| # taz.de -- Besuch in Fukushima: Unsichere Sicherung | |
| > Verstrahlte Reaktoren, kontaminiertes Wasser: Drei Jahre nach dem | |
| > Super-GAU in Fukushima ist das AKW noch immer nicht unter Kontrolle. | |
| Bild: Erste Besichtigungstour für ausländische Journalisten am 10. März 2014 | |
| FUKUSHIMA taz | Der kontaminierte Fußboden ist mit rosa Plastik abgedeckt, | |
| die Arbeitstische sind mit Folien verklebt: Im Kontrollraum für die | |
| Reaktoren 1 und 2 des AKW Fukushima erinnern nur noch ein paar | |
| handschriftliche Zahlen neben einem Messinstrument an das Chaos und die | |
| Panik bei den Kernschmelzen vor drei Jahren. Für den ersten Besuch von | |
| ausländischen Journalisten im damaligen Zentrum der Strahlenhölle hat sich | |
| der Betreiberkonzern Tepco eine etwas makabre Vorführung einfallen lassen: | |
| 15 Sekunden lang wird das Licht ausgeschaltet. | |
| Denn nachdem der Tsunami am 11. März 2011 die Notstromaggregate außer | |
| Gefecht gesetzt hatte, wurde es plötzlich im Kontrollraum dunkel und alle | |
| Instrumente fielen aus. In ihrer Not bauten die zehn Techniker damals die | |
| Batterien aus ihren Autos aus und nahmen mit deren Strom wichtige | |
| Instrumente wieder in Betrieb. | |
| Im Licht von Taschenlampen notierte jemand neben einem Anzeiger mit | |
| Bleistift die Uhrzeit und den Stand des Kühlwassers: 21’40 +50 cm; 22’36 | |
| +59; 1’24 +130. Dass das Wasser im Verlauf der Nacht gestiegen sein soll, | |
| lasse sich heute nicht mehr nachvollziehen, erklärt Tepco-Sprecher Kenichi | |
| Matsui. Womöglich waren die Zahlen einfach falsch. Aber die Strahlung im | |
| Kontrollraum stieg rasch um das 1.000-fache auf 1 Millisievert pro Stunde – | |
| so hoch wie die erlaubte Dosis für Normalbürger in einem Jahr. | |
| Heute ist dort die Radioaktivität mit 4,5 Mikrosievert pro Stunde immer | |
| noch viel höher als erlaubt. Zum Glück liegen zwischen dem Kontrollraum und | |
| der tödlichen Strahlung in den beiden Reaktoren 40 Meter und eine dicke | |
| Schutzwand. Dennoch müssen die Journalisten Tyvek-Schutzanzüge und | |
| Atemschutzmasken tragen. Heute wird der Kontrollraum selten betreten. Die | |
| Aufräumarbeiten lassen sich von einem erdbebensicheren Kommandostand aus | |
| bequem fernsteuern. | |
| ## Reaktor 3: noch unerkundet | |
| Die ungeheuren Probleme, mit denen Tepco kämpft, werden deutlicher, als die | |
| Reporter erstmals das Untergeschoss von Reaktor 5 sehen dürfen. Zum | |
| Zeitpunkt des Tsunamis waren die Meiler 5 und 6 mit Brennstoff befüllt, | |
| aber abgeschaltet. Es kam zu keiner Kernschmelze, da die Notstromaggregate | |
| sich wieder in Betrieb nehmen ließen. Nach der Reparatur könnten die | |
| Kraftwerke eigentlich wieder Strom produzieren. Doch auf Geheiß der | |
| Regierung wird Tepco die beiden Meiler abbauen. | |
| Wegen der Baugleichheit möchte man dabei wichtige technische Erfahrungen | |
| für die spätere Stilllegung der zerstörten Meiler sammeln. Tepco-Mann | |
| Mitsui führt die Gruppe durch den geöffneten Betonmantel des | |
| Sicherheitsbehälters an eine Rampe, die in einen Hohlraum unter dem | |
| Reaktorbehälter mündet. „Wir vermuten, dass der geschmolzene Brennstoff in | |
| den Reaktoren 1, 2 und 3 in diesen Bereich geflossen ist“, erklärt Matsui. | |
| Jetzt wolle man durch das Studium am intakten Reaktor neue technische | |
| Lösungen entwickeln. Auf diesem „spannenden Gebiet“ könne Japan eine | |
| Führungsrolle übernehmen, meinte kürzlich der US-Atomexperte Lake Barrett, | |
| der nach dem Reaktorunfall 1979 in Three Mile Island die Aufräumarbeiten | |
| leitete: „Das Geschäft mit der Stilllegung reicht über Fukushima hinaus.“ | |
| Auf einem schmalen Steg ganz unten im Reaktorgebäude steht die Gruppe über | |
| der doughnutförmigen Kammer, wo das Kühlwasser kondensiert. Mit einem | |
| Laserpointer zeigt ein Techniker, wie hoch das verstrahlte Wasser in den | |
| kaputten Meilern steht: In Reaktor 1 sechs Meter über der | |
| Kondensationskammer bis unter die Decke, in Reaktor 2 ist die Kammer halb | |
| im Wasser. „Reaktor 3 haben wir bisher nicht erkundet“, gesteht Matsui. | |
| ## Neue Technologien fehlen | |
| Nur Roboterkameras können in die gefluteten Keller mit der radioaktiven | |
| Pest hinein. Mitte November wurde dabei das erste Loch entdeckt, aus dem | |
| verstrahltes Wasser austritt. Selbst mit besserer Technik wird es Jahre | |
| dauern, bis in den drei havarierten Anlagen alle Lecks gefunden geschweige | |
| denn gestopft sind. Die Reaktorbehälter müssen nämlich mit Wasser gefüllt | |
| sein, wenn man sie von oben öffnen will. | |
| Daher wirkt der offizielle Zeitplan für die Stilllegung der Anlage | |
| ehrgeizig. „Wir wollen den geschmolzenen Brennstoff zumindest aus einem der | |
| drei Reaktoren zum 1. Halbjahr 2020 entfernen“, versprach Firmenchef Naomi | |
| Hirose Mitte Februar. Das wäre parallel zu den Olympischen Spielen in | |
| Tokio. Allerdings räumte Hirose ein, dass dies nicht einfach sein werde: | |
| „Die Technologien für einen sicheren Abbau sind noch nicht entwickelt, und | |
| dabei gibt es keine Abkürzungen.“ | |
| Über Jahre hinweg werden daher noch viele Tonnen Kühlwasser, die täglich | |
| oben in die havarierten Reaktoren hineingepumpt werden, radioaktiv | |
| kontaminiert unten herauslaufen. Diese Brühe vermischt sich mit | |
| eindringendem Grundwasser und sickert in den Pazifik – 300.000 Liter | |
| täglich nach offizieller Schätzung. Vor einigen Wochen hat Tepco mit den | |
| Vorbereitungen dazu begonnen, den Boden mit einer kilometerlangen vereisten | |
| Wand zu versiegeln, die den Wasserzufluss stoppen soll. | |
| Die Besucher fahren an der Baustelle mit zwei Dutzend Arbeitern vorbei. | |
| Einer schneidet gerade isolierenden Schaumstoff für eine Kühlleitung | |
| zurecht. „Wir wollen bald in kleinem Maßstab testen, ob diese Technik | |
| funktioniert“, kündigt AKW-Chef Akira Ono vor den Journalisten an. Die | |
| Regierung übernimmt die hohen Kosten für das Experiment. Denn einen Einsatz | |
| dieser Technik aus dem Tunnelbau hat in diesem Ausmaß und über Jahre hinweg | |
| noch niemand erprobt. | |
| ## 40 Tanks pro Monat | |
| Die Eindämmung der strahlenden Wasserflut ist die drängendste Aufgabe im | |
| AKW Fukushima, an der Tepco immer wieder scheitert: „Sie machen fünf | |
| Schritte vor und drei Schritte zurück“, sagt Berater Dale Klein frustriert. | |
| Der Ex-Chef der US-Atomaufsicht verlangt seit Monaten von dem Unternehmen, | |
| mehr internationale Hilfe anzunehmen. Zugleich entschuldigt Klein die | |
| Fehler: „Tepco ist es gewohnt, Reaktoren zu betreiben, nicht aber eine | |
| Dekontamination in so großem Umfang.“ | |
| Alle sechs Tage fällt im AKW Fukushima so viel Wasser an wie in einem | |
| 50-Meter-Schwimmbecken. In über 1.200 Tanks lagern zuletzt 436.000 Tonnen | |
| kontaminierte Flüssigkeit. Gerade entstehen im Süden der Anlage 97 neue | |
| geschweißte Tankzylinder. Bald will Tepco 40 Tanks monatlich hochziehen, | |
| die im selben Tempo gefüllt würden. Sie sollen die genieteten | |
| Wasserspeicher ersetzen, die mehrfach geleckt haben. | |
| Auch die neuen Tanks sind keine Dauerlösung. Tepco will das verstrahlte | |
| Wasser am liebsten so gründlich reinigen, dass man es im Pazifik verklappen | |
| kann. Eine Reinigungsanlage für alle radioaktiven Isotope außer Tritium hat | |
| man den Journalisten schon letztes Jahr gezeigt – allerdings funktioniert | |
| sie nicht zuverlässig. Mit den Fischern verhandelt Tepco bisher ohne | |
| Erfolg. „Die Wasserfrage ist ein politisches, kein technisches Problem“, | |
| betont Tepco-Berater Klein. Aber da macht er es sich zu einfach: Viele | |
| Fehler beruhen auf menschlichem Versagen. | |
| Als kürzlich 100 Tonnen radioaktives Wasser ausliefen, hielten die | |
| diensthabenden Mitarbeiter das Warnsignal für einen Fehlalarm. | |
| Losgeschickte Techniker übersahen, dass man Wasser in einen bereits vollen | |
| Tank pumpte. Solches Durcheinander ist hausgemacht. Bis zu 90 Prozent der | |
| über 3.000 Menschen, die täglich im AKW schuften, werden über acht, neun | |
| Ebenen von Leiharbeitsfirmen angeheuert. Das Wissen geht verloren, sobald | |
| die Arbeiter ihr Strahlenlimit erreicht haben. Doch AKW-Chef Ono blickt | |
| lieber nach vorn. Ein Drittel der Brennelemente aus den Abklingbecken in | |
| Reaktor 4 sei geborgen, sagt er stolz: „Damit hat der Stilllegung bereits | |
| begonnen, auch wenn es 30, 40 Jahre dauert. | |
| 11 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Fritz | |
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