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# taz.de -- Weniger Atomkraftwerke: Die Renaissance, die keine ist
> Die Atomlobby vermittelt seit Jahren den Eindruck, AKW seien weltweit im
> Kommen. Doch tatsächlich geht die Zahl der Atommeiler zurück.
Bild: Sieht viel aus, werden aber weniger: Atomkraftwerke in Deutschland
FREIBURG taz | In Deutschland brachte Fukushima die Wende: Drei Tage nach
dem Reaktorunfall in Japan, der sich am Dienstag zum dritten Mal jährte,
ging knapp die Hälfte der deutschen Atomkraftwerke dauerhaft vom Netz; der
Rest soll bis 2022 folgen. Doch für den Rest der Welt verkündet die
Atomlobby seit Jahren eine Renaissance der Atomkraft. Sind das nur
Durchhalteparolen einer Branche, die ihren Zenit überschritten hat? Oder
ist etwas dran an einem neuen Boom der umstrittenen Technik?
Ein Blick auf die Zahlen hilft weiter: Im Jahr 2002 waren weltweit 444
Reaktoren am Netz. Seither werden es weniger. Allein im Jahr 2013
vermeldete die [1][Internationale Atomenergieorganisation IAEO] vier
Inbetriebnahmen und sechs Stilllegungen. Aktuell sind nach Zahlen der IAEO
435 Meiler am Netz.
Und selbst diese Zahl sei noch deutlich zu hoch, merken Kritiker an, wie
etwa Mycle Schneider, der Autor des jährlich erscheinenden [2][„World
Nuclear Industry Status Report“]. Zum Beispiel führt die IAEO noch immer
alle 48 japanischen Reaktoren in der Kategorie „in Betrieb“. Tatsächlich
aber liefere seit September 2013 kein einziges dieser Kraftwerke mehr
Strom, und in den letzten zwei Jahren seien überhaupt nur zwei Reaktoren
betrieben worden, sagt Schneider.
Die Zahl der Reaktoren ist nur eines von mehreren Indizien. Deutlicher noch
zeigt sich der Bedeutungsverlust der Atomkraft beim Anteil an der
Weltstromerzeugung: Vor 20 Jahren lag dieser noch bei 17 Prozent, im Jahr
2012 jedoch nur noch bei 10 Prozent. Angesichts solcher Zahlen, sei es
„schon erstaunlich wie lange sich die Mär von einer nuklearen Renaissance
hält“, sagt Schneider, der als unabhängiger Berater für Energie- und
Atompolitik in Paris tätig ist. Zumal der Anteil des Atomstroms in den
kommenden Jahren weiter sinken werde.
## Atomkraft auf dem Rückzug
Vor allem in Europa ist die Atomkraft massiv auf dem Rückzug: Im Jahr 1988
waren in den Ländern der heutigen EU noch 177 Reaktoren am Netz, heute sind
es nur noch 131. Zwar gibt es sehr wohl einzelne Neubauprojekte, doch diese
taugen kaum als gute Referenzen für die Branche: Der Reaktor im finnischen
Olkiluoto wird frühestens 2017 ans Netz gehen und damit mindestens fünf
Jahre verspätet.
Die prognostizierten Baukosten sind zugleich von 3 auf 8,5 Milliarden Euro
gestiegen. Ähnlich entwickeln sich die Kosten und die Bauzeit im
französischen Flamanville. Das [3][Internationale Wirtschaftsforum
Regenerative Energien] in Münster bilanzierte daher bereits 2012:
„Atomstrom wird zum Kostendesaster.“
Manches Neubauprojekt, das in der Vergangenheit als Indiz einer
Atomrenaissance herhalten musste, steht längst auf der Kippe. So gelten
heute etwa die im russischen Kaliningrad geplanten zwei Meiler als nicht
finanzierbar. Ebenso kritisch ist die Finanzierung in Polen, wo man für den
Neubau von zwei Blöcken inzwischen mit mindestens 12,5 Milliarden Euro an
Investitionen rechnet. Unterdessen wurde in Bulgarien der Bau der beiden
Blöcke in Belene schon eingestellt, weil die Kosten aus dem Ruder liefen.
In der Slowakei werden die beiden Blöcke in Mochovce offiziell zwar noch
als „im Bau“ geführt – dies aber bereits seit 1987.
Und selbst in China, sagt Atomexperte Schneider, gebe es erste Gerüchte,
dass nicht alle 29 im Bau befindlichen Anlagen fertiggestellt werden
können, da es an qualifiziertem Personal und Geld mangelt. Längst ist in
der Branche unstrittig, dass Neubauten überhaupt nur dort denkbar sind, wo
der Staat den Betreibern mächtig unter die Arme greift – wie es
Großbritannien gerade geplant.
## Erneuerbare auf dem Vormarsch
So werden in Zukunft zwar durchaus Neubauten ans Netz gehen, auch in
Europa. Ihre Zahl wird jedoch kaum ausreichen, all jene Reaktoren zu
ersetzen, die altersbedingt abgeschaltet werden. Schließlich gibt es
weltweit bereits mehr als 100 Reaktoren im Alter von 35 Jahren oder mehr.
Mehrere Dutzend davon haben gar die 40 Jahre überschritten und müssen damit
bald vom Netz. Lediglich massive Laufzeitverlängerungen könnten einen
weiteren Rückgang der weltweiten Reaktorzahlen verhindern, sagt daher
Atomexperte Schneider.
Das aber werde angesichts der „horrenden Nachrüstkosten“ immer
unwahrscheinlicher. In Frankreich sei inzwischen von einem Nachrüstaufwand
in Höhe von 1 bis 4 Milliarden Euro je Reaktor die Rede – weshalb auch hier
die Zahl der Reaktoren abnehmen wird. Entsprechend will das Land seinen
Atomstromanteil von heute 75 Prozent bis zum Jahr 2025 auf 50 Prozent
senken.
Und noch eine Entwicklung dürfte die Atomkraft weltweit zunehmend bremsen:
Selbst in jenen Ländern, in denen aktuell mit Nachdruck neue Atomkraftwerke
gebaut werden – vor allem in China –, geht der Ausbau der erneuerbaren
Energien bereits deutlich schneller voran als der Ausbau der Atomkraft. So
erzeugte China im Jahr 2012 erstmals mehr Windstrom als Atomstrom.
11 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.iaea.org/
[2] http://www.worldnuclearreport.org/
[3] http://www.iwr-institut.de/de/
## AUTOREN
Bernward Janzing
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