dafür zu begeistern, die meist im
Familienbetrieb geführten Fischereibetriebe fortzuführen. Das schmerzt
Yabuki sichtlich. „Als ich damals von Tschernobyl hörte, war das Welten
entfernt. Nun ist es hier passiert und hat den Lauf meines Lebens
grundlegend geändert."
An Tschernobyl und selbst die chinesischen Atomtests in den 1960ern
erinnert sich auch Shizuto Suzuki. Der kommunale Angestellte erzählt, dass
er schon als Kind von seiner Mutter vor bestimmten Pflanzen gewarnt worden
sei, selbst Thunfisch hatte den Ruf hoch belastet zu sein. Wirklich präsent
seien diese Warnungen aber bis zum März 2011 nicht mehr gewesen. Inzwischen
jedoch habe ein großer Lernprozess eingesetzt, Menschen, die sich nie
sonderlich für Atomkraft und ihre Risiken interessierten, wüssten nun recht
genau, was die verschiedenen Messwerte bedeuten, wo die Risiken liegen.
Suzuki führt uns durch seine Stadt. Auf großer Fläche verteilte,
unspektakuläre Siedlungen und Gewerbegebiete. Die meisten von den Beben
verursachten Schäden sind längst behoben. Direkt an der Küste ist das Bild
ein anderes. Während die Hafenanlagen vollständig wiederhergestellt wurden,
sind an vielen kleinen Buchten die Folgen des Tsunamis deutlich
auszumachen. Dort wo einst begehrte Häuschen mit Pazifikblick standen,
zeigt sich nun ein knöchelhohes Labyrinth aus Bodenplatten und
Fundamentkanten. Der Schutt ist weg, die Narben bleiben.
Die Einwohnerzahl Iwakis ist seit dem Unglück stark gestiegen. Evakuierte
leben zum Teil auch drei Jahre später noch in Barackensiedlungen, einige
von ihnen haben ausreichend Entschädigungszahlungen erhalten um hier ein
neues Leben zu beginnen und kaufen Wohnungen und Häuser. Das und der Zuzug
von Bauarbeitern und Spezialisten für den Abbau des Kraftwerks hat den
Immobilienmarkt deutlich enger gemacht. Während die Preise für Wohneigentum
überall in Japan sinken, steigen sie in Iwaki.
Doch nicht nur das sorgt bisweilen für böses Blut. Auch die vergleichsweise
hohen finanziellen Entschädigungen für die direkt von der
Reaktorkatastrophe Betroffenen wird nicht immer freundlich zur Kenntnis
genommen. Die meisten Opfer des Bebens und des Tsunamis in Iwaki wurden nur
einmal von staatlicher Seite entschädigt, während viele Evakuierte Anspruch
auf monatliche Ausgleichszahlungen von Tepco haben.
Auch die Stadt selber versucht nun, Tepco zu höheren Leistungen zu
verpflichten. Man ziehe in Betracht, wenigstens die nachweislich
unmittelbar durch die Reaktorkatastrophe entstandenen Kosten erstattet zu
bekommen. „Und wenn wir die Überstunden städtischer Angestellter zur
Verteilung von Jodtabletten einklagen müssen – so geht es jedenfalls nicht
weiter!", sagt Suzuki.
## Kein Kommentar
Ein ganz anderes Bild zeigt sich in Tokio, wo in der 45 Etage eines der
beiden Zwillingstürme des Tokyo Metropolitan Government das
Organisationsbüro für die Olympischen Spiele 2020 seinen Sitz hat. Kenichi
Kimura, der Presseverantwortliche, hält seinen Vortrag über Sicherheit und
Katastrophenschutz für die Spiele mit einem Panoramafenster im Rücken, das
den Blick bis zum majestätischen schneebedeckten Fuji freigibt.
Auch er spricht von „schädlichen Gerüchten" die uninformiert und böswillig
Japan diffamieren würden. In den nächsten gut sechs Jahren könne doch
erwartet werden, dass die Situation vollständig unter Kontrolle sei. Schon
jetzt sei Tepco auf einem guten Weg zur Lösung der aktuellen Probleme. Mehr
als 200 Meter über den geschäftigen Straßen der Metropole existieren keine
Probleme, nur Lösungen und Optimismus.
Diese Sicht wird bestätigt sowohl beim Besuch im Industrieministerium, wo
nach langem Warten in kahlen Fluren ein Sprecher zwar seiner Zuversicht
Ausdruck verleiht, dass die Aufräumarbeiten planmäßig vorangingen, damit
aber nicht namentlich zitiert werden wollte. Die Frage, warum das seit der
Katastrophe hoffnungslos überschuldete Unternehmen Tepco nicht einfach
verstaatlicht werde, statt ihm immer weitere Kredite zu gewähren, wollte er
nicht beantworten.
Auch Tepco selber zieht es vor, Fragen die von vorbereiteten talking points
abweichen, unbeantwortet zu lassen. Eine Führung durch die inzwischen
leeren Räume des zur Katastrophe eingerichteten Notfallzentrums im
J-Village, 20 Kilometer vom Kraftwerk entfernt, schafft keine Klarheiten;
nur neue Fragen.
Das J-Village, ein 2002 zur Fußballweltmeisterschaft eingerichtete
Trainingslager, soll wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt
werden und während der olympischen Spiele als Mannschaftsunterkunft dienen.
Ob man wirklich glaube, dass ausländische Sportler hier absteigen würden?
Mit sardonischem Lächeln verweist der Tepco-Ingenieur auf die vielen
„schädlichen Gerüchte", die es natürlich schwer machten, zu vermitteln wie
ungefährlich hier alles sei.
Die „schädlichen Gerüchte" (fuuhyou higai) - immer und immer wieder. „Die
Menschen sind sich aber schon bewusst, dass sie einen der schwersten
Atomunfälle der Geschichte vor ihrer Haustür hinter sich haben?", geht die
Frage an Tomomi Miyazaki. Der Journalist war wesentlich an der
ausführlichen Berichterstattung zu Fukushima beteiligt. Sein Arbeitgeber,
der Asahi Shinbun, ist Japans zweitgrößte Tageszeitung und zeichnet sich
durch wiederholte Exklusivberichte, Enthüllungen und Buchveröffentlichungen
zum Themenkomplex aus.
Die Menschen verdrängen die Folgen, sagt Miyazaki. Vor allem fehle die
Wahrnehmung dafür, dass das Unglück noch lange nicht vorbei sei. Solange
über den Zustand der Brennelemente in mehreren Reaktorblöcken keine
Klarheit bestehe und selbst im vergleichsweise kontrollierten Umfeld der
gekühlten Elemente des Blocks 4 die Arbeiten nur unter schwierigsten
Bedingungen fortgesetzt würden, bleibe das Ende der Katastrophe unabsehbar.
„Der Unfall passiert immer noch. Vor unseren Augen".
Die Fischer von Iwaki hoffen derweil, dass sie eines Tages wieder ihrem
Beruf nachgehen können. „Ich bete jeden Tag, dass bei der Entfernung der
Brennstäbe [aus Reaktorblock 4] nichts passiert. Denn das wäre das
endgültige Ende unserer Industrie.", so Masakazu Yabuki.
Selbst die optimistischsten Schätzungen gehen davon aus, dass noch deutlich
mehr als ein Jahrzehnt vergehen dürfte, bis Fukushima Daiichi endgültig
stillgelegt und keine Quelle für neue Strahlungsrisiken sei. Die
Olympischen Spiele in Tokio werden dann schon lange vorbei sein, viele
Familien sich dauerhaft außerhalb der früheren Evakuierungszone angesiedelt
und sich, rein statistisch sehr wahrscheinlich, mindestens ein weiteres
Beben ähnlicher Stärke wie jenes vom 11. März 2011 ereignet haben.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Fellowship, gefördert durch den
japanischen Verlegerverband Nihon Shinbun Kyokai.
8 Mar 2014
## AUTOREN
Daniél Kretschmar
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